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Zeitschrift von und für Ungern

Hrsg. von Ludwig Schedius
Pest, Patzko, 1802

Band 1, Heft 1

I. Abhandlungen und kürzere Aufsätze

Text 3 (S. 35-67)
Autor: Vince Batthány
Zuordnung: Reisebeschreibung

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3. Reise von Krakau nach Bartfeld.

In Briefen.


a.

Krakau, den 3. Sept. 1800.

Vermuthlich erwarten Sie aus dieser Stadt keinen Brief Ihres Freundes, den gewissermaßen nur ein Zufall dahin führte. Auf dem Gipfel der majestätischen Karpathen entdeckte ich die unbeträchtliche Entfernung, die mich von Pohlen trennte; meine Gefährten, die Sie aus meinem vorhergehenden Briefe kennen, beschrieben mir den Weg, auf dem ich binnen dritthalb Tagen hieher kommen könnte; und mein Entschluß ihn wirklich zurückzulegen, war auch schon gefaßt. Dieser Weg entsprach auch beynahe ganz dem mir vorläufig entworfenen Gemälde und den Begriffen, die ich nach aufmerksamer Betrachtung der Gegend, die uns umgab, mir von demselben gebildet hatte. Enge Schluchten, beynahe kahle Berge, die das Erklimmen nicht lohnen, und doch in kleinen Abständen einander folgen, ermüden den Wanderer, dessen Blick nie auf lachenden Fluren, oder auf glücklichen Bewohnern ländlicher Hütten ausruhen kann. Der Einwohner dieser Gegend, ein seltsames Gemische von Unterwürfigkeit und Trotz, Dummheit und List, pflanzt an den kahlen Abhängen jener Berge, und auf den engen Flächen, die sich zwischen diesen winden, Haber, seine vorzügliche Nahrung, etwas Heidekorn und sehr wenig Getreide. Selbst diesem kargen Lohne seines Fleißes drohen die Flüsse dieser Gegend Raba und Dunavecz, die in unzähligen Armen alle tiefer liegende Strecken durchströmen, und

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oft durch Regengüsse angeschwellet, Verwüstung um sich verbreiten. Seine hagere Gestalt, seine dürftige Kleidung, das Unreinliche seiner Wohnung, die, obschon mit der verderblichsten Holzverschwendung errichtet, dennoch kein völlig sicheres Obdach gewähret, sein kleines unförmliches Vieh, zeugen von seinem mühseligen Schicksal. Aber die Natur, die jedem ihrer Geschöpfe ein gewisses Maaß von Freude zuwarf, oder wenigstens Mittel verlieh seiner Leiden auf einige Zeit zu vergessen, mag auch diesen so ärmlich ausgestatteten Brüdern jene nicht ganz versagt haben. Ich sah sie in einer Branntweinschenke, die ein Jude hielt, Mit lermender Munterkeit sich umher tummeln. Wenn schon etwas wildes darin lag, so mögen sie doch jedem Harm dadurch sicherer entronnen seyn, als wir in bunten Tänzen, und an Tafeln mit der Beute aller Welttheile beladen!

Das Ende der Fahrt war bequemer. In Mislenicze, 3 Meilen von hier, fängt die gebahnte Straße an. Wie gerne entrichtete ich an dem Schlagbaum den Zoll. Hätten wir doch solche, statt des Rechtes eine Meile kaum in einem Tag zu fahren, oder Bequemlichkeiten zu genießen, die wir nicht schufen! Aus den Fenstern meines Wohnzimmers sehe ich auf den großen Platz, der gewiß jede Stadt zieren würde. Er bildet ein ungleichseitiges Dreyeck, und ist großen Theils mit ansehnlichen Häusern umgeben, die freylich den Kenner der Baukunst nicht befriedigen würden. In seiner Mitte stehen 2 Gebäude ächt gothischen Stiles, deren eines durch seinen 130 Schuh langen, und 30 Schuh breiten, Gang merkwürdig ist; ein Gegenstück des berühmten Ponte Rialto. Er enthält mehrere geräumige Kaufläden und dienet zu einem angenehmen Spaziergange. Indessen stören jene Gebäude, und eine ganze Reihe kleiner an sie geschlossener Buden den Eindruck, den erwähnter Platz, (dessen innerer Raum jenem in Pesth gleich kommt) wenn er mit einemmale übersehen werden könnte, gewiß hervorbringen würde. Die Gassen sind geräumig und enthalten viele Häuser, die durch ihre Masse

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und selbst durch das Schwerfällige ihrer Verzierungen Aufmerksamkeit erregen, wenn gleich manche ihren Verfall ankündigen; und dieß mag auch von der Stadt selbst gelten. Die Zahl ihrer Einwohner soll 24,000 übersteigen, und doch scheint dieselbe ihrem Umfange nicht angemessen. Um die innere Stadt schließen sich zwey gleichsam eigene Städte bildende Reihen von Häusern an: die eine heißt Casimir, vermuthlich von ihrem Erbauer, die andere Burgowce, und hänget mit dieser durch eine schlechte Brücke über die Weichsel zusammen. Sanft wälzt er sich fort der Strom, der dem thätigen Danzig seinen Wohlstand zuführte, und auch uns den Norden zinsbar machte, gewännen nicht Frankreichs Weine durch unsere und Preußens Zölle den Producten unserer Hügel den Vorzug ab.

Die zwey Städte, deren ich zuletzt erwähnte, haben jede ihren besondern Character. Burgowce nähert sich jenem der Reinlichkeit und Ordnung, was es zum Theil seiner längern Abhängigkeit von deutscher Regierung verdanken mag. Casimir ist eine große Trödelbude, wo pohlnische Juden, mit kaum erkennbaren Ueberbleibseln von Hausrath und Kleidern, einen unbilligen und dem Volke dennoch willkommenen Handel treiben. Doch schränken sie sich keinesweges auf diesen Platz ein. Sie sind durch alle übrige Straßen verbreitet, denen sie durch ihre schwarze unförmliche Kleidung ein finsteres Ansehen geben. Jedes ordentliche Haus hat einen solchen Menschen zum Geschäftsleiter, unter dem Namen Hausjude und selbst auf dem platten Lande entgehet beynahe kein Gegenstand ihren Spekulationen; Mauten, geistliche Einkünfte und Kirchengeräthe nicht ausgenommen. Die Unthätigkeit der Pohlen findet an dieser Landplage kein geringes Behagen; ohne diese hätte der Reisende weder ein Obdach, noch einen willfährigen Wegweiser. Daß doch auch wir unserer Dorfjuden und Zigeuner nicht entbehren können, die gewiß nur deutsche Betriebsamkeit aus unsern besseren Gasthöfen verdrängt hat! Der Gedanke den

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Kleinhandel in Städten nur einer bestimmten Zahl Juden zu überlassen, verdiente wohl einige Erwägung. Es wäre eines Versuches werth, ob dieses scheinbare Monopol nicht die Prellereyen mindern würde, zu denen die häufigen Nebenbuhler eines so mageren Gewerbes gleichsam gezwungen werden.

An dem nördlichen Ende Casimirs erhebt sich ein Hügel mit dem k. Schloß, der allgemeinen Sage nach, von dem Stifter dieser Stadt erbauet; ein großes vier Stockwerke hohes ins Gevierte aufgebautes Haus, das eigentlich keinen Stil hat. An den Wänden der geräumigen, aber mit schmalen Gängen, Wendeltreppen und dunkeln Gemächern seltsam unterbrochenen Zimmer, kleben noch Ueberbleibsel einer Malerey, die der ohngefähr vor 10 Jahren bey uns üblichen nicht ganz unähnlich gewesen seyn mag; vielleicht sind sie wirklich neuern Ursprunges, welches jedoch die über den Thüren angebrachten Verzierungen zweifelhaft machen. Auf den Flügeln des Gebäudes ruhet eine Art von Thurm, von welchem sich die Stadt und ihre Umgebungen dem Auge darbieten. Diesen mangelt es an stark hervortretenden Gegenständen, die ihnen mehr Haltung, und an einer freyen Aussicht, welche die Täuschung des Großen, des Unermeßlichen, gewähren möchte. Aus einem wellenförmigen Boden steigen mehrere Hügel fast von gleicher Höhe empor. Nur der der Ostsee entgegen wallende Strom, und Kriwans (des höchsten Karpaten) zwischen fernen Wolken mehr geahndetes, als dem Auge wirklich vorschwebende Haupt, leihen dem Bilde ein lebhafteres Interesse. Die Stadt selbst erscheint als eine planlose Zusammenstellung steinerner Massen verschiedener Größe, die auf die strohbedeckten Hütten nur zu schnell folgen. Bey dem Anblick häufig empor ragender geschmackloser Kirchenthürme, dieser Denkmäler ehemaliger Gläubigkeit, wäre man versuchet an dem schrecklichen Inhalt pohlnischer Annalen zu zweifeln, lebte nicht auch am Tiber und Po zwischen unzähligen Gotteshäusern und ehrwürdigen Bildern ein Volk, das sich durch seine Sitten

