Der Vern\xFCnftige Zeitvertreiber
Bl\xE4ttern:
< zum Text 14 –
zum Text 16 >
(p 354)
Die Begebenheiten des Aristonons
Sophronimes, welcher die anererbten G\xFCter seiner Vorfahren, durch Schiffbruch und andere Ungl\xFCcksf\xE4lle verloren, tr\xF6stete sich hier\xFCber, durch die entz\xFCckende Betrachtung seiner Tugend, auf der Insel
Delos. Er heiligte seine Bem\xFChungen an diesem Orte, dem Dienste und dem Lobe Gottes. Er widmete, in dieser stillen Einsamkeit, seinen Fleis den Musen, deren Liebling er war. Er untersuchte alle Geheimnisse der Natur, den Lauf der Gestirne, die Bewegungen des Himmels, die Ordnung der Elemente, den k\xFCnstlichen Bau der Welt, die Tugenden und Eigenschaften der Pflanzen, die bewunderungsw\xFCrdige Bildung des Leibes der Thiere, und was das meiste war, so studierte er sich selbst, und lie\xDF das seine gr\xF6ste Besch\xE4ftigung seyn, seine Seele mit den gesegneten Fr\xFCchten der Tugend zu zieren. Auf solche Weise hatte das Ungl\xFCck,
(p 355)
welches ihn erniedrigen wollte, ihn zur wahren Ehre, zur Aus\xFCbung der Weisheit erhoben.
Als er einige Zeit, ohne Hilfe und von allem entbl\xF6\xDFt an diesem stillen Aufenthalte zugebracht, ward er einsmals an dem Ufer des Meeres, einen verehrungsw\xFCrdigen Greis gewahr, den er gar nicht kannte, und der so eben auf dieser Insel angel\xE4ndet war. Dieses graue Haupt, bewunderte die Gestade des Meeres, weilen ihm bekannt war, da\xDF auf selbigen ehedem diese Insel, ein schwimmender K\xF6rper gewesen. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf jene K\xFCste, \xFCber welche noch Sandb\xE4nke und Felsen hervorragten, und auf welcher man kleine H\xFCgel erblickte, die allezeit, mit einem bebl\xFCmten und gr\xFCnen Schmucke prangten. Er konnte nicht genug die reinen Qwellen und schnellen Fl\xFC\xDFe betrachten, die diese gl\xFCckseligen Felder bew\xE4\xDFerten. Er setzte seinen Schritt gegen den geheiligten Wald fort, in welchen man die Gottheit verehrte. Er gerieht in die gr\xF6ste Verwunderung, als er sah, da\xDF die k\xE4ltesten Nordwinde nicht verm\xF6gend gewesen, den gr\xFCnen Schmuck der belaubten B\xE4ume zu verunstalten, und er erblickte schon vom weiten den Tempel
(p 356)
den man aus einem Marmor, aus der Insel
Paros gehauen, welcher die Wei\xDFe des Schnees \xFCbertraf, und mit hohen S\xE4ulen von Jaspis umgeben war. Sophronimes, war nicht weniger aufmerksam, diesen Greis zu betrachten. Sein grauer Bart hieng ihm bis auf die Brust herunter. Sein runzlichtes Angesicht, hatte nichts h\xE4\xDFliches an sich. Er war noch, von den widrigen Anf\xE4llen eines hinf\xE4lligen Alters, befreyet. Seine Augen, gaben eine angenehme Lebhaftigkeit zu erkennen. Seine Gestalt war hoch und ansehnlich, obgleich ein wenig gekr\xFCmmet, und ein Stock von Elfenbein, dienete ihm zu seiner St\xFCtze. Mein wehrtester Fremdling! sagte Sophronimes zu ihm, was suchet ihr auf dieser Insel, die euch so unbekannt vork\xF6mmt? Ist es vielleicht der Tempel der Gottheit, so sage ich euch, da\xDF ihr ihn von ferne sehet, und ich erbiete mich, euch dahin zu begleiten. Denn, ich f\xFCrchte Gott, und ich habe aus meiner Religion so viel gelernet, da\xDF man die Fremdlinge wohl aufnehmen soll.
