Der Vern\xFCnftige Zeitvertreiber

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Der Mensch, eine Fabel, nach dem Spanischen

Als Jupiter die Welt gemacht hatte, gab er den Thieren das Leben, noch ehe er den Menschen, das Meisterst\xFCck seiner Allmacht hervor brachte. — Der Esel, so bald er seine Augen aufsperrte, erblickte er die wunderbare Mannigfaltigkeit, der ihm umgebenden Gegenst\xE4nde, mit Erstaunen. Dieser Anblick machte ihn munter, er sprang f\xFCr Freuden, und spitzte seine Ohren mit Vergn\xFCgen. Endlich fiel er auf das weiche Gras, er \xFCberdachte die Ursachen seines Daseyns, und \xFCberlegte sein Verh\xE4ltni\xDF gegen andere erschaffene Dinge. Da aber sein eselhafter Verstand viel zu stumpf war, diese dornichte Materie durchzudringen, entschlo\xDF er sich, den Jupiter selbst \xFCber seine Bestimmung zu befragen, und von ihm zu vernehmen, was f\xFCr ein Ammt er auf der Welt w\xFCrde zu verwalten haben? Der Vater der G\xF6tter sagte ihm, da\xDF er zum Dienste des Menschen bestimmet sey; und er gab ihm einen weitl\xE4ufigen Unter-

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richt, von aller der Arbeit, und M\xFChseligkeit, die er zur Erleichterung des allervollkommensten, unter allen Gesch\xF6pfen \xFCbernehmen m\xFC\xDFte.

Diese Antwort war ein Donnerschlag in den Ohren des Esels. Er lie\xDF sie ziemlich sinken, und bekam eine so traurige Gestalt, wie man sie noch an seinen Nachkommen wahrnimmt. Nach einem Stillschweigen von etlichen Augenblicken, fragte er den Jupiter, wie lang, er ein so unertr\xE4gliches Leben f\xFChren m\xFC\xDFte? und erhielt die Nachricht, da\xDF die Tage seiner M\xFChseligkeit, in eine Zeit von drey\xDFig Jahren eingeschr\xE4nkt seyn sollten. Der arme Esel erschrack \xFCber einen so langen Termin. Drey\xDFig Jahre, in einem mit Leiden, und Arbeit angef\xFCllten Zustande, schienen ihm eine Ewigkeit zu seyn. — Er versprach endlich, wenn Jupiter zwey Drittheile davon abk\xFCrzen wollte, er dem Menschen die \xFCbrige Zeit, mit aller Treue und Gedult, als ein ehrlicher und rechtschaffener Esel zu dienen bereit sey. — Diese Gnade erhielt er, und froh \xFCber sein Schicksal, f\xFCllte er sich den Wanst mit den umherstehenden Disteln.

Der Hund, der von seinem Verh\xE4ngnisse gleichfalls unterrichtet seyn wollte,

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warf sich dem Gotte zu F\xFC\xDFen, und baht, ihm seine Bestimmung zu er\xF6fnen. Die Nachricht aber, die er davon erhielt, k\xFCtzelte seine Eitelkeit gar nicht. Er sollte n\xE4mlich auf die Jagd gehen, er sollte seine Kr\xE4fte und seinen Muht gegen die Haasen, und anderes Wildbrat verschwenden, und einer guten Tracht Pr\xFCgel gew\xE4rtig seyn, wenn es ihm gel\xFCsten sollte, etwas von einem niedlichen Bissen zu naschen, den sein Herr seiner eigenen Fre\xDFsucht aufbehalten hat. Abends sollte er an der Kette liegen, das Haus bewachen, und zufrieden seyn, wenn ihm ein Knochen zugeworfen w\xFCrde. Dieses, welches seine Z\xE4hne mehr in einer harten Uibung erhalten, als seinen Magen s\xE4ttigen w\xFCrde, sollte drey\xDFig Jahre dauern. — Bey diesem Urtheile bellte der arme Hund um Barmherzigkeit, und wendete alle seine Schmeicheleyen an, damit ihm wie dem Esel, auch zwanzig Jahre geschenket werden m\xF6chten. Jupiter lie\xDF sich erbitten, und der Hund entschlo\xDF sich, sein Schicksal mit Gedult zu ertragen.

Der Affe kam nun auch, ein gleiches zu bitten, und erhielt vom Jupiter eben die Gnade, wie seine ungl\xFCcklichen Vorg\xE4nger. Es wurde ihm gesagt, da\xDF er

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bestimmt sey, den Menschen in allen Dingen nachzuahmen, ohne jedoch der Vortrefflichkeit ihrer Natur, jemals gleich zu kommen; und da\xDF diese Beherrscher aller Thiere, ungeachtet feiner Aehnlichkeit mit ihnen, ihn zum Lustspiele gebrauchen, und um sich an seinen possierlichen Spr\xFCngen zu erg\xF6tzen, ihn gar oft die Streiche der Ruthe f\xFChlen lassen w\xFCrden. — Der Affe verzerrte sein Maul, machte ein par wunderliche Grimassen, und umsonst wendete er alle seine Beredtsamkeit an, sein Schicksal zu ver\xE4ndern. Er war noch gl\xFCcklich, da\xDF er mit dem Esel und dem Hunde gleich gehalten, und auch ihm zwanzig Jahre erlassen wurden.

