Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Der Wunderbau des Menschen

Wenn ein Baumeister es unternimmt, ein prächtiges Gebäude aufzuführen, so macht er mit den nicht so zierlichen, aber festen Theilen, und mit denen, welche die übrigen unterstützen, oder enthalten sollen, den Anfang.

Zuerst haben wir ein Gebäude von Knochen, die in mancherley Gestalten gebildet, und vermittelst weiser Erweiterungen oder Einschränkungen von verschiedenen Größen sind. Alle sind stark, damit sie die Fleischmaschine tragen können, und doch leicht, damit sie dem Thiere durch keine gar zu große Last beschwerlich fallen. Sie sind innwendig hohl, um dem feuchtmachenden Marke zum Behältnisse zu dienen, und mit sehr feinen Röhr-

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chen durchbohret, um die Nahrungsgefäße zulassen zu können. So unempfindlich, als sie selbst sind, so sind sie doch mit einer Haut von der äußersten Empfindlichkeit umgeben, welche für der Annäherung eines schädlichen Reibens warnet, und den dadurch entstehen könnenden Schaden verhütet, zugleich aber auch die muskulösen Theile in Sicherheit setzet, daß sie bey ihren Bewegungen von den harten und rauhen Knochen nicht gerieben werden. Ihre Gestalten sind allezeit genau nach ihren Endzwecken eingerichtet. Gemeiniglich sind sie an ihren äußersten Enden größer und stärker, als in der Mitte, damit sie desto fester an einander gefüget, und nicht so leicht aus ihrer eigentlichen Lage gebracht werden können. Die Art ihrer Zusammenfügungen ist wahrhaftig wunderbar und merkwürdig von einander unterschieden; doch zeigen sie bey jedem Unterschiede eine weise Absicht, und dienet derselbe allemal zu einem wichtigen Endzwecke. Wenn zween Knochen an einander gefüget sind, so ist gemeiniglich der eine an dem äußersten Ende nett abgerundet, und mit einer glatten Substanz überzogen, der andere aber in einer gleichen Abmessung ausgehöhlet, um den glatten Knopf zu fassen,

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beyde sind mit einer klebrichten Feuchtigeit schlüpfrig gemacht, um dem abgeründeten Theile in dem ausgehölten, die geschwindeste Bewegung zu geben.

Die Füße geben die festesten und nettesten Grundsäulen ab, und übertreffen alle Vollkommenheit der Bildhauer und der Baukunst unendlich. Sie können nach Erforderung der Umstände ihre Gestalt und Größe verändern. Außer ihrem Dienste, den sie uns als Grundstützen leisten, enthalten sie einen Haufen der feinsten Triebfedern, welche behilflich sind, den Leib in mancherley artige Stellungen zu setzen, und ihn zu mannigfaltigen vortheilhaften Bewegungen geschickt zumachen. Der unterste Theil der Ferse, und das äußerste Ende der Fußsohle, sind mit einer zähen, unempfindlichen und sehnigten Substanz versehen. Diese können wir eine Art einer natürlichen Sohle nennen, die sich niemals abnützet, keiner Ausbesserung bedarf, und die allezeit den beschwerlichen Druck auf die Gefäße abhält, welchen die Last des Körpers im Gehen oder Stehen sonst verursachen würde. Die Beine und Schenkel sind eben so starke und prächtige Säulen; die auf eine solche Art zusammen gefüget sind, daß sie die Handlung des Gehens befördern,

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und doch der beqwemen Stellung des Sitzens nicht hinderlich sind. Die Beine werden nach obenzu allmählich dicker, nach untenzu aber verliert sich solches auf eine nette Weise, welche Veränderung ihre Größe gehörig einschränket, und zugleich ihre Schönheit vergrößert.

Die Ribben, die wie ein ordentlicher Bogen gebildet sind, sind zur Handlung des Athemholens einer sanften Bewegung fähig. Sie machen für die Lunge und das Herz eine sichere Wohnung aus. Da diese die vorzüglichsten und wichtigsten Werkzeuge des Lebens sind, so ist ihr Aufenthalt durch diesen halb zirkelförmigen Wall befestiget. Der Rückgrad hat den Endzweck, nicht nur den Leib zu stärken, und seine größten Vorratskammern zu unterstützen, sondern auch die Gemeinschaft des Gehirns, durch das sogenannte Rückgradsmark fortzusetzen. Als ein geöffneter Canal leitet er dieses Lebensfilber, und als ein wohlverwahrtes Gehäuse beschützet es dasselbe, und läßt diesen belebenden Schatz durch verschiedene beqweme Oeffnungen zu allen untern Theilen hindurch. Wäre der Rückgrad nur groß, gerade und hohl, so hätte er zwar zu diesen verschiedenen Endzwecken dienen können: allein alsdann

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würden die Lenden unbeweglich, und der Mensch nicht etwan vom Scharfrichter, sondern von der Natur selbst an einem Pfahle gespießet seyn, der zugleich mit seinem Daseyn den Anfang genommen. Dieses zu vermeiden, bestehet er aus sehr kurzen Knochen, die vermittelst dazwischen liegender Knorpel dicht mit einander verknüpft sind, welches der Hauptsäule unsers Baues die Biegsamkeit einer Weide giebt, da sie zu gleicher Zeit die Festigkeit einer Eiche behält. Hierdurch wird er zu einer Art eines fortgesetzten Gelenkes, so verschiedener Beugungen fähig ist, ohne das zarte Mark zu verletzen, welches seine Höhlung anfüllet, ohne den Fluß der Nervenfeuchtigkeit zu hemmen, die von diesem großen Behältnisse abgesondert werden soll, ohne die Stärke zu verringern, die zur Unterstützung aller obern Stockwerke nöhtig ist. Eine so sonderbare Bildung würde bey allen andern festen Theilen mit großen Unbeqwemlichkeiten verknüpft gewesen seyn. Hier aber ist sie von unaussprechlichem Nutzen, und es ist dieser Theil des menschlichen Leibes sowohl in Ansehung seiner Ausarbeitung, als Stellung, ein Meisterstück als der Schöpfung, das niemals genug bewundert werden kann.

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Die Arme, die an beyden Seiten hängen, haben ein ganz gleiches Verhältniß gegen einander, damit das Gleichgewichte des Baues nicht möge aufgehoben werden. Da sie gleichsam als die Leibwache, die den Leib beschützet, und als die allgemeinen Diener desselben anzusehen sind, so sind sie zu den mannigfaltigsten und sehr weit sich erstreckenden Verrichtungen geschickt gemacht. Sie sind stark von Knochen, und doch nicht schwer von Fleisch, und mit besonderer Hurtigkeit und Leichtigkeit zu allen Arten von nützlichen Bewegungen tüchtig. Sie beugen sich inn- und auswärts, sie heben sich in die Höhe, und senken sich wieder herunter, sie wälzen sich herum, und beqwemen sich in jede Richtung, die wir verlangen. Diesen sind die Hände angefüget, und alles endiget sich mit den Fingern. Diese sind mit den Armen nicht von gleicher Länge und Dicke, sondern in beyden Stücken unterschieden, welches ihnen ein so viel schöneres Ansehen giebt, und sich auch viel nutzbarer machet. Wären sie lauter Fleisch, so würden sie weit schwächer seyn, und wären sie ein ganzer Knochen, so würden sie gar nicht können beweget werden. Da sie aber aus verschiedenen kleinen Knochen und einer Menge Mus-

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keln bestehen, was können sie daher nicht für Gestalten annehmen, und was können sie nicht für Dienste leisten? Sie sitzen an dem äußersten Ende der Arme, und daher ist der Kreis ihrer Wirksamkeit von einem sehr weiten Umfange. Diese vortheilhafte Lage macht die Fabel vom Briareus, zur Wahrheit, und macht ein paar Hände so nützlich, als hundert. Die äußersten Enden der Finger sind eine Sammlung feiner sehnigter Fäserchen, die von der äußersten Empfindlichkeit sind. Es sind dieselben ungeachtet der Zärtlichkeit ihres Gewebes zu fast unaufhörlichen Beschäftigungen bestimmt, und müßen sehr häufig rauhe Dinge handhaben. Aus dieser Ursache sind sie mit den Nägeln, einer Art sich verbreitenden hornichten Substanz überzogen, welche verhüten, daß das Fleisch nicht platt gedrücket wird, und die zärtlichen Theile für alle Verletzungen in Sicherheit setzen.