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eben nicht empfiehlt. Jetzt läßt ein kaiserlicher Proviantoffizier über die Treppen, auf denen einst die Spornen stolzer Starosten klirrten, Mehlsäcke durch gemiethete Bauern tragen, die unter ihrer Last beynahe zu erliegen scheinen. Was mögen sie wohl damals ertragen haben, als ihr ganzes Schicksal nur eine Last war! Nicht ferne von jenem Schloß befindet sich die Cathedralkirche, ein kolossalischer Tempel in gothischer Manier, reich an Marmor, silbernen und goldenen Verzierungen, aber kein Gemälde auf seinen Wänden, so wie sie in Italiens Kirchen aus Raphaels und Correggio‘s Pinsel hervor gingen, keine Säule, die ihren Meißel der Vergessenheit zu entreissen vermochte. Jedem Altar ist eine besondere Kapelle angewiesen, mit einer Kunst, die man dem Baumeister gerne erlassen möchte, wenn er vielmehr durch Simplicität und freyere Umrisse seinem Werke Erhabenheit eingehaucht hätte. In der Sacristey prangen, unter dem Namen Antiquitäten, verschiedene mit Gold und Perlen überladene Kirchengefäße und Ornate, und der sie bewahrende Priester zeigt diese, der Raubsucht der letzten Insurgenten entgangene, Ueberbleibsel des heiligen Schatzes mit allem dem Hochgefühle, mit welchem der Wächter im Tower die Ketten weiset., welche auf Philipps unüberwindlicher Flotte gegen Englands Küste schwammen, um die dortigen Baronen zu fesseln. In einer Ecke jenes Gemaches lehnet Johann Sobieszky‘s den osmanischen Belagerern Wiens einst furchtbares Schwerdt; aber den Helden verschließt ein Grabmal aus schwarzem Marmor, das Pohlens letzter König in einem unterirdischen Gewölbe errichten ließ, damit auch seine Asche, die nun rußischer Boden decket, dort ruhen möge.

Mit Unwillen stößt man unter der Schwelle des Tempels an Stephan Bathory‘s Leichenstein; aber unter den Prälaten Krakau‘s, denen man die inneren Plätze anwies, stünde er doch eben so unschicklich, als Titus Livius Büste auf dem Prado della Valle zwischen Padua‘s Theologen. Die schlechten Festungswerke der Stadt, die

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eine ganz andere, als die jetzt gewöhnliche Belagerungskunst voraussetzen, der kleine botanische, und ein anderer zur Erholung des Publikums bestimmter, Garten, verdienen keine besondere Erwähnung; so wie die innere Anordnung der Stadt, in deren vorzüglichen Gassen sich geräumige Krämerladen befinden, die ihre mannigfaltige, vermuthlich aus Wien erhaltene, Waare beynahe gar nicht ankündigen, während dunkle Tavernen mit bunten Inschriften anzeigen, daß dort östreichischer Wein und ungrischer Liqueur verkauft werde. Hin und wieder trifft man numerirte Miethwägen (Fiacres), aus denen sich hier, wie fast überall, die Geschichte des Lurus dieser Art studieren läßt. Keiner derselben schien eigens zu diesem Fuhrwesen verfertiget worden zu seyn, welches doch in unserer Hauptstadt häufig zu geschehen pfleget, und ein gesichertes Auskommen dieser Klasse des Erwerbs andeutet.

Auf den hiesigen Straßen wird man kaum gewahr, daß man in Pohlen sey, Nur selten begegnet man der Nationalkleidung, und die des gemeinsten Mannes, ist mit der, unseres Slowaken oder Krainers, leicht zu vermengen. So genannte modische Anzüge findet man hier die Menge. Mir fielen da unsere englisirten Stutzer, und des leichten französischen Costumes plumpe Nachäffer ein; aber diese reden doch meistens die Sprache ihrer Kleidung, und ein Blick auf den untern Theil derselben zeigt oft ihre Nation an. Hier erwartet man vergebens von den in feines sächsisches Tuch gekleideten Herren ein deutsches Wort, und die meisten Titusköpfe sprechen nichts als sarmatisch. Diese Verkleidung, durch die einst mit Frankreich und Pohlen herrschende Verbindung und Commercialverhältnisse zuerst veranlaßt, dann durch das, was man Modesucht nennet, fortgesetzt und bis zur Tändeley getrieben, läßt sich noch entschuldigen; aber wenn hinter diesen zierlichen Herren, elend gekleidete Diener mit sclavischer Gebehrde einhergehen, wenn man allenthalben ihr Bestreben durch Verzierung zu glänzen und die Vernachläßigung des Bequemen gewahr wird, so dringt sich dem Beobachter ein Be-

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griff von jener Klasse auf, der verbunden mit ihrem bekannten Uebermuth gegen Schwächere, ihrem Partheygeist, ihrem wechselseitigen Mißtrauen, ihren kriechenden Manieren, nur ein äußerst ungünstiges Urtheil erhalten kann, zu dessen Ablehnung sich nichts sagen läßt, als daß die ehemalige immer schwankende, mit sich selbst nicht einige Regierung, ihr diese Züge eingeprägt habe. Aber verdienet wohl das Volk, bey dem eine solche Regierung Jahrhunderte lang bestehen konnte, eine bessere?

Doch schon genug, und etwas mehr als genug, des Urtheilens dort, wo gar nicht Urtheilen die tiefste Einsicht voraussetzet. Aber Ihre Nachsicht verleitet zu gewagten Behauptungen, und der Werth, den Ihre Güte auf meine Briefe legt, wird dieselben zuletzt noch um ihren eigenen bringen; denn sie macht ihren Verfasser zu nachläßig. – Von Bartfeld, wohin ich morgen abreise, schreibe ich Ihnen wieder.

b.

Dukla, den 9. September.

Yorick, wo ich nicht irre, hielt auf seinen empfindsamem Reisen ein Gespräch mit einem Reisewagen, ich hätte beynahe das nämliche mit dem geräumigen pohlnischen Fuhrwerke gethan, das einige Schritte neben mir stehet; wenigstens beneidete ich seine Inwohner, die sich behaglich darin streckten, und mit dem dort verwahrten Vorrahte gütlich thaten. Als mir ein solches Ding, was von unten ganz Lastwagen, von oben aber Kalesche ist, zuerst erschien, bedauerte ich den unglücklichen Geschmack dieser Erfindung, die doch vortreffliche Dienste in Gasthöfen leistet, die (wie mein jetziger Aufenthalt) bloß aus Scheunen bestehen, und nichts als Branntwein dem Reisenden darbieten, dessen Schicksal im buchstäblichen Sinne in Wolken schwebt, weil eine einzige größere Entladung derselben, die den Weg durchkreutzenden Bäche in reißende

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Ströme verwandelt. Brächte man von Reisen auch nichts zurücke, als mindere Geneigtheit absprechend zu urtheilen über Dinge, die von dem uns bekannten abweichen, so wäre auch dieß schon großer Gewinn.

Ich befinde mich, seit gestern Nachmittag hier, und nachdem ein Reiter, den ich abschickte um die Tiefe des angeschwollenen Baches, durch den ich fahren sollte, zu untersuchen, versicherte, morgen Abends würde es möglich seyn, über denselben zu setzen, so bin ich es nun zufrieden, weil ich die Hindernisse einsehe, die mich zurückhalten. Auch hab ich mich in dieser kurzen Zeit schon an die verwilderten Gestalten, der um mich gelagerten Zigeuner und Juden gewöhnet, die mich, theils aus Liebe zu meinem wenigen Gepäcke, theils um sie nicht zur Theilung des wenigen Strohes, das wir hier trafen, zu zwingen, die ganze Nacht in meinem ziemlich engen Wagen zurückhielten. Seltsame Geschöpfe, in denen Lessing vergebens das Original zu seinem Nathan dem Weisen suchte: so wie die Urväter der ersteren über ihre mißrathenen Nachkommen verlegen seyn würden. Der eine läßt nun seinen dreyjährigen Knaben nackt auf seinem Hemde sitzen, und ein betagter Mann hängt so eben das Stück einer durchlöcherten Flechte um seine Schultern; vermuthlich schickte er sich zur Reise an. Die Juden halten Schildwache bey ihren Bündeln; mit dem Aeltesten aus ihnen sprach ich gestern sehr lange: er beklagte sich, daß die Dorfjuden dieser Gegend den ihm als reisenden Rabiner gebührenden Tribut, der in einigen Lebensmitteln bestehet, hartnäckig versagen. Diese beyde Arten von Menschen bleiben doch immer wichtig, und mit Recht ist der Staatsmann über die Folgen ihrer Existenz und die darauf sich beziehenden Maaßregeln in Verlegenheit. Ich ließ aus meiner Schilderung Krakau‘s die seiner Bewohnerinnen hinweg. Mein kurzer beynahe isolirter Aufenthalt macht mir es unmöglich Züge zu sammeln, die jene ganz darstellten. Das pohlnische Frauenzimmer besitzt, nach dem allgemeinen Urtheile, mehr angenehme Ei-

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genschaften, als ächte Reitze, mehr die Kunst das Auge auf sich zu ziehen, als es zu fesseln. Meine wenigen Beobachtungen bestätigten diese Meinung. Die vielen geschmackvollen weiblichen Costüme, die ich allenthalben sah, umhüllen nur gemeine Umrisse, und vergebens suchte ich einen kühn emporstrebenden Wuchs, oder die vollendeten Formen mit Majestät gepaarter blühender Weiblichkeit. Freylich standen außer den wenigen Häusern, denen ich empfohlen war, mir nur öffentliche Versammlungsorte offen. Aber siehet man, nach dem Zeugniß der Reisenden, in Londons Vaurhall und auf dem Corso Roms nicht eben so viele edle Gestalten, als in den glänzendesten Privatzirkeln, die an reiner Blüthe und Fülle der Natur eben so weit zurückstehen, als sie sich durch künstliche Täuschung auszeichnen?

