Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Sopronius, oder der Mann in der Entfernung von der Welt

Sophronius hatte nunmehr viele Jahre, der ununterbrochensten Gesundheit, unter den ruhigsten Umständen, die durch seine eigene Erfahrung, und Klugheit, von Tage zu Tage nach vortheilhafter wurden, genossen: der Gesellschaft der liebenswürdigsten Frau, die in jeder Absicht dazu gemacht war, die Gefährtinn und Freundinn eines Mannes von Tugend, und Verstande zu seyn; der Liebe, und Gehorsams, eines Geschlechtes von Kindern, die eine Ehre ihrer Eltern, ihres Vaterlandes, und der Menschheit waren; der größten Hochachtung, und Freundschaft der würdig-

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sten Personen, und der Ehrerbiehtung, und Achtung aller derer, die ihn kannten. Kurz, er hatte wahre Glückseligkeiten genossen, die das Leben wünschenswerth machen, als er von einem hitzigen Fieber ergriffen wurde. Die Entzündung nahm bald überhand, und es war das erstemal, daß er zween Tage, und eine Nacht, heftige Schmerzen ausstund.

Es traf eben zu, daß alle seine Kinder bey ihm waren, ausgenommen sein zweyter Sohn, und niemals hatte man einen wehmühtigern Auftritt gesehen. — Sebastian sein ältester Sohn war einige Jahre im Parlamente; der zweyte war ein Rechtsgelehrter; Theophilus aber ein Geistlicher, und hatte eine Pfründe nicht weit von dem Sophronius. Lionel der vierte Sohn war in Kriegsdiensten, und lag dazumal in der Nachbarschaft im Quartiere; und die schöne Emilie, die einzige Tochter, die sie noch hatten, war die beständige Gefährtinn, und die höchste Freude ihrer glücklichen Eltern, und damals fünfzehn Jahre alt.

Urania, ob sie schon überhaupt Gewalt genug über sich hatte, ihren Schmerz zu unterdrücken, und ihr eignes Leiden zu verbergen, damit sie nicht den seinigen vermehren möchte, fand sich doch biswei-

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len gezwungen, das Zimmer zu verlassen, und sich ihrem herznagenden Kummer zu überlassen. Die schöne Emilie, ganz Sanftmuht und Zärtlichkeit, unterlag unter ihrem Elende, das ihr die vereinten Leiden ihres Vaters und ihrer Mutter, und der trostlose Zustand der ganzen Familie verursachte; denn selbst die Bedienten schienen den Verlust eines treuen Vaters zu fürchten.

In der Mitte ihres Jammers rufte Sophronius, der lange sein Leiden in gedultiger Stille ertragen, sein Weib und seine Kinder um sich her, und sagte ihnen, daß er vollkommen ruhig sey.

Was für rührende Entzückungen flößte ihnen diese Nachricht ein! Kaum konnten sie den schnellen Uibergang von den ängstlichsten Schmerzen zu der lebhaftesten Freude aushalten. Nachdem sie ihren vollen Herzen durch mancherley Ausdrücke des zärtlichsten Vergnügens, der innigsten Liebe, und der frommen Dankbarkeit Luft gemacht hatten, gab ihnen Sophronius zu verstehen, daß er ein wenig zu ruhen verhoffte, und empfahl ihnen allen, sich nach ihrer großen Ermattung einige Erhohlung zu verschaffen.

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Sophronius allein ließ sich durch die schmeichelhafte Veränderung nicht hintergehen. — Er selbst war überzeuget, daß er diese Ruhe blos einem getödteten Gefühle verdankte. Da er indessen doch nicht ganz gewiß war, so wollte er nicht ein unnöhtiges Lärmen verursachen, zumal da er es für besser hielt, es möchte erfolgen, was da wollte, daß alle Anlaß zu einiger Ruhe fänden, ehe sich der letzte traurige Aufzug öffnete. Was ihn selbst betraf, so verfiel er bald in einen tiefen Schlaf, da seine Leibes- und Seelenkräfte sehr durch den Schmerz erschöpft waren. Als er den Morgen darauf nach einigen Stunden süßer Ruhe erwachte, fand er seinen Arzt an seinem Bette, und die ganze Familie um sich her, in einer stummen Erwartung. — Der Arzt hatte schon durch die wenige Zufriedenheit, die er über die Erzählung, die sie ihm gemacht, zu erkennen gegeben, ihre Freude gedämpfet.

Sophronius lag noch einige wenige Augenblicke ruhig, und dachte nach, auf was für Art er den kleinen Rest seiner Rolle am besten spielen möchte. Endlich nachdem er seinen Entwurf gemacht, und sie alle mit einer heitern, aber feyerlichen Miene gegrüßet, rufte er den Arzt zu sich,

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und gab ihm von der seltsamen Veränderung, die mit ihm vorgegangen, eine besondere Rechenschaft. Er beschwur ihn, ihm gerade heraus zu sagen, ob sein Argwohn nicht gegründet wäre, daß dieser schmeichelnde Anschein eine traurige Ursache zum Grunde habe, und daß eine Tödtung des Gefühls da sey. Der gute Doctor schwieg einen Augenblick, seufzte, sah um sich her auf Uranien, und ihre liebenswürdige Familie, die alle in einer grausamen Ungewißheit steif da stunden, drückte dem Sophronius die Hand und sagte: Mein liebster Sir, Ihnen kann ich ohne Bedenken eine Nachricht ertheilen, die — Ihnen nohtwendig Freude verursachen muß; aber ach! wie soll ich dieser armen Dame und diesem unglücklichen Zirkel beybringen, daß Sophronius bald wird von ihnen genommen werden.

Sophronius erwiederte ganz gelassen: Ich sage Ihnen, liebster Sir, für Ihre Aufrichtigkeit, Ihre Menschenliebe, Ihre Aufmerksamkeit und Sorge für mich und meine Familie, bey dieser und vielen andern Gelegenheiten tausendfältigen Dank. — Ich wünsche Ihnen alle Glückseligkeit, die Ihnen diese Welt gewähren kann, und eine noch weit größere in der

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künftigen! Und hiermit, theuerster Sir, von ganzem Herzen, leben Sie wohl!

Der Arzt, küßte mit einem tiefen Seufzer seinen Kranken, und begab sich weg.

Trähnen brachen nun aus jedem Auge mit verdoppelter Heftigkeit hervor. Die unglückliche Urania konnte das ungestüme Schluchzen nicht länger zurückehalten, wenn nicht ihr arbeitendes Herz zerspringen sollte. — Sie warf sich auf ihre Kniee an das Bette, drückte ihr Gesicht auf Sophronius Hand, und ächzete in der äußersten Wehmuht ihrer Seele.

