Der Vernünftige Zeitvertreiber
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Von dem Vergnügen
Wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so tragen fremde Dinge vieles zu unserm Vergnügen bey,
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und es ist nicht genug, daß man Sinne hat, wenn keine Gegenstände da sind, womit wir sie vergnügen können. Da aber dennoch die Menge derselben, wie sie ist, fast unendlich ist, so scheinet es, daß unser Glück einigermaßen von uns selbst abhänge, und daß wir an dem grösten Vergnügen einen Eckel finden, wenn unsere Sinne nicht geschickt genug sind, dasselbe zu genießen.
Was mich betrift, so wäre ich der Meynung, daß man allezeit seinem Geiste ein unschuldiges Vergnügen gönnen müsse, so oft sich solches darstellet, wenn es nur von dem Verdrusse, das geschehene Dinge zu begleiten pflegt, frey ist, und uns keine Unruhe auf das künftige macht. Nur das Gegenwärtige gehöret für uns; und wenn wir klug wären, würden wir jeden Augenblick, als den letzeren unsers Lebens in Acht nehmen. Allein, nichts ist gewöhnlicher, als der üble Gebrauch, den wir mit der Zeit, welche uns die Natur gegeben hat, machen. Es giebt wenige Menschen, die ihre Jahre ziemlich hoch bringen würden, wenn sie wohl zu leben wüßten. Es geschiehet aber auch fast allezeit, daß wir uns, wenn wir sterben sollen, beklagen, daß wir noch nicht genug gelebet hätten.
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Wenn wir schon wirklich viele Jahre gelebet haben, so sind wir doch mißvergnügt dabey, aus Furcht, wir möchten noch nicht so alt seyn; und wenn wir endlich gar zu leben aufhören sollen, empfinden wir eine Reue, daß wir unsere Lebenszeit nicht besser angewendet.
Ein gegenwärtiges Vergnügen ist auch vielleicht das letzte, welches mich rühren kann. Unzählige Schmerzen können mich einen Augenblick hernach überhäufen. Wer verhindert mich denn, mich auf eine unschuldige Weise zu vergnügen, da ich es noch thun kann? Muß denn der Unterschied des Aufenthalts, oder die Ungleichheit der Gegenstände, mich allezeit im Verdrusse erhalten, wenn ich an allen Orten und Enden der Erde vergnügt leben kann?
Ich gebe zu, daß uns gewisse Personen, lieber und angenehmer als andre sind; daß, wie es verschiedene Dinge giebt, die uns vergnügen können, unter solchen doch einige anzutreffen sind, für welche wir mehr oder weniger Neigung haben. Allein, soll ich wegen eines Vergnügens, das ich heftiger verlange, die andern alle verachten?
Das Leben, welches man auf dem Lande zubringet, ist mir eben so ange-
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nehm, als der Aufenthalt in der Stadt. Die Tage, welche ich mir durch Verdruß noch verdrüßlicher mache, werden mir in der Rechnung als die schönsten Festtage angeschrieben, und tragen soviel als diese bey, meinen Jahren das Ziel zu setzen, wo meine Lebenstage aufhören sollen.
Warum soll ich denn hier meine Ruhe, durch die Erinnerung eines gehabten Vergnügens stören, oder durch die Einbildung eines noch zu genießenden unterbrechen?
Es ist eine Thorheit, sich gleich an einem Orte, welchen man verlassen muß, wieder einfinden zu wollen, und sich bemühen, an einem andern gegenwärtig zu seyn, wohin man doch nicht so bald gelangen kann.
Wenn das Vergnügen, welches man auf dem Lande findet, von dem Vergnügen des Hofes unterschieden ist, so suche man seine Seele daran zu gewöhnen. Denn was kann uns hindern, wenn wir uns auf diese Art bald erheben, bald wieder erniedrigen wollen? Wir finden freylich hier keine entzückende Musik, keine Tänze, keine Lustspiele vor uns. Allein, wir haben auch hiebey keinen Fall
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zu befürchten, noch eine Knechtschaft zu leiden.
Der Umgang mit Leuten ist vielleicht hier nicht so angenehm? Ey! nun, so kann man sich mit sich selbst in ein Gespräch einlassen, oder mit Leuten sprechen, die wenigstens nicht so leicht böse werden.
