Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Geschichte des Fleißes, und der Ruhe

In den ersten Altern der Welt, wie die Kenner alter Traditionen wohl wissen, als die Unschuld noch unbefleckt, und die Einfalt noch lauter war, fand sich das menschliche Geschlecht im Genusse beständigen Vergnügens und ununterbrochenen Uiberflusses, unter dem Schutze der Ruhe glücklich; einer sanftmühtigen Gottheit, die von ihren Verehrern weder Altäre noch

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Opfer forderte, und deren Dienst bloß durch das Niederlegen auf Lager von Blumen im Schatten der Jeßminen und Myrthen, oder durch Tänze an den Ufern von Ströhmen versehen wurde, die mit Milch und Nectar flossen.

Unter dieser angenehmen Regierung ahtmeten die ersten Geschlechter den Wohlgeruch eines beständigen Frühlings, assen die Früchte, welche ohne Anbauen, reif in ihre Hände fielen, und schliefen unter Gewölben der Hayne, wobey die Vögel oder ihren Häuptern sangen, und die Thiere um sie herum scherzten. Allein, nach und nach fiengen sie an, ihre ursprüngliche Tugend zu verlieren. Obgleich für alle mehr als genug vorhanden war, war doch ein jeder bedacht, einen Theil davon sich selbst zuzueignen. Alsden brachen Gewaltthätigkeit und Betrug, und Raub und Diebstal ein. Kurz nachher drungen Stolz und Neid in die Welt ein, und brachten ein neues Maaß des Reichthumes mit sich. Denn, Menschen, die sich bis dahin für reich gehalten hatten, wenn ihnen nichts mangelte, maaßen nunmehr ihr Verlangen nicht nach den Forderungen der Natur, sondern nach dem Uiberflusse anderer ab; und fiengen an, sich für arm zu halten, wenn sie

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ihre eigenen Besitzungen durch ihrer Nachbarn ihre übertroffen sahen. Nunmehr konnte nur ein einziger glücklich seyn, weil nur ein einziger das meiste haben konnte: und dieser einzige war allezeit in Gefahr, daß eben dieselben Kunstgriffe, wordurch er andere übervortheilet hatte, wider ihn selbst möchten angewendet werden.

Als dieses Verderbnis überhand nahm, veränderte sich die Gestalt der Erde. Das Jahr wurde in Zeiten eingetheilet. Ein Theil des Grundes wurde unfruchtbar, und der Uiberrest trug nichts als Beeren, Eicheln, und Kräuter. Der Sommer und Herbst verschaften zwar eine schlechte und rauhe Nohtdurft, allein, der Winter kam ohne Erleichterung. Der Hunger nebst tausend Krankheiten, welche die Strenge der Luft in die obere Gegenden einlud, richteten ein grosse Verheerung unter den Menschen an, und es schien, als wäre zu befürchten, daß sie würden vernichtet seyn, ehe sie gebessert würden.

Um sich den Verheerungen des Hungers zu widersetzen, welcher den Grund allenthalben mit Leichnamen bestreuete, kam der Fleiß auf die Erde hernieder. Fleiß war der Sohn der Nohtwendigkeit, der Säugling der Hoffnung, und der Schuler der Kunst.

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Er hatte die Stärke seiner Mutter, den Muht seiner Amme, und die Geschicklichkeit seiner Lehrerinn. Sein Gesicht war vom Winde geborsten, und von der Sonne verbrannt. In der einen Hand hielt er die Werkzeuge des Feldbaues, womit er die Erde umgrub; in der andern hatte er die Werkzeuge der Baukunst, und führete Mauren und Thürme nach seinem Belieben, auf. Er rufte mit rauher Stimme: „Sterbliche, sehet hier die Macht, der ihr übergeben seyd, und von welcher ihr alle eure Vergnügungen und alle eure Sicherheit hoffen müßt. Lange habt ihr unter der Herrschaft der Ruhe geschmachtet, einer ohnmächtigen und betrüglichen Göttin, die euch weder schützen noch helfen kann, sondern euch den ersten Anfällen des Hungers oder der Krankheit überlässt und ihre Schatten durch jeden Feind angreiffen, und durch jeden Zufall zerstörren läßt.“

„Erwachet daher auf den Ruf des Fleißes. Ich will euch lehren der Unfruchtbarkeit der Erde, und der Strenge der Witterung abzuhelfen. Ich will den Sommer zwingen, einen Vorraht für den Winter zu verschaffen.

