Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Die Begebenheit Bozaldabs, Kalifen von Aegypten

Bozaldab, Kalif von Aegypten, hatte viele Jahre, unter den blendenden Pavillons des Vergnügens, einer ungestörten und vollkommenen Ruhe genossen, und mit jedem anbrechenden Morgen sein Haupt mit Oele der Freuden gesalbet, als sein einziger Sohn Aboram, für den er sein Gold, und seine Schätze aufgethürmet, die Gränzen seiner Herrschaft durch Eroberungen erweitert, und dieselben mit unüberwindlichen Festungen

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sicher gestellet hatte, durch den Pfeil einer verborgenen Hand, auf der Jagd plötzlich verwundet wurde, und seinen Geist aufgeben mußte.

Bozaldab für Schmerzen, und Verzweifelung außer sich, verließ seinen Palast, und verbarg sich in den finstern Grotten des benachbarten Gebirges. Dort wälzte er sich im Staube, riß sich die Haare aus dem Barte, und warf den Kelch des Trostes, den ihm die Gedult darboht, mit dem äußersten Ungestüme zu Boden. Sänger und Saitenspieler waren von seinem Antlitze verbannet; sein aufmerksames Ohr horchte allein auf das düstere Geschrey melancholischer Eulen, und anderer mitternächtiger Vögel, die in den einsiedlerischen Gewölben, und widerhallenden Kammern der Pyramiden herumjlattern. —"Kann der Gott, riefer aus, gnädig seyn, der gleichsam aus einem verborgenen Hinterhalte, die Seele mit unerwarteten Kummer auf das schmerzlichste verwundet, und, der sein Geschöpf in einem Augenblicke in unheilbares Elend hinabstürzt? Betrügerische Imans, bethöret uns nicht mehr, mit dem eitelen Geschwätze von der Gerechtigkeit, und Barmherzigkeit, einer alles lenkenden, und alles liebenden Vorse-

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hung! — Derjenige, von dem ihr vorgebt, daß er im Himmel regiere, ist so weit entfernt die mitleidenswürdigen Menschen zu beschützen, daß er vielmehr sein beständiges Vergnügen findet, in dem Garten der Hofnuug, die lieblichsten Blumen, wenn sie izt anfangen, aus ihren sich entwickelnden, und auf brechenden Knospen balsamische Gerüche zu duften, zu versengen; und gleich einem mörderischen Riesen, die festgebautesten Thürme der Glückseligkeit, mit dem eisernen Hammer seines Zorns zu Boden zu schlagen. Wann dieses Weisen diejenige Güte, und Macht besäße, womit es schmeichelnde Lehrer ausgeschmücket haben, so würde es ohne Zweifel, willig und bemüht seyn, diejenigen Uibel zu entfernen, welche die Welt zu einem Thale der Eitelkeit, und des Wehklagens machen. — Ich würde thöricht handeln, wann ich noch länger in derselben verweilte!"

In diesem Augenblicke hob er seine Hand, welche die Verzweiflung mit einem Dolche bewaffnet hatte, auf, und wollte seine Brust durchbohren, als die Höhle plötzlich von einem hellglänzenden Schimmer erleuchtet wurde, und sich ein Wesen, von mehr als menschlicher Schön-

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heit und Gestalt, mit einem azurnen Gewande bekleidet, das Haupt mit einer aus Amaranthen geflochtenen Krone bedecket, und einen Palmzweig in seiner Rechten haltend, den düsteren Augen des Bozaldabs darstellte, den tödtlich ausgestreckten Arm, des zitternden,und erstaunten Kalifens zurückhielt, und ihn mit einem majestätischen Lächeln also anredete: "Folge mir auf die Spitze dieses Gebirges! Ich bin Kalek der Engel des Friedens, siehe hinunter in jenes Thal!" —

Bozaldab öffnete seine Augen, und sah eine unfruchtbare, mit einem dicken Nebel bedeckte Insel, und in der Mitte derselben, eine blasse, ausgedörrte, und einem Gespenste ähnliche Figur. Es war ein Kaufmann der auf dem Punkte stund, für Hunger seinen Geist aufzugeben. Er beweinte sein Schicksal, daß er in dieser verlassenen, und unwihrtbaren Einöde, weder eine Hand voll Beeren, noch einen Trunk Wasser antreffen konnte. Winselnd flehte er um den Schutz des Himmels wider die Tyger und Leoparden, die ihm den nahen Tod droheten, da er das letzte Bündel Holz das er gesammelt, selbige durch ein nächtliches Feuer zu verscheuchen, bereits verbrannt hatte. Er