In Pohlen werden Mädchen vom Stande meistens en pension, wie sie es nennen, erzogen. Man übergiebt sie der Leitung eines Frauenzimmers, in dessen Hause sie wohnen, und Unterricht genießen. Dieser soll aber mehr auf Erlernung der in feineren Zirkeln nöthigen Sprachen, als wirkliche Bildung, mehr auf Entwickelung vergnügender Talente, als des Verstandes gerichtet seyn. Die nicht selten sehr mannigfaltige Erfahrung solcher Erzieherinnen, die wenige Eingeschlossenheit, die ihren Zöglingen zu Theil wird, giebt ihrem Betragen bald eine angenehme Zwanglosigkeit, und so manche Scene, der sie wenigstens als nicht zu sehr entfernte Zuseherinnen beywohnen, ihrem Charakter eine Gewandtheit, die kaum bey den besten Anlagen in den gehörigen Schranken zu bleiben vermag. Wer dürfte wohl bestimmen können, in wie fern diese Anstalt den Vergleich, mit der bey uns gewöhnlichen Erziehung in Klöstern aushält? Aber die übergroße Fertigkeit der pohlnischen Damen alle Geschenke der Natur geltend zu machen – schon die kleinste dieser Art ist dem Philosophen am Genfersee verdächtig – die Oeffentlichkeit, mit der sie Abentheuer behandeln, die manchmal Nachsicht, nie aber Beyfall verdienen, und ohne den

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Schleyer des Geheimnisses nur rohen Seelen behagen können, der gewohnliche Mißbrauch der Ehescheidungen, zu denen meistens die Gewinnsucht eines Theiles Anlaß gibt, kann ihr keine günstige Meinung erwerben; wenn gleich diese Erscheinungen nicht ganz auf ihre Rechnung zu schreiben sind. Man zeigte mir eine Dame, die einen rechtschaffenen Manu, der sein mäßiges Vermögen mit ihr theilen wollte, plötzlich verließ, um einem ungleich reicheren die Hand zu geben. Als nun dessen Lage sich unvermuthet verschlimmerte, warf sie sich wieder in die Arme des ersteren, und sobald sie ihm die Zusicherung einer beträchtlichen Summe entlockt hatte, trennte sie sich abermals von ihm, um sie in Gesellschaft eines Landstreichers zu verprassen. Dieser nun gewohnt an eine Lebensart, deren Fortsetzung ihre gemeinschaftliche Verschwendung nach einiger Zeit unmöglich machte, trat sie an einen Gecken ab, der seine Börse als den Freibrief seiner Begierden ansieht. Möchte es doch recht viele Abweichungen von dem Gemälde geben, welches ich nach dem was ich allgemein hörte, mit Mißvergnügen entwarf; möchte es keine unter unsern Schönen geben, die sich ganz darinnen finde! – Möchten die Vortrefflichkeiten meiner Freundin . . . . nicht so seltene Ausnahmen seyn! Doch das müssen sie immer bleiben. Zweymal wiederholt die Natur kein Meisterstück!

Ein paar Stunden vor Krakau, außer der Poststraße, die hieher führet, liegt Wieliczka, ein unansehnlicher Flecken, der die ergiebigsten Salzbergwerke in Galizien, vielleicht in der östreichischen Monarchie, enthält. Ihre Ausbeute wird nach den meisten Gegenden jener Provinz, nach preußisch Pohlen und jenen Theilen unsers Vaterlandes verführet, die aus der gleichfalls an Salz so reichen, Marmarosch unzugänglich sind. Immerhin mögen galizische Hände den Lohn erhalten, der im entgegengesetzten Falle unsern Werkleuten zu Theil geworden wäre; aber wenn für jenes Mineral an Neapel jährlich beträchtliche Summen gezahlet werden, während es in unge-

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heuren Massen aus unserm Boden emporsteiget; wenn unsere Küstenbewohner, in Italien eine Feldfrucht kaufen müssen, mit der wir hier zu Lande die Schweine mästen; wenn ein Theil des Volkes mit Hunger ringet, indeß der andere über seinen Ueberfluß in Verlegenheit geräth; wer wird da nicht sehnlich wünschen, die unseligen Hindernisse einer bessern Einrichtung in jenen Dingen recht bald beseitigt zu sehen! Vergeben Sie eine Ausschweifung, die einem patriotischen Herzen natürlich ist. Die Bearbeitung erwähnter Bergwerke ist jener der Erzgruben ähnlich, mit dem Unterschiede, den die Beschaffenheit des Stoffes und seine Lage nothwendig macht. Das Salz findet man hier ohne alle Beymischung fremder Körper bald in Stücken, die kaum einen Cubikschuh messen, bald in kolossalischen Formen. Es ist ein beynahe unbeschreiblicher Eindruck, wenn man nach einer senkrechten Fahrt von 200 Klaftern in die Tiefe, in eine Halle tritt, die unsere größten Häuser bequem aufnehmen könnte. Was sie einst in sich faßte, haben die Hammerschläge nicht eines Jahrzehendes zu unserm Gebrauche vorbereitet, und schon blinken neue Kristalle in den ewig umnachteten Gängen. Der Beamte, der mich in diesen Gewerken umherführte, sagte, daß ein Centner hier gewonnenen Salzes um 2 fl. 27 kr. Verkauft werde, der ganze dabey verwendete Arbeitslohn aber nicht viel über 20 kr. Betrage. Er nahm hievon Gelegenheit den Nutzen dieser Anstalt für den Staat mit vielem Eifer, gegen die Einwendung derjenigen, welche sie als bloße Consumosteuer ansehen, zu vertheidigen, und unsere Unterredung würde sehr interessant geworden seyn, hätte nicht der Knall einer in den benachbarten Gängen eben gesprengten Mine auf einmahl dieselbe geendiget. Nachdem er von unzähligen Wölbungen mit dem Rollen eines Donners zurückgegeben ganz verhallet war, besahen wir die losgerissenen Stücke, die wohl mehrere Centner wiegen mochten; aus Versehen des Arbeiters waren sie nicht in der zweckmäßigsten Richtung, die von dem in die Steine gebohrten und mit Pulver ge-

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füllten Loche abhänget, gebrochen worden; in wenigen Augenblicken zerfielen sie unter den Keulen anderer Arbeiter in kleine Stücke, die nachher in eigens hiezu verfertigte Fässer, jedes zu 21/2 Centner, gepackt werden. Vieles Salz wird in länglichen Klötzen, die zugeründet und nach einem gleichen Maaßstabe von 6 Schuh in der Länge gehauen werden (Balvanen) versendet; vermuthlich weil es härter ist. Diese Vorkehrungen geschehen meistens in den Stollen, d. i. In de horizontalen Zugängen zu den Gruben selbst, oder Salzkammern, d. h. In dem durch Aushebung der Salzsteine leergewordenen Raume. Die ersteren sind durchgehends trocken und die älteren derselben beynahe verschwenderisch gezimmert, und so hoch, daß man bequem darin gehen kann. Die Luft ist dort nicht ungesund, nicht unrein; denn die weissen Mäntel, mit denen wir uns in das Zugwerk setzten, das uns in die tiefste Grube hinabließ, (was man Einfahren nennet) waren, als wir aus derselben stiegen, ganz ohne Flecken, ohne Hauch. Nachdem wir sie abgelegt hatten, schrieb ich meinen Namen in ein Buch, in welches alle, die diese Grube besehen, eingetragen werden. Es wird jährlich nach Hofe gesendet, und muß genau mit dem ebenfalls dahin zu schickendem Verzeichnisse der Erlaubnisse übereinstimmen, die das k. k. Gubernium in Krakau ertheilet, und ohne welche niemand eingelassen wird.

Die Zahl der täglich dort beschäftigten Leute gehet, ungeachtet der großen Ausbeute, wegen der erstaunlichen Einfachheit der Arbeit, nicht über hundert, desto beträchtlicher sind die Vortheile, die die Einwohner der benachbarten Gegend durch Verfahrung des Salzes genießen. Die Beamten sind dem Gubernium von Ostgalizien untergeordnet, welches in Krakau seinen Sitz und den Grafen Trautmannsdorf zum einstweiligen Chef hat. Ihre von Holz errichteten, nicht minder bequemen als niedlichen Wohnungen zeugen von der jener Provinz eigenen Verschwendung dieses beynahe schon mangelnden Mate-

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rials, die an Orten, wo es sich durch Thonziegel ganz leicht ersetzen läßt, noch weniger zu entschuldigen ist.

