Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Gedanken von dem Daseyn Gottes

Wenn ich eine genaue Betrachtung über mein ganzes Leben anstelle, so erkenne ich, daß ich Verdruß und Vergnügen gehabt habe, je nach der Meynung, welche ich habe annehmen wollen. Meine Gedanken haben so mein Misvergnügen, wie meine Freude gewirket, und ich habe allezeit in mir selbst die Qwelle meines Elendes und meines Glückes entdecket.

Ich will gar nicht verhehlen, daß die Überzeugung von einem göttlichen We-

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sen, und die Ungewißheit unseres Zustandes nach dem Tode, gar öfters meine Ruhe gestöret haben. In diesen heftigen und verwirrten Augenblicken, dachte ich weiter nach, daß alle unsere Bemühungen, unser Wissen, unsere Beqwemlichkeiten, unsere Ehrenstellen und unsere Vorzüge, mit dem Tode ein Ende nehmen müssen, und daß, weil keines von diesen Dingen ewig ist, man sich genöthiget sehe, anderswoher einige Hilfe zu suchen. Allein, ich erlaubte oft meinem Verstande, über diese Dinge etwas freyer nachzudenken, und weil ich die Offenbarung nicht hoch genug hielt, so erregten sich in mir lauter Zweifel und Schwierigkeiten über die Unsterblichkeit der Secle.

Gleichwie ich mich in diesem Stücke allezeit auf die Gründe anderer verließ, so konnte ich niemals hierinn zu einiger Gewißheit gelangen, und die verwirrten Meynungen unserer Schriftsteller, legten mir unübersteigliche Hindernisse in den Weg. Niemals stimmten mein Verstand und mein Gewissen miteinander überein. Ich sah mich gezwungen, die Heftigkeit dieser beyden streitenden Theile, die sich ohne Unterlaß in mir empörten, mit Gedult zu ertragen, und was meine Unruhe

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noch mehr vermehrete, war die Schwierigkeit, diejenige Frage aufzulösen, die den fürnehmsten Innhalt davon ausmachte. Da, ich endlich an so vielen fremden Hilfsmitteln einen Eckel fand, nahm ich mir vor, mich meinen eigenen Untersuchungen zu überlassen, so wie jene Kranke, welche sich durch die Aerzte betrogen sehen, ihre Heilung selbst über sich nehmen. Ich hub damals alle Gemeinschaft mit den Büchern auf, in welchen ich nichts als Verwirrung und Ungewißheit angetroffen. Ich faßte alsdenn den festen Schluß, in mich selbst zu kehren, um meine eigene Gedanken, über den künstlichen Bau der Welt, und über die bewunderungswürdige Ordnung, die in allen Dingen herrscht, um Raht zu fragen.

Als ich den Himmel betrachtete, so erfüllten mich diese so prächtig aufgeführten Gewölbe auf einmal mit einer Bewunderung, und ich weiß nicht mit welcher Ehrfurcht. Die Schönheit der Sterne, die Stille und Einsamkeit der Nacht, flößten nur einen geheimen Schauer ein, der mich ganz unvermerkt einen anbetungswürdigen Gott erkennen ließ.

Könnte es wohl möglich seyn, sagte ich zu mir selbst, daß die Bewegung des

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Himmels, die so ordentlich und so regelmäßig eingerichtet ist, nicht ein allerhöchstes und weises Wesen zum Urheber haben sollte? Wenn diese erstaunlichen Himmelskörper ihren Lauf selbst erkennen und einrichten, sind dieses nicht Götter, welche diese Welt, so wie es ihnen gefällt, regieren? Und wenn sie eine höhere Gewalt über sich erkennen müßen, wer kann wohl anders diesen höchstwunderbaren Dingen ihren Lauf bestimmen, als eine unendlich große Macht? Wer kann anders diesen großen Körpern die Bewegung geben, als eine unüberwindliche Stärke? Wer kann anders ihre verschiedene Bewegungen einrichten, als eine unendliche Weisheit? Diese Sonne, fuhr ich fort, die allen Menschen ohne Unterschied scheinet, könnte sie uns wohl ihr Licht durch ein blindes Ohngefehr mittheilen? Und diese Ordnung, welche wir dabey beobachten, kann sie wohl anderswo herrühren, als von einem ewigen und allerweisesten Wesen?

Nach diesen Betrachtungen, lenkte ich meinen Blick auf den beständigen Streit der Elemente, und ich konnte diesen glücklichen Krieg, der die Welt durch so viele bewunderungswürdige Bewegungen erhält, nicht genug bewundern.

