Stefan Schönwisner an Karl Gottlieb Windisch

[Ofen], 24. März 1783

Der Verfasser versucht unter Beweis zu stellen, daß es in Ungarn zur Zeit Königs Andreas Siegel aus Erz gegeben hatte. Er bittet Windisch, das schlechte Deutsch zu verbessern und den Beitrag ins Ungrische Magazin aufzunehmen.

Wohl Edel Gebohrner
Hochgelehrter Herr!
Ihr gütiges Schreiben nebst dem Geschänk Ihres gelehrten Werckes habe den 20sten dieses Monaths erhalten. Tausend Dank dafür! Und weil Sie mit meiner vorigen Arbeit zufrieden waren, so übersende ich Ihnen abermahl etwas weniges, was zu Ihrem Vorhaben dienen kann. Aber mit Bitte, daß Sie wiederum meine Fehler in der deutschen Schreibart verbessern.
Sehen Sie hier beygefügte Copie von dem Original, welches einer von Ihren Correspondenten in dem lezten Band Ihres Magazins auf der 127sten Seite beschrieben hat. Das Stück verdient gewiß in Kupfer gestochen zu werden. Und Sie werden es hoffentlich dazu befördern. Nun allso wage ich auch meine Anmerkungen darüber zu machen.
Ich halte dieses Stück für ein Sigill, das man bulla arca nennen kann. Die Form desselben, und der oben durchgeborte Köpf beweiset, daß es von einem Diplome, oder von einer andern öffentlichen Urkunde herabhing. Die Umschrift läßt nicht zweifflen, daß es unter der Regierung einer aus den drey Ungrischen Königen, welche aus den Arpadischen Stamm den Nahmen Andreas führten, im Gebrauch waren. Wie, aber? sagen Sie, ein Königliches Sigill von Erz im Ungarn? Ist es denn nicht wohlbekannt, daß die Sigilln unserer Könige zu jederzeit entweder auf dem Wachs, oder auf dem Gold geprägt wurden? Ja dieses ist jederman bekannt: aber wer ist im Stande zu beweisen, daß ausser Diesen zween materien keinen unserer ersten Könige erlaubt gewesen, sich manchesmahl auch einer Dritten zu Ihren Sigilln zu bedienen? Denn wo stehet ein solches Gesez geschrieben? Vielleicht in der Völkerschrift? gewiß nicht: man weiß, daß auch Sigilln vom Blei, und vom Silber, und zwar von jenem sehr oft, von diesem aber dan und wan im Gebrauch waren. Ja man ist auch schon überzeügt, daß die Herren le Moine, und Batteney unrecht haben, wenn Sie in Ihrer praktischen Anweisung zur Diplomatik behaupten wollen, daß Gold, Silber, Blei und Wachs von verschiedenen Farben die einzigen Materien der glaubwürdigen alten Sigillen gewesen sind.
(a) Die Sigilln der alten Könige von Dänemark waren von Erz, (b) und dennoch glaubwürdig. Wollen Sie noch andere Beyspiele besonders von alten Sigilen haben? so wird Ihnen eines der berühmte Heinecius in seinem Wercke de Sigill. p. 114. aus dem Cabinete des Königs von Dännemark von einem griechischen Fürsten Alexander aufweisen. Ein anderes aber von eben diesem Metalle werden Sie in dem Tagebuch Wälschlands beschrieben finden, welches Alesiae, einer Markgräffin von Montferrat eigen war. Ja Sie dürfen nicht einmahl diese fremde Büchern durchblättern. Einer von unsern gelehrten Patrioten selbst, der bekannte Mathias Bel kann Ihnen auf einmal diesen Ihren Zweifel auflösen. Schlagen Sie in seinem Buche welches Hungariae antiquae et novae Prodromus heißt, schlagen Sie nach und Sie werden auf der 66ten Seite finden, daß dieser große Mann schon vorher ein Ungrisches Sigill von Erz (: bullam aream:) entdeckt hatte. Und nun haben wir allso schon zwey alte Sigillen von Erz, welche mit dem Bildnis und dem Nahmen Andreas prangen. Aber welch ein grosser unterschied läßt sich an denenselben bemercken! Jenes beym Bel ist ganz rundförmig, und hat die Umschrift: + ANDREAS DEI GRACIA UNGARIORUM[!] REX. In der Mitte ist die Figur eines sitzenden Königs, welcher mit der rechten Hand einen Zepter, mit der linken aber die Welt-Kugel hält, und mit einer sonderbaren Krone gekrönt ist. Auf dem unsrigen aber raget das Haupt des stehenden Königs, und beyde Arme über die Ründung hinaus. Die Inschrift heißt hier: ANDREAE REGIS FLORESCAT CULMEN HONORIS. Ich sage: florescat culmen, und nicht so, wie Ihr Herr Correspondent gelesen hat floret munimen: weil die bey dem verletzten Zwischen=Raum abgebrochenen Wörter FLORESC...LMEN genügsam beweisen, daß