Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Die Landluft

Da ich mich auf einige Augenblicke dem Geräusche der Stadt entzogen, und auf dem Lande die Luft der verjüngerten Jahrszeit genieße; soll ich mich den Betrachtungen überlassen, so die Gegenstände, die mich umgeben, in meiner Seele erregen? oder soll ich dieselbe der Furcht aufopfern, daß ich keine neuen Züge auf dem Gemälde entwerfen werde, an dem schon so viele große Meister sich mit einem glücklichen Erfolge geübet haben?

Würde ich das Letztere ergreifen, so müßte ich vergessen haben, daß die Schaubühne der Natur keines Malers bedörfe; und daß, wenn sie auch alle Tage von tausend Pinseln geschildert würde, sie allezeit das Vorrecht behalte, zu reizen und zu gefallen.

Uiberlaß dich also meine Seele, überlaß dich der süßen Entzückung und Bezauberung, so die Aussicht dieser hangenden Gebirge, dieser Thäler, dieser

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Gebüsche in alle deine Sinne verbreitet: vertiefe dich immer in angenehmen Träumereyen; laß immer deine Gedanken ohne Zusammenhang und Folge sich in dem verschiedenen Raume der Erschaffung verirren; aber jedem ihrer Schritte, wenn sie auch noch so regellos sind, soll doch die Fackel der sittlichen Wahrheit vorleuchten.

Itzt, da mein Auge dem Laufe dieses rieselnden Bächleins folget, so durch die Ebene sich schlängelt, und, unangesehen der Krümme, die es, um feinen Lauf zu verlängern, nnd sein Daseyn zu vergrößern, und zuverdoppeln scheint, sich gähling nach seinem natürlichen Hange in einen benachbarten Fluß dahin gerissen sieht; so denke ich bey mir: Siehe, so scheichen unsre Tage dahin, und jeder Augenblick, unangesehen aller der Bemühungen, die wir verschwenden, um die allzuschnelle Flucht derselben zu hemmen, reißt einen Theil von uns selbst mit dahin, und schleppet uns wider unsern Willen in den gränzenlosen Ocean der Ewigkeit fort.

Itzt, da mein Auge die Windhunde erblicket, die dahin schießen, ein furchtsames Thier zu verfolgen, verabscheuet meine Seele die hitzigen und ungerechten

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Menschen, jene Feinde der Ruhe des menschlichen Geschlechtes, die in ihren Ausschweifungen kein anders Gesetz erkennen, als die größere Stärke.

Sehe ich in diesem finsteren Gehölze einen Holzhauer, der unter den Aesten, die er abzuhauen gekommen, seufzet, um vor der Hitze der Sonne sich eine Hütte zu bauen; sage ich zu mir selbst: Nein, diese Reiser werden nimmermehr so viele Sorgen und Unruhen decken, als das Getäfel in den Palästen der Könige umgiebt.

Die Heerde, die so gelehrsam auf jedes Zeichen des Hirtenstabes auf der grasigten Haide, welche Thymian und Qwendel durchduften, umherhüpft, ruft mir die glücklichen Tage der Kindheit zurück, wo der Mensch (denn auch Kinder sind Menschen) keine andere Leidenschaft kennt, als den nimmerstillen Muthwillen, und die Sprünge einer unschuldigen Fröhlichkeit.

In der zärtlichen Sorgfalt der Grasmücke für ihre Jungen, die noch kaum die Milchhärgen decken, erkenne ich das allgemeine Gesetz der Natur, so das erste Band der menschlichen Gesellschaft geknüpftet hat. Ich betrachte auch die unendliche Weisheit des ersten Wesens in

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denselben, so zu der Erhaltung der kleinsten Geschöpfe mit solcher Vorsicht wachet. Meine zwischen Verwunderung und Dankbarkeit getheilte Seele verliert sich ganz bey diesem Augenblicke in den rührenden Gedanken, so er in derselben rege machet. Ich winde mich aus dieser Entzückung nicht los, als nur meine Augen auf neue Gegenstände zu heften, die mich bezaubern können. O Natur! welche Verschiedenheit in deinen Werken! Du brauchest weder Winkelmaaß, noch Zirkel; aber wieweit übertrifft deine Unordnung und Unachtsamkeit, die du zu lieben scheinest, die genaueste Symmetrie, oder das Gleichmaaß der eifersüchtigsten Kunst.

Ich steige von der Höhe dieses Hügels, wo ich verschiedene Gegenden entdecke, die den Gesichtskreis umsäumen, durch eine steile und abhängige Wand in das Thal.

Dieser junge Schlag, der mir kaum eine Bahne gönnet, um in seine dunkeln Schatten zu dringen, schützet mich weit kühler vor den kochenden Strahlen der Sonne, als die nach der Schnur gezogenen buschigten Wände unsrer Gärten. Ich trete alle Gattungen der Kräuter und Blumen mit Füßen, die dem Geruche

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schmäucheln. Und hier ist keine Hand, die sie gepflanzet, so wenig, als eine andere aus den entfernten Ufern eines Flusses den glitzernden Sand dahin getragen, auf welchen die brennenden Stralen der Sonne ihre kleinen Bildnisse drücken.