Sophronius, der itzt fühlte, daß ihn die Standhaftigkeit, die er beyzubehalten hoffte, zu verlassen anfieng, bemühte sich, die feyerliche Scene zu unterbrechen.

Sophronius. Meine liebste Urania, aus Mitleiden mit dir selbst — mit mir suche dich zu fassen. Ich weis, was für ein schweres Geschäft ich dir auferlege, aber ich kenne auch deine Großmuht. — Ich habe die Würkungen derselben während meiner Krankheit mit der höchsten Bewunderung und Dankbarkeit bemerket: aber niemals hattest du eine bessere Gelegenheit, sie auszuüben, als itzt. Ich wünschte, mein Leben mit einem gesetzterm Muhte zu beschließen, als ich nun in mir fühle. — Ich wünschte, den kurzen

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Überrest desselbigen auf eine Art zu endigen, die von einigem Nutzen für meine Familie seyn möchte; aber dieser rührende Auftritt verdrängt meine Entschließung, und benebelt meinen Verstand.

Urania. Vergieb mir mein Sophronius — O verzeihe mir meine Schwachheit ! — Ich will — wenn ich kann — ruhig seyn; aber, o! wie ist es möglich! Meine Verzweifelung, ist zu groß! — Keine Hoffnung ist mir mehr übrig!

Sophronius. Was saget mein theuerstes Leben? — Uranien ist keine Hoffnung mehr übrig? — Ach! ich sehe, du bist noch nicht im Stande, dich zu fassen! In der That, es ist ein harter— es ist ein schwerer Kampf mit der Natur! — Selbst ich', ungeachtet meiner schönen Aussicht auf den Himmel — selbst ich, der ich eine demühtige Zuversicht habe, daß ich in wenig Stunden auf ewig von allem Kummer und Elende werde befreyt seyn — selbst ich leide itzt mehr, als ich noch gelitten habe!

Urania. Ach! mein Leben — mein geliebter Sophronius — und ich vermehre deine Leiden! Ich sollte noch deine letzten Augenblicke verbittern? — Nein, ich will — ich will diese eigennützige Schwachheit überwinden!

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Sophronius. O edle Urania, Gott wird dir beystehen! — Bedenke nur, meine theuerste Liebe, daß du gar keine Ursache hast, mich zu beklagen! Mein Körper ist itzt ruhig; und meine Seele wird bald aus ihrem Gefängnisse befreyt werden? Uiberlege, daß es nicht sehr lange währen kann, daß auch die deinige ihre schmerzliche Gefangenschaft verlassen wird. In wenig Augenblicken, habe ich das Vertrauen, — durch die unendliche Barmherzigkeit meines Schöpfers, und die Erlösung meines Heilandes, in eine glorreiche und glückseelige Ewigkeit einzugehen! — Und ist wenig kurzen Tagen, oder Jahren — und was sind Jahre, wenn wir sie mit der Ewigkeit vergleichen? — was sind Jahrhunderte mehr als Augenblicke? — in wenig kurzen Augenblicken also, wirst auch du, meine Urania, mich in jenen seeligen Wohnungen wieder finden.

Urania. Es ist wahr, — ja, es ist wahr! —Soll ich trauern, daß mein Sophronius im Begriffe ist, den Lohn aller seiner Tugenden einzuerndten? O nein; ich fühle, daß meine Seele durch den großen Gedanken erweitert wird! — Kommt, meine Kinder, nähert Euch, und seht Euren Vater an, der bald zu


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dem herrlichen Stande eines Engels wird erhoben werden!

Sophronius. Gott segne euch alle meine liebsten Kinder, und tröste Euch! Ach! weinet nicht so bitterlich! — Sehet auf Eure vortreffliche Mutter; lernet nicht nur ihre zärtliche Liebe, sondern auch ihre Standhaftigkeit im Leiden nachzuahmen: dieser himmlische Anblick, der itzt ihr ganzes Gesicht erheitert, sollte Euch alle beseelen. Meine Emilie, trockne deine Trähnen ab, du mein liebtes süßes Mädchen! — Wird das Beyspiel deiner Mutter dir nicht zum Troste gereichen? Willst du dich nicht mit ihr freuen, daß dein Vater bald glücklicher seyn soll, als sie und Du, und meine übrigen guten Kinder ihn immermehr machen können? — Regieret dich Gott, daß du deine Unschuld bewahrest, so wirst du den Tod nicht für schrecklich halten, — Solltest du dieß wohl thun?

Emilie. O mein Vater! möchte es nur Gott gefallen, daß er mich mit Ihnen zugleich hinweg nähme! — so würde ich in der That glücklich seyn!

Sophronius. Ja, dieß würdest du seyn! Aber sollte sich nicht mein gutes Kind auch gefallen lassen, den Seegen Gottes, und seine freyen Wohltaten

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nach seiner Art und zu seiner ihm gefälligen Zeit anzunehmen? Solltest du nicht bereit seyn, den Willen desjenigen zu thun, von dem du eine so herrliche Belohnung erwartest? — Und Ihr, meine Söhne, lasset mich nicht Euern Kummer sehen, als Leute, die ohne Hoffnung sind! Mein Sebastian hat bereits den Lauf, den ich itzt endige, schon zur Hälfte zurückgelegt. — Welch ein kurzer Raum wird ihm das übrige seyn, wenn es nun vorüber ist! Der Pfad, der vor dir liegt, scheint sanft und lieblich! Denke nur darauf, daß du deinen Lauf mit Freudigkeit vollendest!

Mit welchem Vertrauen würdest du, mein guter Theophilus, Gedult und Ergebung in den göttlichen Willen deiner Heerde predigen können, wenn du, bey der Probe, nicht selbst zeigtest, daß du vergleichen zu äußern im Stande wärest?

Die Betrachtung des Todes ist es gewiß nicht allein, was meinen theuern Lionel niederschlägt: er sollte mit den Gedanken desselbigen vertrauter seyn, als irgend jemand.

Es ist gar nicht meine Meynung, Euch Eurer Zärtlichkeit wegen bey dieser Gelegenheit Vorwürfe zu machen: es würde mir weh gethan haben, wenn ich Euch

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ungerührt gesehen hätte; ich will blos Eure niedergeschlagenen Gemühter erheben, und Eure Vernunft auffodern, die Zügel zu fassen.

Urania. Wir gehorchen dir! Siehe, wir trocknen unsre Trähnen ab. —Gütiger Gott, unterstütze meine Entschliessung!