An dem Dienste der Hände und an der Wirksamkeit der Finger besitzen wir gleichsam ein Besteck der feinsten Instrumente, oder eine Sammlung der edelsten Werkzeuge. Sie machen uns zur Ausführung eines jeden Werks geschickt, welches ein fruchtbarer Geist nur erfinden, oder die verschwenderische Einbildungs-

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kraft nur verlangen kann. Diese erheben die hohen Säulen und wölben den geraumen Bogen, sie führen das prächtige Dach auf, und bringen die beqwemen Zimmer in Ordnung. Die Baukunst nebst allen ihren rührenden Schönheiten und allen ihren reichen Vortheilen ist ein Werk der menschlichen Hand. Die höchsten Tannen weichen der Stärke der Hand, und fallen zu Boden, und die größten Eichen steigen von den Bergen herab. Da sie von der Geschicklichkeit der Hand eine beqweme Gestalt bekommen, so dienen sie den Schiffern zu einem schwimmenden Waarenhause, die die Früchte der Natur und die Werke der Kunst von einem Orte der Welt zum andern bringen. Die Metalle gehorchen der menschlichen Hand, steigen aus ihren unterirdischen Betten in die Höhe, und machen die wesentlichen Theile derjenigen Maschine aus, die den Pallästen der Monarchen, und den Hütten des Bauers solche Schätze der Weisheit und Erkenntniß zuführen, womit weder Gold noch Diamant zu vergleichen ist.

Unter den Aegyptern war die Hand ein Bild der Stärke, unter den Römern ein Bild der Treue, und unter allen Nationen ist sie, wie mir deucht, als ein Zeichen der Macht angesehen worden. Sie

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ist der ursprüngliche und allgemeine Zepter der unsere Herrschaft über alle Elemente und über jede Kreatur nicht nur vorstellet, sondern auch behauptet. Ungeachtet die Vorsehung uns weder die Stärke des Rosses, noch die Geschwindigkeit des Windhundes, noch den scharfen Geruch anderer Jagdhunde beygeleget hat, so können wir diese Kreaturen doch durch die Leitung unsers Verstandes, und durch die Fähigkeit unserer Hand, unserm Willen unterwürfig machen, uns ihrer zu unserm Vortheile bedienen, und sie in diesem Verstande uns alle zu Nutzen machen. Diese Hände, es ist erstaunlich zu erzählen! - diese kurzen Hände haben ein Mittel ausfündig gemacht, wodurch wir bis an den Grund des Meeres kommen, in das Eingeweide der Erde dringen, und von einem Ufer bis zum andern reichen können. Diese schwachen Hände können die Flügel des Windes, regieren, sich mit der Wuht des Feuers bewaffnen, und das heftige Ungestümm des Wassers zu ihren Diensten zwingen. Wie vortrefflich ist die Würde der Hand, und von welchem Umfange ist ihre Wirksamkeit! Es würde mehr Beredsamkeit erfordern, als ihr Redner besitzet, die erste an den Tag zu legen, und Blät-

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ter, als ihr Buch enthält, die letztere zu beschreiben. Welchen Dank sind wir unserm gütigen Schöpfer nicht schuldig, daß er uns mit diesem edlen, mit diesem unschätzbaren Gliede versorget hat!

Vor allen Dingen ist das Haupt, als ein prächtiges Dach dieses Gebäudes, zum Aufenthalte des Gehirnes bestimmet. Es ist zu diesem wichtigen Endzwecke auf das genaueste eingerichtet, es ist geräumig es zu fassen, und stark und fest es zu erhalten und zu beschützen. Da es dem Gezelte eines Generals in einer Armee, oder dem Pallaste eines Monarchen in einer Stadt, gleicht: so hat es eine Gemeinschaft mit allen, auch so gar mit den geringsten und entferntesten Theilen des ganzen Zusammenhanges. Es hat Aus - und Zugänge zur hurtigen Abfertigung der Curriere nach allen Gegenden, und zum Empfange eiliger Nachrichten bey jeder wichtigen Angelegenheit. Es ist mit Behältnissen versehen, worinn Schildwachen von verschiedenen Arten, und zu unterschiedlichen Endzwecken können gestellet werden. Um ihre Verrichtungen zu beschleunigen, es mögen dieselben nun in Erkundigung dessen, was außen vorgeht, oder in der Untersuchung dessen, was hinein gelassen zu werden verlanget, bestehen,

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drehet sich diese ganze Maschine um einen so künstlich ausgearbeiteten Angel, daß sie sich auf das weiteste und freyeste herum wenden kann.

Diese prächtige Hauptstadt wird für die Hitze beschützet, und wider die Kälte vertheidiget, und wird zu gleicher Zeit durch einen häufigen Haarwuchs gar schön gezieret. Es fließt selbiges von der getheilten Scheitel herab, bedecket die Wangen gleichsam mit einem Mantel, und sammlet sich auf den Schultern in starken Haufen. Ein Zierraht, der ausgesuchter ist, als alle Säulenordnungen der Baukunst, und der so leicht ist, daß er dem, so ihn trägt, im geringsten nicht beschwerlich oder unbeqwem wird.

Da viele von den unvernünftigen Thielen auf der Erde kriechen, und da alle mit einander das Gesicht auf die Erde hängen haben, so ist die Stellung des Menschen aufgerichtet. Diese Stellung ist in der That die alleranständigste, hat ein sehr würdiges Ansehen, und zeuget von einer Oberherrschaft. Es ist dieselbe ferner höchst beqwem, sie macht uns zur Ausführung eines jeden großen Vorhabens geschickt, und erleichtert den Fortgang aller unserer Unternehmungen. Sie ist endlich mit der größten Sicherheit verknüpfet,

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denn wenn sie auch gleich eben so vielen Gefährlichkeiten, als eine jede andere Stellung unterworfen ist, so ist sie doch zur Abtreibung oder Vermeidung derselben viel vortheilhafter eingerichtet.

Es finden sich hier Bänder, zähe und starke Reihen von Fäserchen, die verschiedenen Glieder mit einander zu verknüpfen, und dasjenige, was sonst ein verwirrter und ungeschickter Klumpen seyn würde, in einen ordentlichen und zur eignen Bewegung fähigen Zusammenhang zu bringen. Hier sind dünne und biegsame Häute, worin die fleischigten Theile eingewickelt sind, deren einige dadurch zusammengefüget, andere aber von einander abgesondert werden.