Cato unterhielt sich mit seinen Kindern, nachdem er sich den ganzen Tag, im Dienste des gemeinen Wesens beschäftiget; und die größten Seelen halten es nicht für unanständig, nach den ernsthaftesten Gesprächen, die Erzählungen ihrer Dienstboten anzuhören.
Man muß suchen, aller Orten beqwem zu leben, und das Vergnügen, welches uns der Ort unsers Aufenthalts darbietet, vollkommen zu genießen.
Man muß sich nicht jenen Weltweisen gleich stellen, die allen Pracht des Hofs verdammen. Ich wünschte, daß wir die Tugend der alten Römer nachahmten. Laßt uns gerecht, großmühtig und tapfer seyn, wie sie es gewesen sind. Allein, wir können solcher übertriebenen Sittenlehren entbehren, deren Strenge viel eher die Leute zu erschrecken, als zu bessern, fähig ist.
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Wenn wir nicht die Mittel haben, uns hervorzuthun, so müßen wir eben nicht den Uibermuht der andern anklagen. Man kann den Pracht einer schönen Stadt, auf eine unschuldige Weise bewundern, man kann das entzückende einer Musik anhören, man kann mit Vergnügen die feinsten Züge eines Gemäldes betrachten, ohne die Gesetze der Mäßigkeit zu überschreiten.
Haben wir entweder aus Zwang, oder aus Neigung unsern Aufenthalt auf dem Lande erwählet, so müßen wir aufhören, die Arbeiten der Menschen zu bewundern, und anfangen, die Werke des Schöpfers, und die Wunder der Natur zu betrachten. Wir müßen unsere Gedanken von dem Hochmuhte, und der Pracht des Hofes entfernen, und nur dieses unschuldige Vergnügen, welches man an solchen einsamen Oertern antritt, genießen.
Der Himmel, die Sonne, die Sterne, die Elemente, sind dieses nicht Schönheiten genug, dem Geiste, der sie betrachtet, ein tausendfaches Vergnügen zu geben?
Die weiteste Aussicht der schönsten Ebenen, der Lauf der Flüße, die Wiesen die Blumen und Bäche, haben sie
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Reizungen genug, das Aug zu vergnügen?
Der liebliche Gesang der Vögel, wird derselbe nicht allezeit in unsern Gefilden gehöret? Und wenn es wahr ist, daß die Menschen den ihrigen von den Nachtigallen gelernet, was ist dieß nicht für ein Vortheil für uns, eine so grosse Anzahl kleiner Lehrmeister zu haben, welche zu unsern Diensten stehen, ohne daß wir sie bezahlen dürfen?
Wir können also überall zufrieden leben, und wir verändern nur unser Vergnügen, wenn wir den Ort unsers Aufenthalts ändern.
Unser Geist findet sein Vergnügen, wenn er die Natur studieret. Unsere Sinne entdecken darinnen viel Schönes, und wer nur seinen Fleis gehörig anwenden will, wird allezeit etwas antreffen, womit er sich genug beschäftigen kann.
Weder die Grenzen der Einsamkeit, noch der kleine Raum einer Gefangenschaft, können verhindern, daß ein Weiser nicht seine Zufriedenheit daselbst finden sollte. Er kann daselbst eben so frey nachdenken. Hier kann er sich, auf eine angenehme Art, seiner guten Handlungen erinnern, und sich durch ruhige Betrachtungen, über seine Unschuld trösten.
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Man hat nicht allezeit die weiten Felder nöhtig, um glücklich zu seyn. Sehr oft finden wir unser Glück in uns selber, und wie wir zuweilen, bey dem vollkommenen Genusse unserer Freude, misvergnügt sind, so kann es sich wohl zutragen, daß man bis zu den Banden, womit man uns fesselt, gleichgiltig und zufrieden bleibt.
Die grausamsten Tyrannen, können nicht Marter genug für unsere Seele finden, und sie können sich doch nicht die Herrschaft über dieselbige zuwege bringen, es sey denn, daß wir, gerne und von freyen Stücken, sie ihnen unterwerfen. Ihre Ketten können sie nicht binden, und der Körper mag an einem Orte, wo er will, eingesperret seyn, so ändert sie doch ihre Stelle, und ihren Aufenthalt nicht.
Also können wir an jedem Orte zufrieden seyn. Wir müßen nur diese Zufriedenheit mit Maaße genießen, und dabey glauben, daß es ein Irrthum sey, wenn man das Vergnügen verdammen will, ohne den Unterschied zu beobachten, ob es ungerecht oder unerlaubt sey.