Die Poststraße von Wieliczka bis an die ungrische Grenze ist durchaus regelmäßig gebauet und ziemlich gut erhalten. Die Unbequemlichkeiten meines Nachtlagers, das ich wegen Eckelhaftigkeit der sogenannten Gasthöfe, auf einem Ochsenkarren aufschlug, und der auf Reisen mir eigene Drang nach Bewegung, nach Umhersehen, trieb mich mit dem Aufgehen der Sonne auf die Straße, und ich hatte mehr als eine Post zurückgelegt, ehe mein wenig empfindlicher Fuhrmann mich eingeholt hatte. Hatte ich auch nie von dem Irländer gehört, den seine Beine durch 3 Welttheile trugen, ich gäbe doch dieser Art zu reisen, in interessanten Gegenden und mit angenehmen Gefährten, den Vorzug vor der trägen Stellung in einem Wagen, der meistens, gleich dem unerbittlichen Schicksal, seinen abgemessenen Lauf fortrollet, während jener Reisende mit dem Interesse der sich ihm anbietenden Gegenstände immer gleichen Schritt hält, jeden Morgen das Wiederkehren seiner Kräfte fühlet, und am Abend das Behagliche leiser Ermattung genießt. – Und räth nicht auch Hufeland, in seiner Kunst das Leben zu verlängern, diese Methode an?

Die Landschaft selbst scheint, in Beziehung auf Fruchtbarkeit und Anmuth, unter die mittelmäßigen zu gehören. Bey Tarnow einem artigen Stadtchen, dem Sitz eines Kreisamtes, verschwinden ostwärts die Hügel, die bis dahin die Aussicht beschränkten; eine Meile nachher theilt sich die Straße, ihr rechter Arm führet nach Lemberg, der linke nach Dukla, der letzten Post auf pohlnischem Boden gegen Ungern. Bald nachher heben die Berge an, welche die Fahrt nach Bartfeld sehr beschwerlich machen, und zu unbilligen Parallelen zwischen den Wegen in deutschen und ungrischen Provinzen Anlaß geben. Hierüber sollen Sie in einem meiner späteren Briefe meine Gedanken erfahren. Die Häuser und Kleidung der Bauern haben auch auf dieser Strecke das ärmlichche Ansehen, das mich

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bey dem zwischen der Zips und Krakau wohnenden Landmann so sehr betrübte. Gerne hätte ich erfahren, ob dieser sich durch die deutsche Verwaltung Pohlens wirklich erleichtert fühle; denn ehemals lag doch ein schwerer Druck auf ihm. Der Zustand dieser Klasse stehet nicht immer in unmittelbarem Verhältnisse mit seinen Lasten, welche, wie es der Fall in dem deutsches Antheile der östreichischen Monarchie ist, durch größeren Absatz, oder häufigere Gelegenheit des Erwerbes sehr gemindert, oder minder schädlich gemacht werden. Diese Betrachtung ist bey dem oft unbilligen Vergleiche, des für unseren und den deutschen Landmann bestehenden Systems, meistens außer Acht gelassen worden.

In Dukla, einem unbeträchtlichen Orte, befindet sich ein Gebäude, dessen Eigenthümer durch die letzten Staatsveränderungen zugleich dreyerley Regierungen unterthan ist. Es kündiget sich dem Reisenden schon von ferne an; aber ungern vermisset er an demselben den anspruchslosen Charakter eines Landsitzes, und wird durch die steifen Formen beleidiget, die man der Natur in dem daran stoßenden Garten aufgedrungen hat. Nach einem kurzen Aufenthalt setzte ich meine Reise über Komawnicz, wo Ungerns Gränze anfängt, fort, und hoffte ganz gewiß am nämlichen Abend noch an Bartfelds Gesundbrunnen auszuruhen, als ein heftiges Ungewitter von dichten Schlossen begleitet, mich in einer Bauernhütte zu übermachten zwang. Von da kam ich nach einer mühsamen Fahrt von 4 Stunden, und nachdem ich einige Mahle des aus mehreren Bächen auf uns eindringenden Wassers wegen das Dach meines Wagens besteigen mußte, hieher, wo die Tiefe des die Straße von mir trennenden Stromes mich aufhielt, und ich, ohne diese Mittheilung mit meinem Freunde, um alle gute Laune gekommen wäre.

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c.

Bartfeld.

Wem doch schweiget der Hayn hochfeierlich? Ist der Bezirk hier
Heilig dem örtlichen Gott? Ist hier ein Tempel der Musen?
Oder schlummert sie vielleicht in moosiger Grotte?
O du, welcher den Hallen sich nähert der weißen Najade,
Tritt sanft über die Schwell‘ und erquick‘ dich; lege zum Dank ihr
Auf den Felsenaltar des Frühlings helleste Blume
Schweigend, und fleh‘ um Gedeihen in festlicher Stille der Hallen.

So hätte ich hier gesungen, wäre mir das Talent zu Theil geworden meine lebhaftesten Gefühle in Worte zu kleiden, welche dieselben auch andern abzulocken im Stande wären. Wie ist die Natur hier so hehr, so erhaben!

Im Hintergründe amphitheatralisch sich hebender Hügel steigt schnell ein schroffer Fels empor. Seine Stirne trotzt schon Jahrhunderte lang, heulenden Orkanen; ihm zu Füßen ein Wald schlanker Fichten, an deren buschichten Wipfeln Lüfte spielen, so rein, als kämen sie jetzt aus des Schöpfers Händen. – O sie, die immer weise und wohlthätig ist, fröhnte nicht der Eitelkeit, als sie diese majestätische Form annahm, sondern damit der von ihr an dieser Stätte Hilft suchende Geist freyer walle, und so auch den Wangen der Frühling eher wieder kehre! Nicht ferne von dem sanft abhangenden Hügel, der von Osten gegen den Mittelpunkt jenes Halbzirkels fortläuft, quillt der kraftschwangere Born mit sanftem Gelispel. Man hat eine Kuppel von schlechter Bauart über ihn gesetzt – was wäre auch die prächtigste hier! Der Mond stieg eben

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am heitern Himmel empor, als ich den Weg nach der benachbarten Stadt gleiches Namens (ich hatte ein Geschäft dort) antrat. Da, wo er sich aus dem Thale windet, sah ich noch einmal um, nach jener unbeschreiblichen Scene. Die feyerliche Stille, das bescheidene Licht des nächtlichen Planeten, das bald zwischen den sanft sich wiegenden Zweigen dicht belaubter Aeste zitterte, bald die Quellen versilberte, die den Seiten des Hügels entrieseln, lieh ihr einen Zauber, der unaussprechlich ist: und die kleinen, so vertraut neben einander liegenden Häuser, gerade als faßten sie nur eine Familie, die dem Getümmel einer verderbten Welt entronnen, hier harmlosen Tage genießet! Warum bist du nicht hier, um Empfindungen zu theilen, die jetzt ohne Widerhall verklingen, – Du, so offen den himmlischen Genüssen schmelzender Rührung, so rein gestimmt zur Natur! – Lebe wohl! Bald spreche ich dich wieder.

d.

Bartfeld.

Noch ehe es zu dämmern begann, verließ ich diese Stadt, und eilte zu dem Gesundbrunnen, von dem ich gestern so schwer mich getrennt hatte. Ich weiß von ihr daher nichts, als daß ich durch schlecht gepflasterte Straßen bey unansehnlichen Häusern vorüberging, dann auf einen länglich viereckigen Platz kam, an dem nicht viel bessere standen. Die meisten sind mit Sinnsprüchen auf eine Art verzieret, die wenigstens diese alle Vorübergehenden gewiß in das Gedächtniß zurück zu rufen vermag: aber die meisten jener Texte verdienen es wohl nicht, und wie viele sehen an ihnen nichts als Buchstaben? Die zum Theil gothisch gebaute Kirche an dem einen Ende des Platzes, gehört unter die große Menge jener, die man weder ganz zu übersehen, noch lange zu sehen vermag.

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Als ich bey dem Brunnen anlangte (der Weg dahin ist beynahe l l/2 Meile lang) traf ich schon mehrere seiner Gäste um denselben versammelt. Nachdem sie unter frohen Scherzen ihre Gläser geleert hatten, machten sie sich gleich auf die ihn umgebenden Spatzierwege. Dieß ist zum Gedeihen der Brunnenkur unentbehrlich; nur dürfte die Art, auf welche dieß von den meisten geschiehet, dem Zwecke nicht ganz entsprechen, welchem weder dem Wettrennen ähnliche Bewegungen, noch träges Einherschleichen angemessen ist, sondern ein gemäßigter Gang, der die Erschütterung durch das ganze Nervensystem allmählig fortpflanzet. Das Wasser schmeckt säuerlich, ohne herbe zu seyn, und erweckt den Kitzel eines geistigen Getränkes. Seine Bestandtheile sind Eisen und Magnesia: daher es vorzüglich zur leisen Reinigung und Stärkung der Gedärme empfohlen wird; doch soll es diese Wirkung als laues Bad in einem vorzüglichern Grade gewähren, als bloß getrunken. Manche mischen es mit Milch, um den Reitz zu mildern, den es auf den Brustwerkzeugen hervorbringen könnte. Der Ruf der hiesigen Najade (Sie erlauben mir doch diesen dichterischen Ausdruck, denn ich habe ihr auch schon meinen Hut gezogen) ist erst im Aufkeimen. Sie soll ihn größten Theils den Pohlen verdanken, die in großer Menge und im Gefolge vieler Krankheiten hieher kommen. Am häufigsten erscheinen hier die Gäste in den heißen Monaten Julius und August, die hier eine angenehme Temperatur haben; kühles Wetter könnte zumal den Badenden, leicht schädlich werden.

