Der Vernünftige Zeitvertreiber
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Hassan, König von Golkonda, entschloß sich, als er schon hundert Jahre alt war, sich des Regiments zu begeben, und seiner ruhmvollen Herrschaft ein Ende zu machen. Von drey Gemahlinnen, welche noch lebten, hatte er drey Söhne. Jede derselben wünschte den ihrigen auf dem Trohne zu sehen, so, daß der König, der beydes ein guter Gemahl, und Vater war, in der empfindlichsten Ungewißheit schwebte. Wozu soll ich mich entschließen? sagte er bey sich selbst. Die Gesetze erklären sich für den ältesten, meine liebste Sultaninn ist für den zweyten eingenommen, und ich selbst hin dem jüngsten geneigt. — O allzuliebenswürdige Sultaninn! ich habe die Wirkung deiner süßen, deiner anlockenden Blicke gefühlet! Schwache Natur, die du meiner Liebe nachgiebst! Doch, keine von euch beyden, soll über die Gesetze siegen! Auf dem Trohne will ich sterben, damit nach meinem Tode, die besetze den Streit entscheiden! — Doch,
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die Gesetze werden ihn nicht aufheben. Ein grausamer Krieg wird unter meinen Kindern entstehen, mein Volk wird das Schlachtopfer ihres Ehrgeitzes werden; und meinem Volke bin ich alles schuldig! O schöne Sultaninn! dich, mich, und alles, was mir lieb ist, muß ich dem Beßten meiner Unterthanen aufopfern. Ich will ihnen die Freyheit lassen, sich selbst einen Beherrscher auszuwählen! —
Nach diesen Betrachtungen versammelte er die Grossen seines Reichs, und redete also zu ihnen: Ich stehe mit einem Fusse auf dem Trohne, und mit dem andern im Grabe. Jedoch, wenn es möglich wäre, so wollte ich nicht mit der Krone auf dem Haupte, in den Abgrund der Ewigkeit steigen. Ihre Last drückt mich zu Boden; ich gebe sie euch zurücke erwählet euch selbst einen Herrn. —
Bey diesen Worten zeigte sich in allen Blicken eine tiefe Betrübniß. Alles rief einstimmig: Lange lebe der König, unser Vater, und Freund! Bekümmert euch nicht so sehr, sagte der König. Ihr könnet nichts leiden, worüber ich nicht einen Schmerz fühle, der meine Tage verkürzen kann. Hier verdoppelten sie ihr Geschrey, und der bejahrte Monarch selbst, konnte sich der Trähnen nicht ent-
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halten. Denket nicht mehr, fieng er wieder an, an das, was ihr verlieren werdet, sondern betrachtet, was euch noch übrig gelassen ist. Die Prinzen, meine Söhne, haben alle Eigenschaften an sich, welche die Menschen groß machen. Rufet den Namen desjenigen aus, den ihr für den Würdigsten achtet, den von mir verlassenen Trohn zu besteigen!
Ein tiefes Stillschweigen folgte auf ihre Seufzer und Klagen. Die ganze Versammlung warf ihre Augen auf den Trohn, und sah die drey Prinzen auf den Stuffen desselben. Sie bewunderten einen jeden von ihnen, aber, sie konnten ihre Wahl nicht bestimmen. Hierauf trat der erste Vizier dem Trohne näher, und sprach: Höre o Herr! mit deiner gewohnten Gnade den Raht deines Knechtes. Laß jeden deiner Söhne nur drey Tage über dein Volk herrschen, und dann wollen wir, weil du es so befiehlst, den Ausspruch thun. Unsere Wahl wird sich alsdann auf unser Urtheil gründen, denn im Glücke und beym Wein erkennet man die Menschen. Derjenige ist wahrhaftig weise, der beydes nicht verschlimmert! —
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Dieser Raht des Viziers ward gebilliget, und zernichtete die listigen Eingebungen der Weiber, welche dadurch alle ihre Bitten hintertrieben, und ihre Entwürfe vereitelt sahen. — Der älteste Prinz zog den Purpur an, und nahm den Zepter in seine Hand. Seine Mutter rieht ihm, freundlich, und freygebig zu seyn, die Gestalt des Regiments nicht zu ändern, und den Missethätern zu verzeihen. Dadurch sagte sie, wirst du das ganze Reich, den Adel, und das Volk auf deiner Seite haben.— Ein Unterricht, der sich auf diese Grundsätze stützte, schien einen glücklichen Ausgang zu versprechen. Der Prinz befolgte ihn genau, sein Verhalten aber schien zu bedächtlich, und zu gezwungen, und erzeugte Mistrauen.
