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IV.
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Kaum hatte
Alexander der grosse,
dieser verewigte Räuber und Verwüster der Länder und Provinzen,
das persianische Reich zerstöret, und es
unter seinen Ruinen begraben; so verlangte er für einen Sohn des Jupiters,
des obersten Gottes, gehalten zu werden. Die Macedonier waren voller Unwillen gegen einen Fürsten, der sich ihrer
schämete, und doch den
Philipp zum Vater gehabt hatte. Sie geriehten in ein
außerordentliches Mißvergnügen, da sie
wahrnahmen, wie sich dieser Prinz der
Lebensart, Kleidung, und den Sitten der
Perser gänzlich ergab. Qwälende Vorwürfe für einen König so viel gewaget
zu haben, dessen schnöder Verachtung
sie nunmehr ausgesetzte waren, bestürmten ihre Seele. Ob man schon
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öffentlich schwieg, so beklagte man sich doch
heimlich darüber. Man beseufzete das
in der Stille, was man sich laut nicht
zu sagen getrauete. Die Weltweisen
wagen bisweilen etwas, was sich tausend andere nicht unterstehen. Ein solcher Weltweiser, mit Namen
Kallisthenes, hatte den Alexander bey allen
seinen kriegerischen Unternehmungen begleitet. Da er ihm, an einem Tage
nach griechischer Weise seine Ehrerbietung bezeugte; so sagete der König zu
ihm: „ Wie kömmt es, daß du mich
nicht anbethest? „ Grosser König, antwortete der Philosoph, du bist das Oberhaupt zweyer Völker. Das eine, welches die Sklaverey schon drückte, noch
ehe du es unter das Joch gebracht hattest, ist es um so viel mehr nach deinem
Triumpfe. Das andere war zu der
Zeit frey, da es dir deine Siege erfechten half, und nun ist es gleichfalls unterm Joche, nachdem sie dir alle geglücket sind. Ich bin ein Grieche, grosser
König. Diesen Namen hast du selbst
dergestalt verherrlichet, daß man dich
beleidigen würde, wenn man ihn erniedrigen, oder verdunkeln wollte. „
Es ist schwer zu sagen: Ob die
Größe Alexanders mehr in seinen
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Tugenden als Lastern bestehe? Von der
Unmäßigkeit seines Zorns, verfiel er
leicht in eine unmenschliche Grausamkeit.
Wo die Macht, ohne Weisheit den
Zepter führet, da sind allemal die gröbsten Ausschweifungen begangen worden.
Der König ließ dem Weltweiten, Nase,
Ohren und Fuße abschneiden. Er befahl zugleich, den ehrlichen Mann, in einen eisernen Kefichte der Armee nachzuschleppen. Ein gewisser
Lysimachus
liebte den
Kallisthenes.Wenn er einige Stunden von seinen Geschäften sammeln konnte; so opferte er diese selige
Musse seinen lehrreichen Gesprächen gänzlich. Er schätzte die Tugend ; aber diese Achtung war eine Wirkung der Eindrücke, welche die Reden des Weltweisens in ihm gemachet hatten. Folglich
kamen ihm die Unterredungen mit deselben, als eine angenehme Aerndte der
edelsten Fruchte vor. Er gieng auch
dießmal zu ihm. „ Willkommen, berühmter Unglücklicher, rief er aus; ich
sehe dich in einem eisernen Kefichte eingeschlossen, so wie man etwann eine wilde
Bestie einsperret; weil du der einzige
Mensch bey der Armee gewesen.
Lysimachus, antwortete Kallisthenes ,,
da ich mich in Umständen befinde, welche
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Muht und Standhaftigkeit erfodern;
so stehe ich grade an meiner rechten
Stelle. Umsonst hatten mich die Götter mit einem erhabenen und unsterblichen Geiste begabt, wenn ich nur zu einem verzärtelten und wohllüstigen Leben
auf der Welt bestimmt wäre. Der Genuß eines sinnlichen Vergnügens und
einer lebhaften Ergötzung ist für jedermann. Haben uns die Götter nur allein zu demselben hervorgebracht, so haben sie ein vollkommneres Werk geschaffen, als sie vorgehabt; und in der Ausführung mehr geleistet, als ihr erster
Entwurf erfodert hat. Zwar, ich behaupte nicht, daß ich ganz gefühllos und
unempfindlich bin. Es fällt dir nur gar
zu klar in die Augen, daß ich es nicht
seyn müße. Wie sehr freuete ich mich,
als du zu mir kamest, und als ich sah,
daß du eine so herzhafte Handlung unternommen hattest. Aber, im Namen
Gottes, dieß soll auch das letztemal
seyn. Laß mich mein Elend allein tragen,
und sey nie so grausam und hart, das
deinige damit zu verknüpfen. Lysimachus antwortete folgender Gestalt sehr
edelmühtig darauf: Alle Tage, Kallisthenes, werde ich dich besuchen. Sähe
dich der stolze König von allen
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rechtschaffenen Leuten verlassen; so würde ihn sein
Gewissen gar nicht qwälen. Bey seinem
Selbstbetruge hielte er dich alsdann für
wirklich strafbar. Allem nimmermehr
soll er das elende Vergnügen empfinden,
zu sehen, daß mich seine niederträchtigen
Strafen nöhtigen, einen so erhabnen
Freund zu verlassen.,,
Gott, was für Stärke hat doch eine wahre Freundschaft über ein tugendhaftes Herz! Diese seligen Triebe sind
den Königen auf ihren Trohnen ganz
unbekannt, und eben deshalb sind sie
für unglücklicher und elender zu halten,
als der geringste Sklave, welcher schwere Ketten an seinen Gliedern mit fortschleppen muß. Das Gedränge der Leidenschaften, welche in der Brust der
Monarchen und der Weltbezwinger unaufhörlich wüten, läßt diese sanften und
stillen Empfindungen niemals aufkeimen.