Die Pulsadern sind als große Ströme unserer kleinen Welt, oder als prächtige Wasserleitungen einer wohleingerichteten Stadt anzusehen. Einige davon steigen zum Kopfe hinan; andere verbreiten sich über die Schultern, einige strecken sich zu den Armen, andere senken sich zu den Füßen hinunter, und alle vertheilen sich bey ihrem Laufe in unzählige kleinere Canäle, nnd besuchen die Straffen, die Spaziergänge, und jede besonderen Behältniße dieser lebenden Stadt. Sie sind weit an ihrem Ursprünge, werden

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aber bey ihrer Verbreitung immer enger und enger, und schränken dadurch den schnellen und starken Lauf des Blutes ein. Um den Stoß desselben auszuhalten, sind sie mit einer ungemeinen Stärke versehen. Sie nöhtigen die rohte Fluht durch die engsten Gänge zu gehen, und sich in alle Gegenden zu verbreiten. Das Blut, so von dem Herzen herausgestossen wird, erweitert die Pulsadern, und ihre eigene elastische Kraft drücket sie wieder zusammen. Daher kömmt es, daß sie an gehörigen Stellen sehr merklich wider den daran gehaltenen Finger schlagen, dem Arzte Nachrichten von der äußersten Wichtigkeit geben, und ihm beydes in Entdeckung der Beschaffenheit der Krankheiten, und in Verordnung der gehörigen Hilfsmittel, ungemein zu statten kommen. Die größern Pulsadern liegen an denen Stellen, wo der Leib zum Beugen eingerichtet ist, an der Seite, wo die Beugung geschiehet, um zu verhüten, daß ihnen durch eine zu starke Ausspannung in die Länge an ihrer Weite nichts entgehe, und der Umlauf des Geblüts nicht aufgehalten werde. Sie liegen nicht, wie verschiedene von den hauptsächlichsten Blutadern, so nahe an der Oberfläche, daß sie die Haut hervor stoßen sollten;

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sondern in einer bestimmten Tiefe im Fleische. Diese Lage machet sie vor Verletzungen von aussen um so viel sicherer. Sie verbirget gleichfalls das Auffahren des Pulses, welches, wenn es sollte gesehen werden, auch das gesetzteste und angenehmste Gesicht beunruhigen und verstellen würde. Wenn wir einen Fluß sehen, der durch die benachbarten Wiesen läuft: so werden wir verschiedene Mühlen bemerken, die den Strom durchschneiden. An diesen Orten trocknet das Wasser, wenn es nicht gänzlich gehemmet wird, doch allmählich weg. Durch diese Verstopfung würden die untern Canäle ganz trocken werden, die obern aber überlaufen. Um nun beyden Unbeqwemlichkeiten abzuhelfen, werden Gräben gemachet, die durch die Abführung des überfüßigen Wassers oben eine Uiberschwemmung, und unten das Austrocknen verhüten. In denen Theilen des Körpers, die vielem Drücken unterworfen sind, findet beynahe dasselbe Hilfsmittel Platz. Die Pulsadern machen sich eine neue Bahn, nehmen einen kleinen Umweg, und kommen alsdenn wieder auf die Hauptstrasse. Wenn also eine Hinderniß den graben Weg sperret oder enge machet: so weicht der Strom in einen

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solchen neuen Canal aus, entgeht dem Hinderniße, sein Fließen wird ununterbrochen erhalten, und er kömmt gar bald wieder auf seine gewohnte Strasse.

Die Blutadern dienen das Blut aus den Pulsadern zu empfangen, und es wieder zurück zum Herzen zu führen. Sie sind in ihrem Ursprunge enge, werden im Fortgehen weiter, und wissen von keinem Schlagen, wie die Pulsadern. In diesen ist der Druck des umlaufenden Blutes nicht so heftig als in jenen, und aus dieser Ursache sind sie auch lange nicht so stark eingerichtet. Eine so genaue Haushälterinn ist die Natur selbst mitten in ihrer Freygebigkeit. In vielen von diesen Canälen ist der Lauf des Geblütes, ungeachtet er sich beständig verbreitet, und folglich auch an Schwere zunimmt, genöhtiget in die Höhe zu steigen. Durch diesen Umstand wird er in Gefahr gesetzet wieder zurückzufallen, die Gefäße zu überladen, und wohl gar die belebende Bewegung zu unterdrücken. Zur Sicherheit wider diese Gefahr, sind in gehörige Entfernungen Valveln angebracht. Diese hemmen den ordentlichen Lauf nicht, verhüten aber den Zurückfluß, unterstützen die vermehrte Schwere, und erleichtern den Fortgang zu dem großen Behältniße.

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Dieses Hilfsmittel findet daselbst statt, wo das Blut gezwungen wird zu steigen, so bald aber die steile Höhe aufhöret, und eine solche Vorsicht unnöhtig seyn würde, wird es nicht gebrauchet.

Die Glandeln oder Drüsen filtriren die durch sie gehenden Feuchtigkeiten. Eine jede derselben ist eine Sammlung von Gefäßen, die dem äußerlichen Anscheine nach zwar verwirrt, und dennoch in der That nach einer vollkommenen Ordnung durch einander geschlungen und gewebet sind. Wie einige Arten von Sieben den Staub durchlassen, und das Korn zurück behalten, andere aber das Mehl von sich geben, wobey die Kleyen zurück bleiben; so sondern einige von diesen Drüsen die feinsten, und andere die gröbsten Theile des Geblütes von einander. Einige sublimiren wie der Alembicus des Distilirers, andere defäciren oder führen die Unreinigkeiten ab. Eine jede verrichtet eine Absonderung, die künstlicher ist, als alle chymischen Arbeiten, die am meisten bewundert werden, und die jedoch alle zur Erhaltung und Beqwemlichkeit des Lebens nohtwendig und zuträglich sind. Die Muskeln, die auf dem feinsten Weberstuhle der Natur verfertiget worden, bestehen aus den dünnesten Fä-

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serchen, und haben doch eine unglaubliche Stärke. Sie haben allerley Figuren, in allen aber herrschet der schönste Geschmack, in Ansehung der Zierlichkeit, der Beqwemlichkeit und der Nutzbarkeit. Diese geben mit den ihnen angefügten Flächsen die Werkzeuge der Bewegung ab. Die ersteren, die ihre Substanz zusammenziehen, haben eine den Rollen in der Mechanik ähnliche Wirkung. Die letzteren, so einem Stricke gleichen, sind an einem Knochen oder einem Stücke Fleische befestiget, richten sich nach der Zusammenziehung der Muskeln, und verrichteten dassjenige, um dessentwillen sie an ihren gehörigen Stellen angebracht sind. Alles dieses aber verrichten sie, nicht wie ein ungeschicktes Lastthier, sondern so geschwinde, wie der Blitz. Die Nerven sind erstaunlich kleine Röhren. Sie entstehen aus dem Gehirne und werden von einer ungemein subtilen Feuchtigkeit durchdrungen. Diese senket sich in die Muskeln, bringt sie in Arbeit, verbreitet die Empfindungskraft durch den ganzen Leib, kehret bey jedem Eindrucke von aussen znrück, und giebt der Seele alle notwendigen Nachrichten. Blasen, die von einer öligen Materie ausgedehnet sind, machen an einigen Orten ein sanftes Kis-

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sen für die Natur aus; an andern aber erfüllen sie die leeren Stellen, und dienen die unebenen Theile des Fleisches glatt zu machen. Innerlich befördern sie die verschiedenen Bewegungen der wirkenden Maschine, und auswendig machen sie das Ansehen derselben vollständig, gleichförmig und angenehm. Die Haut ist wie ein genau zur Maaße gemachter Uiberrock über das Ganze gezogen. Sie besteht aus dem zartesten Netzwerke, dessen Oeffnungen sehr klein, und dessen Fäden erstaunlich viel sind. Die Oeffnungen sind so klein, daß nichts durch dieselben geht, so von dem Auge könnte gesehen werden, ungeachtet sie alle Augenblick tausend und abermal tausend überflüßige Beschwerungen des Körpers hindurch lassen. Der Dampf, so von den heißen Verrichtungen, die innwendig geschehen, aufsteigt wird durch diese wirklichen wiewohl unvermerklichen Schorsteine abgeführet, welches dasjenige ist, was wir gemeiniglich die unvermerkte Ausdünstung nennen. Diese Fäden sind so häufig, daß weder die Spitze der feinsten Nadel, noch der ungleich feinere Stachel einer Mücke, noch selbst die unsichtbare Lanzette eines Flohes, einen einzigen Theil durchstechen kann, ohne eine unruhige Empfindung

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und eine Vergießung von Blut zu verursachen, und folglich ohne durch einen so geringen Stich eine Nerve und eine Blutader zu verletzen.

