Der Vernünftige Zeitvertreiber
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Von dem Gebrauche des Lebens. Aus dem Französischen
Nachdem ich lange über den Zustand der Menschen nachgedacht habe, so fand ich zwey Stücke, welche auf eine vernünftige Art die Sorge des Weisen ausmachen könnten. Das erste, ist die Untersuchung der Tugend, wodurch der ehrliche Mann kenntlich wird; das andere, der Gebrauch des Lebens, welcher ihn vergnügt macht, wenn er es wenden kann; oder doch nicht unglücklich, wenn er sich nicht ganz und gar von dessen Beschwerlichkeiten loszumachen weiß.
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Es ist wahr, daß es eine Thorheit ist, wenn man auf dieser Welt das höchste Gut suchen will. Alle Begriffe, welche uns die alten Weltweisen davon gegeben haben, sind nur undeutliche Vorstellungen von einem Gute, unser heftiges Verlangen noch mehr darnach zu reizen, und die Ungewißheit ihrer Meynungen, welche noch dazu hierinnen so veränderlich sind, geben wohl zu erkennen, wie zweifelhaft diese Glückseligkeit sey, welche sie nichts destoweniger, mit so vielem Hochmuhte und Pralerey, versprechen.
Gewiß, die beständige Abwechselung der Dinge in der Welt, die flüchtigen Bewegungen unsers Geistes, und die Unbeständigkeit unserer Leidenschaften, verstatten nicht, uns eine dauerhafte Ruhe, und Zufriedenheit unseres Lebens zu verschaffen. Und wenn ich noch das Unvermögen derjenigen Dinge, die uns vergnügen sollen, betrachte, auch wie schwach unsere Sinne sind, die Eindrücke hievon zu empfinden, so höre ich auf einmal auf, einer solchen Scheinglückseligkeit weiter nachzustreben, und es fehlt wenig, daß ich nicht in eine gänzliche, Gleichgültigkeit aller Dinge verfalle. Denn, was ist wohl für ein Vergnügen
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in der Welt, das nicht seine Bitterkeit mit sich führet? Unsere Sinnen, werden die nicht oft in ihren Verrichtungen betrogen? Und unser Geist, ist der sich allezeit gleich, wenn er durch die Unordnung unserer Sinne gestöret wird? Eine Krankheit, ein Winter, ein verdrieslicher Tag, öfters eine noch geringere Sache, verändert uns, und ändert in Ansehung unserer alle Dinge. Und wenn sich keine, Veränderung in uns zutrüge, noch in allem dem, das uns umgiebt, so ist es doch außer Streit, daß in dem glücklichsten Zustande, worinn sich unsere Seele hier befinden könnte, und bey der besten Beschaffenheit, der unser Leib fähig wäre, wir dennoch unfähig sind, eine reine und wahrhafte Freude zu genießen.
Weder der Umgang mit einem rechtschaffenen Manne, der mein angenehmstes Vergnügen ausmacht, weder die niedlichsten Speisen, noch die Reizungen der Tonkunst, welche meine fühlbarsten Wohllüste sind, haben mir jemals das Vergnügen verschaft, welches mir meine Einbildung davon versprach, und ich mag mit Wahrheit sagen, daß, da ich unter den grösten Freyheiten meiner Sinne, das Gute geschmecket habe, ich es dennoch mit so wenig Achtsamkeit genossen, daß
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ich gemeiniglich dabey, mich noch über meine wichtigsten Geschäfte berahtschlagen konnte.
Das Vergnügen, welches man bey den Lustspielen genießet, und welche so viele Menschen zu besuchen pflegen, haben sie wohl ihre eifrigsten Vertheidiger, ein wahres Vergnügen empfinden lassen? Was mich betrift, so habe ich eine unendliche Menge derselben nur mit Verdruß ansehen können; und die allerschönsten, welche den grösten Haufen zu entzücken schienen, haben keine größre Gewalt, und nicht mehr Eindruck auf meinen Geist haben können, als daß sie mich über die Unglücksfälle einer Heldinn seufzen ließen, die doch das nicht erduldete, was mich in Bekümmerniß setzte, oder über das Unglück eines eingebildeten Monarchen, dessen falscher Schmerz mir wahrhafte Trähnen auspreßte, aber auch eben deswegen, wurde ich ganz verzweifelt böse über mich selber.
Weder die Schönheit unserer Gärten, welche aller Augen einnehmen, noch die Pracht des Hofes, weder die schimmernden Gesellschaften der auserlesensten Personen, noch die Schauspiele, die Tänze, die Reichthümer, die Sparsamkeit und Verschwendung, können einem
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einzigen Menschen auf der Welt, ein vollkommenes Vergnügen geben.