Lysimachus und Kallisthenes, deren Brust
die göttlichen Reize der Freundschaft
fühlte, waren unendlich glücklicher, als
Alexander bey allen seinen Siegen, und
mit so vielen Menschenblute gefärbten
Lorbeern. Einsmals kam Lysimachus
zum Weltweisen, und da hörete er folgende Worte: ,, Die unsterblichen Götter haben mich getröstet, und seit diesem
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Augenblicke empfinde ich etwas so Göttliches, daß die Empfindung meiner Pein
erloschen ist. Ich habe den mächtigen
Jupiter im Traume gesehen, du warest
ihm zur Seiten, und hattest in der Hand
einen Zepter und ein königl. Stirnband
um deine Schläfe. Zeus wies auf dich
und sagete zu mir: Der wird dich glücklicher machen. Ich erwachte von der
heftigen Bewegung, welche dieser Traum
in mir erreget hatte. Die Hände waren
andächtig zum Himmel gefaltet, und ich
strengte alle meine Kräfte zum Reden
an. Erhabner Gott, allerweisestes Weisen, welches die Sterblichen vor tausend
Verschiedenen Altären anhebten: wenn
Lysimachus einst regieren soll; so laß
ihn nur mit Gerechtigkeit und Güte herrschen, und laß den Trohn, welchen er
besteigen wird, zu einer Qwelle werden,
aus welcher der Seegen und das Heil
auf alle Unterthanen, in vollen Strömen herab fließt. Ja Lysimachus, kronenwürdiger Freund, du wirst regieren!
Glaube einem Manne, der den Göttern
gefallen muß, weil er für die Tugend
leidet.,,
Währender Zeit hatte Alexander erfahren, daß Lysimachus bey dem Unglücke des Kallisthenes nicht
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unempfindlich wäre; daß er ihn oft besuchte, und daß er sich sogar unterstünde, ihn zu beklagen, und überall Empfindungen eines
zärtlichen und ihm ergebnen Herzens zu entdecken. Wer einmal ein Sklave der Laster geworden ist, der wird durch alles, was tugendhaft heißt, beleidiget. Der
König gerieht in eine neue Wuht. ,,Geh
rief er aus, mit Löwen zu streiten, Unglückseliger, da du ein so grosses Vergnügen empfindest, unter wilden Bestien
zu leben. ,, Lysimachus war also verdammt, und ein Opfer eines Zorns, der
einer wühtenden Flamme glich, welche
alles verzehret, und so leicht nicht wie
der gelöschet werden kann. Allein, man
schob die Vollziehung eines barbarischen
Urtheils nur darum auf, damit der edelmühtige Lysimachus einer desto größern Menge, die vielleicht eben so niedrig als
Alexander dachte, zu einem angenehmen
Schauspiele dienen sollte. Endlich wurde der Tag zur Vollendung des Urtheils
angesetzet. Lysimachus dachte weniger
an seinen traurigen Untergang, und an
die schwarzen Schatten des Grabes, in
die er nun bald stürzen würde, als an
seinen grossen Freund, den Kallisthenes.
Er schickte ihm den Tag vorher noch folgende Zeilen: ,, Ich gehe zum Tode.
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Alle die prächtigen Aussichten ins Künftige, welche du mir erwecket und eröfnet hast, erlöschen in meiner Seele, und
verschwinden vor meinen Augen. Die
Götter kennen mein Herz! Wie sehr habe ich gewünschet, das Unglück eines solchen Mannes, als du bist, zu lindern!
Lebe wohl, und glaube, daß Lysimachus
auch im Sterben noch dein Freund sey!„ Kallisthenes las diese Zeilen mit einer
Standhaftigkeit, die seiner würdig war.
Mit unerschrockener Seele vernahm er
das Schicksal seines Freundes, und
schickte ihm folgende Antwort zurück:
„Lysimachus, wenn die Götter es einmal
beschlossen haben, daß du den Trohn besteigen sollst; so kann dir kein Alexander
das Leben rauben. Monarchen sind
Menschen, und Menschen sind zu unvermögend, den Willen der Götter zu hindern. „
(Der Beschluß folgt im nächsten Stücke.)
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