Täufer
Erläuterung: Als Wiedertäufer sind hier die Täufer der Reformationszeit gemeint, die statt der Kinder- die Erwachsenentaufe praktizierten. Der Begriff „Wiederäufer“ (Anabaptisten, rebaptizati) war aus der Alten Kirche überliefert. Der Name „Wiedertäufer“ wurde deshalb auch in der Reformationszeit in diffamierendem Sinn gebraucht. Er entwickelte sich zum Sammelbegriff für religiös Andersdenkende. Die Täufer nannten sich selbst »Brüder in Christo«, »Auserwählte im Herrn«, »Mitgenossen der Trübsal«, »Armgeistige« usw. Die deutschsprachige Geschichtsschreibung spricht deshalb heute statt von »Wiedertäufern« von »Täufern«.
Die Vielfalt geistiger Strömungen in der Täuferbewegung kann nur auf dem Hintergrund ihres dreifachen Ursprungs verstanden werden. Die erste Wiedertaufe der Reformationszeit 1525 in Zürich statt. Obgleich die Obrigkeit sofort dagegen einschritt, bildete sich in den nächsten Tagen im Fischerdorf Zollikon vor den Toren Zürichs die erste Täufergemeinde. Die Ursachen, die dazu geführt hatten, waren komplexer Art. Zwinglis (1484–1531) Theologie lieferte den geistigen Rahmen: einerseits durch eine frühe Relativierung der Kindertaufe, andererseits durch die wachsende Zurückhaltung, die erkannte göttliche Wahrheit sogleich in Kirche und Gesellschaft durchzusetzen. Denn es ging auch um wirtschaftliche Probleme: um Zins und Zehnten, um das Pfründewesen und die Abgabepflichten von Dorfgemeinschaften an die Klöster, das Stift oder die Stadt Zürich. Schließlich hatte der Konflikt politische Dimensionen (Verquickung mit den Bauernunruhen; Dt. Bauernkrieg). Die Maßnahmen der Zürcher Obrigkeit gegen die Täufer förderten deren Verbreitung: in der alemannischen Schweiz, in Süddeutschland sowie in Österreich. Der ursprüngliche Anspruch, die Gesellschaft als ganze auf den täuferischen Kurs zu bringen, endete nach dem Zusammenbruch der Bauernerhebung und nach dem großen Zürcher Täufergespräch im November 1525. Es setzte sich die Haltung Grebels durch, der schon in seinem Brief an
Thomas Müntzer (um 1490–1525) im Herbst 1524 eine Minderheitskirche ins Auge gefasst hatte. Sie fand ihren klassischen Ausdruck in der »Brüderlichen Vereinigung«, einem Bekenntnis, das, geschrieben von Michael Sattler (1527 verbrannt), im Februar 1527 in Schleitheim bei Schaffhausen beschlossen wurde.
Als Anhänger von
Müntzer und eifriger Kolporteur seiner Schriften hatte der Buchhändler
Hans Hut (um 1490–1527) schon früh dessen Kritik an der Kindertaufe kennengelernt. Nach Müntzers Tod versuchte er, dem geistigen Erbe seines Lehrers mit noch größerem Ernst zu dienen. Hut war als Täufermissionar wie kein anderer erfolgreich in Franken, Bayern und Österreich. Seine stark mystisch geprägte Theologie war zugleich von der Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Hereinbrechens des Reiches Gottes bestimmt.
Melchior Hoffman (um 1500–1543), Kürschner aus Schwäbisch-Hall, brachte 1530 die Täuferbewegung, von Straßburg kommend, u.a. in die Niederlande, wo sie sich verbreitete. Auch er hatte die Vorstellung vom bevorstehenden Anbruch des Reiches Gottes, das er nach einer letzten Entscheidungsschlacht in Straßburg erwartete. Deshalb begab er sich 1533 dorthin. Von wesentlicher Bedeutung war für Hoffman daneben das Bewusstsein der Geistbegabung, die Gott seinen Boten, den Trägern des Evangeliums, verliehen habe. Die Gemeinde, Braut Christi, war nur das Sammelbecken für die durch das Evangelium Gewonnenen. Hoffman starb wie Hut als Gefangener.