In Beziehung auf den Tisch und die Wohnung, ist nicht am besten gesorgt. Jenen hält ein Gastwirth, wie der in Amiens, der den launigen Yorick eben so hungrig entließ, als er gekommen war: diese bestehen in kleinen, theils gemauerten, theils hölzernen Gemächern, deren Außenseite den in meinem vorhergehenden Briefe geschilderten Eindruck, den diese Gegend auf mich machte, durch eine glückliche Ideenverbindung so sehr erhöhte. Die Gäste sind oft sehr enge und unbequem in diesen Zimmern.

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Ich war genöthiget eines zu nehmen, das unlängst übertüncht zu seyn schien. Dessen ungeachtet wäre ich recht froh darinn gewesen, hätte nicht eben diese Beschaffenheit desselben einen der Anwesenden zu einer äußerst tragischen Erzählung veranlasset. Zwey sich innig liebende Gatten, die ihren Bund dem Schicksale abgetrotzt hatten, beherbergte ein ähnliches Zimmer. Während ihrer nächtlichen Ruhe, wurde es durch ein im Ofen zufällig entbranntes Stück Holz mit erstickendem Dampfe gefüllt. Der erste Laut des mit den schmerzhaftesten Mitteln von den herbeieilenden Dienern wiedererweckten Mannes, ist der Name seiner Caroline. „Man hält sie mit Gewalt von dieser zu sehr erschütternden Scene entfernet, antworteten jene schluchzend. Er rufet sie noch immer, bis er durch Leiden aller Art ohnmächtig, auf sein Lager zurücksinket. Endlich öffnet er seine Augen wieder, und sieht einen Leichenzug in dem Hofraum des Hauses; – sie ists! Sie ists! Schreyet er in den gräßlichsten Tönen, und rennt mit der Wuth der Verzweiflung bis zu dem Sarg, erbricht ihn, und liegt Stunden lang in sinnloser Umarmung des auf ewig ihm entrissenen Weibes. Mit Mühe rief man ihn ins Leben zurück, aber Heiterkeit kehret ihm nie wieder, die Natur ist ihm ausgestorben und die herrlich glänzende Sonne ist ihm ein düsterer Schein, der ihm zum Grabe leuchtet, wo er sie, die er hier auf eine so schreckliche Art verlor, einst wieder zu finden hoffet. –

Um den erwähnten Unbequemlichkeiten vorzubeugen, sind schon Plätze für mehrere Häuser angewiesen, auch läßt die Stadt Bartfeld, auf deren Gebiete der Brunnen quillt, einen geräumigen Saal, nebst mehreren Nebenzimmern erbauen. Doch sind die Bedingungen, unter welchen jene hintangegeben werden sollen, (daß, solange in öffentlichen Gebäuden noch Raum ist, Privatleute keine Gäste beherbergen dürfen) weder dem Zwecke dieser Anstalt, noch dem dauerhaften Interesse der Stadt, die durch den so fortwährenden Zusammenfluß der Fremden sehr gewin-

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nen würde, angemessen. Ich habe in meinem letzten Briefe schon der Kuppel erwähnt, (eigentlich ist es nur ein hölzernes rundes Dach) wodurch man den Brunnen gegen Sonnenstrahlen schützen will. An den wohltätigen Einfluß dieser Einrichtung mag man wohl größten Theils glauben, wegen einer ähnlichen in Füred; denn Spaa‘s und Carlsbaad‘s Quellen strömen ohne allen Schirm, und wer kann der Natur vorschreiben, welchen Grad der Wärme sie zu ihrer heilsamen Vorbereitung nöthig hat?

An der dem Thale zugekehrten Seite jenes Daches erinnert eine lateinische Inschrift an seinen Errichter, den Fürsten Chatorinsky, dem man sie, um seiner Humianität und Beförderung des allgemeinen Vergnügens willen, gerne gönnet: ob er gleich vielleicht eben durch diese seine Liberalität manchen der schon nahen Genesung entrissen und Leiden wieder gegeben haben mag, denen er kaum entronnen war. Daß doch die Menschen überall durch ihr Gaukelspiel sich um die reinsten Genüsse betrügen, und ohne dem bunten Tand der Eitelkeit bey dem erhabensten Schauspiele der Natur gähnen; daß sie so wenig gedenken der weisen Regel: Entbehre und genieße! Ich grämle nicht, wie Sturzens Hypochondrist, dem eine zerrüttete Organisation jeden Genuß vergället; auch fliehe ich die Menschen nicht, wie Kotzebue‘s Unbekannter, der alles in der Farbe seines Unglückes sieht. – Aber soll man nicht unwillig werden, wenn mancher Stirne in wirbelnder Bewegung Schweißtropfen entrinnen, die nimmermehr der Menschheit geflossen wären; wenn so viele von der Quelle der Genesung zu schwelgerischen Gastmalen eilen, und, während an des Himmels hehrem Gewölbe unzählige Sterne flimmern, in dunstigen Zimmern ängstlich nach bemalten Blättern gucken, um bey dem majestätischen Erwachen der Natur in betäubendem Schlummer zu liegen? Den Geist bereichernde Mittheilungen (und wo ladet alles, mehr dazu ein, als hier!) verdrängen convenienzmäßige Besuche, und im seelenlosen

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Geräusche prunkvoller Zirkel ersticket die leise Sprache feiner Gefühle! Jetzt zwar sind diese Beschuldigungen minder richtig: denn die seit einigen Wochen sehr verminderte Zahl der Gäste hat jenen schalen Zeitvertreib ziemlich beschränket.

Die Umgebungen Bartfelds sind reich an Mineralwässern, unter welchen das Langenauer ohngefähr eine Meile von hier, dem hiesigen am nächsten kömmt, und bereits einigen Ruf hat.

Ich vermißte hier sehr ungerne den bey jedem besuchteren Brunnen nöthigen Arzt, den mehrere Vertraulichkeit mit den Eigenschaften der Quelle und mit dem Klima, mehrere Bekanntschaft mit der Natur der Krankheiten oder Unbehaglichkeiten, von denen man bey demselben Vefreyung suchet, in den Stand setzen würde, nützlichere Diäten vorzuschreiben, als jene sind, die man meistens in seiner Brieftasche mitbringet, und vielleicht unter einem andern Himmelstriche aufgezeichnet hat. Der in der Stadt Bartfeld angestellte Arzt kömmt zuweilen hieher, aber nur um jedesmal eine bestimmte Zahl von Flaschen in dem Brunnen füllen zu lassen, sie hermetisch zu versiegeln, (welches unter dem Wasser selbst geschieht) und nach Pesth zu versenden, wo sie durch Kaufleute und Apotheker fast in alle Gegenden Ungerns, und wiewohl in kleinerer Menge, auch nach den deutschen Provinzen geschickt werden. Das Wasser soll auf diese Art seine volle Kraft über ein Jahr behalten. Ich wollte eben den Brunnen verlassen, als sich uns mehrere Wagen von ziemlich gutem Ansehen näherten. Die Neugierde ihre Eigenthümer zu sehen, hielt mich zurück. Es waren pohlnische Damen, die aus Bartfeld jeden Morgen hieher kommen, um das Wasser zu trinken. Ich habe ihre Namen vergessen, nur das weiß ich, daß die eine ungeheuer reich, und an einen – Narren verheirathet seyn soll. Ohne eigentlich schön zu seyn, gefielen sie durch Munterkeit und blühende Jugend; den Mangel höherer Reitze ersetzte nach Möglichkeit das Verdienst

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eines gut gewählten Anzuges. Sie sprachen anfänglich pohlnisch; seit dieser Zeit halte ich diese Sprache für wohlklingend; dann französisch, ungemein schön, eine, wie ich hörte, unter den pohlnischen Damen allgemeine Eigenschaft. Ich betrachtete einige Zeit die mannigfaltigen Gruppen, die sich um sie bildeten, und die ich sammt alle dem Mienenspiele, das nachher begann, von dem mir, als kaltem Beobachter, nicht ein Zug entging, Ihnen genau schildern möchte, wenn ich mir vorstellen könnte, daß diese Schilderung interessant seyn würde. Nach einem kleinen Spaziergange in den zwischen meiner Wohnung und dem Brunnen befindlichen Alleen, ging ich auf den Speisesaal. Seine Beschaffenheit und die Gestalt der Gäste ließ mich sehr wenig Unterhaltung hoffen. Diese entstehet entweder durch Mannigfaltigkeit oder Bildung jener; hier schien sich keines zu finden. Auch mag ihr gegenseitiges Verhältniß, es waren meistens östreichische und preußische Pohlen, die Ungezwungenheit des Gespräches, an die nicht selten sich gute Einfälle reihen, ganz gehemmt haben. Außer den mißrathenen Scherzen eines abgedankten Dragoneroffiziers, mit einem Aussehen, wie das des spanischen Gouyerneurs in Voltaire‘s Candide, und außer den abentheuerlichen Geschichten, die ein italienischer Sprachmeister sehr lebhaft erzählte, ward fast nichts gesprochen. Nach Tische ruhete ich, Und schrieb diesen Brief, in welchem ich sie mit dem Plane meiner weitern Reise bekannt machen wollte. – –

e.