Die Blutadern, die entweder durch diese feine durchsichtige Haut gehen, oder mit derselben parallel liegen, verschönern den Bau des menschlichen Körpers, und insbesondere diejenigen Theile desselben, die am sichtbarsten, und auch zur öffentlichen Anschauung eigentlich bestimmet sind. Sie schmücken die biegsame Hand und den schlanken Arm mit einem eingelegten lebendigen Sapphir. Sie verbreiten das schönste Roht über die Lippen, und pflanzen Rosen auf den Wangen, da indessen das Auge wie ein Agat glänzet, oder wie das Blau des Himmels funkelt, und in einem Kreise von polirtem Crystalle befestiget ist; daß also die irdische Hütte das richtigste Verhältniß das der Bildhauerkunst zum vollkommensten Muster dienet, und solchen Reichthum von Anmuhtigkeiten zeiget, die ein Maler sich umsonst nachzuahmen bestrebet.

Diese Maschine ist mit Nahrungswerkzeugen und mit Kräften, sich derselben zu bedienen, versehen. Hieher gehören hauptsächlich die Zähne. Die vördersten derselben sind dünne und scharf,

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und dienen die Speise von einander zu beißen, oder solche Stücke von derselben abzuschneiden, die der Mund mit Beqwemlichkeit regieren kann. Die hintersten sind breit und stark, und eingezacket, wie die äußerste Fläche eines Mühlsteins, haben kleine Hölungen, und sind durch verschiedene subtile Einkerbungen rauh gemacht. Dieses setzet sie in den Stand, das, was ihrer Arbeit übergeben wird, in kleine Stücken zu mahlen. Wären die Zähne, glelch unsern andern Knochen, mit der gewöhnlichen Haut überzogen: so würde die Handlung des Kauens allezeit die größte Unruhe verursachen; und wenn etwas hartes gegessen würde, so könnte dadurch dieser zarte Uiberzug verletzet werden. Wären sie aber ohne alle Art von Uiberzug gelassen, so würden sie von der rauhen Luft vieles leiden müßen, und dem Durchdringen der Säfte unterworfen seyn, sie würden dadurch weich und unbrauchbar werden, und zuletzt ganz vergehen müßen. Um sie aber vor solchen Verletzungen zu schützen, sind sie wunderbarlich glasiret, oder nett emailliret, so weiß wie Elfenbein, und härter als die andern Knochen selbst. Dieß machet sie zu einer Zierde des Mundes, setzet sie vor allerley Verletzungen in Si-

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cherheit und befreyet sie von dem Schmerze, der sonst mit dem Kauen würde verknüpfet seyn.

So wie die Rände und Kißen der Billiardtafel verhüten, daß die Kugeln nicht herab fliegen, und dieselben zu wiederholten Versuchen der Geschicklichkeit wieder auf den grünen Platz zurückschicken; so verhüten auch die Lippen, daß die Speise nicht aus dem Munde gleite, und schicken sie nebst Hilfe der Zunge, zu dem wiederholten Reiben der knöchernen Mühlen zurück. Indem die Lippen nebst den Backen , mit dieser Arbeit beschäftiget sind, drücket ihre Bewegung die umher liegenden Drüsen, da denn aus unzählichen kleinen Oeffnungen ein dünner durchsichtiger Saft heraus schwitzet, der die zerriebenen Speisen feuchtet, und sie zu einer desto leichtern Verdauung vorbereitet. Wenn der Mund nicht arbeitet, so bleiben diese Speichelqwellen gleichsam verschlossen. Wird derselbe aber durch reden oder essen beweget, als wobey die Feuchtigkeit dieser Drüsen besonders nohtwendig ist, so ermangeln sie niemals, so viel, als zureichend ist, hervor zu geben.

Wenn der Soldat sein Gewehr ladet, so würde die Ladung nicht bis an den Boden hinab kommen können, wenn sie nicht,

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vermittelst des Ladestocks, hinunter geflossen würde. Eben so wenig würde auch die Nahrung, die wir mit dem Munde annehmen, vermittelst der Stärke ihrer eigenen Schwere, durch einen so engen und feuchten Canal, sich in den Magen hinab senken können. Um solches also zuwege zu bringen, und den Weg desto besser zu bahnen, finden sich daselbst sowohl gerade, als zirkelförmige Muskeln. Die erstern erweitern die Höhlung der Kehle, und machen die Hineinlassung in dieselbe beqwemer; die letztern, so sich hinter die hinabgehende Nahrung zuschließen, drücken solche hinunter, und vollenden das Niederschlucken. Ehe die Nahrung in die Kehle kömmt, muß sie nohtwendig über die Oeffnung der Luftröhre gehen, und folglich ist sie in augenscheinlicher Gefahr auf die Lunge zu fallen. Dieses würde, wo nicht den Athem gänzlich unterbrechen, doch wenigstens ein heftiges Husten und große Unbequemlichkeiten verursachen. Um diesem Uibel vorzubeugen, hat der alles sehende Schöpfer eine bewegliche Klappe, oder eine knorpelichte Zugbrücke darüber gehängt. Diese wird, wenn sich das geringste Stückchen Nahrung nähert, um in den Magen hineinzudringen, niedergezogen,

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und fest zugeschlossen; sobald aber der Bissen hinunter geschlucket ist, wird sie wieder losgelassen und steht offen. Durch dieses gedoppelte Kunststück wird dieser beträchtliche Weg wider alle gefährlichen Annäherungen gesperret und gesichert, und doch zu dem nohtwendigen Zutritte der Luft frey gelassen, und zum Athemholen beqwem gemachet.

Wenn der Brauer sein Korn zu den Verwandlungen des Brauhauses vorbereitet; so läßt er es verschiedene Stunden in der Cisterne einweichen, ehe es ausgebreitet, oder auf der Darre getrocknet werden kann. Das Essen und Trinken muß gleichfalls eine ziemliche Zeit bleiben, ehe es zu den feinen Häuten oder der zarten Wirkung der Gedärme, die gehörige Consistenz und Mischung erhält. Zu dem Ende ist dieses große Behältniß so stark gemachet, um das, was in dasselbe hinein kömmt, zu tragen, so geräumig, um es zu fassen, und so wunderbar eingerichtet um es eine gewisse Zeitlang in Verwahrung halten zu können. Hier wird die Nahrung recht in dem Mittelpunkte der Hitzegehalten, und durch die vortheilhafteste Verbindung derselben mit der Feuchtigkeit verdauet. Hier wird sie mit andern gährenden oder verdünnenden

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Säften versehen, und durch die Bewegung des Magens und der benachbarten Theile gleichsam geknetet; daß also das kleineste Stückchen abgesondert, und das Ganze so fein gemacht wird, als durch das ordentlichste Mahlen nicht hätte geschehen können, wodurch denn alles in einen so ebenen, und genau gemischten Brey verwandelt wird, als man sich nur immer vorstellen kann. Von hier wird es durch eine gelinde wirkende Kraft weggetrieben, und geht allmählich in die Höhlung der Gedärme. Nahe an dem Eingange wartet die Gallblase wie ein Thürhüter in seinem kleinen Behältnisse, und ist bereit, der weiter fortgehenden Nahrung ihre scharfen, aber heilsamen Säfte mitzutheilen, welche die noch übrige Klebrigkeit derselben auflösen, und den Weg der Gedärme, und alle feinen Oeffnungen rein halten. Dieser Beutel der Galle wird, wenn sich der Magen füllet, durch eine Ausdehnung erhoben, und wenn er sich ausleeret, gedrücket. Die erstere Stellung bringt eine Ausleerung, und die andere eine Unterdrückung der Galle zuwege. Sie ist auch mit einer Valvel von einer besondern, aber sehr beqwemen Gestalt versehen, wodurch ihr abtrocknender Saft sich nicht geschwinde ergießen kann, son-

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dern allmählich tröpfeln muß. Wunderbare Einrichtung! welche, ohne daß wir uns darum bekümmern, oder etwas davon wissen, einer übermäßigen Ergießung wehret, und doch den notwendigen Vorraht auf das gewisseste verschaffet.