Als die drey Tage seiner Regierung zu Ende waren, bestieg der zweyte Prinz den Trohn. Seine Mutter gab ihm eine völlig entgegen gesetzte Anweisung. Setze, sagte sie, die Viziere ab, verbanne die Lehrer der Gesetze, erhebe ehrsüchtige Leute zu den höchsten Würden, die, um sich in ihren Posten zu erhatten, dir ihre Stimmen zur Wahl geben werden. Bist du also auf dem Trohne befestiget, so rufe die Viziers, und die Lehrer der Ge-
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setze wieder zurück. Die Reichthümer, welche dir deine ehrgeizigen Minister sammeln, werden dir dienen, ihre Treue wieder zu gewinnen, und ihren Eifer vom neuen zu beseelen.— Diese Vorschrift ward beobachtet, aber das Volk besorgte das ärgste von einem Prinzen, der auf die Krone Anspruch machte, und sich doch so wenig Mühe gab, sie zu verdienen.
Nach ihm übernahm des Königs dritter Sohn die oberste Gewalt. Er verlangte keinen Raht von seiner Mutter. Denn, sprach er, ob ich gleich die tiefste Ehrfurcht für meine Mutter hege, und versichert bin, daß sie mir keinen andern Raht ertheilen würde, als der sich auf die Vernunft gründete, so wäre er doch aufs höchste nur überflüßig. Die Gesetze sollen meine Rahtgeber seyn, und was darinnen dunkel, und unbestimmt ist, das werden mir unsere weisen Minister, und die Gesetzverständige, die ich alle wieder in ihre Aemter einsetze, auslegen.
Nachdem er den ersten, und die Hälfte des andern Tages damit zugebracht hatte, gute Richter über das Volk, und alte und versuchte Befehlshaber über das Kriegsheer zu bestellen, sandte der
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König sein Vater, einige Lehrer, um ihm öffentlich Fragen vorzulegen, und zu erforschen, ob er die Gesetze, und die Kunst zu regieren verstünde. Aber seine Antworten waren alle so vortrefflich, daß der alte König Freudenträhnen vergoß, und bey sich selbst sagte: Mein dritter Sohn ist der verständigste, und würdigste zum Trohne, ehe ich aber meine Gedanken deswegen eröfne, will ich erst die Besinnungen meiner Unterthanen erforschen.
Er ließ daher alle Einwohner der Stadt versammeln, und sprach: Erwählet einen unter meinen Söhnen, den ihr zu meinem Nachfolger verlanget.
Alles Volk rief aus: Es müssen die Tage des Königs dauern, so lange die Welt währet! Von dem Prinzen, seinen Söhnen, setze der König auf den Trohn, welchen er will. Wir sind bereit, ihm zu huldigen, und wir werden ihm beständig gehorchen. Wenn er uns aber schlechterdings befiehlt, zu sagen, welchen unter ihnen wir für den Würdigsten achten, seine Stelle zu ersetzen, so bekennen wir, daß es der jüngste sey.
Nach dieser Erklärung, gab der König Befehl, Anstalten zur Krönung des jüngsten Prinzen zu machen. Als alles
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dazu fertig war, nahm der gekrönte Greis den Prinzen bey der Hand, und ließ ihn den Trohn besteigen. Nimm mein Sohn, sagte er, eine Würde an, die ich dir freudig abtrete, und trage die Krone, die du so wohl verdienest. Aber gedenke stets daß du dem Herrn der Natur, und deinem Vaterlande für jede Handlung deines Lebens Rechenschaft zu geben, schuldig bist. Ein Monarch ist blos für das Beste seines Volkes geboren. Hüte dich für der Schmeicheley. Sie ist eine Klippe, die den Fürsten gefährlicher ist, als jene, die unter der Oberfläche des Wassers verborgen sind, den Seefahrern. Fürchte nichts, als dem eigenes Gewissen, und strebe nach nichts, als nach der Glückseligkeit deines Reiches. Dann wird dein Trohn fest stehen, gleich den ewigdauernden Bergen, und in den äußersten Ländern des Erdkreises, wird man über deine Tugend frolocken. Könige werden deine Freundschaft suchen, und Weise Unterricht aus deinem Munde schöpfen. Der Kaufmann wird unter deinem Schutze blühen, und der Fremdling unter dem Schatten deiner Gesetze Sicherheit wohnen. Die Herzen der Wittwen, und Waisen werden für Freud-
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den singen, und der Mund der Kinder wird dein Lob stammeln. —
Alsobald rufte ihn das Volk zum Könige aus; die Großen wünschten ihm Glück zur Besteigung des Trohnes, und alles baht den Allmächtigen, seinen Seegen auf seine Herrschaft herabzu-