Der Alte sagte hierauf: Ich nehme euer so g\xFCtiges Anerbieten mit Freuden an, und ich bitte Gott, da\xDF er eure Dienstfertigkeit, die ihr den Fremden er-
(p 357)
zeiget, belohnen wolle! La\xDFt uns denn zu dem Tempel gehen. — Unterwegs erzehlte er dem Sophronimes die Ursache seiner Reise. Mein Name, sagte er, ist Aristonous. Ich bin aus der Stadt
Clazomene, in
Ionien geb\xFCrtig, die auf jener angenehmen K\xFCste lieget, welche sich bis ins Meer erstrecket, und mit der Insel
Chio, dem begl\xFCckten Vaterlande des
Homerus, zu vereinigen scheinet. Ich ward von armen, doch edlen Eltern geboren. Mein Vater, der sich Polystrates nannte, und schon mit einer zahlreichen Familie versehen war, wollte gar keine Sorge auf meine Erziehung wenden. Er lie\xDF mich daher durch einen seiner Freunde von Teos, als einen Verlassenen aussetzen. Ein altes Weib von
Erytra, welche einige G\xFCter nahe an dem Orte hatte, wo man mich niedergeleget, ern\xE4hrte mich mit Ziegenmilch in ihrem Hause. Allein, wie sie selbst nichts mehr zu leben hatte, so verkaufte sie mich, als ich erwachsen war, an einen Sklavenh\xE4ndler, der mich nach
Lycien brachte. Zu Patera, verkaufte er mich an einen reichen, aber tugendhaften Mann, mit Namen Alcines. Dieser Alcines nahm sich meiner Jugend treulich an. Ich schien ihm gelehrig, bescheiden, aufrich-
(p 358)
tig, g\xFCtig, und zu allen ehrbaren Dingen geschickt, zu deren Unterweisung er sich zu meinem Besten unterziehen wollte. Er widmete mich den K\xFCnsten, welchen
Apollo seine Gunst nicht versaget. Er lie\xDF mich die Tonkunst, die Leibes\xFCbungen, und sonderlich die Wundarztney erlernen. Ich erlangte gar bald einen ziemlich gro\xDFen Ruhm in dieser so unentbehrlichen Kunst, und Apollo, der mich belebte, entdeckte mir die wunderbaresten Geheimnisse.
Alcines, welcher mich je mehr und mehr liebte, und dar\xFCber entz\xFCckt war, den gl\xFCcklichen Fortgang, seiner auf mich gewandten Sorgen zu erblicken, schenkte mir die Freyheit, und schickte mich zu dem Damokles, K\xF6nig in
Licaonien, welcher, weil er die Ausschweifungen liebte, sich ein langes Leben w\xFCnschte, und sich dabey immer f\xFCrchtete, da\xDF er seine Jahre nicht hoch genug bringen m\xF6chte. Dieser K\xF6nig \xFCberh\xE4ufte mich mit gro\xDFen Reichth\xFCmern, aus der Absicht, da\xDF ich bey ihm bleiben sollte. — Einige Jahre hernach starb Damocles. Sein Sohn, der durch die Schmeichler des Hofs wider mich aufgebracht war, mu\xDFte mir dazu dienen, da\xDF ich an allen demjenigen, was die Sinnen reizet, einen Eckel fand.
(p 359)
Ich versp\xFCrte bey mir endlich ein heftiges Verlangen, mein Vaterland
Lycien wieder zu sehen, allwo ich auf eine so angenehme Weise meine Jugend zugebracht hatte. Ich hoffte den Alcines daselbst wieder anzutreffen, welcher mich auferzogen, und welcher der erste Urheber meines ganzen Gl\xFCckes gewesen ist. Als ich in diesem Lande ankam, erfuhr ich, da\xDF Alcines gestorben war, nachdem er alle seine G\xFCter verloren, und mit vieler Standhaftigkeit, die Ungl\xFCcksf\xE4lle seines Alters ertragen hatte. Ich bem\xFChte mich Blumen und Tr\xE4hnen \xFCber seine Asche zu streuen, ich ehrte sein Grab mit einer Innschrift, und erkundigte mich, wo seine Kinder hingekommen w\xE4ren.
