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XXVIII.
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Die vier Stuffen des menschlichen Alters.
Wir rechnen in diesen Schilderungen die Jahre des Knaben bis ins 14te, des Jünglings bis ins 26ste, des Mannes bis ins 56ste, und des Greises vom 56 oder 60sten Jahre bis an die unbestimmte höchste Stuffe des menschliche Lebensalters.
Der Knabe.
Seht hier das lächelnde Bild der Gesundheit, der Fröhlichkeit, und der Reinigkeit des Herzens, in dem hoffnungsvollen freundlichen Knaben! Hier erscheinet er in der Rüstung von leiblichen Vollkommenheiten und giftigen Fähigkeiten, die er aus der mildthätigen Hand seines Schöpfers erhielt, und die unter den scharfsichtigen Augen wachsamer und kluger Aeltern zu immer größem Vollkommenheiten gedeyen. Seine Bildung ist die Bildung eines Engels, seine Stirn so heiter wie ein
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Frühlingstag, seine Augen sind die kläresten Spiegel der Unschuld und der Freude; auf seinen glatten Wangen glüet das glänzende Morgenroht der Jugend. Seine Adern werden von reinsten Balsam des Lebens durchströmet. Fröhlichkeit herrschet in seinen Minen; die Anmuht throhnt auf dem Koralle seiner Lippen. Sein Herz ist der Sitz der Unschuld, sein Gemüht so rein, wie der Aether, jeder Trieb seiner Seele so regelmäßig, als der ganze Bau ihrer reizenden Hülle. Er gehorchet der Stimme seiner Aeltern, wie ein zartes Lamm dem Rufe seiner Mutter. Jeder Wink ist ihm ein Befehl, Gehorsamen ist seine Freude, Ehrerbietung seine Wohllust.
Die ersten Stralen der Morgensonne dringen in das innerste seines zarten Herzens. Er fühlt in ihnen den bebenden Ruf, zur Dankbarkeit. Durch das Beyspiel frommer Aeltern unterstützt, stammlet er den Urheber seines Lebens am frühen Morgen Dank, und legt sich am Abend behtend und lobsingend zur Ruhe: wenn ihn in der Dunkelheit ein Zufall erwecket, so haben die furchtbaren Schatten der Nacht keinen widrigen Einfluß auf seine Ruhe. Er fühlt allenthalben
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und zu allen Zeiten die Allgegenwart Gottes, der ihn schützet. Engel sind am Tage seine Leibwache, und wohlthätige
Cherubim streuen des Nachts Schlummer und Seegen über sein lächelndes Angesicht. Er verehret den weisen Mund, der seiner Jugend Unterricht und seinen Fähigkeiten Nahrung ertheilet. Die Gebohte des Herrn erqwicken seine Seele, wie der Morgenthau ein schmachtendes Erdreich. Ein Blick auf seinen liebreichen Vater, dem er Leben und Unterhalt, Freuden und Unterricht zu verdanken hat, setzet sein fühlbares Herz in die fröhlichste Bewegung. Ein zärtlicher Zuruf, eine freundliche Anrede von ihm, ist die Wonne seiner Tage. Die liebvollen Blicke der Mutter erwärmen sein Innerstes, wie die Sonne die ersterbende Pflanze. Ihre Küße sind ihm ein Balsam des Lebens. Seine Spiele sind Uibungen zur Bildung glücklicher Fertigkeiten, seine Fragen ein Beweis seiner Lehrbegierde, die Unterhaltung mit seinen Aeltern, ein verborgner Unterricht, und die bestimmten Lehrstunden, eine Prüfung seines Geschmacks, und seiner Neigungen. Vergnügen und Mäßigkeit machen die Stützen seines dauerhaften Wohlbefindens aus; Beyfall und
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Liebkosungen aber sind die Sporen, die seine Neigungen zur Tugend, in beständiger Thätigkeit erhalten. Alle Lehren, die sein keimender Verstand gefasset, werden durch ermunternde Beyspiele tief in seine weiche Seele eingedrückt. Das Wachsthum seines blühenden Körpers geht mit der Zunahme seiner innern Fähigkeiten in gleichen Schritten fort. Der Knabe nimmt zu an Jahren, an Größe, an Gesundheit, an Stärke, an Einsicht, und Tugend, an Weisheit und Gnade. Mit den Jahren wächst seine rühmliche Begierde nach neuen Kenntnissen. Die erlangte Fertigkeit in fremden Sprachen, öffnet ihm eine reizende Aussicht in das weitläuftige Feld der Wissenschaften und Künste. Er findet einen heilsamen Wohlgefallen, an der Kunst zu schreiben und zu rechnen, und einen nützlichen Zeitvertreib in einer lehrreichen Fabel. Er theilet die Stunden jedes Tages zwischen Umgang und Uibungen. So fliessen, an der Seite seiner ihn segnenden Aeltern, die Jahre des Knaben, und alle Tage seines Lebens so ruhig, so sanft, so nützlich dahin, wie ein klarer Bach, der auf seiner Laufbahne das Ansehen, und die Fruchtbarkeit aller ihn umgebenden Ufer vermehret. Unvermerkt er wächst,
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zur Freude der Aeltern, aus dem blühenden Knaben, ein hoffnungsvoller Jüngling.