Diejenigen, welche nur selten die Schauspiele besuchen, werden darüber bestürzt, und wissen sich nicht recht, in so mancherley tolle und lustige Verändegen, die sie daselbst wahrnehmen, zu schicken. Diejenigen, welche sie öfters besuchen, bleiben dabey unempfindlich, und alle zusammen, können entweder aus einer ungewohnten Freude, oder dummen Unempfindlichkeit, das Angenehme dieser Vorstellungen, nicht ruhig schmecken. Andere, welche bey dem Uiberflusse aller Dinge, ihren Sinnen, mit demjenigen, was das allerniedlichste ist, schmeichlen, geben sie nicht ihr Misvergnügen, bey dem Genusse solcher Sachen zu erkennen, indem sie sich beklagen, daß die Menge der Wohllüfte, sie ihnen auf die letzte verhaßt macht?
Aber, wenn je ein Mensch auf dieser Erden hat glücklich seyn sollen, so muß man mir es zugestehen, daß solches
Salomo gewesen, welchem die Weisheit zu Theile geworden. Statt, seinen Geist mit nichtswürdigen Dingen zu beschäftigen, bemühte er sich, wahre und dauerhafte Güter, aufzusuchen. Seine Macht verhalf ihm bald zu deren Besitz. Alles
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gieng ihm nach Wunsche; und sein Verlangen, wurde allezeit durch den Genuß der Dinge befriediget. Unterdessen giebt er doch zu erkennen, daß er so viel Eitelkeit bey deren Genusse angetroffen, daß er sich kaum hat enthalten können, das Leben zu hassen, und an seiner Länge einen Abscheu zu haben. Es ist also hienieden für die Menschen keine vollkommene Glückseligkeit zu hoffen, sondern sie müßen vielmehr daran gedenken, wie sie sich gegen die Unglücksfälle, welche sie aller Orten umgeben, mögen vertheidigen, als nach einer Glückseligkeit zu seufzen, deren sie nicht fähig sind.
Allein, ob es gleich wahr ist, daß wir in diesem Leben, eine solche eingebildete Glückseligkeit, welche wir doch darinnen suchen, nicht erlangen können, so muß man sich doch deswegen nicht den Tod wünschen, noch sich, aus Verzweifelung, unserm Elende preis geben. Denn, so ist die Natur der Menschen beschaffen, daß sie nach dem Guten, welches wir nicht erlangen können, trachtet, und das, was vor unsern Augen lieget, verachtet. Man muß gestehen, unser Vergnügen ist von kurzer Dauer, und allezeit mit einer Bitterkeit vergesellschaftet. Dennoch aber nennen wir es ein
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Vergnügen, und wir vergessen dabey unser Elend. Eine weise Einrichtung des Lebens macht, daß wir solches mit Zufriedenheit genießen können
Gleichwie wir geschickt seyn müßen, das Unglück zu ertragen, so sollen wir auch wissen, uns unser Glück zu Nutze zu machen. Man muß auf gleiche Weise die Empfindungen vor den Schmerz zu ersticken, und unser Verlangen nach dem Vergnügen zu erregen wissen. Denn, die Mäßigkeit ist von aller Ausschweifung entfernet. Sie hasset nicht weniger diejenigen, welche ihren Körper durch Hunger ausmergeln, als solche, die sich mit ihren Zähnen ihr Grab machen; und derjenige, welcher gar Hungers stürbe, würde eben so sehr die Gesetze beleidigen, als derjenige, welcher nur darum so viele Speisen einschluckte, daß er bald darauf bersten könnte.
Wie sind wir doch nicht so unbesonnene Leute! Wir beklagen uns zu aller Stunde über die Härte unsers Schicksals, welches wir empfinden, sobald wir nur anfangen, in die Welt zu treten. Wir beseufzen die Unruhe unsers Lebens, wir bejammern die Schmerzen unsers Todes. Dem ohngeachtet fügen wir noch alle Tage neue Uibel zu unserm
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Elende hinzu; und es scheinet, daß wir nur deswegen sinnreich sind, um uns noch unglückseliger zu machen.
Dieses Betragen, ist weit von der Gemühtsverfassung desjenigen grossen Weisen entfernet, von dem wir so eben geredet haben. Er untersuchte alle diese Dinge in der Welt, nach welchen wir ein so grosses Verlangen bezeugen, und erkannte gar bald die Eitelkeit derselben. Allein, er faßte doch deswegen nicht einen allgemeinen Widerwillen gegen diese Dinge, welchen er so fleißig nachgedacht, und da er allezeit in einer gleichen Gemühtsbeschaffenheit dabey blieb, so genoß er ganz ruhig das Vergnügen dieses Lebens.