Emilie. Liebster Vater— Ich wollte gern— aber ich kann nicht — kann nicht — liebste Mama — vergeben Sie mir! —

Urania. Ach, mein Kind! — ich bin — so schwach, als du! —.

Sophronius. Komm, meine Urania du mein ganzes Eigenthum, und auch Ihr meine liebsten, besten Kinder, laßt mich versuchen, ob ich Eure Gedanken nicht von dem armen Menschen, auf das vernünftige Wesen zu führen vermag das ewig leben wird. — Schenket mir Eure Aufmerksamkeit, und laßt sie mich auf meine unsterbliche Seele heften. — Das ist aus mich selbst; denn dieser elende Körper wird in kurzem eben so wenig in Verwandtschaft mit mir stehen, als das Bette, auf dem ich liege. — Doch mich dünkt, daß ich mit Euch immer noch werde verwandt seyn. — Schwerlich kann ich mir vorstellen, daß die Fesseln,

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die mich an Euch binden, jemals können aufgelöset werden. — Mich dünkt, es würde ein großer Zuwachs zu meiner Glückseeligkeit im Himmel seyn, wenn ich im Stande wäre, Euch noch hier auf der Erde bey Eurer Reise durch das Leben beyzustehen. Doch, es liegt endlich nichts daran, ob ich diese Gnade habe oder nicht, da Gott selbst Euer Führer und Beschützer ist. Er ist allmächtig, und allgenugsam: Er bedarf keiner Mittelspersonen, ob er sich gleich ihrer bisweilen bedienet, um sie in ihrer Tugend zu üben, und ihrer Glückseligkeit dadurch ein grosses Bestandtheil zu verschaffen. — O wie frohlocket meine Seele in dem Gedanken, daß ich die Sphäre meiner Wohlthätigkeit auf immerdar erweitert habe; — daß ich einer von den geehrten Boten des Allmächtigen gewesen bin, meinen Nebengeschöpfen Glückseeligkeit mitzutheilen. Vielleicht, da mein eigner Stand sich von einer Stufe der Vollkommenheit zu einer andern erhebt, werde ich von Welt zu Welt durch die gränzenlosen Gegenden des Raumes übergehen: hier das Gewebe, die Ordnung und Einrichtung der verschiedenen Planeten, unzähliger Systeme kennen lernen, und verstehen: und wie eine Unendliche Verschiedenheit

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von Umständen durch die allmächtige Weisheit dem Gebrauche vernünftiger Wesen angemessen ist: die unendliche Macht und Güte in den verschiedenen moralischen Wegen, durch welche die Geschöpfe zu ihrer letzten Glückseeligkeit geführet werden, sehen, verstehen, bewundern, und anbeten! —

Aber, es ist Zeit, daß ich von dieser Höhe herabsteige, und das Geschäffte besorge, das mir noch in dieser engen Spähre zu thun obliegt.

Urania. Wehe mir! die Zauberkraft ist aufgehoben, die mein trauriges Gefühl in Ungewißheit ließ! Ich erwache wieder zu —

Sophronius. Gönnet mir Eure Aufmerksamkeit, Ihr süßesten Freuden meines Lebens! indem ich einem jeden von Euch noch einige wenige Worte zu sagen habe, die vielleicht von einigem Nutzen seyn können, wenn ich Euch verlassen habe.

Urania. O fürchterliche Töne! — Aber—wir hören!

Sophronius. Das einzige, was ich dich bitte, meine vortreffliche Urania, ist, daß du dich nicht einem unmäßigen Schmerzen überläßest, wenn du dich in diesem unwollkommnen Zustande von mir

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verlassen siehest! — Ich weis, so bald du dich nur gefaßt hast, daß du dich bereit und willig fühlen wirst, den ganzen Willen unsers gütigen Schöpfers zu vollziehen; und mit einem freudigen Gehorsam dich den übrigen Pflichten zu unterwerfen, die er noch von dir zu fodern für gut halten wird. — Und wenn du überlegest, wie wichtig dein Leben unfern liebsten Kindern, insbesondere meiner Emilie, deinen angenommenen Kindern in unserm Kirchspiele; deinen armen Nachbarn; ja, allen unsern Nachbarn; — einem Zirkel bist, dessen Umfang du dir kaum vorstellen kannst, auf den dein Beyspiel einen Einfluß haben kann: so wirst du selbst wünschen, daß die Zeit deiner Verwaltung möge verlängert werden! Nimm die äußerste Lebenslänge an, die man natürlicher Weise nur annehmen kann, — was ist dieser Raum von jenem weiten Rund der Ewigkeit geschnitten? Ein bloßes Nichts! Und wer sollte wohl dieses Scherflein zur Dankbarkeit für die unaussprechlichen Wohlthaten, die unser liebreicher Herr und Meister denen versprochen hat, die ihn lieben, und sich eifrig bestreben, ihm nach seiner eignen vorgeschriebenen Weise zu dienen, mit Widerwillen opfern? Was kann dir unerträglich scheinen,

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meine Urania, da du weißt, daß du in kurzem von jeder Last wirst entlediget, und ganz von Schmerzen und Kummer — diesen Kennzeichen der menschlichen Schwachheit und Unvollkommenheit, — auf itzt und immerdar wirft befreyet werden! Daß es noch eine kleine Frist währet, da es dir dann wird vergönnet seyn, deinem getreuen Sophronius zu den Wohnungen ewiger Glückseligkeit zu folgen. Urania. Es geschehe also! — O gütiger Gott! —

Sophronius. (Kehret sich zu dem ältesten Sohne.) Und nun, was habe ich meinem liebsten Sohne zu sagen? wird er mir verzeihen, wenn ich ihn, der wenigstens eben so geschickt ist, mich zu unterrichten, noch belehren will? Aber die Worte der Sterbenden hält man noch immer einiger Aufmerksamkeit wehrt, weil die Seele alsdann von Vorurtheilen, und jedem geheimen menschlichen Gewichte mehr als jemals frey seyn muß.

Sebastian. Gewiß, war niemals eine so aufrichtige, so gerechte Seele, als die Seele meines Vaters! Desto bitterer ist mein Verlust — der Verlust eines solchen Freundes!

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Sophronius. Halte mich nicht für verlohren, mein Sohn! Denke, daß ich nur auf eine kleine Entfernung von dir abwesend bin. — Wie kurz diese Entfernung seyn mag, dieß ist Gott allein bekannt! Sebastian. Sein heiliger Wille geschehe!