Welche Majestät dieses hochstämmigen Waldes! Es hat noch keine Scheere sich an ihm gekrümmet: man hat auf seinem trockenen Boden, wo diese Bäume wie Kerzen aufwachsen, noch keinen unbesoldeten Taglöhner gesehen, derdenselben mit seinem Schweiße, oder mit seinen Trähnen begossen hätte; ist er aber deßwegen minder schön?

Welcher Pinsel schattirt uns die Verschiedenheit der Farben, die aus den Blumen dieser Wiese lachen? Die Maslieben, die Tag und Nachtveilgen, die Mayenblümgen, die das Grüne wie Schmelzwerke zieren; wären sie nicht einheimische Gewächse, würde man sie nicht aus fremden Ländern nach dem Gewichte des Goldes bezahlen, um sie in die symmetrisch angelegten Gartenbeete zu vertheilen? Aber, seit wann ziehen die Geschenke der Natur ihren Wehrt, und ihre Annehmlichkeiten aus den Grillen eines neugierigen Liebhabers oder aus den an

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den holländischen Blumenhändler verschwendeten Summen?

Welches stufenweise Grüne kleidet und schmücket die Kräter, Pflanzen und Gewächse, die aus dem Schooße der Erde empor steigen? Sterbliche, die ihr pralet, daß die Natur nichts für euch verborgenes habe, saget mir, welche sind die Salze, so die grüne Farbe des Pappelbaumes von jener des niedern Grases unterscheidet? Zeichnet, ja nennet mir alle Mittelfarben des wechselnden Grünes. Allein, was thue ich? Ich ziehe den Menschen zu Rahte, und ich vergesse, daß er nur gemacht sey, sie zu sehen, und zu bewundern.

Der überschießende Saft, den die Reben dieser Berge weinen, theilet meine Seele in widersprechende Betrachtungen. Schmäucheln mir auf einer Seite die Gedanken, daß diese traubenschwangern Weingärten den arbeitsamen Winzern unschuldige Feste, und wohlverdiente Lustbarkeiten für den Herbst weißagen; kann ich ohne Empörung des Geistes die Uibel zu Gesichte fassen, deren Qwelle dieser Rebensaft ist, wenn er in müßigen Tafeln, und lärmenden Schenktischen unsrer Städte in schäumenden Gläsern umher wallet? Warum hat

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nicht jener, der den verrähterischen Saft, den er verwägen von einer Raspe gepflücket, und aus Beeren in eine Schaale ausgedrücket; warum, sage ich, hat er nicht, da er den Umlauf dieses Gifts in seinen Adern gespüret, die Wurzel des mörderischen Weinstockes, der es hervorgebracht, ausgehauen? Welchen Uibeln der Welt hätte er vorgebogen! Allein, da ich die philosophischen Gedanken wider dieses Gift, so die Menschen in Thiere verwandelt, häufe, werde ich mich vermessen, ihnen den Gebrauch dieser Gabe Gottes zu verbieten? Dieses wäre eine vergebliche Bemühung. Trinke also, trinke du unsinnig durstiger Mensch; denke aber daran, daß der größte Held einen Freund gehabt, und daß er in der Trunkenheit sein Mörder geworden!

O, dieser Springbrunn, dessen Wasser mitten durch den Sand qwillt, den ein grünender Wasen decket, beut meinem Durste einen weit heilsamern Trunk dar! Wenn er gleich den reizenden Geschmack der Brüche des Bachus nicht hat, so macht er auch nicht so traurige Wirkungen. Und wenn ich mich mit demselben berausche, so verliert meine Ver-

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nunft weder ihre Lichter, noch ihre Lebhaftigkeit dabey.

Ich klettere auf den Rücken des Hügels, und ich denke, allda die Qwelle des Wassers zu finden, so mir den Durst gestillet; und dort entzücket und bezaubert mich ein neuer Auftritt. Welche Heiterkeit der Luft, welche Klarheit des Sonnenkörpers, der uns umstralet! Siehet man an diesem Gewölbe des Himmels einige dunkle Flecken; sie sind der Schatten, so die Schönheit des Gemäldes der Natur erheben. So hat der Tag sich zeigen müssen, da der große Schöpfer, der das Ganze erschaffen, sein großes Werk hat sichtbar machen wollen, und dasselbe aus dem finstern Choas empor gestiegen.

Alsdann lacht die ganze Ebene, die mein Auge überschauet, und der Wiederhall tönet den Gesang der fröhlichen Sänger aus allen Theilen in die Wette zurück, von welchem die ganze Gegend erschallet.