Man sagte mir: da\xDF nur ein einziger Sohn von ihnen \xFCbrig geblieben, mit Namen Orcilochus, und da\xDF, weil derselbe sich nicht entschlie\xDFen k\xF6nnen, in seinem Vaterlande von allem entbl\xF6\xDFet, zu verbleiben, und worinn sein Vater, mit so vielem Ansehen gestanden, er sich an den Bord eines fremden Schifs begeben, um in einer abgesonderten Insel des Meers, ein stilles Leben zu f\xFChren. Man erz\xE4hlte mir weiter, da\xDF dieser Orcilochus, kurze Zeit hernach in der Gegend der
Insel Carphate habe Schifbruch ge-
(p 360)
litten, und da\xDF folglich auf diese Art, niemand mehr von der Familie, meines Wohlth\xE4ters Alcines, vorhanden sey.
Ich entschlo\xDF mich, sogleich das Haus, worinn er gewohnet, sammt den fruchtbaren Feldern, die er in der dasigen Gegend besessen, an mich zu kaufen. Ich freute mich, denjenigen Ort wieder zu erblicken, der mir das Andenken meines so zarten Alters, und meines so grossen Wohlth\xE4ters, auf eine angenehme Weise erneuerte. Es kam mir vor, als wenn ich noch in der Bl\xFChte meiner ersten Jahre st\xFCnde, die ich auf den Dienst des Alcines damals verwendete. Kaum war der Kauf, zwischen seinen Gl\xE4ubigern, und mir, in Richtigkeit gebracht, so mu\xDFte ich nach
Clazomene reisen. Mein Vater Polystrates, und meine Mutter Phidile, sturben. Ich hatte noch mehrere Br\xFCder, die sich nicht allzuwohl miteinander vertrageu konnten. Sobald ich zu Clazomene ankam, zeigte ich mich ihnen unter einem schlechten Anzuge, als ein Mensch, der an allem Mangel litte, und lie\xDFe sie die Kennzeichen sehen, mit welchen man, wie ihr wi\xDFt, Sorge tr\xE4gt, die Kinder auszusetzen. Sie wunderten sich sehr, die ohne die\xDF schon so gro\xDFe Anzahl der Erben des Polystrates ver-
(p 361)
mehret zu sehen, die sich in seinen kleinen Nachla\xDF theilen sollten. Sie wollten mir sogar Zweifel wegen meiner rechtm\xE4\xDFigen Geburt erregen, und sie giengen so weit, da\xDF sie mich nicht einmal vor den Richtern f\xFCr ihren Bruder erkannten. Hierauf erkl\xE4rte ich, um ihre Unmenschlichkeit zu z\xFCchtigen, da\xDF ich darein willigte, in Ansehung ihrer ein Fremdling zu seyn, und bat, da\xDF sie auf ewig von meiner Verlassenschaft ausgeschlossen seyn sollten. Die Richter erkannten dieses alles f\xFCr recht und billig, und bald darauf zeigte ich die Reichth\xFCmer, die ich auf mein Schif mitgenommen hatte. Ich entdeckte ihnen, da\xDF ich dieser Aristonous w\xE4re, der so viele Sch\xE4tze bey dem Damocles, K\xF6nige in
Licaonien erworben, und da\xDF ich mich niemalen verehlichet h\xE4tte.