Sophronius. Wenn ich auf mein eigenes Leben zurück sehe, so ist es so beschaffen gewesen, daß es Menschen in Geschäften müßig nennen werden; und doch glaube ich nicht, daß ich dießfalls mir selbst Vorwürfe zu machen Ursache habe. Es kömmt mir vor, als ob deine Gemühtsart, mein Sohn, und deine natürlichen Neigungen mit den meinigen viel Aehnlichkeit haben; und daher wirst du das, was ich von mir selbst sage, vielleicht auf dich anwenden können.

Als mein Vater den Weg gieng, den der Eurige itzt gehen wird, so verließ ich die Wissenschaft der Rechte, zu der er mich bestimmt hatte, weil ich bey mir weder Lust noch Geschicke dazu fand: und ich hielt es eben nicht nöhtig für mich, da mein Vermögen damals zu allen Bedürfnissen, die nicht Stolz und Eitelkeit fodern — als welche niemals genug haben — zureichte. Ich glaubte also, daß es

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so wohl an sich selbst unvernünftig, als auch unbillig gegen andere gehandelt sey, die ihr Glück erst suchen müßen, wenn ich eine Stelle wegnehmen wollte, die ihnen zu ihrem Unterhalte durch ihre Arbeit so unentbehrlich, mir aber überflüßig wäre.

Diese Folgerung hat noch mehr Stärke, wenn du sie auf dich anwendest, da dem Erbtheil noch weit ansehnlicher seyn wird.

Aber was hatte ich denn also für eine Rolle in diesem Leben zu spielen? Wollte ich blos eine stumme Person seyn, um die Schaubühne ausfüllen zu helfen? Oder, war ich auf dem Schauplatze nicht nur unnütze, sondern auch noch überdieß andern im Wege? Ich gestehe, so eine niedrige Meynung habe ich von meinem Posten nicht gehabt. Ich sahe, daß die Menschen eine unendliche Verschiedenheit von Neigungen und Fähigkeiten besitzen, wodurch sie verschiedene Endzwecke der Gesellschaft zu erreichen vermögend sind; und daß ein tugendhafter Mann unumgänglich ein nützliches Mitglied seyn muß. Ich erblickte verschiedene Wege vor mir, auf welchen ich etwas zu dem öffentlichen Wohl beyzutragen vermochte: aber in dem Verfolge meines Lebens zeigten sich noch tausend Gelegenheiten, wo ich meinen Nebenmenschen zu dienen fähig war,

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die ich dazumal nicht vorhersehen konnte. Es war meine Pflicht, diese Gelegenheiten nicht nur nicht zu verabsäumen, sondern sie selbst auf das sorgfältigste auszusuchen; und die außerordentliche Musse, deren ich genoß, darauf zu wenden, daß ich mich selbst in nützlichen Kenntnissen zu unterrichten suchte, die ich andern wohlthätig mittheilen, oder zum Dienste derjenigen anwenden möchte, die sich dieselben zu erwerben nicht selbst im Stande wären: als ein Verwalter einer großen Haushaltung, bereitwillig zu seyn, bey allen erforderlichen Gelegenheiten etwas von dem Eigenthume, das in meine Hände gegeben war, auszuspenden: kurz, allen, die dessen bedürftig wären, beyzustehen, sie zu belehren, zu bessern, ja auch zu tadeln: — ein Vater der Waysen zu seyn: und wenn ich nicht der Wittwen Sache ausführen konnte, wenigstens ihr Freund, ja ein Freund aller derjenigen zu seyn, die ihrer natürlichen Beschützer beraubet waren: — den Einfluß und das Vermögen, die man durch einen unabhängigen Wohlstand in gewisser maßen erlangen muß, zur Aufmunterung eines rechtschaffenen Fleißes ebenso wohl, als zur Verdrängung des Müßigganges und jeder Art von Laster anzuwenden.

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Ich habe nicht nöhtig, mich hier auf alle kleine Umstände einzulassen: du wirst dich verschiedener Vorfälle in meinem Leben erinnern, die dir in Absicht auf dein künftiges Betragen nützliche Erinnerungen seyn können.

Sebastian. O daß ich geschickt seyn möchte, dem bewundernswürdigen Beyspiele meines geehrten Vaters zu folgen!

Sophronius. Ich zweifle nicht, daß du nicht den Plan von meinem Leben noch solltest verbessern können. Du hast bereits die gefährlichste Zeit des Lebens überstanden; und dey den guten Grundsätzen, bey dem gesunden Verstande, und der Erfahrung, die sich bereits in deinem Gemühte fetzgesetzt haben, nebst dem Vortheile, den du in dem guten Rahte deiner vortreflichen Mutter findest — ein Vortheil, dessen hohen Wehrt du zu schätzen weißt, — zweifle ich nicht, daß du meine schmeichelhaften Hoffnungen noch übertreffen wirst, —

Aber, als es Gott gefiel, mich durch die Gesellschaft meiner theuersten Urania und durch ein Geschlecht wohlgearteter Kinder zu seegnen, so erhielt ich ein neues, höchst wichtiges und sehr angenehmes Geschäfte; und ich nahm mir vor, meine

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ganze Aufmerksamkeit darauf zu verwenden.

Wie viele sorgenvolle Stunden habe ich und Eure liebste Mutter auf die Wahl der geschicktesten Art und Weise, Euch nach Euren verschiedenen Bestimmungen zu erziehen, verwandt! — denn jedes Kind erfodert wenigstens unter gewissen Umständen eine verschiedene Leitung. Wir beobachteten jede kleine Handlung, jede Miene Eurer frühesten Kindheit, und machten unsere Anmerkungen darüber. Und durch diese Aufmerksamkeit auf alle Kleinigkeiten wurden wir in Stand gesetzt, über Eure künftigen Charaktere Muhtmaßungen anzustellen, die wir in der Folge zu ändern auch wenig Ursache gefunden. Es ist erstaunend, wie frühzeitig und wie stark der Charakter des Temperaments bezeichnet ist: die sorgfältigste Regierung desselbigen so wohl in Absicht auf die Glückseeligkeit der eignen Person, als auch der Menge anderer, die mit ihr in einige Verhältniß kommen, ist von der äußersten Wichtigkeit. Wie viele Personen, die im Ganzen vortreffliche Grundsätze und viel bewundernswürdige Eigenschaften haben, werden ihren Familien, das ist denenjenigen, auf deren Beystand sie doch in diesem Leben

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am meisten zu rechnen haben, durch die Vernachlässigung ihrer Eltern und Lehrer zuerst, und hernach durch ihre eigne wenige Aufmerksamkeit, auf diesen so wesentlichen Artikel des sittlichen Betragens, und der menschlichen Glückseligkeit, unerträglich.