Wenn nun die Nahrung mit diesem dazu gekommenen Safte genugsam versehen ist, so setzet sie ihren Weg durch das Gedärme weiter fort, dessen wunderbaren Windungen ungleich merkwürdiger sind, als die Gänge des dädalischen Labyrinths. Sie werden von einer wurmähnlichen oder wällenförmigen Bewegung getrieben, welche die empfangene Nahrung fortstößt, und die feinen milchichten Theile derselben in die Milchgefäße zwingt. Diese sind eine Reihe von sehr zarten Seigen, die in unzähliger Menge längst der Seite dieses sich krümmenden Ganges befindlich sind. Eine jede davon ist so fein eingerichtet, daß sie die nährenden balsamischen Säfte einnimmt, die groben Hefen aber zurück läßt. Wenn diese Nahrungsröhre gerade weggienge, oder kurz wäre, so könnte die Nahrung zwar durch dieselbe gehen, sie würde aber keine zureichende Menge nährender Theilchen zurücklassen. Sie ist daher so künstlich gewunden, und von einer solchen Größe, um

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der Natur Gelegenheit zu geben, dasjenige, was durchgeht, desto genauer durchzuseigen, und das, was zu ihrem Endzwecke dienet, zu behalten. Damit ein solches langes Gedärme nicht unter sich selbst möchte verwickelt, oder dem, der es trägt, beschwerlich werden, ist es in die nettesten Falten geleget, und nimmt nur einen engen Raum ein. Es ist wenigstens sechsmal so lang als der Körper, der es enthält, und doch liegt es ganz beqwem und nicht gedrungen in einem Theile, und nicht einmal in der ganzen Gegend des Unterleibes, und hat in diesem kleinen Platze Raum genug zu den feinsten und wichtigsten Verrichtungen. Ungeachtet diese Nahrungssubstanz des rechten Weges niemals verfehlen kann, so kann sie doch durch zufällige Hindernisse zurück zu treten versuchen. In diesem Falle aber kömmt eine Valvel darzwischen, und macht dasjenige, was höchst schädlich seyn würde, fast ganz und gar unmöglich. Während dieses ganzen schlangenförmigen Laufes, werden beständig nährende Säfte abgeschicket. Dadurch könnte nun freylich gedachte Nahrungssubstanz ihre sanfte Mischung verlieren, rauh werden, den zärtlichen Theilen wehe thun, und vielleicht gar an dem

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ordentlichen Hinausgleiten gehindert werden. Allein, um solcher Verstopfung vorzubeugen, finden sich Drüsen an gehörigen Stellen, die eine schlüpferichte Feuchtigkeit von sich geben, die dem Fortgange dieser Materie zu statten kömmt, und die Absonderung des Chyli oder Milchsaftes erneuert, so lange, bis alles, was noch von den ersten übrig geblieben, abgesondert ist, und die Uiberbleibsel der Speisen, sowohl durch Zusammenziehung als Ausdehnung der Eingeweide forttreibt. —

Der Chylus, der durch alle absondernde Oeffnungen heraus gezogen worden, wird durch Millionen der feinsten Gänge geführet, und in verschiedene beqweme Zellen gleichsam einqwartieret. Gleichwie ein Reisender, wenn er sich an der Landstrasse aufhält, und gehörige Erfrischungen zu sich nimmt, zur Fortsetzung seiner Reise um so viel geschickter wird; also wird auch der Milchsaft, der in diesen kleinen Herbergen einkehret, mit einer dünnen Lympha eder wäßerichten Feuchtigkeit vermischet, die ihn zum Fließen geschickter, und zum Gebrauche beqwemer machet. Von da wird er in ein allgemeines Behältniß geführet, steigt nachgehends durch eine senkrechte Röhre, und

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flößet sich der linken sogenannten Schlüsselader ein. Diese senkrechte Röhre, die keine eigene Kraft hat, borget dieselbe von ihrer Nachbarinn. Sie liegt dicht an der grossen Pulsader, deren starkes Schlagen die Flüßigkeit forttreibt, die sonst ins Stocken gerahten möchte, und sie in den Stand setzet, die gähe Höhe hinan zu steigen, und ihren kostbaren Schatz vor der Thüre des Herzens auszuladen. Das Blut hat auf jeder Station seiner weiten Reise grosse Unkosten. Es wird von einer jeden Drüse in Contribution gesetzet, und da es tausende von den feinsten Gefäßen mit der Materie zur unvermerkten Ausdünstung versorget, so muß es dadurch sehr arm werden. Allein, es erhält durch den dazu kommenden Milch- oder Nahrungssaft wiederum einen frischen und zu einer höchst gelegenen Zeit anlangenden Anwachs. Allein, ungeachtet es einen Zuwachs bekömmt, wird es doch nicht feiner gemacht. In seinem gegenwärtigen rohen Zustande ist es schlechterdings ungeschickt die Lebensreise zu thun, oder die thierischen Verrichtungen fortzusetzen. Zu dem Ende wird es durch ein großes Werkzeug von muskulösen Fäserchen in die Lunge geführet, da es denn in beyden Abtheilungen derselben

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tausend Ströme hinein gießt. In den schwammichten Zellen dieses erstaunlichen Laboratorii sauget es die Einflüße der äußerlichen Luft an sich, deren fremde Theile ihm durch und durch einverleibet werden, da denn seine ganze Substanz kühl, eben und blühend gemachet wird. Wenn es solchergestalt verbessert und erhöhet ist, wird es zu der linken Herzkammer geführet, welches ein starker, wirksamer und nicht zu ermüdender Muskel ist, der sich recht in dem Mittelpunkte des ganzen Zusammenhanges findet. Dieß ist eine sehr vorzügliche und nicht weniger erstaunliche Eigenschaft des Herzens. Die großen Muskeln des Arms, und die grössern Muskeln der Hüfte werden gar bald ermüdet. Die Arbeit oder die Reise eines einzigen Tages erschöpfet ihre Kraft. Der Muskel aber, der das Herz ausmachet, arbeitet ganze Monate, ganze Wochen, und ganze Jahre herdurch, und wird doch niemals müde, ihm ist sogar nicht das geringste Aufhören bekannt. Da das Blut nun durch diese klopfende Maschine angetrieben wird, so schießt ein Theil davon mit einer ungemeinen Gewalt in den Kopf. Da schwängert es die fruchtbringenden Felder des Gehirnes, und bringt den subtilen geistigen Thau zuwege,

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der jeder Nerve Empfindung, und jedem Gliede Bewegung mittheilet. Ein Theil fließt herunter, führet den starken Strom allen niedrigen Gegenden zu, und bringt den Nahrungsvorraht zu den geringsten Gliedern und kleinesten Gefäßen.

So, wie die prächtige Donau, und der reißende Rheinstrom die Wälder erfrischet, und die Städte wäßert, die haufenweise an ihren Ufern liegen, und die Wiesen, die sie durchschneiden, lachen und singen machen: eben also durchfließt auch dieser menschliche Fluß, wiewohl mit einer ungleich reichern Fluht, und mit unendlich zahlreichern Strömen die verschiedenen Gegenden des Leibes, durchgießet alles mit Kraft, und pflanzet überall Gesundheit fort.

