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XLIV.
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Die Kunst zu lieben.
Ein Schreiben des Hrn. St. Evremont, an die Ninon von Lenclos.
Meine Meynung stimmt mit der Ihrigen auf das genaueste überein. Es ist nicht immer die Ehe, oder der Besitz des geliebten Gegenstandes, was die Liebe an und für sich selbst zerstöret. Die wenige Bedachtsamkeit in der Haushaltung mit seiner Empfindung, der zu leicht, und zu anhaltende Besitz — Das sind die Qwellen des Uiberdrusses, den man im Lieben bemerket! Sobald man sich ohne Rückhalt, allen Aufwallungen einer Leidenschaft überläßt ; so kann es nicht fehlen, daß diese heftige Erschütterung der Seele, sie nicht bald in einer tiefen Einsamkeit zurücklassen sollte. Dann befindet sich das Herz in einem Leeren, das es beunruhiget, und kalt machet.
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Vergebens suchen wir die Ursachen der Stille, die auf unsere Aufwallung folgt, außer uns. Wir werden es nicht gewahr, daß ein gleicheres, und dauerhafteres Glück, die Frucht unserer Mässigung gewesen seyn würde. Zergliedern Sie nur genau, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie etwas verlangen, so werden Sie finden, daß unser Verlangen nichts, als eine wahre Neubegierde ist. Diese Neubegierde ist die Triebfeder des Herzens. Unser Verlangen verschwindet, sobald es befridiget worden. —
Diejenige also, die einen Mann, oder Liebhaber beständig machen will, muß ihm noch immer etwas zu wünschen übrig lassen. Jeder Tag muß ihm etwas Neues auf den folgenden versprechen. Man verändere seine Vergnügungen, man verschaffe ihm die Reitze des Wechsels, ohne eine Aenderung des Gegenstandes, so bin ich, für seine Beständigkeit, und Treue Bürge! — Indessen bekenne ich, daß die Ehe bey einer gewöhnlichen Frau, das Grab der Liebe sey. Man muß sich dann aber deßhalb weniger an den Liebhaber, als an der halten, die sich über das Kaltwerden beklagt. Sie schiebt auf das verderbte Herz, was von ihrer eigenen wenigen
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Geschicklichkeit und Haushaltung herkömmt Sie hat in einem Tage alles verschwendet, was den einmal erregten Geschmack unterhalten konnte. Sie hat der Neubegierde des Liebhabers nichts mehr anzudichten; es ist immer dieselbe Bildsäule, es ist keine Veränderung zu hoffen; er weis sie auswendig. — Allein, bey einer Frau, wie ich sie mir denke, ist die Ehe die Morgenröhte des schönsten Tages. Von da fangen sich die kostbarsten Freuden an: Ich meyne diejenigen Ausschüttungen des Herzens, jene wechselweisen Vertraulichkeiten, welche die Seele in eine so wohllüstige Situation versetzen; jene zwanglose, jene entwischende Geständnisse, jene Entzückungen, die die Gewißheit des gemachten Glückes, und die verdiente Hochachtung der geliebten Person an uns verschafft. — Kurz, dieser Tag ist der Zeitpunkt, in dem der delikate Liebhaber, unversiegliche Schätze entdecket, Schätze, die man ihm bisher mit Fleis verheelet hatte. Die Freiheit, die die Frau erlangt, bringt alle vom Zwange bis dahin eingeschlossenen Emfindungen mit ins Spiel; ihr Herz gewinnt einen Schwung, aber einen sehr gemäßigten Schwung. Weit entfernt einen Uiberdruß zu erwecken,
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wird die Zeit nur mehr Ursachen, sie noch mehr zu lieben, darbiehten. Ich setze aber nochmals genug Verstand, ihre Neugungen zu beherrschen, bey ihr voraus. Denn, um einen Liebhaber beständig zu machen, ist es nicht genug, Vielleicht ist es gar zu viel, ihn im höchsten Grade zu lieben - Man muß ihn mit Vernunft, und Zurückhaltung zu lieben wissen. Diese Schaamhaftigkeit ist daher das Schönste, was delikate Leute nur jemals erdacht haben. Sich dem Ungestümme einer Neigung zu überlassen, sich gleichsam im geliebten Gegenstande zu zernichten, dieses ist ein Hilfsmittel einer unbedachtsamen Liebhaberinn. — Das heißt nicht Liebe, das heißt nur für den einzigen Augenblick lieben, das heißt, aus seinen Liebhaber nächstens ein verzogenes Kind machen wollen.
Ich fordere, daß sich, eine Frau mit mehrerer Enthaltung, und Behutsamkeit aufführe. Die Hefftigkeit ihrer Glut entschuldiget sie in meinen Augen nicht. — Das Herz ist beynahe beständig ein wildes Roß, dessen Lebhaftigkeit man bändigen muß. — Braucht ihr seine Kräfte nicht mit gewisser
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Wihrtlichkeit, so wird seine Lebhaftigkeit nur eine vergängliche Aufwallung seyn!