Endlich trat der Mensch hervor. Er durfte nur nach dem Zwecke, warum er in diese Welt gesetzet worden, forschen, so fand er in dem Grunde der Natur selbst die edeln Absichten seiner Bestimmung. Durch Hilfe einiger Betrachtungen begriff er seine Hoheit \xFCber alle Thiere, und seine Aehnlichkeit mit dem Jupiter. Nichts st\xF6rte seine Zufriedenheit, als die Ungewi\xDFheit, in welcher er sich \xFCber die Dauer seiner Jahre befand. Jupiter allein konnte diese seine Unruhe stillen. Er unterrichtete ihn, da\xDF er die

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Lebenszeit der Thiere \xFCberhaupt, auf drey\xDFig Jahre eingeschr\xE4nket habe, da\xDF aber diese f\xFCr den Menschen nur ein Lehrjahr sey, und da\xDF der edelste Theil seines Wesens, eine ewige Gl\xFCckseligkeit genie\xDFen soll.— Das vern\xFCnftige Thier, welches f\xFCr dasjenige, was an ihm materialisch war, bereits grosse Z\xE4rtlichkeit hegte, baht den Jupiter, da\xDF er ihn seiner so angenehmen Bekleidung nicht so geschwind berauben, und seinem Leben die Jahre zulegen m\xF6chte, welche die Thiere f\xFCr eine beschwerliche B\xFCrde gehalten haben. Der Beherrscher der Welt, gew\xE4hrte ihm, jedoch mit Unwillen seiner Bitte, und man weis noch nicht, ob seine Gef\xE4lligkeit eine Strafe, oder eine Wohlthat f\xFCr uns seyn soll. — —

Das ist gewi\xDF, da\xDF der erste Theit unseres Lebens, sich zu unserer Auff\xFChrung am be\xDFten schicket. Frey von Sorgen, und Unruhe, k\xF6nnen wir an der Vollkommenheit unserer Natur arbeiten. Wir haben die n\xF6htigen F\xE4higkeiten, unsere Vernunft auszuputzen, unsre Meynungen zu ordnen, und unsern Charakter zu entwickeln. In drey\xDFig Jahren geschieht dieses alles, und in dieser Zeit, hat die Gewohnheit alles in die geh\xF6rigen Falten gelegt. Die \xFCbrige Zelt des

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Lebens ist, man dasjenige, was man durch Uiberlegungen hat werden wollen, oder was man durch Mangel des Nachdenkens geworden ist. — Hier fangen nun die Jahre an, die wir von dem Esel geerbet haben. Man f\xFChlt die Last einer Familie, man sorget, arbeitet und schwitzet. Nach f\xFCnfzig Jahren sieht man die Anzahl der Kinder vermehret, und ihre Nohtdurft, nach ihrem Alter verdoppelt. Nun tritt man in das Leben, das dem Hunde zu Theile ward. Man trachtet nach Reichthum und Ehre; und man nagt an den Knochen, da man seine Tochter ausstatten, und seinem Sohne einen best\xE4ndigen Sitz verschaffen soll.

Ein Preis, der das siebenzigste Jahr erreichet hat, kann der Ruhe genie\xDFen. Seine Familie ist versorget, und die Bewegungsgr\xFCnde seiner Sorgen, und Arbeit h\xF6ren auf. Er f\xE4ngt an der zwanzig Jahre zu genie\xDFen, die dem Affen abgek\xFCrzet wurden. Unter den Gesch\xE4ften, die ihn vorher umgaben, verloren, sucht er sich selbst, und vermeynt sich so, wie im drey\xDFigsten Jahre zu finden. — Wenn diese Preise ihr Feuer, ihre St\xE4rke, und die Kr\xE4fte ihrer Nerven wieder zu erhaschen, vergebens suchen, so thun sie sich die gr\xF6\xDFte Gewalt an,

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ihre Begierden anzufrischen. Nunmehr werden sie die Affen, ihrer th\xF6richten jugend. Aus ihnen entstehen die Jungfernknechte, welche die Schande ihrer grauen Hahre, unter die gekr\xE4uselten Locken einer Per\xFCcke verbergen, und sich alle Tage den grauen Bart abschaben lassen.
Topic revision: r8 - 25 Nov 2011, AndreaSeidler
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