Ich bin überzeugt, daß die Kindheit die allergeschickteste, wo nicht die einzige Zeit zu einer strengen Züchtigung ist, wofern sich irgend etwas Edles in der Gemühtsart findet. Harte Worte und Schläge sind unglückliche Mittel, vernünftige Geschöpfe zu regieren; aber es sind nohtwendige und wirksame Mittel, sich gehorsam bey unvernünftigen Gemühtern zu verschaffen. Ich glaube kaum, daß sich eines von Euch einer körperlichen Züchtigung von mir wird zu erinnern wissen; und doch habt ihr dergleichen empfunden, — und einige unter Euch mit großer Strenge. Vielleicht würdet ihr Euch auch selbst nicht in der obgleich wahren Vorstellung erkennen, die ich Euch von Euren ursprünglichen Gemühtsneigungen und Charakteren machen könnte.

Dasjenige, was der Eltern und Aufseher Pflicht bey einem Kinde ist, wird seine eigne Pflicht, das große Geschäfte seines Lebens, wenn er zu einem vernünft-

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tigen Geschöpfe gereifet ist. Dieß ist die Arbeit, die ihm in diesem Stande der Prüfung angewiesen ist, die edeln Kräfte und tugendhaften Neigungen, die ihm die Natur geschenket, zu bauen und zu befestigen; und denenjenigen Neigungen zu widerstehen, die sich wider die Vernunft empören. Das letzte ist unser Kriegsstand, in dieser Absicht sind wir Soldaten in einem feindlichen Lande gleich, die beständig auf ihrer Hut seyn, und bey dem geringsten Lärmen in Waffen seyn müßen: die andern kann man mit den Werken des Friedens vergleichen, die nicht weniger nohtwendig sind, und blos weniger heftige Arbeit bedürfen.

So bald ich die frühzeitigen Früchte einer sorgfältigen Erziehung bey meinen eignen Kindern gewahr wurde, so dachte ich nach, was es für eine große Wohlthat für meine arme Nachbarn seyn würde, wenn ich ihnen in Erziehung der ihrigen beystünde. Die Zeit und die Aufmerksamkeit des arbeitenden Theils der Menschen wird zu sehr durch die Nohtwendigkeit, sich die nöhtigen Unterhaltungsmittel für den Körper zu verschaffen, weggenommen. Ich dachte also auf einen Entwurf, von dem ich glaubte, daß er die größte Wohlthat für sie seyn

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würde, und zu gleicher Zeit mir viele wahre Vortheile verschaffen könnte. — Es schien mir, daß eine Privaterziehung, unter der Eltern ihrer Aufsicht, gewisse Umstände abgerechnet, die doch nur sehr selten vorkommen können, öffentlichen Schulen vorzuziehen sey. Ein hinlängliches Vermögen, einige Geschicklichkeiten und eine große Aufmerksamkeit bey den Eltern, und eine gewisse Anzahl von Kindern, entweder in der Familie, oder die dazu gezogen werden, welche die vortheilhaften Würkungen des Nacheifers hervorbringen können, sind wesentlich nohtwendig. Ich schmeichelte mir selbst in allen diesen besondern Dingen mit der Hoffnung eines glücklichen Erfolgs; und ich danke Gott, daß ich mich darinnen nicht geirret habe.

Ich sparte weder Zeit noch Mühe, einen geschickten Aufseher ausfündig zu machen; und so weit als es meine Umstände zuließen, setzte ich eine Belohnung aus, die denen von mir erwarteten Diensten gemäß wäre. Ich machte ihn zu meinem Gefährten und Freunde; und die Achtung, mit der ich ihm begegnete, flößte jedem andern noch einen größern Grad derselbigen ein. Ich lud einige meiner armen Untetthanen ein, an denen Vor-

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theilen, die ich von meinem Plane erwartete, Antheil zu nehmen; und ich wiedmete zu dieser Absicht einen Platz in meinem eignen Hause. Ihr werdet Euch erinnern, daß Ihr daselbst oft funfzehn bis zwanzig von euern kleinen unschuldigen Nachbarn gesehen, die in demselbigen Zimmer mit Euch selbst, auf einem gleichen Fuße waren. Meinen kleinen Landleutgen würden die gelehrten Sprachen wenig genützt haben; daher wurden diejenigen Stunden, die dazu ausgesetzt waren, von ihnen zu Hause auf ihre ländliche Arbeit verwandt. Aber Schreiben, Lesen, Rechnen, einige Kenntniß in mechanischen und physikalischen Dingen, mußteihnen nohtwendig sehr vorteilhaft seyn. Diese dienen ihren Verstand aufzuheitern, und sie von alten niedrigen Vorurtheilen zu befreyen, die jeder Art von Verbesserungen so große Hindernisse in den Weg legen. Dieß war eine geringe Nebenabsicht meines ersten Plans, und hat mir alleine meine Wohlthat reichlich vergolten. Denn meine Nachbarn um mich her haben die größte Ursache gehabt, mich um meine Unterthanen zu beineiden, die sich allezeit willig finden ließen, an allen meinen ökonomischen Erfahrungen Theil zu nehmen, weil sie meine Absichten ein-

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sahen; die Wahrscheinlichkeit der Wirkungen die ich von ihnen erwartete, begriffen; Geschicke genug hatten, ihre Hände und Werkzeuge zu jedem neuen Unternehmen zu gebrauchen, und mithin eben so wenig geneigt waren, an einem glücklichen Erfolge zu zweifeln, als den Versuch zu verwerfen. Jeder Beweis einer außerordentlichen Geschicklichkeit oder eines vorzüglichen Fleißes hat auch allezeit seine sichere Belohnung bey mir gefunden. Dieß erweckte ihren Nacheifer, belebte ihre Arbeit, machte mir ihr Herz geneigt, und fiel auf mich selbst mit grossem Wucher zurücke.

Ihr wißt, daß ich der oberste Richter in meinem ganzen Ländchen bin. Hierdurch war ich im Stande, meinen Bauern viele Ausgaben zu ersparen, ihre Zwistigkeiten beyzulegen, ihre Eifersucht zu dämpfen, und ihre Freundschaft zu befördern. Jedermann ist hier bereitwillig, dem andern in der Noht beyzustehen. Eigenliebe, Neid und Bosheit herrschen weit weniger in diesem Kirchspiele, als in vielen andern, weil Religion und Sittlichkeit besser erkannt werden. Denn die erste aller Pflichten Eures Lehrmeisters war Euch die Religion so vernünftig, als möglich, beyzubringen; den Grund, die

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Verbindung, und den praktischen Nutzen auf das Leben zu erklären; und in wie ferne Tugend zur Glückseligkeit führet; Eurem Herzen so wohl als Eurem Verstande die vornehmste aller Tugenden, die christliche Liebe, oder die Liebe des Nächsten, das wahre Band des Friedens, und das Wesen der menschlichen Glückseeligkeit selbst, zu empfehlen.