Allein, wie soll ein Strom, der in viele tausend Canäle vertheilet ist, und unzählige Gegenden durchstreicht, zu seiner Qwelle wieder zurück gebracht werden? Sollte ein Theil davon, so wie das Wasser unserer stehenden Seen, nach einer Uiberschwemmung von seinem Wege abweichen, oder nicht im Stande seyn, wieder zurück zu kehren: so würde eine Fäulung statt finden; es würde eine Verletzung daraus entstehen, und wohl gar der Tod darauf erfolgen. Der allweise

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Schöpfer hat daher das äußerste Ende der Pulsadern, mit dem Anfange der Blutadern verknüpfet; so daß dieselbe Kraft, welche die rohten Wällen durch die erstern schießen läßt, sie auch durch die letztern treibt. Solchergestalt wird es, ohne im geringsten aus den gehörigen Gefäßen zu entweichen, der großen springenden Cisterne zugeführet. Daselbst fängt es von neuem an zu spielen, widerholet die Lebensverrichtungen, und setzet sie beständig fort. Da, wo die einander entgengesetzten Ströme in Gefahr seyn würden, wider einander zu stossen, setzet sich ein aus Fäserchen bestehender Auswuchs dazwischen, welcher gleich einem aufgeworfenen Damme, die Schläge eines jeden bricht, und beyde in ihr gehöriges Behältniß treibt. Wenn das Hinüberbringen geschwinde geschehen soll, so winden die Canäle sich nicht weitläuftig herum, und verlieren nichts an ihrer Weite. Soll aber der Fortgang langsam geschehen, so bekommen die Röhren entweder verschiedene Krümmungen, oder werden auch enger zusammen gezogen. Nach der Einrichtung dieser vernünftigen Regeln, und unter dem Schutze dieser weisen Vorsicht, höret diese lebendige Fluht mit ihren Abwechselungen niemals

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aufs sondern fährt Tag und Nacht, wir mögen schlafen oder wachen, beständig fort, durch die Pulsadern zu springen, und durch die Blutadern wieder zurück zu kehren.

Solche bewundernswürdige Mittel werden angewendet, den Nahrungssaft auszuarbeiten, ihn mit dem Blute zu vermischen, und durch den ganzen Leib zu vertheilen, wodurch denn die lebende Natur unterhalten wird. In der Jugend wird der Haufe derselben vergrößert, im Alter wird ihr Mangel wieder ersetzet, und der Leib wird siebenzig oder achzig Jahre lang in einem der Seele zuträglichen Zustande erhalten.

Dieses sind nur einige sehr wenige Proben der Einrichtung, Regelmäßigkeit und Schönheit, so an der Bildung des Menschen zu bemerken ist. Aufmerksamere Forscher entdecken noch tiefere Fußstapfen der Erfindung, und noch viel feinere Züge der Kunst. Sie entdecken dieselben nicht blos in den grossen und vorzüglichsten Theilen, sondern in einem jeden Gliede und jedem Werkzeuge, und ich möchte noch wohl wagen hinzuzusetzen, in jedem ausgebreiteten Fäserchen, und in jedem fließenden Kügelchen.

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Hoch im Kopfe sitzt das Auge so hell und glänzend, wie ein Stern beym Anbruche des Abends. In dieser erhabenen Stellung hat es, wie ein Wächter auf einem Wachtthurme, eine sehr weite Aussicht. Es bestehet blos aus schlechten Feuchtigkeiten, die in dünne Häute eingeschlossen sind, und stellet uns dennoch alle Anmuhtigkeiten der blühenden Natur, und alle Herrlichkeiten des sichtbaren Himmels dar. Wie erstaunlich wunderbar! Ein Bild des größten Berges, und ein Gemälde der mannigfaltigsten Landschaften findet auf dem kleinen Umfange des Augapfels Platz! Wie wundernswürdig künstlich! Die Stralen des Lichtes malen, gleich einem unnachahmlichen Pinsel, in einem Augenblicke eine jede Art von körperlichen Dingen in ihren wahrhaftigsten Farben und richtigsten Zügen auf die Gesichtsnerven!

Das Auge ist so zart, daß ein schlechter Zufall, der von andern Theilen des Leibes kaum würde gespüret werden, seine feine Bildung gar sehr verletzen würde. Es wird daher mit einer besondern Sorgfalt bewahret, mit einer solchen Sorgfalt, die seinem zarten Gewebe, und seinem sich so weit erstreckenden Nutzen vollkommen gemäs ist. Es liegt tief im Kopfe

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schanzet, und ist an allen Seiten mit einem starken Festungswerke von Knochen umgeben. Da der Anlauf der kleinesten Fliege seiner polirten Oberfläche beschwerlich seyn würde: so ist es mit zween starken Vorhängen versehen, die an einer dünnen, aus einem knorpelichten Wesen bestehenden Stange hangen, die es nicht nur vor Schlägen und jedem schädlichen Reiben, sondern auch vor den geringsten Beschwerlichkeiten schützen. Im Schlafe, da keine Gelegenheit ist, den Sinn des Sehens auszuüben, und da dieses Werkzeug nohtwendig muß beschützet werden, fallen diese Vorhänge von selbsten zu, und bleiben beständig geschlossen. Sie fliegen auch zu einer jeden andern Zeit mit einer Bewegung zu, die geschwinder ist, als die Unruhe der Furcht selber, ja ich möchte fast sagen, als die Gedanken. Zu allen Zeiten aber sind sie mit einem sehr feinen Schwamme untergefüttert, der von seinem eigenen natürlichen Thaue naß ist. Dieser macht den Augapfel schlüpfrig, schmieret, so zu sagen, seine Räder, und machet ihn zu einer ungemeinen Wirksamkeit geschickt. An dem Ende dieses häutigen Sturmdaches, wo ich mich der kriegerischen Schreibart bedienen darf, ist eine Reihe von Pallisaden aufgerich-

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tet. Diese halten auch die geringsten Stäubchen ab, und mäßigen die gar zu starken Eindrücke der Sonnenstralen.

Die Augenbrämen sind eine Art eines natürlichen Wetterdaches, so artig mit Haaren gedecket, und mit Bogen gewölbet ist. Die Bedeckung dienet den Schweiß abzuhalten, daß er nicht in die Augen tröpfele, und sie mit seinem Salze verletze. Die Bogen sind so schön gefärbet, und so nett gebildet, daß sie die Weiße der Stirn auf das vortheilhafteste zeigen, und dem ganzen Gesichte eine ausnehmende Anmuht beylegen. Weil, so lange wir wachen, die kleinen Kreise unserer Augen beständig in Beschäftigung gehalten werden, so könnten sie sich auch sehr leicht bewegen. Sie schließen auf und niederwärts, nach der rechten und nach der linken Seite, mit der größten Eile und mit gleicher Beqwemlichkeit. Dieser Umstand, zu welchem noch die Biegsamkeit des Halses hinzukömmt, machet unsere beyden Augen so nützlich, als wenn unser ganzer Leib, gleich den Thieren in dem Gesichte des heiligen Johannis, voll Augen vornen und hinten wäre.

Das Ohr besteht aus einem auswendigen Vorhofe, und innern Zimmern, und hat Werkzeuge von einer höchst wun-

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derbaren Erfindung, und von der vollkommensten Arbeit. Die Erfindung und die Arbeit sind weit vollkommener als die Zeichnungen vom Palladio, oder der Bau des salomonischen Tempels, ungeachtet die erstem nach den prächtigen Denkmaalen Roms gemacht sind, und der letztere nach einem himmlischen Geschmacke gebauet war. In einem besondern Stücke gleicht dieses kleine Gebäude dem so berühmten Baue des Tempels, daß nämlich sein Vorhof erhabener ist, als irgend ein anderes Theil desselben.