Bartfeld

Vor einigen Stunden kehrte ich von einer Fahrt nach hem 3 ½ Meile von hier gelegenen Orte Sborow zurück. Der Weg dahin gehet anfänglich über sandige Flächen, dann neben schmalen von senkrecht emporstrehenden Felsen eingeschlossenen Wiesen. Wo er offener

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wird, durchschneiden ihn viele Bäche, die oft plötzlich zu strömen anschwellen, und die von ihrem Rinnsaale losgerissenen Steine weit über fruchtbare Felder fortwälzen. Als ich bey Langenau, dessen ich schon einmal erwähnte, vorüber fuhr, stieg ich aus dem Wagen, um die niedrigen, jedoch reinlichen, Häuser zu besuchen, die den Gästen dort zum Aufenthalt dienen. Einige unfern gepflanzte Reihen dichtbelaubter Bäume gewährten ihnen einen angenehmen und stärkenden Spatziergang. Sborow selbst ist von einer Kette abwechselnd sich hebender Hügel umgeben, und gegen Osten laufen flachere Strecken fort, die durch Wälder, aus deren Hintergrunde mächtige Felsen winken, beschränkt werden. Es befinden sich dort zwey Schlösser, deren eines dem Grafen Szirmay, der mich zu sich geladen hatte, das andere dem Grafen Aspermont gehöret. Jenes bietet ungeachtet seiner, mehr als einem Jahrhundert angehörigen, Außenseite, viele Bequemlichkeit dar; dieses empfiehlt sich auch schon dem Auge, und stößt an eben so niedlich, als zweckmäßig, erbaute Wirthschaftsgebäude, welche die nicht gemeine Industrie des Eigenthümers bewähren. Möchte sie doch, besonders seine Stallfütterung, recht viele Nachahmer finden! Aber freylich werden die Bewohner unabsehbarer Hutweiden sie nicht sobald abschaffen, da der Pflug so übel lohnet, und das Vieh, durch indirecten Alleinhandel, in schwankenden Preisen stehet! Wer von Galizien nach Bartfeld fährt, muß durch diesen Ort; aus den Fenstern des szirmayschen Schlosses sahen wir mehrere Fuhrwerke auf der vorübergehenden Straße, darunter manche sich durch ihre Formen und helle Farben auszeichneten. Diese Wagen schienen einigen aus der Gesellschaft ein auffallender Beweis der pohlnischen Verfeinerung und des Kunstfleisses zu seyn, den sie auch noch gegen meine Bemerkung, „daß Werke des bloßen Luxus von wenigen, vielleicht fremden Händen, wenn schon im Lande selbst, verfertiget, allgemein verbreitete Industrie nicht erweisen,“ – mit Hartnäckigkeit vertheidigten.

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Bald darauf schlug uns der Hausherr einige Bewegung in seinem Garten vor. Dieser bestehet vor der Hand aus einigen geraden Baumgängen, Blumenbeeten und geräumigen Rasenflächen: wenn aber die dort schon sichtbaren Anlagen ausgeführt seyn werden, so wird man ihn ein glückliches Mittelding, zwischen den steifen französischen Gärten und dem planmäßigen Chaos, das gemeiniglich für englische Gärten gilt, nennen können. Unser Vergnügen wurde bald durch einen heftigen Platzregen gestört, der uns nur einige Stunden nach unserer Rückkehr hieher verließ.

Ich vergaß Ihnen eine Beschreibung des vorgestern im hiesigen Saale gegebenen Balles zu machen. Den Saal kennen Sie schon aus meinem vorhergehenden Brief. Da alle übrige Anstalten sehr wenig erwarten ließen, so führte mich bloß die Erwartung, pohlnische Tänze zu sehen, dahin. Ich wurde auf eine nicht unangenehme Art befriediget. Der größere Theil der Anwesenden bestand aus Pohlen. Ihr Tanz verdrängte daher bald alle übrige, welches die Gefälligkeit unserer Landsleute ihnen gerne zuzugestehen schien. Der Tänzer führt anfänglich seine Tänzerin in sanft sich wendenden Richtungen umher; seine Pantomime drückt Frohsinn aus, durch den zärtliche Regungen, wie durch einen Schleyer, schimmern. Ihre Blicke suchen sich nicht sorgfältig, aber sie begegnen sich manchmal, ihr Schritt ist mehr feyerlich als munter; nun schlängelt ihr Gang sich mehr, bald verschwinden sie hinter den folgenden Reihen, jetzt trennet dieses Vorrücken sie gänzlich, sie scheinen sich ängstlich zu vermissen, der Augenblick des Wiederfindens entlocket ihnen lebhafte Empfindungen, aber bald verklingen sie wieder, und allmählig kehret der Charakter ruhiger Würde, mit der sie begannen, wieder zurück. Könnte man genau unterscheiden, was jedem Tanze ursprünglich eigen war, und was Nachahmungssucht hineinzubringen, oder manches Tänzers Genie daraus zu entwickeln wußte; so würden Nationaltanze wenigstens einige Züge des Nationalcharakters vermuthen

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lassen. Jetzt hat die so häufige Mittheilung zwischen den Bewohnern der entlegensten Länder, und die Herrschaft, welche einige aus ihnen beynahe über Alles bey den übrigen ausüben, Aeußerungen dieser Art so in einander verflößt, daß keine ein entschiedenes Colorit hat. Bey den einfacher lebenden Klassen ist daher der Unterschied doch noch auffallend: man vergleiche das Entschlossene, Rasche des ungrischen, mit dem wirklich rohen, fast bloß wollüstigen Tanze der Deutschen, oder den gewandten immer sich wiegenden Schritten der Walachen.

In diesen Betrachtungen, zu denen einer der Anwesenden mich aufforderte, wurde ich durch das Händeklatschen gestört, mit dem zwey junge Männer empfangen wurden, die so eben in kosakischer Kleidung in den Saal traten, und mit grotesker Gebehrde sich zum Tanz aufforderten. Die Versammlung schloß einen geräumigen Kreis um sie, an dessen entferntesten Punkten sie sich einander gegenüber stellten, und wechselsweise in den seltsamsten Schritten und verwegensten Stellungen sich näherten. Diese wurden mit jedem Gange auffallend geändert und der ruhende Tänzer schien immer auf die Ueberraschung des andern durch neue, oder gewagtere Bewegungen zu sinnen. Diese letzte Eigenschaft mag wohl die hervorstechende dieses Tanzes seyn: aber der lärmende Beyfall, mit dem ein Paar Luftsprünge aufgenommen wurden, machte sie bald zur einzigen: so daß mehreren um diese Künstler bange zu werden anfing. Das kann nimmermehr die Natur dieses Tanzes so fordern; denn auch der roheste Tanz muß das Gepräge irgend einer Empfindung haben, oder sich der Darstellung einer Handlung nähern, weil sich schlechterdings kein anderer Ursprung dieser Unterhaltung denken läßt. Das Lob, welches jene Tänzer einärnteten, bewahrte die allgemeinen Begriffe, die der größere Theil sich von der Kunst machet. Daher vernachläßigen unsere Schauspieler den kunstlosen Ausdruck verschönerter Natur, um durch manierirte Gebehrden zu reitzen, und so ein Lob

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mag dem Angelo Brocolletti, *) zu dem ihm gewiß lästigen Titel: il più grande ballerino, (der größte Tänzer,) verholfen haben.

Meine Abreise ist doch auf morgen festgesetzt; ich betrachte mich daher schon als geschieden von dem Hayne, in dessen Angesicht ich Ihnen schreibe. War es dieser Gedanke, oder der Reitz, den ihm die durch gebrochene Gewitterwolken strahlende Sonne lieh, der mich ihn abermals zu betreten bewog. Dort, wo sich ein breiterer Gang am Rande des Hügels sanft fortwindet, und aus dicht belaubtem Gewölbe, die Aussicht auf abhangende Wiesen und auf die jetzt häufig befahrene Landstraße darbietet, stand ich einige Augenblicke stille, um eines Anblickes zu genießen, der mir vielleicht nie wieder zu Theil werden soll; und hätte es die Kürze meiner noch freyen Zeit, das ausdrückliche Versprechen, die Gefährten meines ersten Eintrittes in die Welt noch diese Woche zu besuchen, nicht unmöglich gemacht meinen hiesigen Aufenthalt zu verlängern, ich hatte ihm, um dieses Anblickes willen noch mehrere Tage geschenkt, die ich unter die angenehmsten

*) So hieß ein Figurant auf dem Theater San Benedetto in Venedig, der durch das Mangelhafte seiner Bewegungen (er hatte ein hölzernes Bein) das Publicum immer zum Lachen bewog. Als ich meinen Unwillen über diesen erbärmlichen Gaukler, der es mir schwer machte, meine Aufmerksamkeit auf das Ganze zu richten, meinem Nachbarn im Parterre erklärte, – „Come? egli e‘ il più grande bellerino!“ antwortete er lachend; dann fuhr er italienisch fort, „ er ist mit einem Beine hier, mit dem andern in Turin, wo er durch einen mißrathenen Sprung es verlor.“ Und selbst über das Schwere, das Kühne, sogar in körperlichen Uebungen, ist das Urtheil der Menge nicht immer richtig: denn jenes lernet man erst durch eigene Versuche kennen, und es ist gerade dort, wo es das Auge am wenigsten entdecket. Ein auffallendes Beyfpiel sind die Sprünge der Kunstreiter.