In Wahrheit, so unschuldig das Vergnügen immer seyn kann, so wird es, wenn man es übermäßig genießet, laster-
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haft, und führet nicht nur Unehre und Schande, sondern auch Schmerzen mit sich. Ein Mensch, der seinen guten Namen durch ein lüderliches Leben verlieret, setzt sehr oft dabey seine Gesundheit zu, und verletzet nicht weniger seinen Körper, als seine Ehre.
Ein rechtschaffener Mann, gehet mit seinem Gewissen zu Rathe, und freuet sich, daß er die Bisse nnd die Folter desselben, nicht empfinden darf.
Die Gesnndheit, welche man gemeiniglich auf die nämliche Art, wie ein unempfindliches Gut genießet, dieses reiche Geschenk der Natur, muß man viel höher schätzen lernen, wenn man die Krankheiten und Schwachheiten so vieler anderer Menschen, mit derselben in Vergleichung setztet.
Ein Mensch, der eine dauerhafte Gesundheit genießet, soll sich nicht allein glückselig bey dem Genusse seines Glückes schätzen, sondern der Gedanke, daß er nichts unter so verdrießlichen Gegenständen, die ihn umgeben, zu leiden hat, macht ihn noch vergnügter. Er freuet sich nicht nur über sein Glück, das ihm zustößt, sondern auch über das Unglück, das ihn fliehet. Das Vergnügen, welches er genießet, und der Schmerz, den
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er nicht empfindet, mögen auf gleiche Weise, ihm neuen Grund zu seiner Zufriedenheit geben.
Uibrigens laßt uns den Neid, diese so niederträchtige Leidenschaft, verbannen! Diese schändliche Gemühtsbewegung, verdirbt alles Vergnügen. Unsere Augen und Ohren, müße kein fremdes Gut reizen! Aber, laßt uns alle Schönheiten, ohne sträfliche Lust, an denjenigen Orten, wo wir uns betreten lassen, genießen!
Alles, was sich zum Vergnügen des Gesichts darstellet, kann ich es nicht so lange für mich betrachten, als es meinen Augen gegenwärtig ist? Die schönsten Gärten, die prächtigsten Palläste, sind so lang mein eigen, wenn ich ihre Schönheiten betrachte, als denen, welche sie erworben haben. Denn, wenn man vernünftig reden will, so können wir nicht sagen, daß etwas unser eigen sey, als in so fern es, durch den wirklichen Genuß unser eigen wird.
Die Folge, welche ich aus allen diesen Betrachtungen ziehe, bestehet darinnen, daß man sich mit Maaße vergnügen soll. Wenn man es recht nehmen will, so müßen wir sagen, alles was in der Welt geschiehet, geschiehet blos des Vergnügens wegen, und ob wir gleich
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verschiedene Wege einschlagen, so ist doch das Ziel unserer Wünsche allemal dahin gerichtet.
Derjenige, welcher die Ehre mitten unter dem Donnern der Kanonen sucht, und deswegen mit Feuer und Dampf stets umgeben ist, würde sich nicht der geringsten Gefahr blos stellen, wenn er nicht das Vergnügen zu hoffen hätte, welches man bey sich selbst empfindet, oder welches uns ein weit erschollener Ruhm verschaffet.
Derjenige, welcher in dem Kabinete unter dem Staube und Moder der Bücher grau wird, würde nicht die geringste Bemühung auf die Wissenschaften wenden, wenn er nicht ein Vergnügen davon hoffte.
Alle unsere Handlungen haben keinen wahrhaftern Gegenstand, als das Vergnügen. Ohne dasselbe würden die arbeitsamsten verdrossen und schläfrig werden. Wir richten alle unsere Handlungen darnach ein. Es giebt allen Körpern das Leben, ja, es setzt die ganze Welt in Bewegung!
Ein jeder erwähle demnach den beqwemsten Weg, der seinen unschuldigen Neigungen am dienlichsten ist, und genieße alles Vergnügen, das er haben kann,
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doch so, daß es nicht unserer Ehre, und unserem Gewissen nachtheilig sey.
Man muß die Tugend üben, und der Vernunft Gehör geben. Denn dieses ist das einzige, und wahre Gut des Menschen, und der untrügliche Gegenstand seines Vergnügens!