Den Vorhof nenne ich das einem halben Zirkel ähnliche Behältniß, so an dem Kopfe hervorraget, und welches nicht weich ist, noch sich senket, wie das Fleisch, damit es den Schall nicht vielmehr verschlucke, als den Widerschall desselben befördere. Auch ist es nicht hart und steif, wie ein Knochen, damit es keine schmerzhaften Empfindungen verursache, wenn wir uns darauf legen, sondern es bestehet aus einem knorpelhaften Wesen, so mit ausgespannten Häuten bedecket ist, und worinn verschiedene sich krümmende Höhlungen ausgebreitet sind. Diese sammlen, gleichwie herumliegende Hügel, oder wie Felsen, die das Meerufer umgeben, die Wällen der Luft, und bringen

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sie mit einem starken Triebe zu der ausgespannten feinen Haut des Hörfelles. Der enge Eingang zu den innern Behältnissen ist für die Beschädigungen von kleinen Insecten durch eine Art eines Morastes in Sicherheit gesetzet, so aus einer bittern und klebrichten Materie besteht, die ihrem Geschmacke widrig, und ihren Füßen hinderlich ist. Der Hammer und Ambos, der Steigbiegel und die Trommel, die sich krümmenden Labyrinthe, und die schallenden Gallerien, nebst den andern künstlichen Stücken, tragen alle das ihrige zum Gehöre bey, und sind unbeschreiblich künstlich.

Die Bildung sowohl als die Spannung der Gehörnerven muß erstaunlich, und unbegreiflich vollkommen seyn; da sie das kleineste Zittern der Luft empfinden, und die feinsten Veränderungen derselben so leicht unterscheiden. Das gröbere Blasen, so von dem ganzen äußerlichen Körper empfunden wird, hat eine sehr geringe Wirkung auf diese zarten Saiten. Hingegen stimmen sie mit den feinen, mit den bedeutenden Bewegungen der Luft, welche auch das schärfste Gefühl nicht zu unterscheiden fähig ist, auf das vollkommenste überein. Diese lebendigen Saiten, so von der Hand des Allmächtigen

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gestimmt werden, und allenthalben durch die wiederhallenden Inseln, und die klingenden Zellen verbreitet sind, empfangen den Eindruck des Schalles, und pflanzen denselben bis zum Gehirne fort. Diese geben der Musik ihren Reiz, und theilen die vernünftigen Belustigungen der Unterredung mit.

Das Auge vernimmt nur die Dinge, die vor ihm sind; da hingegen uns das Ohr von allem dem, was über, hinter und um uns herum geht, Nachricht giebt. Das Auge ist mitten in der Dunkelheit unnütz und kann durch keine verriegelte Thür, und durch, kein verschlossenes Fenster dringen. Das Ohr aber kann seine Nachrichten mitten durch die dickste Finsterniß, und die kleinste Spalte bekommen. Das Auge ist blos in unsern wachenden Stunden wirksam, das Ohr aber ist allezeit ausgebreitet, und allezeit zugänglich; es ist ein Courier, der niemals müde wird, eine Schildwache, die immer aus ihrem Posten steht. Sollte ja ein Unglück eines von den Werkzeugen des Gesichtes oder Gehöres untüchtig machen: so hat unser Schöpfer uns zu dem Ende ein jedes gedoppelt gegeben.

Gleichwie der Luft zitternde Erschüttrungen eingedrücket werden, die blos

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durch die Werkzeuge des Gehörs zu empfinden sind: so werden uns auch Geruch verursachende Theilchen ebenfalls von der Luft zugeführet, die nur blos durch die Werkzeuge des Geruchs empfunden werden. Die Nasenlöcher sind unten weit, damit eine große Menge von den Ausflüßen hineindringen könne, oben aber enge, damit sie, wenn sie hineingedrungen sind, ihre Glieder schließen, und mit größerer Kraft wirken können. Die Dünste, so von stinkenden oder wohlriechenden Körpern aufsteigen, sind ganz unbegreiflich fein. Die besten Vergrößerungsgläser, die tausend und abermal tausend Thierchen in einem Tropfen verfaulten Wassers zeigen, können nicht ein einziges Theilchen von denselben zu unserm Gesichte bringen. Sie segeln in unzähliger Menge unsern Augen und Ohren vorbey, und sind doch so erstaunlich klein, daß sie alles unser Forschen vergeblich machen. Dem allen ungeachtet, sind doch die Netze des Geruchs so klüglich geleget, und die Löcherchen derselben so künstlich eingerichtet, daß sie diese verschwindenden Flüchtlinge fangen können. — Sie saugen allen balsamischen Geruch des Frühlings, alle aromatische Ausdünstungen des Herbstes an sich, und setzen uns in den Stand, daß

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wir uns an den unsichtbaren Kostbarkeiten der Natur weiden können.

Da wir mit diesen Werkzeugen versehen sind; so kann kein Lüftchen über die Wiese fliegen, keine Wolke den Glanz der untergehenden Sonne abbilden, kein einziger Ton von allen Einwohnern der wirbelnden Schatten in die Höhe gehen, woraus unsere Sinnen nicht ein neues Vergnügen schöpfen sollten.

Eine andere Fähigkeit zu einem häufigen Vergnügen, hat unser gütiger Schöpfer uns durch die Mittheilung des Geschmackes gegeben. Vermittelst desselben belustiget die Nahrung, so unsern Körper erhält, unsern Gaumen. Zuerst bewihrtet sie uns mit einer angenehmen Mahlzeit, und hernach theilet sie uns die uns so vorteilhafte Stärkung mit. Wenn ein Scheermesser mit Oele benetzet wird, so wird es desto schärfer; gleichergestalt belebet auch der Speichel, der auf unsere Zunge fließt, und die Nerven derselben netzet, sie zu der schärfsten Empfindung. Dieser Sinn ist auf eine besonders gütige und weise Art von dem Schöpfer eingerichtet, und giebt uns eine immerwährende, wiewohl stillschweigende Erinnerung zur Mäßigkeit. Ohne zu der Rache Gottes, oder zu dem Schrecken des strengen Ge-

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richts seine Zuflucht zu nehmen, dienet er uns zu einer kräftigen Abrahtung von unordentlichen und ausschweifenden Begierden; Denn die Ausübung der Mäßigkeit giebt seinen Kräften die feinste Schärfe, und seinem Genusse den besten Geschmack; dahingegen Schwelgerey und Wohllust den Appetit schwächen, die Schärfe desselben abnutzen, und die Ergetzlichkeiten sehr schwach, wo nicht gar vollkommen unschmackhaft machen. Das Gesicht, der Geruch, der Geschmack, sind nicht blos so viele Qwellen des Vergnügens, sondern auch eine vereinigte Versicherung unserer Gesundheit. Sie sind wachsame und genaue Aufseher, die unsere Nahrung untersuchen, und die Eigenschaften derselben erforschen, ob sie angenehm, oder unangenehm, heilsam, oder schädlich sind. Zur Ausübung dieser Pflicht sind sie vortreflich geschickt, und haben eine höchst beqweme Lage dazu, daß also nichts durch den Mund kann zugelassen werden, bis es ihre Untersuchung ausgestanden, und einen Paß von ihnen bekommen hat.

Zu allen diesen kömmt noch, als ein nohtwendiger und vortheilhafter Zusatz, der Sinn des Gefühles hinzu, welches die ganze Sammlung vollkommen machet. Da andere Sinne einen besondern Wohn-

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platz haben; so ist dieser über den ganzen Körper verbreitet. In den Flächen der Hände, an den Spitzender Finger, und allen äußerlichen Theilen des Fleisches ist er am geschwindesten und lebhaftesten, so, wie die Vortruppen einer Armee besonders aufmerksam und munter seyn müssen. Doch, was sage ich von Vortruppen? die ganze Armee des Xerxes (*) ist weder in Ansehung der Anzahl, noch der Ordnung, mit der Menge von Nerven zu vergleichen, die das Gewebe der Haut durchgehen, und das Gefühl befördern. Was für eine glückliche Mäßigung ist nicht bey diesem Sinne beobachtet! Er ist weder so scharf, als hie Häute des Auges, noch so stumpf, als die dicke Haut der Fersen. Das erstere würde uns zur Last gereichen, und selbst die weichesten Federn würden uns drücken. Bey dem letztern aber würde unser Körper fast ganz fühllos seyn. Es ist aber nicht nur dieser, sondern alle Sinne nach den Bedürfnissen unsers gegenwärtigen Zustandes auf das genaueste eingerichtet. Wären sie schärfer, als sie

(*) Die Armee bei Xerxes  belief sich auf fünf Millionen, zweyhundert und achtzig tausend Mann; und es kömmt kein größeres Kriegsheer in der ganze Historie vor. Herodot. Lib. VII.