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meines Lebens zählen würde – könnte ich Ihren Umgang entbehren. Sie wissen nun meine fernere Reise, weil sie wissen, daß jener junge Mann G. Dezsöffy ist, welcher in Finta unweit Eperies wohnet. Ich freue mich herzlich auf unser Wiedersehen. Wäre er auch nicht das blühende Genie, das jedes Ding fruchtbar zu machen, dem undankbarsten Stoff eine schöne Seite abzugewinnen weiß, liebte er mich auch minder; so wäre doch die Erinnerung unsrer gemeinschaftlichen Laufbahn, auf der ein immer groß und edel handelnder, aber immer verkannter, Mann uns leitete, der Wiederhall mancher itzt beynahe verklungenen Empfindung, unaussprechliche Wonne. Der Blick rückwärts hat so vielen Reitz! Den in die Gegenwart trübt die Ahndung der Zukunft, auf deren Morgenröthe nur zu oft die Finsterniß der Mitternacht folget. – Was vorüber ist, raubt niemand mehr, es ist wieder ganz unser, wenn wir es abermals vor uns rufen! Von Finta gehe ich nach Kaschau, und von dort vermuthlich in die Tokayer Gebirge, dann den kürzesten Weg nach Ofen. Es soll durchgehends gute Straße seyn; seitdem ich aber erfahren habe, wie verschwenderisch man in den Gegenden, durch die ich reiste, mit diesem Beiworte ist, bin ich mißtrauischer und habe mir statt 2, 4 Pferde bestellet. Es sind Mietpferde eines Bartfelder Bürgers, und das ist mir sehr lieb; denn bey den jetzt sehr dringenden Arbeiten des Bauern würde die Vorspann (wenn ich sie gleich, wie mein erster Brief zeigt, nicht aus dem falschen Gesichtspuncte betrachte, in dem sie die meisten Fremden sehen) ihm sehr lästig gewesen seyn. Wenn ich Ihnen, wieder schreibe, weiß ich nicht, aber gewiß geschieht es eher, als Sie es vermuthen, weil Sie mir werther sind, als Sie es vermuthen, und daran ist bloß Ihre Bescheidenheit Schuld.

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Ternye.

Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, keine Vorsätze auf Reisen zu machen, weil die meisten mir mißlingen. Meine ununterbrochene Fahrt bis Finta war fest bestimmt, und nun bin ich durch meine zerschmetterte Wagenachse gezwungen, bis Nachmittag hier zu verweilen; denn eher kann nach des Schmiedes Versicherung jener Schaden nicht hergestellt werden. Ich benutze diese Zeit, um die Beschreibung der Stadt Bartfeld nachzutragen, die ich seit meinem kurzen Nachtlager alldort nicht wieder besucht hätte, wenn nicht mein Versprechen Ihnen vollständige Schilderungen zu machen, es gefordert hätte. Jenes ist mir daher doppelt lieb, als Veranlassung genauer zu beobachten! Zu wie viel Guten war Ihre Bekanntschaft nicht schon Veranlassung geworden!

Das Ansehen Bartfelds und seine Lage lassen eine frühere Entstehung vermuthen, als worüber wir Urkunden haben, von denen das vom Carl I. 1323 diesem Orte ertheilte städtische Privilegium die älteste ist. Von hohen Gebirgen beynahe eingeschlossen, und wo diese keine sichere Schutzwehre zu gewähren scheinen, durch dichte Wälder gedecket, auf dem Rücken einer steilen Erhöhung so gebauet, daß die niederen Abschnitte derselben gleichsam zur Vormauer dienen, dürfte sie einst der Punct gewesen seyn, aus dem entweder entschlossene Krieger die umliegende Gegend mit Plünderungen heimsuchten, deren sie dann hier ruhig genoßen; oder ein Zufluchtsort von Stärkeren geängstigter Menschen. Die allgemeine Sage erklärt sich für die erste Vermuthung, indem sie einen römischen Soldaten Laurenz an die Spitze jener Krieger setzt, der nachher seinen Muth gegen die damals in jene Gegend einbrechenden Tartaren wendete. Das nun zur Stadt gehörige Gebiet ist von geringer Ausdehnung, unfruchtbar, durch Berge und Thäler unterbrochen, und bringt beynahe nichts als Haber hervor. Desto besserer Art sind ihre Wälder, die meistens aus schönem Nadelholz be-

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stehen. Der Rathsherr Mokoschiny, dem ich empfohlen war, und der alle Fremde mit vorzüglicher Bereitwilligkeit aufnimmt, sagte mir: daß man in vielen Kellern der Stadt, Buchenholz, welches in dieser Gegend nicht mehr vorhanden ist, finde, allwo es zum Theil zur Stützung der Häuser dienet. Jetzt ziehet man es mit vieler Mühe, wo es anders möglich ist, hervor; seine Seltenheit, seine ins dunkelroth spielende Farbe geben ihm vorzüglichen Werth, und es nimmt sich zum zierlichen Hausgeräthe beynahe besser aus, als das sogenannte jetzt sehr beliebte Tißaholz. In erwähnten Kellern findet man auch Schmelzöfen, deren Errichtung die in den altern Schriften der Stadt gemeldeten Metallgruben veranlaßt haben mögen. Man stehet es der Stadt an, daß ihre Verhältnisse jemals blühender waren, als jetzt. Die Verbindung, in der sie ehe mit Pohlen und Schlesien gestanden, hat bey dem gegenwärtigen Zustande dieser Länder fast ganz aufgehört, wenigstens kann sie den Städten Oberungerns, deren Abnahme sichtbar ist, nicht mehr den ehemaligen Nutzen durch Freyheit des Handels nach Norden, dessen Hauptplatze in Beziehung auf Ungern sie waren, gewähren. Doch bleibt die Lage Bartfelds in dieser Rücksicht immer noch vortheilhaft, denn hier treffen die Straßenzüge nach Lemberg, Warschau, Krakau, Schlesien und Tokay zusammen. Die Einwohnet benutzen dieß nach Möglichkeit; ihr Fuhrwesen ist ansehnlich, mittelst welches sie ungrische Weine bis in das Herz von Preußen und Rußland befördern. Zu den Ursachen, die Bartfelds Flor hemmten, mögen auch Rakoczy's verheerende Unternehmungen gehören, die durch das abwechselnde Glück, mit dem sie einige Zeit geführet wurden, noch drückender seyn mußten, weil beyde Partheyen dort abwechselnd ihre Rache kühlten, oder Kräfte zu neuem Streite aufrafften. Hiedurch soll die Stadt über 200,000 fl. verloren haben: eine im Verhältniß der damaligen Seltenheit des baaren Geldes, wirklich große Summe. -–

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Ich ärgerte mich mächtig über einen Fremden, der sich mir anschloß, und das traurige Gefühl, mit welchem die Magistratspersonen von dem ehemaligen höhern Wohlstände ihrer Mitbürger sprachen, durch eine hochtrabende Tirade, auf Palmira's majestätische Ruinen, und den am Rhein und in Italien noch dampfenden Schutt, gleichsam eines Schwäche beschuldigen wollte! Verliere ich an meiner dürftigen Hütte nicht Alles, wenn gleich tausend stolze Palläste zu gleicher Zeit in die Asche gelegt werden? Doch mag zu seiner Entschuldigung dienen, daß er jene Scenen vielleicht unlängst gesehen, vielleicht selbst dabey geblutet habe, und ach – er stehet jetzt nicht auf vaterländischem Boden. Nach so vielen unseligen Ereignungen, deren Schauplatz Bartfeld war, verweilet man mit Vergnügen bey der freundschaftlichen Unterredung, die König Matthias, zufolge der im Archiv dieser Stadt befindlichen Nachrichten, mit dem König von Pohlen hier gehalten hat, wenn gleich ihr Resultat den Nachkommen unbekannt blieb, die jetzt durch Manufakturen, Hanf, Bienenzucht, Leinwandweberey und dem Reste eines ehemals ansehnlichen Weinhandels im Ganzen ein bequemes Auskommen sich verschaffen, und das angenehme Bild des mit Mäßigkeit gepaarten Fleißes gewähren. Außer dem Gesundbrunnen, an dessen Quelle ich so vergnügt war, und seinen um ihn her zerstreuten, minder berühmten, vielleicht nicht minder nützlichen Brüdern, hat die Natur die Umgebungen dieser Stadt mit keiner besondern Erscheinung beschenket; aber sie sind interessant durch den Anblick, den die Stellung der darauf befindlichen Steinmassen gewahret, unter denen man 13 vorzüglich unterscheidet, die hier eben so viele Berge, und nach besonderen Namen, heißen. Am Gipfel des einen (Mniho) wankt eine schon erschütterte Wand eines ehemaligen Klosters; die übrigen sind so seinen Rücken hinabgerollet, daß die größten Stücke höher, die kleineren immer näher an seinem Fuße liegen, gleich als hätte ein unwilliges Schütteln seines Hauptes diese einsamen Zellen hinweg geschleudert, und die leichteren Trüm-