Was ich für den männlichen Theil unserer Nachbarschaft that, das that Eure gute Mutter für den weiblichen. Wir sind immer auf dem Wege der Tugend Hand in Hand gegangen, und jedes ist des andern Stütze und Beystand gewesen. Glücklich ist der Mann, der eine ihrer Mündel zum Weibe bekömmt! Man kennet in unsrer Gegend den Vortheil allzugut, und weder Schönheit noch Vermögen sind eine so kräftige Empfehlung.

Auf diese Art, indem wir ihnen wahre, große und dauerhafte Wohlthaten, mit keinem großen Aufwande, und ich kann auch sagen, mit eben so wenig Mühe, verschafft haben; denn die Zeit und Mühe, die wir aufgewandt, ist für uns mehr Ergötzen und Freude gewesen, haben wir uns unendliche Liebe, die größte aller Belohnungen, erworben. Unsere Bauern und Nachbarn sind unsere Hüter und

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unsre Freunde. Sie wünschen herzlich, unsere Vortheile zu befördern, weil sie fühlen, daß ihr eigner damit verbunden ist; und sie sind so entfernt, uns zu beneiden, daß sie sich vielmehr unsers Wohlergehns freuen, weil sie wissen, daß sie daran Theil nehmen. Auf diese Art, meine Söhne, könnet Ihr den Hauptplan meiner Grundsätze und meines Verfahrens übersehen; und ist es nicht ein lieblicher Anblick?

Sebastian. O mein Vater, der entzückendste, und ganz Ihr eigenes Werk!

Sophronius. Ein solches könnet auch Ihr alle gewisser maßen um Euch her errichten. — Du, mein Sebastian, wirst ohne Zweifel den gegenwärtigen Auftritt verschönern. Man wird hier auf dem Lande deinen Vater nicht vermissen: selbst sein Andenken wird sich in der Liebe und Hochachtung bald verlieren, die du dir erwerben wirst.

Sebastian. Wenn irgend eine gute Eigenschaft auf meiner Seite dieselbe verdienen wird, so wird sie gewiß die Welt an meinen unvergleichlichen Vater erinnern, dem ich, nächst Gott, alles zu danken habe.

Sophronius. Auch mein Theophilus, wird die edelsten Gelegenheiten haben

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Gutes zu thun, und Liebe zu erwerben. Ein würdiger Geist ist für ein Kirchspiel die allergrößte Glückseligkeit. Das Gute, das er stiften kann, ist unendlich, und Kindeskinder der gegenwärtigen Geschlechter werden Ursache haben, sein Gedächtniß zu segnen.

Entzücket dich nicht diese Aussicht? erwärmet sie nicht dein ganzes Herz?

Theophilus. Ganz gewiß, liebster Vater; und ich hoffe, sie wird mir einen Eifer einflößen, der gewisser maßen den Mangel meiner Fähigkeiten ersetzet.

Sophronius. Ja, du wirst dich damit nicht begnügen lassen, daß du blos dem Tadel dadurch entgehst, daß du die unvermeidlichen Pflichten deines Amts, wie ein elender mechanischer Miehtling, um ein elendes Tagelohn vollziehst. Du wirst, ich habe das Vertrauen zu dir, in der Ausübung deiner Pflicht feurig, thätig und unermüdet seyn. In andern Ständen pflegt man diesen Stand oft wegen seiner Muße zu beneiden, ob man gleich ihm dadurch zugleich einen Vorwurf macht. Wenn aber das Geschäfft desselbigen gehörig vollzogen wird, so würde man weder zu dem einen, noch zu dem andern Ursache haben. Der Mann, der ernstlich bedenkt, daß er so viel unsterb-

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liche Seelen, eine kostbare und fürchterliche Last, vor dem Elende zu bewahren und zur ewigen Glückseeligkeit zu führen hat, der wird nicht glauben, daß er von ängstlicher Sorge und Arbeit frey sey. Unaufhörlich wird er Gelegenheiten finden, wo seine Menschenliebe, seine Demuht, seine Billigkeit, sein Muht und jede schriftliche Tugend auf die Probe kömmt. Er wird sehen, daß es ihm mehr, als allen Menschen, geziemet, beständig auf seiner Hut zu seyn; über jedes Wort, über jede Handlung zu wachen, damit er nicht Aergerniß gebe, und die Ehrerbietung verringere, die sein Charakter unumgänglich erfodert; nachtheilige Urtheile dem ganzen geistlichen Stande zuziehe, und der Sache der Religion und Tugend selbst Schaden thue. Einer vorzüglichen Vortrefflichkeit wird es aber auch nicht an der Aufmunterung vorzüglicher Belohnungen fehlen; denn die Ehrerbietung, Hochachtung und Liebe ihrer Nebengeschöpfe, machen einen großen Theil der Glückseeligkeit vernünftiger Wesen aus; und ich habe allezeit bemerkt, daß ein Geistlicher von einem gesunden Verstande, guten Herzen, erforderlichen Wissenschaft, einförmigen Lebenswandel, und aufrichtiger Ehrfurcht für seine Religion,

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sich weit mehr von denselbigen bey allen Arten von Menschen erworben hat, als irgend ein Mann in einem andern Stande, sich unter eben, diesen Umständen würde erworben haben. Allein, obgleich der geistliche Stand, wegen der Natur seiner Geschäffte, und der wahrscheinlich höhern Kenntniß und Tugend seiner Mitglieder zusammen genommen, der vornehmste unter allen übrigen Ständen ist, so wirst du dir doch nicht einen so unedlen Gedanken in den Sinn kommen lassen, die übrigen zu verachten, oder lächerlich zu machen. Sie sind der Gesellschaft alle nützlich und nohtwendig; sie können sich alle solcher Leute rühmen, die ein Stolz ihres Geschlechtes waren, und müßen sich alle gefallen lassen, durch einige unwürdige Glieder verunehret zu werden. Dein Bruder, mein einzig in der Entfernung lebender Sohn, wird, wie ich nicht zweifle, durch sein rechtschaffenes Verhalten die Achtung aller Menschen verdienen und genießen, und aller Wahrscheinlichkeit nach, wird er eines Tages, vermöge der Würde seines Posten, darauf Anspruch machen können. Denn das Verdienst hat kein weiteres Feld, sich empor zu schwingen, als bey der Wissenschaft der Gesetze. Unsere Religion ist das gütigste