die erstere Ergänzung dem lezteren vorzuziehen sey. Die Waffen, welche hier der stehende König in den Händen, und an seiner Seite hat, ja die Kleidung selbst ersetzen das, was in der Umschrift fehlet, nemlich daß hier kein anderer Andreas, als der König von Ungarn zu verstehen sey. Nur aus der so großen Verschiedenheit dieser zween Sigillen erhellet von selbsten, daß solche auch von verschiedenen Zeit=Altern, folglich von zwey verschiedenen Königen, welche unter dem Namen Andreas im Ungarn regierten, seyn müßten. Es entstehet also die Frage, welches Sigill von diesen zweyen älter sey? Unseres, oder das Belische? Belius zwar hielte von demjenigen, daß es Andreä dem zweiten zugehöret. Aber seine Muthmassung hat einen falschen Grund, weil er glaubte daß dieser Ausdruck (Ungariorum Rex) nur unter der Regierung dieses Königs üblich war (d.) da es doch gewiß ist, daß Andreas der zweyte auf allen seinen Diplomen nicht Ungariorum, sondern Ungariae Rex geschrieben wird. Ja man weiß, daß dieses nur unsern ersten Königen, welche im XIten Jahr regierten gebräuchlich war, sich Ungrorum, Ungariorum, Ungarorum Rex zu schreiben. Daher man auch bey dem Lambertus Schaffnaburgensis, einem gleichzeitigen Chroniker diese Worte vom Andreas dem ersten ausdrücklich lieset: Andreas rex Ungariorum videns Belam quemdam propinquum suum regnum assentare, et Ungarios etc.
(e) Kurz: ich bin versichert, daß das Belische Sigil würklich von Andreas dem ersten sey, nicht nur wegen der Umschrift, sondern auch wegen der Form des Sigils, und wegen der geprägten Figur des Königs, wo alles den geschmack des XIten Jahrhunderts verräthet. Dieses runde Kupferblatt mußte rückwärts ein Häcklein gehabt haben, womit es an das Diplom bevestiget war, weil es oben nicht so wie das unsere gestaltet und durchlöchert ist. Ein Zeichen, daß es würklich von Andreas dem Ersten sein Daseyn hat, unterdessen Regierung herabhängende Sigilln noch nicht im Gebrauch waren. Die Gestalt der Könige ist allhier von eben dieser Art, welche man auf dem Haupt des ungrischen König Salomon, dem Andreä des ersten einziger Sohn war, auf seinen silbernen denariis erblicket. Nur Schade, daß Belius dieses ware Stück nicht völlig nach dem Original hat abzeichnen lassen, sondern dem Mahler, oder dem Kupferstecher erlaubt hat, sowohl die Buchstaben auf der Umschrift, als auch die Züge auf dem Bildnisse zu verbessern, damit es angenehmer in die Augen fällt. Wo dieses Sigill izt aufbehalten wird, ist mir unbekannt. Belius meldet, er habe es von P. Stephanus Paulus Munkátsy gehabt. Wer es immer noch besizt, so kann er dem gelehrten Publicum einen grossen Gefallen erweisen, wan Er solches vollkommen so, wie es an sich ist, ohne allen Verzierung abzeichnen und im Kupfer stechen läßt. Es kann ihm unser Kupferblatt zu Muster dienen, auf dem wir den König Andreas den zweiten so roh und so einfältig abgezeichnet vorstellen, wie er würklich auf seinem ehernen Sigill gepräget ist. Ich sage, Andreas den zweiten, lieber als den Dritten, weil es von jenem ohnehin bekannt ist, daß er zum Gebrauche seiner Sigillen nicht nur das Wachs, sondern auch das Metal anzuwenden pflegte. Man weiß, daß er die Bestättigung der ungrischen Freyheit in sieben Exemplarien verfertigen, und ein jedes mit einem goldenen Sigil bekreftigen ließ. (f) So ist es wahrscheinlich, daß es eben dieser König sey, welcher ausser dem Wachs und Gold als gewöhnliche Materien seine Sigillen, sich gefallen ließ, dazu auch das Erz gut gebrauchen. Vielleicht ist das damahls geschehen, als er von seinem Kreüz=Zuge zurückkam, und, seine Schatzkammer und Finanzen in der größten Verwirrung, ja völlig ausgeschöpfet fand, wie er sich selbst in seinem Schreiben an den Pabst Honorius beklaget. (g) Gewiß, das Bildnis des Königs auf diesem unseren Sigil reimt sich nicht übel mit dieser meiner Muthmassung. Denn er stehet da, ohne Zepter und ohne der gewöhnlichen Welt-Kugel, nur mit einer Streit-Axt, und mit einem Kreüz, welches einem Hammern gleichet, in seinen Händen; und auf seiner Seite mit seinem sehet man hier einen Dolch in der