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Allein, alle meine Vernunft, und mein ganzer Verstand, verlohren die Kraft des Nachdenkens, als ich bey Betrachtung der Ebbe und Fluht, in die gröste Erstaunung gerieht. Die ungemessene Weite der Wäßer erschreckten mich. Wenn ich aber dabey betrachtete, daß die aufgebrachtesten Wellen, sich an kleinen Kieselsteinen zerschlugen, und daß sie, da sie solche kaum berühret hatten, sich ohngeachtet aller ihrer Heftigkeit gezwungen sahen, mit Gewalt über einander wiederum zurückzukehren, so rief ich voll Verwunderung und Entzückung aus: Das Meer sieht seinen Lauf gehemmet,
Ob es sich gleich mit Macht dagegen setzt.
Es wälzt den Sand, der seine Ufer stämmet,
Durch solchen Zwang wird nichts verletzt.
Statt seine aufgebrachte Wuht zu stillen,
Muß auch Neptun wider Willen,
Mit Schrecken sich von ihm beleidigt
Es läßer seine kleine Kieselsteine liegen,
Und weil es nicht nach seinem Wunsch kann siegen,

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So zürnt und murrt es stets auch im Zurückegehn.

Als ich endlich lang genug diesen Vorwürfen nachgedacht, kam mir die Luft an, in mich selbst zurückzukehren, um an mir den Bau des menschlichen Körpers zu betrachten, und alle diese Triebfedern aufzusuchen, welche diesem so bewunderungswürdigen Werkzeuge die Bewegung, geben. Ich dachte der geschickten Einrichtung so vieler verschiedenen Theile nach, die alle zum Bau und Erhaltung unsers Körpers so nöhtig sind. So viele Knochen, Nerven, Musculn, Blut und Geister! Ich betrachtete die wunderbare Haushaltung aller dieser Theile, und rief abermal voll Verwunderung aus: Armer Mensch! der du nur diese Dinge durch Hilfe deiner Sinne erkennest, kannst du dich wohl vor den Urheber eines so vortrefflichen Werks ausgeben, du, der du es erst anfängest zu erkennen, nachdem es mittelst deiner Beyhilfe hervorgebracht worden? Und noch dazu ist es nöhtig, dir alle diese Theile, vor deinen Augen zu erklären, um dir einige Kenntnis davon zu geben. Dich hat erst eine Erfahrung von vielen Jahrhunderten unterweisen müßen, auf welche Art du lebest, wie dem Magen verdauet, wie du

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deine Bewegungen einrichtest, und ohngeachtet aller deiner genauesten Untersuchungen, erkennest du doch solches alles nur auf eine sehr unvollkommene Weise.

Nun lenkte ich meine Betrachtung auf den übrigen Theil der Geschöpfe. Ich untersuchte mit Bewunderung die verschiedenen Gestalten der Thiere. Die Schuppen unserer Fische, der Federputz unserer Vögel, die Bedeckungen der übrigen Thiere, und alle diese Dinge, welche, wenn man sie ohne Aufmerksamkeit betrachtet, nichts deutliches dem Verstande darstellen, entdeckten mir ganz deutlich und klar die grösten Wunder der Natur. Denn, man mag dasjenige, was hienieden alles schaffet und regieret, Schicksal, Natur, Ohngefehr, oder noch anders nennen, ist es nicht allezeit eine unumschränkte und allerhöchste Macht? Ist es nicht allemal eine unendliche Weisheit?

Damals blieb ich ganz beschämt wegen der großen Unwissenheit, worinn ich bisher gewesen war, und ich konnte mich nicht genug über die Bosheit der Gottlosen, und über die Blindheit der Unglaubigen verwundern. Denn, ein Mensch muß sich gewiß ganz und gar vergessen, und die Kenntnis aller Dinge verlieren,

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wenn er nicht seinen Schöpfer erkennen sollte.

Wir mögen die Augen hinwenden, wohin wir wollen, so werden wir die Spuren der Gottheit gewahr, und wer auf eine vernünftige Weise die Natur studieret, wird ganz deutliche Kennzeichen derjenigen Macht darinnen antreffen, von welcher sie abhängt.

Allein, wir haben gewisse niederträchtige Seelen, welche allezeit geneigt sind, andern nachzuahmen, und die, ohne jemals mit sich selbst eine Untersuchung angestellt, oder über diese Dinge nachgedacht zu haben, der Gottlosigkeit nachhängen, aus keinem andern Bewegungsgrunde, als sich für Anhänger eines berühmten Freygeistes zu erklären.