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Geschenke Gottes, aber das Gesetz das edelste Werk des Menschen; und keine Wissenschaft hat eine größere Spähre, wohlzuthun, als diese. Wie viel nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Familien erhalten die ausgebreitesten Wohlthaten von einem geschickten und redlichen Rechtsgelehrten! Wie sehr wird der gemeinen Sache durch einen gelehrten und aufrichtigen Richter gedienet! Man darf niemals Mißbräuche, der Weisheit der Gesetze zum Vorwurfe machen, Fehler müßen nohtwendig mit unterlaufen, und Mißbräuche bey jedem Werke so unvollkommner Geschöpfe, als die Menschen sind, entstehen. Aber wir müßen allezeit nach Billigkeit und Liebe, nicht nur von einzelnen Personen, sondern von gesammten Körpern der Menschen urtheilen, indem wir jeden Umstand, jeden Bewegungsgrund, jede Versuchung erwägen, und alsdann werden wir auch nicht so voreilig urtheilen und verdammen. Mein armer Sohn hier wird sehr oft durch den unruhigen Kopf und den boshaften Spötter, nebst der Menge von Thoren, die ihn umgeben, in Verwirrung gesetzt werden. Aber ich habe die Hoffnung, er wird sich zu einer Zeit, von seinen schwindlichten Gefährten vorzüglich

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unterscheiden; und das Verdienst eines Soldaten, ob es gleich nicht stets Gelegenheit hat, sich hervorzuthun, ist vielleicht dasjenige, das unter allen am meisten erkannt wird, und den stärksten Beyfall einärndtet. Und was kann liebenswürdiger seyn, als ein bescheidener, vernünftiger und gesitteter Soldat? Die Fehler, die diesem Stande gemein sind, mögen seyn, welche sie wollen, so sind doch ein aufgeräumtes Wesen, eine gute Lebensart, ein offnes Herz, und eine großmühtige Seele, seine charakteristischen Tugenden. Ein Soldat kann es beynahe kaum Umgang haben, aus Gewohnheit, gegen seine Befehlshaber gehorsam, ehrerbietig gegen seine Obern, ungezwungen, freymühtig und freundschaftlich gegen seine Kameraden, aufmerksam und herablassend gegen seine Untergebene, obgleich standhaft und unerbittlich in Ausübung ihrer gegenseitigen Pflichten zu seyn. — Wie sehr wäre es zu wünschen, daß alle, wie du, mein Sohn, die große Musse, deren sie genießen, darauf wendeten, sich so viel Kenntniß in den schönen Wissenschaften zu erwerben, als jeder wohlgezogene Mensch von einem gewissen Stande besitzen sollte, besonders aber alle diejeni-

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gen Theile von Wissenschaften, die ihrem eigenthümlichen Geschäfte am unentbehrlichsten sind. Es wäre zu wünschen, sie wären überzeugt, daß die Religion ein wesentlicher Theil von dem Geschäfte jedes vernünftigen Geschöpfes sey. Es wäre zu wünschen, sie bemühten sich, eben solche weise, als galante Leute zu seyn, gute Christen so wohl, als getreue Unterthanen zu seyn. Mit wie vielem Rechte würden sie sich die Hochachtung aller Menschen zuziehen! — Aber ach, meine Emilie! dir ist es vorzüglich zu wissen nöhtig, daß du ja nicht von deinem Bruder auf alle Kriegsbediente überhaupt schließest, weil man nur gar zu oft sieht, daß diejenigen, die sich selbst, ihrer Würde wegen, als Leute von Ansehen am meisten schätzen, die über alle Menschen sich den Charakter als Männer von Ehre anmaßen, es nicht für verunehrend halten, die Unschuld zu hintergehen, die Person, die sie zu lieben vorgeben, zu entehren, über würdige Familien, ja oft über die Familien ihrer Freunde und Wohlthäter, Elend und Schande zu bringen: — alle Gesetze der Großmuht, Gastfreyheit, Treue, und so gar der allgemeinen Rechtschaffenheit zu übertreten, so bald es auf die Befriedi-

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gung ihrer unbändigen Leidenschaften ankömmt; oder was noch schändlicher ist, ihrer Eitelkeit.

O mein Lionel, in welchem Lichte erscheinen dir itzt diese Dinge? Itzt, ich bin es überzeugt, erscheinen sie dir der Wahrheit gemäß! — Möchte doch die Erinnerung dieses feyerlichen Auftritts, möchten die Worte deines sterbenden Vaters, möchten die gegenwärtigen Betrachtungen, die Uiberzeugung deiner eignen Seele, in den Stunden der Freuden und der Unbedachtsamkeit plötzlich auf dieselbe zurückkehren! Wenn das Beyspiel des Schwachen und Gottlosen, die Sophisterey des Lasters, die Hitze der Jugend, der Reiz der Gesellschaft, und die ungebundne Freyheit der Wohllust, sich alle vereinigen, die strengen Gesetze der Tugend als unnatürlich und ungerecht, als Betrügereyen der Menschen vorstellen, dann — dann möge diese feyerliche Scene wieder in dein Gedächtniß kommen, und die aufsteigende Flamme dämpfen, ehe sie zur Bändigung zu stark wird. Denn, wenn einmal diese Art zu vernünfteln gedultet wird, so werden die Thore gar bald aufgesprengt, und jede Art der Unmäßigkeit und Untugend stürzet sich hinein wie ein Strohm; die Regelmäßig-

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keit wird lächerlich gemacht, die Wohlanständigkeit verachtet, des andern Eigenthum angefallen, und der bürgerlichen Ordnung Hohn gesprochen! Aber, alles dieses wird gewiß seinen Rächer finden! und das verschwendete Vermögen, der kranke Körper, und das geqwälte Gewissen werden durch die Erfahrung beweisen, ach nur zu späte beweisen, daß die Gesetze der Tugend Vorschriften der Gesundheit, Anordnungen der Klugheit, und die Erfordernisse der Glückseeligkeit sind.