Eben die Lauigkeit, die ihr bey dem Liebhaber nach diesen verzuckenden Bewegungen wahrnehmet, werdet ihr auch selbst an euch fühlen; und bald darauf, werdet ihr beyde die Notwendigkeit euch zu verlassen, empfinden. Mit einem Worte: es gehöret mehr Verstand, als man denkt, zum Lieben, und zum glücklich seyn, im Lieben! —
Bis zu dem unvermeidlichen Ja, oder besser, bis zu ihrer Uiberwindung, hat eine Frau keine Kunstgriffe nöhtig um sich ihren Liebhaber zu erhalten. Die Neubegierde muntert ihn auf, das Verlangen unterstützet ihn, und von der Hoffnung bekömmt er den Muht. Ist er aber einmal glücklich, so ist die Reihe an der Schönen, sich eben so viele Mühe zu geben, ihn zu erhalten, als ihn ihre Uiberwindung gekostet hat. Der Wunsch, ihn beständig zu machen, muß sie Verschlagenheit lehren. Ein Herz ist den grossen Oertern ähnlich, deren Eroberung leichter ist, als ihre Erhaltung. — Reitze allein, können eine Mannsperson verliebt machen. Geschicklichkeit, Kenntniß gewisser kleiner Vortheile, viel Verstand, und selbst eine Abschattirung von
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Laune, und Ungleichheit, sind dazu nöhtig. Allein zum Unglücke sind die Frauen, so bald sie überwunden, zu zärtlich, und zu zuvorkommend. Vielleicht sollten sie, um des gemeinen Beßren willen, im Anfange etwas weniger, und in der Folge etwas mehr Widerstand thun. Ich wiederhole es: sie werden dem Uiberdrusse niemals anders ausweichen, als dadurch, daß sie dem Herzen Zeit zu wünschen lassen!
Ich höre die Schönen beständig darüber klagen, daß unsere Gleichgültigkeit, jederzeit die Frucht ihrer Gefälligkeiten gegen uns sey. — Unaufhörlich erinnern sie uns an die Zeiten, da wir voll Liebe und Empfindung, ganze Tage bey ihnen zubrachten. — Wie verblendet sind sie nicht! Sie werden es nicht gewahr, wie es noch in ihrer Gewalt steht, uns in eben die Situation zu bringen, deren Andenken ihnen so wünschenswehrt ist. — Laß sie vergessen, was sie schon für uns gethan haben: so werden sie nicht versucht werden, noch mehr zu thun. Laß sie es uns vergessen machen, so werden wir weniger fordern. Laß sie uns unser Herz durch neue Schwierigkeiten aufwecken , laß sie endlich uns dahin bringen, neue Proben einer Neigung
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zu verlangen, von der die Geschicklichkeit den Wehrt in unsern Augen vermindert, dann werden sie sich weniger über uns zu beklagen haben, und mit sich selbst zufrieden seyn. Soll ich es Ihnen offenherzig gestehen? Die Sachen würden eine ziemlich veränderte Gestalt bekommen, wenn sich die Damen zur gelegenen Zeit erinnerten, daß es ihre Rolle beständig mit sich bringt, sich nöhtigen zu lassen; die unsrige aber, zu bitten, uns ueue Gütigkeiten zu verdienen, — daß sie, geschaffen zu bewilligen, niemals andichten müßen. Wenn sie selbst im Feuer der Leidenschaften zurückhaltender waren, so würden sie sich wohl hüten, sich ohne Einschränkung zu überlassen. Der Liebhaber würde beständig etwas zu bitten haben, mithin immer unterwürfig seyn, um zu erhalten. Uneingeschränkte Gefälligkeiten, machen die anzüglichsten Reitze gemeinschätzig, und werden endlich selbst dem, der sie fordert, zum Eckel. Es ist eine Erfahrungswahrheit : Die Sättigung macht uns alle Frauenzimmer gleich. Die Schöne, wie die Häßliche, unterscheiden sich nach ihrer Niederlage durch weiter nichts, als durch die Kunst, ihr Ansehen zu erhalten. — Was geschieht
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aber meistens? Eine Frau glaubt weiter nichts zu thun zu haben, als gutthätig, schmeichelnd, sanft, gleich, und treu zu seyn. Von einer Seite hat sie Recht. Diese Eigenschaften, müßen den Grund ihres Charakters ausmachen. Allein, eben diese Eigenschaften, so schätzbar sie auch sind, werden dennoch, wenn sie nicht durch eine Abschattirung von Ungleichheit erhoben werden, die Liebe gewiß auslöschen, und den tödtlichen Gift der beßten Herzen, Unlust, und Langerweile, hervorbringen.
Wissen Sie endlich, warum sich die Liebhaber im Glücke so leicht vereckeln? Warum man sich wenig gefällt, nachdem man sich viel zu viel gefallen hat? Weil beyde Theile gleich falsche Begriffe haben. Der eine glaubt, nichts mehr erhalten, der andere nichts mehr geben zu können. Daraus folgt nohtwendig, daß der eine in seinem Bestreben matt wird, und der andere es vernachläßiget, sich geltend zu machen; oder glaubet, es durch gründliche Vorzüge werden zu können. —
Das Uibrige künftig.
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