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warf ein Kästgen mit Juwelen, das lhm noch übrig war, als eine unnütze Kleinigkeit auf den Sand hin; schwach, und bebend schleppte er sich auf eine Anhöhe, wo er gewohnt war, alle Abende seinen Sitz zu nehmen, und bis zur untergehen den Sonne Wache zu halten, damit er jedem Schiffe, das sich dieser Insel von ungefähr nähern möchte, ein Losungszeichen geben könnte.

"Bewohner des Himmels, rief Bozaldab, laß diesen Unglückseligen nicht zum Raube der wilden Thiere werden! -Sey ruhig sagte der Engel, und merke auf!"

Er erhub seine Augen aufs neue, und sah ein Schiff auf der öden Insel anlanden. — Was für Worte können die Entzückung des von Hunger ausgezehrten Kaufmannes ausdrücken, als er von dem Schiffshauptmanne vernahm, daß er ihn für den halben Theil seiner Juwelen in sem Vaterland zurückführen wollte! Allem, dieser unmenschliche Befehlshaber hatte nicht sobald die bedungene Summe erhalten, als er sich mit seinem raubbegiergen Gefolge berahtschlagte, und mit ihnen den Entschluß faßte, sich der noch übrigen Juwelen des Kaufmannes zu bemächtigen,und diesen unglücklichen Ein-

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siedler in eben dem hilflosen, und erbärmlichen Zustande zu verlassen, in welchem sie ihn gefunden hatten. Er weinte, zitterte, baht, flehte, winselte; aber alles vergebens.

„Sollte der Himmel wohl eine solche niederträchtige Ungerechtigkeit zugeben? rief Bozaldab aus. — Hebe deine Augen vom neuen auf, sprach der Engel, und betrachte das Schiff, in welchem du Kurzsichtiger, den Kaufmann zusehen gewünschet; siehe, wie es wider einen Felsen, in Stücken zerscheitert! Hörst du nicht das ängstliche Geschrey versinkenden Bootsleute? Mache dem Beherrscher des Weltgebäudes in Anordnung der Schicksale keine Vorschriften! — Der Kaufmann, der dein Mitleiden erreget hat, soll aus dieser erschrecklichen Einöde gerettet werden, allein nicht auf diejenige Art, welche du dir einbildest. Sein herrschendes Laster war der Geitz, wodurch er sich nicht nur den jedermann verhaßt, sondern auch selbst für seine Person unglücklich machte. Seine Reichthümer hatten ihn dermassen bezaubert, daß er glaubte, sie könnten jeden aus närrischer Brust aufsteigenden Wunsch befriedigen, und jeden aufstossenden Schrecken verscheuchen.

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Diese Reichthümer hat er nicht nur itzt verachten, sondern auch verabscheuen gelernt. Er warf seine Juwelen mit dem Geständnisse, daß sie unnütz wären, auf den Sand. Er boht einen Theil derselben den Schiffern an, und mußte erfahren, wie gefährlich sie ihm wurden. Nun hat er wirklich gelernt, daß solche nützlich, oder gefährlich, gut, oder böse, gemacht werden können, nach der Verfassung oder Neigung desjenigen, der sie besitzet. — Glücklich ist der, welcher in der Schule des Unglücks die Weisheit erlernt! — Allein, wende nun dei Augen auf eine andere, ungleich wichtigere Scene!“

In dem Augenblicke ward der Kalife eines sehr prächtigen Palastes gewahr, der mit den Bildsäulen seiner Ahnen ausgezieret war. Die eisenbeinernen Thors desselben, drehten sich in Angeln von golkondischem Golde. Sie öfneten dem Auge einen Trohn, den die Fürsten von funfzig Nationen, und Gesandten von unterschiedenen Sitten und Gebräuchen umringten. Auf diesem Trohne saß Aboram, der so schmerzlich beweinte Sohn des Bozaldabs, und an seiner Seite eine Prinzeßinn, die alle Houris an Schönheit, und Majestät übertraf!