Es giebt sogar eine Art Leute, welche durch die Gewalt einer ausschweifenden Seele, im geringsten nicht von ihrem Schöpfer abhängen wollen, und die sich dabey einbilden, daß der Gehorsam, welchen sie dieser unendlichen Majestät zu leisten hätten, der Freyheit ihrer Meynungen einen empfindlichen Stoß beybrächte.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß man die ehrlichsten und rechtschaffensten, auch die allergelehrtesten, in eine Art der

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Unglaubigkeit oder Ungewißheit fallen siehet. Diese begnügen sich nicht damit, ein ewiges Wesen, aus der Ordnung der Welt zu entdecken. Ihre Wissensbegierde treibet sie weiter an, zu untersuchen, was dieses doch wohl seyn könnte, und nachdem ihr Verstand über dessen unendliche Eigenschaften, die kein menschlicher Verstand begreifen kann, in Verwunderung gerahten, so bleiben sie oft wider ihren Willen unglaubig, und können die Gedanken ihres Geistes, mit den Empfindungen ihres Gewissens niemals vereinigen.

Gleichwie man nun die Thoren verlachen, und an den Lasterhaften einen Abscheu haben muß, so glaube ich doch, daß man Mitleiden mit denen letzteren haben, und sie blos deswegen beklagen müße, weil sie so elend sind.

Einige thun sich recht Gewalt an, sich von Dingen zu überzeugen, die sie doch nicht begreifen können. Andere tasten den Himmel aus einer erschrecklichen Bosheit an, und lästern einen Gott, von dessen Macht sie überzeuget sind. Sie sind daher in einer beständigen Verwirrung und Verzweifelung, und nachdem sie lange genug durch Raserey und Gottlosigkeit hin und her getrieben worden, finden

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sie sich durch ihre Gewissensbisse verwundet, absonderlich wenn die Nacht eintritt, und die Gesellschaft, welche sie des Tages ermunterte, sie nunmehro dem Schrecken der Einsamkeit übergiebt. Es ist alsdann keine widrige Leidenschaft, deren Wirkungen sie nicht erfahren sollten. Die Furcht, die Verwirrung, die Unruhe und die Wuht foltern sie wechselsweise. Es würde für ihre Ruhe weit vortheilhafter seyn, nie in sich selbst zurück zu kehren, als einen Augenblick ihr Gewissen anzuhören. Denn nichts ist mit der Qwaal des Gottlosen zu vergleichen.
Wenn er ein Gotteslästrer wird,
So will er bald betrübt darüber scheinen.
Sein Geist, der immer sich verirrt,
Erboßt sich, daß der Leib mit ihm sich
muß vereinen.
Er flieht den Tag und auch die Nacht,
Fürcht, haßt, wer sich nur an ihn macht.
Verwirrung, Ungedult bemeistern seine Sinnen,
Die Wahrheit, die ihm nützt, aus Bosheit zu verdrehn.
Doch sein Gewissen bleibet stehn,
Für dessen Richterstuhl, er nicht weiß
zu entrinnen.
Obschon die Unglaubigen nicht so lasterhaft sind, so sind sie doch nichtsdesto-

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weniger elende Leute. Sie forschen einer Sache mit Mühe nach, die nicht entdecken können, und Unterlaß die Natur an, daß sie nur in Ansehung der Menschen grausam sey.

Daher sind diese Klagen, jenes grossen Mannes entstanden, der den Vortheil der Thiere beneidete, weil sie in einer beqwemen Unwissenheit aller Dinge dahin lebten, ohne sich über die Untersuchung einer einigen Wahrheit zu beunruhigen. Daher kommt noch der Unwillen dieser Leute, welche nicht ohne Neid an diejenigen aus andern Ländern gedenken, noch ein einziges Thier in seiner süssen Ruhe erblicken können, ohne die Zufriedenheit, welche ihnen die Natur schenket, mit neidischen Augen anzusehen.

Es ist demnach außer Streit, daß der Glaube an einen Gott, der einzige Grund unseres Vergnügens sey, und daß die Uiberzeugung, welche man von seinem Daseyn hat, niemals einen Menschen ohne Zufriedenheit im Glücke, und niemals ohne Trost im Unglücke läßt.

Ein rechtschaffener Mann, schmecket nicht nur bey dem Genusse des Guten, das er empfängt, alles Vergnügen, sondern er findet auch noch daran seine Er-

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götzung, sich dankbar gegen seinen Wohlthäter zu erzeigen, und jede Betrachtung, die er darüber anstellet, wird ihm die Gelegenheit zu einem neuen Vergnügen.

Zu Gott muß man also in denen Betrübnissen seine Zuflucht nehmen. Denn es ist keine so große Bitterkeit hienieden anzutreffen, die sich nicht durch eine vollkommene Ergebung in die Hände der Vorsicht versüßen ließe.

Ein jeder urtheile demnach, wie nöthig uns die Religion sey. Wie viel nns daran gelegen, einen Gott zu erkennen, und uns, sowol in Ansehung unserer Schuldigkeit, als in Betracht unserer Ruhe, seinem Willen gänzlich zu unterwerfen.

Topic revision: r10 - 27 Sep 2011, PetraZinngieser
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