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in det That sind: so würden sie uns lauter Angst verursachen; wären sie hingegen schwächer: so würde uns nichts damit gedienet seyn. -

Das alles krönende Geschenk, wodurch das Vergnügen und der Nutzen, so uns aus allen Sinnen erwächst, erhöhet und vergrößert wird, ist die Sprache. Durch die Sprache kommen uns die Augen und Ohren anderer Leute, die Vorstellungen, die sie von Dingen haben, und die Anmerkungen, die sie machen, zu statten. Und was ist nicht die Zunge, die unsere Stimme deutlich, und die Sprache aus derselben macht, für ein bewundernswürdiges Werkzeug! Sie hat weder Knochen noch Gelenke, und doch beqwemet sie sich mit der äußersten Biegsamkeit in jede Bildung und Stellung, die einen Gedanken ausdrücken, und einen Wohlklang verursachen kann.

Dieser kleine Umfang muskulöser Fäserchen ist der künstliche Meister unserer Worte. Durch die Zunge theilen wir die Geheimnisse unsers Herzens mit, und machen selbst unsere Gedanken hörbar. Durch sie lehren wir die Unwissenden, und trösten die Betrübten. Durch sie preisen wir Gott, und erbauen uns unter einander, Durch sie erklären die Gelehrten die

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verborgensten Wissenschaften, und durch sie prediget man die ewige Wahrheit. Die Zunge bringt aber nicht nur die Reden, sondern auch noch dazu die Musik zuwege. Sie verursachet sanfte Töne wie die Laute, und starke wie die Trompete; sie ahmet den Klang der Geigen, und den Schall der Orgeln nach. Wenn wir durch Hilfe derselben ein geistliches Lied erschallen lassen: so versüßen wir dadurch unsere Sorgen, und erleichtern unsere Arbeit; wir ahmen den Chören der Engel nach, und schmecken einigermassen schon im voraus die himmlischen Freuden. Da die Zunge eine freye und leichte Bewegung erfordert, so ist ihr eine geraume Höhlung zum Aufenthalte angewiesen, und sie ist rund herum mit Speichelbehältnissen umgeben, die allezeit bereit sind, ihren schlüpfrig machenden Thau von sich zu lassen. Sie beweget sich unter einem hohlen Dache, so der Stimme gleichsam zum Schallbrette dienet, und derselben eben so viel Stärke und Anmuht giebt, als die Saiten der Geige von dem hohlen Gehäuse, worauf sie gespannet sind, erhalten.

Weise, bewundernswürdig weise, und ausnehmend gütig ist die Einrichtung beydes der freywilligen und unfreywilligen Bewegungen. Wäre diese Einrichtung

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umgekehret, was für beklagenswürdige Unbeqwemlichkeiten würden alsdann nicht statt finden, und was für ein unvermeidlicher Untergang würde nicht daraus erfolgen? Würden nicht klägliche Unbeqwemlichkeiten daraus entstehen, wenn die Entledigungen der Gedärme und der Blase im geringsten nicht der Erlaubniß unsers Willens unterworfen wären? Würde nicht unser unvermeidlicher Untergang daraus erfolgen, wenn die Würkung des Herzens die Mitwirkung unserer Gedanken erforderte, oder wenn das Geschäfte des Athemholens auf die Zustimmung unsers Willens warten müßte?

Der Wille hat bey einigen Vorfällen nicht die geringste Stimme. Bey andern hingegen bestimmt und befiehlt er, wie ein unumschränkter Oberherr, und es wird keinem Monarchen auf der ganzen Welt ein so vollkommener Gehorsam geleistet. Wenn er nur winket, so laufen und fliegen die Geister, seine Befehle auszurichten, den Arm auszustrecken, die Hand zuzuschließen, die Stirne mit Furchen zu überziehen, oder lächelnde Gruben in die Wangen zu machen. Wie leicht und wie augenblicklich werden alle diese Befehle ausgerichtet! Lasten in die Höhe winden, und den Hebebaum gebrau-

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chen, ist eine schwere und ermüdete Arbeit. Allein, wir bewegen die Rückgradsgelenke mit allen daran hängenden Behältnissen, wir setzen die Beine mit dem ganzen darauf liegenden Leibe fort; wir stehen von unsern Sitzen auf, und springen von der Erde in die Höhe, und unungeachtet viele Kraft dazu angewendet und eine nicht geringe Last aufgehoben wird, so wird uns solches doch nicht schwer, und wir beklagen uns so leicht nicht über Ermüdung.

Daß alles dieses ohne Beschwerlichkeit und durch die blosse Handlung des Willens ausgerichtet wird, ist höchst wunderbar; daß aber alle diese Bewegungen geschehen, wiederholet und fortgesetzet werden, ohne daß uns selbst einmal die Art und Weise, wie solches geschieht, bekannt ist; das ist etwas über alle Maaßen erstaunliches. Wer kann eine einzige Melodie auf einem Claviere spielen, ohne den Unterschied der Schlüßel und die Grundsätze der Musik gelernet zu haben? Es ist solches ja eine unmögliche Sache. Und dennoch bewegt das Gemüht des Menschen eine jede Triebfeder der körperlichen Maschine mit der meisterhaftesten Geschicklichkeit, ob es gleich von den Eigenschaften ihrer Voll-

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kommenheiten, und der Art und Weise ihrer Wirkungen nicht das geringste weis.

Man gebe einem vernünftigen Menschen, der keine Flöte kennet, dieselbe in die Hand, ohne ihn zu unterrichten, wie er damit umgehen muß; so wird er nicht einmal wissen, wie er einen Ton aus derselben hervorbringen soll, und noch viel weniger wird er eine regelmäßige Melodie darauf spielen können. Und doch wissen wir Menschen von uns selbst unsere Stimme zu bilden, einzurichten und zu verändern. Wir können von Natur, und mit einer ungeübten Fertigkeit die matten Cadenzen des Kummers, die muntern Arien der Freude, die tiefen und zitternden Töne der Furcht, und den hohen und hastigen Klang des Zorns erschallen lassen.

Das Auge eines Bauern, welches von der Optik und den Regeln derselben nicht die geringste Kenntniß hat, verlängert und verkürzet seine Axe, erweitert seinen Apfel und zieht ihn zusammen, und das alles ohne den geringsten Anstoß und zur gehörigen Zeit. Es beqwemet sich mit der größten mathematischen Richtigkeit nach der Entfernung der Dinge, und nach den verschiedenen Graden des Lichtes. Es wachet dadurch die merkwürdigsten Expe-

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rimente der verbesserten newtonischen Philosophie, ohne die geringste Kenntniß von dieser Wissenschaft zu haben, oder sich einmal seiner eigenen Geschicklichkeit bewußt zu seyn.

Welches sollen wir am meisten bewundern? Die Menge der belebten Werkzeuge, ihre vollkommene Bildung, ihre untadelhafte Ordnung, oder die Macht und Herrschaft, so die Seele über sie ausübet? Zehn tausend Zügel sind ihr in die Hände gegeben, und dennoch regieret sie dieselben alle, nicht nur ohne die geringste Verwirrung und Unordnung, sondern auch mit einer Fertigkeit, und einer Geschicklichkeit, und mit einer Hurtigkeit, die mit nichts zu vergleichen ist.
Topic revision: r24 - 06 Sep 2012, KatalinBlasko
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