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mer in eine größere Entfernung, die schwereren aber in eine kleinere geworfen, um nicht unnütze Mühe zu haben. Drey Flüße Tapoly, Bresnicz und Lucawicza, entspringen auf dem Gebiete Bartfelds aus eben so vielen Gegenden; unter der Stadt selbst vereinen sie sich zu einem Strom, der gegen Sonnenaufgang, unter dem ersten der eben erwähnten Namen forteilt. Diesen legt er nach einem Lauf von 14 Meilen ab, wo er mit der Bodrogh, und endlich mit der Theiß sich vermenget. Er enthält viele und schmackhafte Fische, vorzüglich Forellen, mit denen mein höflicher Führer Mokoschiny mich reichlich bewirthete. Ein naher Hügel, der Weinberg heißt, und eine günstigere Lage als die übrigen hat, führte mich auf die Vermuthung, daß man einst Wein dort gepflanzt habe; man bestättigte sie, und versicherte mich, es fanden sich dort noch jetzt Rebenwurzeln. Ich setze dieses hieher, um einen neuen, wenn schon nicht entscheidenden Beweis, für den von Ihnen bestrittenen Satz zu erhalten, daß Namen, zumal ältere, meistens in Eigenschaften der Dinge, oder irgend einer damals interessanten Begebenheit, ihren Grund haben. (Conveniunt rebus nomina saepe suis). Es scheint so natürlich, daß der hervorstechendste Eindruck einer Sache auch derjenige sey, durch den man sie charakterisieren will, von dem man auch andere zuerst benachrichtigen will; und das geschiehet durch den Namen.

Die Einwohner Bartfelds zählen nicht über 4000; die meisten sind slavischen Ursprungs, doch find der Deutschen auch eine ziemliche Menge. Juden mag es nicht über 100 hier geben. Die in der Stadt übliche Kleidung hat noch den Zuschnitt, der vor 80 Jahren der herrschende gewesen seyn mag. Wenn ich die neumodischen Gäste des Brunnens mit diesen treuen Anhängern der alten Formen vergleiche: so müßte ich die Strecke, die sie trennet, für 100 Meilen weit halten, denn sie haben sogar nichts mit einander gemein, daß man sie für so getrennt halten muß. Doch dieß ist ganz leicht erklärlich aus ihren verschiedenen Verhältnissen: Luxus und Fruga-

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litat, auf Erwerbung des Unterhalts fortwährend gerichteter Fleiß und der Uebermuth des durch Geburt, oder erlaubte Prellereyen erhaltenen Reichthumes – was haben die gemein?

Ich war schon eine gute Strecke gegen Ternye fortgefahren, als mich die Lust anwandelte, meinen Wagen zu verlassen, um die Stadt noch einmal zu besehen, und ihr Ganzes mir vorstellen zu können. Die Entfernung lieh ihr etwas, das sie in der Nähe nicht besitzt. Die drey sie umschließenden Ringmauern, die zwischen den unbedeutenden Werkern angebrachten Thore (es sind 3 große für Wägen, und 3 für Fußgänger) um die ein Graben läuft, gewähren die Täuschung einer Festung, und die außer der Stadt zerstreuten Häuschen, unter denen das protestantische Gotteshaus das ansehnlichste ist, lassen geräumige Vorstädte vermuthen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß aus den vielen Betrachtungen, die aus diesem Anblick hervorgehen konnten, der Vergleich der jetzigen Befestigungskunst, mit jener, die Bartfeld einst schützte, mich beschäftigte, und ich ihm gerade die angenehmste Seite abgewann: daß nämlich die Werkzeuge selbst unserer grausamsten Zerstörungen, der Verheerungen, die uns mit den rohen Barbaren in eine erniedrigende Parallele setzen, nun so eingerichtet sind, daß um sie gebrauchen zu können, wir erst aufhören mußten, Barbaren zu seyn. Eine Bemerkung, mit welcher der unsterbliche Gibbon Europa's gebildetere Völker über das Hereinbrechen sie verschlingender Horden beruhiget; denn die Künste, die erhabenen Berechnungen unseres Verstandes werden bleiben, aber die Wuth, sie unserm Verderben zu widmen, kann doch einmal uns verlassen!

Ich würde mich nicht wundern, wenn dieser Brief das Gepräge der Eilfertigkeit und alle die Mängel einer nicht unter den günstigsten Umständen vor sich gegangenen Geburt hätte. Der mir angewiesene Platz ist unter einem durchlöcherten Dach, durch welches der Wind heftig pfeift, und die heftigen Hammerschläge, die meinen

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Wagen wieder herstellen sollen, sind der Ruhe des Schreibenden nicht sehr zuträglich: aber es ängstigte mich, wie eine Schuld, an Sie zu schreiben.

Die Straße von Bartfeld hieher, die nicht volle 4 Meilen beträgt, gehört unter die große Menge jener in unserm Vaterlande, die vielleicht auch ohne, die auf sie verwendete Arbeit, in dem nämlichen Zustande wären, in welchen diese sie versetzte. Dieß mag wohl meistens dem gänzlichen Mangel der hiezu nöthigen Leitung und der Fertigkeit in Beobachtung derselben zuzuschreiben seyn. Letztere ist von dem, hierinn nie genug unterwiesenen, mit den nöthigen Werkzeugen dürftig versehenen Landmanne nicht zu erwarten. Und muß er nicht oft dieser ihm nur wenig nützenden Beschäftigung eine Zeit opfern, die seiner Erhaltung, der Erhohlung der beynahe erschöpften Kräfte unentbehrlich wäre? Aber selbst diese fehlerhafte, gewiß unrechte Einrichtung – denn hat der Adeliche nicht mehr Wägen, als der Unterthan? – könnte bey größerem Fleiße der Magistratspersonen, bey strengerer Auswahl der Comitats-Ingenieure, die eigentlich dergleichen Arbeiten leiten sollen, nützlicher werden. In vielen Fällen würden selbst diese Mittel nicht hinreichen; dann muß man bedauern, daß gerade von jenen, die weniger leisten können, mehr gefordert wird. Denn in bergichten Gespannschaften sind der zu bauenden Wege mehr, ihre Erhaltung kostbarer, und der Landmann fast immer dürftiger. Jede Gespannschaft ist in gewisser Rücksicht eine isolirte Provinz; die Lage von vielen ist aber so beschaffen, daß sie mehreren andern mit drückendem Aufwande gleichsam als Hilfsmittel zur Erreichung beträchtlicher Vortheile dienen. Z. B. jene, die zur unmittelbaren Verbindung mit andern Provinzen Wege errichten müssen, ohne welche die Produkte der übrigen keinen, oder nur einen geringen Werth hätten. Ein für alle bestimmter Fonds, der für seine Auslagen durch billige Zölle entschädiget würde, könnte den meisten Nachtheilen dieser Art abhelfen. Aber wir wähnen hierin den Umsturz unserer Rechte zu sehen, wäh-

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rend wir alle übrige Hervorbringung der Kunst gerne bezahlen. Ich ende ein Raisonement, das viel zu wichtig ist, als daß ich es jetzt entwickeln könnte. Ich überließ mich dem Drange von diesen Gegenständen zu sprechen, weil ihr Interesse allgemein ist, und meine Briefe nichts anders seyn sollen, als getreue Darstellungen alles dessen, was meiner Seele vorschwebet.

Von dem Hügel, der nicht ferne von hier liegt, sah ich mich nach der ganzen Gegend um. Sie hat etwas rauhes, dichte Eichenwälder, jählings abschießende Bergrücken, an die sich nur gegen Süden sanft gesenkte Wiesen reihen. Die flacheren Striche sind mit vortrefflichen Waitzen angebauet, und die schönen Saaten von Heidekorn lassen hier gute Bienenzucht vermuthen. Es ist mir, als ahndete ich in der Ferne mehr offenen Raum, wenn anders nicht die stärkere Beleuchtung der mir im Rücken liegenden Anhöhen diese Täuschung hervorbringt. Bis Finta sollen noch 1 ½ Meilen seyn. Bey dem langsamen Vorrücken der Arbeit an meinem Wagen, kann ich wohl nicht hoffen vor der Dämmerung zu meinem Freund zu kommen; wenigstens wird seine Neigung zu mir ihm das Ende eines Tages theuer machen, der ihm auch schon angenehm begann, weil er ihn von meinem Entschluße ihn bald zu besuchen benachrichtigte. Leben Sie wohl, und lohnen Sie es Ihrem Freunde, daß er so fleißig schreibt, obschon so was sich von selbst lohnet.

Graf V. B**.
Topic revision: r16 - 26 Jan 2012, KatalinBlasko
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