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„Gnädiger Gott, ist dieses mein Sohn, rief der Kalife aus ! o, laß mich denselben an mein Herz drücken! — Du kannst kein geistiges Wesen umarmen erwiederte der Engel. Itzt will ich dir zeigen, welches das Loos deines Sohnes gewesen seyn würde, wenn er länger auf der Erde geblieben wäre. — Und warum fragte Bozaldab, warum war es ihm denn nicht vergönnet, länger auf der Erde zu bleiben ? Warum war es mir verbohten, einen Zeugen einer so großen Glückseligkeit, und Macht abzugeben? — Merke auf die Folgen, erwiederte der Engel! "

Bozaldab heftete die Augen auf dieses neue Gesicht, und sah, wie das Antlitz seines Sohnes, auf welchem er ehedem gewohnt war, das sanfte Lächeln der Unschuld, und die frische Farbe der Gesundheit blühen zu sehen, itzt von den Zügen der Wuht verzehret; und wie seine ehedem majestätisch holden Blicke, durch betäubende Trunkenheit fühllos, und starr waren; wie er bald von tyrannischem Stolze glühte, bald wieder für Furcht blaß, und bald von der Unmäßigkeit matt, und entkräftet zu seyn schien; bald lebte er für Furcht, und bald raste er für Wuht. Der Palast, welcher vorher

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er mit orientalischem Pompe geglänzet, verwandelte sich plötzlich in den engen Raum eines finstern Kerkers, wo Aboram an Händen und Füßen gefesselt, mit geknebeltem Munde, und ausgestochenen Augen auf dem Boden lag. Bald darauf erschien die Favoritsultaninn, die ihm kurz vorher zur Rechten gesessen, nöhtigte ihn einen Giftbecher auszutrinken, und vermählte sich sodann mit dem Trohnfolger.

„Glückselig ist derjenige, sprach Kalek den die Vorsehung durch den Engel des Todes dem Laster entrissen, und dadurch der Gewalt Schranken gesetzet hat, wodurch derjenige, der sie im Besitze gehabt hätte, sich selbst weit größeres Elend und Jammer auf den Hals gezogen haben würde, als er jemals über andere hätte bringen können!,, —

„Es ist genug, schrie Bozaldab, — „Ich verehre tief im Staube gebückt, die unerforschlichen Wege der Allwisseheit! — Von was für erschrecklichen Uibeln ist mein Sohn errettet worden! durch einen Tod, den ich unbesonnener Weise, als zu unglücklich, und zu frühzeitig beweinet habe! Ein Tod voll Unschuld, und Friede, wodurch er auf Erden in ewigem Segen bleibet, und

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unsterblichen Geiste die Freuden Himmels verschaft hat!,, —

,,Wirf den Dolch weg sagte der himmlische Jüngling, den du bereit warst, in deine eigene Brust zu stossen; verwandle deine Klagen in Stillschweigen, und deine Zweifel in Anbehtung!— Kann ein Sterblicher ohne Schwindel, und Erstaunen, in die gränzenlosen Tiefen der ewigen Weisheit hinabschaun? Kann ein Geist, der nicht ins Unendliche siehet, dasjenige vollkommen begreifen, das mit unendlich andern Dingen verwebt ist, und wo eins sich nohtwendig auf das andere beziehet? Können die Kanäle, die du hast anlegen lassen, die austretenden Wässer des Nilstroms zu empfangen, die Wäßer des grosten Weltmeeres in sich fassen? Bedenke, daß keiner Kreatur eine vollkommene Glückseligkeit kann zugetheilet werden; denn, vollkommene Glückseligkeit ist eine Eigenschaft, die Geschöpfen so wenig, als die allerhöchste Gewalt, und ewiges Daseyn kann mitgetheilet werden. „

Bey diesen Worten breitete der Engel seine Flügel aus, in die empiräischen Gegenden zurückzukehren; und das Rauschen seiner Flügel, war wie das Geräusch eines Wasserfalles.

Topic revision: r20 - 28 Nov 2011, PetraZinngieser
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