Dort unter dem Schatten einer bejahrten Eiche hüten die unschuldigen Schäferinnen ihre Heerde, und spinnen zugleich mit ihren leichten Fingern den zottigten Hanf. Um den Verdruß ihrer Arbeit zu zerstreuen, nehmen sie ihre

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Zuflucht nicht zu dem ausgesonnenen Geschwätze einer beißenden und stichelnden Satyre: sie singen, und ihre Zufriedenheit giebt ihren Liedern eine reizende und neue Melodie. Da sie so dahin leben, krhren sie in ihre Hütten, wenn der Stern, der die Zierde der Nacht ist, auf der Bühne des Himmels auftritt, mit einem eben so unschuldigen Herzen zurück, als der Tag war, den sie auf den Fluren zugebracht.

Dort (auf dem Felde) mischet sich mit den Stimmen der Schäferinnen der Waldgesang des Finkens, des Zaunköniges, des Hänflings, und anderer Bürger der Luft, welche ein neubesäeter Acker auf die Aeste dieser umstehenden Eichen und Ulmen gelocket. Wenn diese harmonische Tonkunst meine Ohren durchwirbelt; o ihr Orpheus unsrer Tage, ich beneide keinesweges euere falsche in trügenden Akkorden gezwungene Töne!

Diese Baumgärten, o welche blühende Kronen der Bäume stellen sie mir dar! welche Pomona die Obstgöttinn zurichtet, um sie aus ihrem Füllhorne mit Früchten zu schmücken. Der liebliche Geruch, den sie ausduften, und den die Westwinde auf ihren Flügeln dahintragen, durchbalsamiren den ganzen Luft-

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kreis, und breiten ihn bis zu dem Tempel der Gottheit aus. Ist es auch billig, daß das Schönste, so die Natur gezeuget, nur ein augenblickliches Daseyn habe? Zarte Blümgen, wie wenige von euch entgehen der Wuht der Nordwinde! Aber, beklaget euch nicht; ihr seyd es nicht allein, die ihr einem so strengen Schicksale unterworfen seyd. Ich habe eine junge Lilie gesehen, die ihr Silberhaupt, in welchem Körner von Golde verborgen lagen, aus dem Mittelpunkte des Reiches der Blumengöttinn empor gehoben; ich habe sie unter dem Schatten der schützenden Gottheit aufwachsen gesehen; sie sollte einst ihre Zierde, ihre Ehre werden: die Klugheit selbst nahm sich die unverdrossene Mühe, sie zu warten. Die Strahlen einer gesunden Vernunft klärten schon ihre Morgenröhte auf; schöne Wissenschaften, das holdselige Lächeln, das kluge Scherzen flatterten schon neidig um ihren Kelch, der sich mit Anmuht aufzuschließen begann; aber ich habe sie gähling welken und abfallen gesehen... Ich halte ein; habe ich denn vergessen, daß die Trähnen, die ein durch den Schmerzen verwelktes Herz zur Qwelle haben, niemals vertrocknen?

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Die Sonne, da sie sich zu dem Ziele ihrer Rennbahne nähert, scheint ihren Lauf zu verdoppeln, und bey den letzten Schritten von einem ganz neuen Glanze zu schimmern. Welches Schauspiel! Kaum ist sie über unfern Gesichtskreis hinabgestiegen, so tritt die Nacht aus der schwarzen Höhle des Erebus hervor. Ganz unvermerkt breitet sie ihren braunen Flor aus, und streuet den dichten Nachtschatten über den ganzen Raum unsrer Halbkugel hin. Sterbliche, fürchtet euch nicht, in diese Finsternisse lebendig begraben zu werden; dort mitten durch diesen alten Wald sehe ich auf der Fläche der Himmelskugel einen neuen Stern glitzern, der mit der Nacht das Reich der Himmel theilet. In den Städten leuchtet und nützet dieser Nachtplanet, der vielsichtige Mond den schwarzen und bösen Thaten; aber auf dem Lande ist er die Seele der unschuldigen Ergötzungen, welche der Klang des muntern Dudelsackes, den nach der Arbeit eines langen Tages in eine Hütte wechselweis versammelten Landleuten zu kosten giebt.

Ein ehrwürdiger Alter steht auf, nnd giebt das Zeichen zum Schlafengehen. Geh hin glückliches Völkgen, geh hin, genieße die süsse Ruhe, bis die schmet-

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ternde Nachtigall dich bey der ersten Morgendämmerung aufwecken wird. Fürchte dich nicht, daß dich unruhige Träume stören werden; nur das Laster gebührt sie, und Morpheus hat seine Säckgen mit einschläfernden Mohnen nur für dich gefüllet. Du wirst kaum liegen, so wirst du die Augen schließen, und nur mit der Morgendämmerung werden sie wieder aufbrechen.
Topic revision: r11 - 27 Sep 2011, PetraZinngieser
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