Scheide, und dort einen Schild aufrecht stehend. Er selbst geharnischt, und mit keinem anderen Königlichen Zeichen, als nur mit einer ofenen Kron auf dem Haupte, und mit einer kurzen paludament über das andere Kleid gezieret. Mit einem Worte: Das ganze Bildnis stellet uns die Person des Königs Andreas, wie er sich den Zunahmen Hierosolimitanus auf seinem Kreüz-Zuge in Palaestina erworben hat. Aber die Umschrift – diese ist sonderbar: ANDREAE REGIS FLORESCAT CULMEN HONORIS. (h) Ehr und Ruhm dem König Andreas auf seinem Thron. Aber! werden sie einwenden, wie schicket sich eine Umschrift, die das Zurufen des Volckes enthält, auf einem Sigil? Und ich frage Sie: wie schicket sich auf einer gemeinen Münze, die wir doch ächt und unverfälscht von dem Gottischen König Baduela haben, diese Zuschrift: FLOREAS SEMPER? (i) oder wie schicket sich auf einigen andern alten Sigilen, deren sich die alten fränkischen Kayser bedienten, diese andere Aufschrift. XRE PROTEGE KAROLUM IMPERATOREM? (k) oder jene: ROMA CAPUT MUNDI REGIT ORBIS FRENA ROTUNDI auf der Rückseite der goldenen Bulle, Kaysers Friedrichs des zweiten vom Jahr 1225? (l) Das ist von jener Zeit, als Andreas der zweyte in Ungarn regierte? So war nemlich der Geschmack jenes Zeitalters beschaffen; was wollen Sie mehrers haben. Meines Erachtens ists eben diese Umschrift, ist es, welche dieses unseres Sigil ausser allen Verdacht einer Neüigkeit, oder des Betrugs sezen muß. Diese Form der Buchstaben, dieser Stil des Ausdruckes ist würklich jenem Zeitalter gemäß und eigen. * Sagen Sie mir nichts davon, man habe bis jezt einmahl was gehört oder gelesen, daß nur einmahl ein Sigil vom Erz unter unseren Königen wäre gebraucht worden. Diese Einwendung hat keine Kraft. Nein! wie lang hat man geglaubt, unser erster König der heilige Stephan habe keine Münzen vom Silber prägen lassen; ja keiner der ersten Könige bis auf den König Bela I. Diese Meinung als die glaubwürdigste, ist so gar in das Vatterländische Corpus Juris einverleibt. Nun aber, wer ist jezt ein so grosser Idiot, welcher nicht wissen soll, daß man sich bisher betrogen hat, weil man schon von allen diesen Königen wahre ächte silberne Münzen entdeckt hatte. Und wie viel wird uns noch die Zeit, und die Aufmerksamkeit entdecken, was noch verborgen ist – – wo dieses Zeichen * ist, sezen Sie noch das folgende hinzu. Kurz: ich bin überzeügt, daß dieses Stück ein wahres Sigill des Königs Andreas des zweiten gewesen; ein einfaches Sigil, weil es nur auf einer Seite geprägt ist, und das ist unter andern auch, warum ich dieses Sigil neben diesem Könige lieber, als dem dritten dieses Nahmens zueigne. Weil meine Muthmassung ist, daß unter Andreas dem dritten ein solches Sigil schon auch auf der anderen Seite ein Gepräge haben müßte. Weil die doppelte, das ist auf beiden Seiten gezeichnete Sigeln unter Andreas dem zweiten zu End seiner Regierung anfingen, und unter Andreas dem dritten so gewöhnlich waren, daß man einfaches nicht so bald findet. Unterdessen lasse ich dieses Feld einem anderen bearbeiten, weil ich für diesesmahl einen anderen Stof zum Gegenstand habe. Genug: ich habe die Gründe angeführt, welche mir hinlänglich vorkommen, das, was ich voraus gesezt habe von einem ehernen Sigil des Königs Andreas des zweyten, glaubwürdig zu machen.
(a) [Streichung] Le Moine pract. Anweisung. p. 53.
(b) Neues Lehrgebäude der Diplomatik. 5. Th. 436. Seiten.
(c) Tom. III. Septembr. 1750. p. 518.
(d) Belius de antiq. Ung. Prodrom. p. 66.
(e) Lambert Schaffnab. ad an. 1061.
(f) Corp. Jur. Hung. P. II. pag. 155. seqq.
(g) Siehe Pray Annal. Reg. Ung. T. I. p. 214.
(h) Damit das AE auf dieser Umschrift keinem Anstößig vorkomme, so versichere ich einem jeden, daß dieser Doppellaut auch auf der Casula unseres ersten Königs zu finden sey.
(i) Vid. Bandur. Num. Mapp. T. II .p.
(k) DuCange Dissert. de Num. infar. divi. 28.
(l) Le Moine Practische Anweisung zur Diplomatik p. 64.

Ofen, den 24. März 1783

St[ephanus] Sch[önwisner]
Topic revision: r1 - 21 Mar 2011, AndreaSeidler
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