Die Herausbildung zu überlebensfähigen Täufergemeinschaften verlief nach einem ziemlich einheitlichen Schema. Dem Konflikt mit der Obrigkeit und mit den von ihr unterstützten Kirchen folgte, wenn möglich, der Rückzug auf die im Untergrund oder im Abseits mehr oder weniger geduldete Minderheitskirche, die nach eigenem Verständnis »Kirche unter dem Kreuz« war und für die der Separatismus eine Überlebensbedingung bildete. In der Schweiz hatten die Täufer diesen Wandel schon Ende 1525 hinter sich. Trotz konsequenter Verfolgung konnten sie sich, versteckt in Bergen und Wäldern, halten (Schweizer Brüder). Auch die nach Tirol geflohenen Täufer wirkten in einer Weise, die als revolutionär empfunden wurde und die heftigste Gegenwehr von seiten der Altgläubigen hervorrief. Eine Bleibe im Abseits fanden viele von ihnen in Mähren. Hier pflegte die Gruppe der pazifistischen »Stäbler« (im Gegensatz zu den »Schwertlern«, die das Recht der Selbstverteidigung betonten) auf Bruderhöfen eine konsequente Gütergemeinschaft. Nach dem Tiroler
Jakob Hutter (1536 verbrannt) benannt, bildeten sie mit etwa 20 000 Täufern die größte Täufergruppe (
Hutterer). Sie waren nicht nur wohlhabend, sondern konnten auch die mystisch-revolutionäre Tradition eines
Hans Hut zu einer praktischen Frömmigkeit verarbeiten. Das Täuferreich in Münster (Januar 1534 bis Juli 1535) bildete den katastrophalen Höhepunkt der von Melchior Hoffman entfachten Bewegung. Es rief den Kaiser und das Reich auf den Plan. Denn die Täuferführer (Jan Matthys, Jan van Leiden, Bernd Rothmann) wollten nicht nur »die Stadt Gottes« gründen, sondern – nach »Ausrottung« aller Gottlosen – das Reich Gottes herbeiführen. Als die Schreckensherrschaft zusammengebrochen und die Führer hingerichtet waren, schien die Täuferbewegung sich selbst das Ende bereitet zu haben. Die Tätigkeit Melchior Hoffmans hatte jedoch ein breiteres Fundament gelegt. Es bildeten sich ab 1536 aus den aus Münster geflohenen Täufern und aus denen, die auf dem Land geblieben waren, mehrere unterschiedliche Gruppen, von denen zwei besondere Bedeutung erlangten, die Mennoniten und die David-Joristen. Menno Simons (1496–1561), der sein Priesteramt im friesisch Witmarsum 1536 aufgab und 1537 zum Ältesten gewählt wurde, konnte eine Kette von Gemeinden von Amsterdam bis Danzig aufbauen, die sich zur Wehrlosigkeit bekannten. David Joris (um 1501–1556) hingegen sammelte seine Anhänger im geheimen, bekannte sich aber zur offiziellen Kirche, um der Verfolgung zu entgehen.
Was die T. lehrten, lässt sich bei der Verschiedenheit von Herkunft und Zielsetzungen nicht einheitlich beschreiben. Im Rückblick scheint mit der Einführung der Glaubenstaufe die Trennung von Staat und Kirche, die Auflösung der Corpus-Christianum-Idee und das Konzept einer Freikirche impliziert zu sein. Faktisch strebten die Täufer jedoch fast überall, wo sie aufkamen, eine Veränderung der ganzen Gesellschaft an und beschieden sich mit der Rolle einer weltabgewandten, pazifistischen Minderheitskirche erst gezwungenermaßen. Durchweg spielte das Bewusstsein, in der Endzeit zu leben, eine wichtige Rolle, wobei sich apokalyptische und chiliastische Vorstellungen mischten. Zentrale Bedeutung besaß durchgängig die Kirchenzucht. Während sie jedoch bei Hoffman und den Mennoniten primär das Mittel zur Reinerhaltung der Gemeinde als der »Braut Christi« war, sahen die oberdeutschen Täufer in der »Regel Christi« (Mt 18,15ff) v.a. ihre unentbehrliche päd. Funktion beim Gemeindeaufbau. Auch in der Beurteilung der Bibel gab es Differenzen. Nicht von ungefähr haben sich die Gruppierungen gegenseitig heftig befehdet.
Zu Beginn der Täuferbewegung (1525–1529) fühlten sich nicht nur Laien, sondern auch zahlreiche Theologen, Geistliche und »Intellektuelle« angezogen oder wirkten wesentlich mit, wie z.B.
Balthasar Hubmaier (um 1480–1528), Ludwig Hätzer (um 1500–1529) oder Hans Denck. Später waren die Täufer meist Bauern oder Handwerker. Vertreter höherer sozialer Schichten oder Theologen finden sich nur wenige. Die Theologie der Hohen Schulen war bei ihnen eher verfemt. Trotzdem verteidigten sie ihren Glauben, wo immer sich ihnen eine Möglichkeit bot: in demonstrativem Protest, in öffentlichen Gesprächen, auf Disputationen und im Gefängnis. Bisweilen focht man Fragen des Glaubens und der Bibelauslegung in Traktaten und Büchern aus. Meist blieb es bei den Differenzen. Es war viel, wenn man einander leben ließ, denn häufig, v.a. in altgläubigen Herrschaften, machte man kurzen Prozess. Aus den ersten fünfzehn Jahren bis 1539 sind im oberdeutschen Bereich 780 Märtyrer bekannt – und wir kennen sicher nicht alle.
Das geistliche Leben der T. schlug sich in literarischen Dokumenten nieder, in Gesangbüchern, Traktaten, Bekenntnissen, erbaulichen Briefen und Chroniken. Einen besonderen Platz nahmen die Märtyrerbücher ein. Man hat deshalb auch von einer Märtyrertheologie der T. gesprochen.
Quellen:
EKL