Und o, meine Emilie! vergiß ja nicht daß eine tugendhafte Frau in der Verbindung mit einem lasterhaften Manne unmöglich glücklich seyn kann. Feuer und Wasser können sich ehe zusammen vertragen, als daß sich eine bescheidene und fromme Seele bey Ruhe und Zufriedenheit mit einem lüderlichen Menschen, der keine Grundsätze hat, sollte vereinigen können. Du, mein süßes Mägdchen, bist ganz Reinigkeit und Unschuld, und gefällt es Gott, dir den Beystand deiner vortrefflichen Mutter noch einige wenige Jahre länger zu gewähren, daß sie über die Unachtsamkeit der Jugend wachen, und das Uibertriebene, selbst tugendhafter Handlungen mäßigen kann, so wirst du auf immerdar die Annäherungen der Un-

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reinigkeit zurückhalten. Erinnere dich, daß sie deine vornehmste und beste Freundinn ist, mithin lasse sie auch allezeit die Vertraute aller Geheimnisse deines Herzens seyn. Lasse dich nicht eine falsche Schaam hindern, ihr deinen Busen zu öffnen; sondern, je größer die Abneigung ist, die du fühlest, ihr deinen Kummer zu entdecken, für desto unumgänglich nohtwendiger mußt du dieses halten; und du kannst versichert seyn, daß du in der Folge Ursachen finden wirst, dich zu freuen, daß du es gethan hast.

Die Liebe ist die Klippe, an der mein armes Mägdchen in der größten Gefahr zu scheitern ist: sie ist eine Leidenschaft, der vielleicht die liebenswürdigsten Herzen am meisten unterworfen sind; allein ob sie gleich unserer Natur zu wichtigen Absichten eingepflanzet ist, zu denen sie uns durch du schmeichelhaftesten Wege führet, so kann sie uns doch, wie alle übrigen Leidenschaften, wenn sie nicht die Vernunft zur Zuchtmeisterinn annehmen, in die allertraurigsten Umstände führen, und die Veranlassung der heftigsten Leiden seyn.

Ich weis, daß meine Emilie ein Herz zur Liebe und zu jeder andern tugendhaften Neigung gebildet hat: und du wahre

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Liebe erzeuget die edelmühtigsten Gefindungen; sie verfeinert und veredelt die menschliche Seele, bereichert und erhebt die himmlischste unter allen Tugenden, die Wohlthätigkeit. Sie ist der entzückendste Theil der menschlichen Natur, der Balsam des Lebens; und der süßeste Trost in jedem Unglücke. Also denke nicht, meine Emilie, daß ich dich davon abschrecken will; nein, ich möchte dich nur gern zu ihr führen. Gott gebe, daß sie einen Mann finden möge, dessen Herz würdig ist, mit dem ihrigen Vereinet zu werden! — Warum schluchzet mein Kind? — Aber was frage ich auch, da ich die Menge der zärtlichen Empfindungen, die ihr Herz beängstigen, zu kennen glaube! — Auch meine liebe Urania? — Ach eben diese würdigen Empfindungen schwellen itzt ihren Busen auf; nur daß noch der bittere Gedanke an das glückselige Band hinzukömmt, das nunmehr soll getrennet werden. In der That ist er bitter, selbst für mich, ob ich gleich glaube, daß ich diesen glücklichen Zustand, dessen Seeligkeit ich allezeit mit unaussprechlichem Danke erkannt habe, für einen weit glücklichem vertauschen soll! Ganz gewiß werden wir einander wieder

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finden, um niemals diesen Schmerz weiter zu erdulten, — ganz gewiß werden wir einander in kurzem wiederfinden, um in einer ununterbrochenen Vereinigung eine ganze Ewigkeit hindurch jedes des andern Glückseligkeit wieder zu befördern! — Ich muß diese Unterredung abbrechen. — Ich fühle meine Kräfte erschöpft, und muß mich noch der Unvollkommenheit meines sterblichen Theils unterwerfen.

Verlaß mich, meine Urania, auch Ihr, meine theuersten Kinder, verlaßt mich! Wir werden einander wieder finden, selbst in dieser Welt; aber von hinnen müssen wir! Wir wollen uns nur bestreben, unsere Gemühter in die Verfassung zu setzen, daß wir mit dem Anstande und der Würde unsterblicher Wesen von hinnen scheiden, die sich blos auf eine kurze Zeit, und in der demühtigen Zuversicht trennen, daß wir einander in den Wohnungen einer ewigen Glückseeligkeit wieder finden werden.

Sophronius ließ nunmehr seine trostlose Familie von sich; aber ungefähr eine Stunde darnach ließ er sie wieder zu sich rufen.

Zitternd näherten sie sich ihm: sie bemerkten aber eine solche Begeisterung in

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seinen Augen und eine Freude, die sich so lebhaft in jedem seiner Gesichtszüge ausdrückte, daß ihre Herzen wieder auflebten. Es war unmöglich, daß sie sich nicht hätten schmeicheln sollen, ein glücklicher Zufall habe ihnen den zärtlichsten Ehegatten, den liebreichsten Vater, den sanftesten und weisesten Freund, den jemals eine Familie gehabt, wiederhergestellet; als er sagte: Lebt wohl, meine über alles Geliebtesten! Ich werde nunmehr, laßt mich nicht sagen, sterben; nein, anfangen zu leben! Es ist nicht Stolz in nur, daß ich so sage: mein Gott, mein gnädigster Schöpfer und Vater, hat mich gewürdiget, mir eine unzweifelhafte Gewißheit zu geben, daß ich höchst glücklich seyn werde — daß ich es schon bin! — Ich fühle meinen Abschied von Euch eben so, und nicht mehr, als wann ich sonst Euch eine gute Nacht wünschte, und Euch meinen Seegen gab. Stunden, Tage, Monate und Jahre sind itzt in meiner Seele vorüber! Ich habe die Ewigkeit angetreten. Es kann mir nun an keiner Zeit mehr fehlen, und es ist keine Zeit, in der ich nicht glücklich seyn werde. O meine Urania! o meine Kinder, wir sind nun alle gleich! Ehemann und Vater sind menschliche Ver-

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wandschaften, wir werden alle gleiche Freunde seyn! Ewige Freundschaft, untrügliche Hochachtung, herzliche Innbrunst, himmlische Liebe! O, wie herrlich! Kommt, meine theuersten Freunde, o eilet, Euch bald wieder mit mir zu vereinigen! Verlieret nicht einen Gedanken auf irgend einen andern Gegenstand! Setztet Euren Weg ernstlich und standhaft fort, und Ihr werdet bald das Ende Eurer Reise glücklich erreichet haben! Das Ende aller Eurer Mühseeligkeit, den Anfang des Lebens, die seelige Gesellschaft unsterblicher Geister! — Lebt wohl! Preiset Gott! O! preiset das Wesen aller Güte! Ich komme — mein Vater, und mein Gott! —

Er sagte nichts mehr; sondern mit gen Himmel erhobenen Augen, glühenden Wangen, nnd einer lebhaften Heiterkeit in jedem Zuge, floh seine fromme Seele in die Hände jeines Schöpfers.
Topic revision: r18 - 25 Nov 2011, AndreaSeidler
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