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Ich will das Wasser nöhtigen, euch seine Fische, die Luft ihre Vögel, und den Wald, seine Thiere zu geben. Ich will euch lehren, in die Eingeweide der Erde zu dringen, und aus den Höhlen der Gebirge Metalle verschaffen, die euren Händen Stärke, und euren Leibern Sicherheit geben werden, wordurch ihr für den Anfällen der wildesten Thiere sicher seyn, und womit ihr die Eiche fällen, Felsen spalten und die ganze Natur eurem Nutzen und Vergnügen unterwerfen werdet."

Durch eine so herrliche Einladung ermuntert, hielten die Einwohner der Erde den Fleiß für ihren einzigen Freund, und eileten auf sein Gebot. Er führete dieselben in die Felder und auf die Gebirge, und zeigete ihnen, wie sie Bergwerke eröfnen, Hügel ebnen, Moräste austrocknen, und den Lauf der Ströhme ändern sollten. Die Gestalt der Dinge wurde augenblicklich verändert. Das Land mit Städten und Dörfern bedecket; die mit angebaueten Kornfeldern und Gärten von Obstbäumen umgeben waren, und man sah nichts als Haufen von Getraide und Körbe voller Früchte, volle Tafeln, und angefüllte Vorratshäuser.

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Also vermehrten der Fleiß und seine Anhänger ihre Eroberungen jede Stunde mit neuen Gütern; und sahen den Hunger nach und nach aus ihrem Reiche vertrieben: bis sie endlich mitten unter ihrer Lustbarkeit und ihren Triumphen, durch die Annäherung der Müdigkeit niedergeschlagen und bestürzt wurden, die man an ihren eingefallenen Augen und matten Gesichtern erkannte. Sie kamen zitternd und ächzend heran. Auf jeden Seufzer liessen die Herzen aller derer, die sie sahen, ihren Muht sinken: ihre Nerven verschlaffeten, ihre Hände bebeten, und die Werkzeuge, der Arbeit fielen ihnen von den Fäusten.

Von diesem fürchterlichen Gespenste erschreckt, dachten sie mit ihrem bereitwilligen Gehorsam gegen die Ermahnungen des Fleißes nach, und fiengen an, sich wiederum nach den goldenen Stunden zu sehnen, welcher sie sich erinnerten, unter der Regierung der Ruhe hingelebt zuhaben. Diese beschlossen sie, wiederum zu besuchen, und ihr, nahmen sie sich vor, den Uiberrest ihrer Tage, zu wiedmen. Ruhe hatte die Welt nicht verlassen. Sie fanden sie bald; und um ihre vorige Desertion auszusöhnen, luden sie dieselbe zum Genusse jener Güter

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ein, welche der Fleiß ihnen verschafft hatte.

Ruhe nahm also Abschied von den Haynen und Thälern, die sie bisher bewohnet hatte, und zog in die Palläste; sie ruhete in Alcoven, und verschlummerte den Winter auf Pflaumenbetten, und den Sommer in künstlichen Grotten, wo Wasserfälle und Springbrunnen vor ihr murmelten. Es ist wahr, es fehlete immer etwas, um ihre Glückseligkeit vollkommen zu machen, und sie konnte niemals ihre zurückgekehrten Frühlinge in jene Heiterkeit einwiegen, welche sie vor ihrer Bekanntschaft mit dem Fleiß, genossen hatten. So war auch ihre Herrschaft nicht ohnangetastet: denn sie war genöhtigt, dieselbe mit der Schwelgerey zu theilen, ob sie gleich dieselbe allezeit für eine falsche Freundinn ansahe, durch welche ihre Herrschaft in der That zerstöret wurde, indessen, da sie solche zu befördern schien.