Der Jüngling.
Welch ein Anblick für den Tugendhaften! welch ein Meisterstück der Natur und der Gnade! Sa steht er vor uns, der hoffnungsvolle Jüngling, der Trost seiner Aeltern, die Freude aller Rechtschaffenen, das Muster seiner Gespielen, mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele gerüstet! Geseegnet sey der Tag seiner Geburt! geseegnet der Fromme, der ihn erzeugt hat! geseegnet der Leib, der ihn getragen hat! Mit Rechte nennet man ihn das Augenmerk der Engel, und die Wohllust der Gerechten. Seine Lust ist es, in den Wegen des Herrn zu wandeln, und sich unermüdet in seinen Gesetzen, den Anweisungen zur wahren menschlichen Glückseligkeit, zu üben. Des Morgens steigen seine Gebehte, wie ein Rauchopfer zu dem Gotte seines Heils empor! -Des Abends erhebt er seine Hände zu dem Allgütigen. der in die Stunden des verflossenes Tages so viel Wohlthaten und Freuden für ihn eingewebet hat.
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Begierig auf die Wunder der Natur, schöpft er seine wichtigsten Kenntnisse und sanftesten Ergötzungen unmittelbar aus dem Urqwell aller Weisheit und Vollkommenheit. Die Betrachtung der Werke der Allmacht ist zugleich eine stille Unterredung mit dem Allmächtigen, dessen Größe aus dem leuchtenden Wurme so deutlich, als aus der stammenden Sonne hervorstralt. Als ein täglicher Zeuge der vollkommensten in der ganzen Natur sichtbaren Ordnung und Harmonie, als ein Bewunderer der herrlichen Spuren der unergründlichsten Liebe und Wohlthätigkeit. wird er unvermerkt zu eben der Ordnung und Harmonie in seinen Handlungen, zu lauter Liebe und Wohlthätigkeiten gegen alle lebende Geschöpfe gewöhnet. Wenn er im Buche der Natur die Plane des Allweisesten studiret hat, dann wagt er es, seine abgezogenen Begriffe mit den Gedanken alter Weisen zu vergleichen. Die Griechen und Römer öffnen ihm wechselsweise die gesammleten Schatze ihrer Weisheit. Sein Auge von Vernunft und Wahrheit geleitet, eilet vom Schauplatze der Natur auf die Schriften der Alten, und von diesen wieder begierig auf jenen Schauplatz göttlicher
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Weisheit und Liebe zurück. -. Allenthalben berühret er seine Seele mit neuen Begriffen von Ordnung und Tugend. Er wagt es nicht, die Aschenkrüge schlafender Völker zu zerstören, und in einsamen Gräbern modernde Alterthümer aufzusuchen. Sein Geist schwinget sich viel mehr wie ein Adler, in die Hohe, und läßt den Liebhaber finsterer Wissenschaften, ohne Neid die Tiefe der Erde durchwühlen.
Alle nützlichen Wissenschaften haben für ihn eine reizende Gestalt. Er schätzt sie nach dem mehrern oder wenigem Einflusse, den sie auf seine eigene Glückseeligkeit, und auf das Wohl des Staates haben können. Die Regeln zur Bildung des Geschmacks, nahm er aus der Natur, und nun sucht er sich durch die Beredsamkeit und Dichtkunst der Alten, mehr darinnen zu befestigen. Die Geschichte der Welt und des Menschen sind für ihm eine lehrreiche Schule zur Bildung des Verstandes und Herzens. Bey der natürlichen Lampe wandert seine geschäftige Seele noch von einem Jahrhunderte zum andern, von einem Menschengeschlechte zum andern, von den Schicksalen des einen Staats auf die Erhöhung oder den Umsturz eines
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andern; erstaunt über die grossen Veränderungen der mächtigsten Staaten, preiset er die Wege der Vorsehung, und schweiget. - Er kennet die Gränzen und die Merkwürdigkeiten der entferntesten Länder, belustiget sich an der Verschiedenheit ihrer Sitten und Gebräuche, bewundert die unbegreifliche Mannigfaltigkeit von Menschen, Thieren, Insekten, Pflanzen, Steinen, Mineralien, und überhaupt die Unermeßlichkeit der Werke des Herrn. Bey müßigen Stunden findet er ein Vergnügen daran, Felder, Thaler und Berge zu messen, oder mit geübter Hand getreue Kopien von grossen Meisterstücken der Allmacht zu verfertigen.
Die Fortsetzung folgt.
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