Dem ohnerachtet herrscheten die zwey weichlichen Verbundene einige Zeit lang ohne sichtbare Uneinigkeit, bis zulezt die Schwelgerey zur Verrähterinn wurde, und die Krankheit einließ, sich ihrer Verehrer zu bemächtigen. Ruhe floh alsdenn davon; und überließ den Platz den

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Anmassern; welche alle ihre Künste anwendeten, sich in ihren Plätzen zu befestigen, und ihre gegenseitige Macht zu verstärken.

Ruhe hatte nicht allezeit einerley Feinde. In einigen Plätzen entwischte sie den Einbrüchen der Krankheit; allein ihre Residenz wurde durch einen langsamern und feinem Anmasser überfallen. Denn sehr oft, wenn es stille und ruhig war, wenn weder Schmerzen von innen, noch Gefahr von aussen war, wenn jede Blume blühete, und jeder West Wohlgerüche brachte, erschien der Uiberdruß mit einer schmachtenden und verdrießlichen Miene, und warf sich auf das Lager, welches für die Bqwemlickeit der Ruhe, bereitet und ausgeschmückt war. Kaum hatte er sich gesetzt, als sich überall eine allgemeine Schwermuht verbreitete. Die Hayne verloren augenblicklich ihr Grün, und ihre Bewohner verstummeten. Der West sank in Seufzer, die Blumen runzelten ihre Blätter, und verschlossen ihre Gerüche. Auf jeder Seite sah man nichts als einen Schwarm, der herum wanderte ohne zu wissen, wohin, der suchte, ohne zu wissen, was. Man hörete keine Stimme, als Klagen, die keinen Schmerzen erwähnten; und Murren welches von keinem Unglücke wußte.

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Die Ruhe hatte nunmehr ihre Authorität eingebüßt. Ihre Anhänger fiengen wiederum an, sie verächtlich zu behandeln. Einige derselben verbanden sich genauer mit der Schwelgerey, welche versprachen durch ihre Künste den Ueberdruß zu vertreiben: und andere, welche weiser oder tapferer waren, giengen wiederum zum Fleiße zurück, von welchem sie zwar in der That für dem Uiberdrusse geschützt, aber mit der Zeit der Mattigkeit überlassen, und von derselben in die Hayne der Ruhe zurück gezwungen wurden.

Auf diese Art sahen Ruhe und Fleiß beiderseits ein, daß ihre Herrschaft von kurzer und ungewisser Dauer, und ihr Reich den Einbrüchen ihrer gemeinschaftlichen und beyderseitigen Feinde ausgesetzt war. Sie fanden beyderseits ihre Unterthanen ungetreu, und bereit, ihnen bey jeder Gelegenheit zu entlaufen. Der Fleiß sahe, daß die Reichthümer, so er gegeben hatte, allezeit als ein Opfer der Ruhe zugeschleppt wurden; und Ruhe fand bey jedem Nothfall, daß ihre Anhänger von ihr flohen, den Fleiß um Hülfe anzurufen. Sie entschlossen sich daher endlich zu einer Unterredung, worinn sie einig wurden, die Welt unter sich zu theilen; und sie wechselweise zu regieren.

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Herrschaft des Tages wurde dem einen, und der Nacht ihre, der andern zu Theil; und sie versprachen, ihre beyderseitigen Gränzen dergestalt zu bewachen, daß, wenn Feindseligkeiten unternommen würden, der Uiberdruß vom Fleiße sollte aufgefangen, und die Mattigkeit von der Ruhe vertrieben werden. Solchergestalt wurde der alte Streit beygelegt; und wie oft Liebe auf den Haß folget, so wurde nachmals die Ruhe vom Fleise schwanger, und gebahr die Gesundheit, eine wohlthätige Göttin, welche die Verbindung ihrer Aeltern verstärkte, und die regelmäßige Abwechslung ihrer Regierung beförderte, indem sie ihre Gaben nur denjenigen reichte, welche ihr Leben in genauen Proportionen zwischen Ruhe und Fleiß eintheileten.
Topic revision: r7 - 27 Sep 2011, PetraZinngieser
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