Es kam meine Br\xFCder die Reue an, da\xDF sie auf eine so ungerechte Weise mit mir verfahren, und in der Hoffnung, dereinst meine Erben seyn zu k\xF6nnen, wendeten sie alle M\xFChe, wiewohl vergeblich an, meine Freundschaft wieder zu gewinnen. Ihre Uneinigkeit brachte es dahin, da\xDF die G\xFCter unsers Vaters \xF6ffentlich verkauft wurden. Ich kaufte sie an mich, und sie hatten den Verdru\xDF,
(p 362)
zu sehen, da\xDF alle die G\xFCter unsers Vaters, in die H\xE4nde desjenigen kamen, dem sie nicht den geringsten Theil davon g\xF6nneten. Auf solche Weise fielen sie in eine erschreckliche Armuht. Allein, nachdem sie lange genug ihren Fehler empfunden hatten, wollte ich ihnen dennoch mein gutes Herz zu erkennen geben. Ich vergab ihnen. Ich nahm sie in mein Haus auf. Ich gab einem jeden soviel, da\xDF er etwas damit f\xFCr sich in der Handlung erwerben konnte. Ich verbannete die Zwietracht unter ihnen, da\xDF sie wiederum friedlich miteinander lebten. Sie, und ihre Kinder, genossen bey mir einen ruhigen Aufenthalt. Ich ward der gemeinschaftliche Vater, aller dieser verschiedenen Familien. Durch ihre Einigkeit, und durch ihren Fleis zur Arbeit, sammleten sie gar bald betr\xE4chtliche Sch\xE4tze.
Unterdessen hat sich, wie ihr sehet, das Alter bey mir eingefunden. Die hohen Jahre, haben mein Haupt mit Schnee bedeckt, und mein Gesicht in Runzeln gezogen. Die Schw\xE4che meines Alters, giebt mir unvermerckt zu erkennen, da\xDF ich nicht lange mehr, einer so vollkommenen Gl\xFCckseligkeit genie\xDFen werde. Ehe ich sterbe, habe ich noch zum letzten-
(p 363)
mal dieses Land, das mir so angenehm ist, sehen wollen; dieses begl\xFCckte
Lycien, worinn ich unter der Anf\xFChrung des tugendhaften Alcines, die Lehren der Klugheit, und Weisheit eingesogen. Als ich zu Wasser dahin zur\xFCckkehren wollte, traf ich einen Kaufmann, aus einer der
Cycladischen Inseln an, der mich versicherte, da\xDF noch zu
Delos, ein Sohn des Orcilochus am Leben w\xE4re, welcher das, seine einzige Besch\xE4ftigung seyn lie\xDF, die Weisheit und Tugend seines Gro\xDFvaters Alcines, nachzuahmen. Ich \xE4nderte sogleich den genommenen Weg nach
Lycien, und eilte, unter der versp\xFCrten Gunst des
Apollo, denjenigen kostbaren Rest einer Familie, welcher ich alles zu verdanken hatte, in seiner Insel aufzusuchen. Ich habe noch wenige Zeit zu leben \xFCbrig. Der Tod, wird diese s\xFC\xDFe Zufriedenheit, welche den wenigsten Sterblichen zu Theile wird, mit dem Ende meiner Tage auf einmal aufheben. Allein, ich will gerne sterben, wenn nur meine Augen, ehe sie sich schliesen, noch den Enkel meines Herrn sehen, k\xF6nnen!
Redet itzt, ihr, die ihr mit ihm diese gl\xFCckliche Insel bewohnet! Kennet ihr ihn? K\xF6nnet ihr mir wohl sagen, wo ich
(p 364)
ihn antreffen werde? Wenn ihr macht, da\xDF ich ihn sprechen kann, so w\xFCnsche ich euch zur Vergeltung, da\xDF ihr eure Kindeskinder, bis ins f\xFCnfte Glied, auf eurem Schoose herzen m\xF6get. Euer Haus, m\xFC\xDFe in Frieden und Uiberflusse, als die Frucht eurer Tugend, und in best\xE4ndigem Flore erhalten werden! — Als Aristonous noch so redete, fielen dem Sophronimes f\xFCr Schmerz und Freuden, die Tr\xE4hnen aus den Augen. Endlich fiel er, ohne ein Wort reden zu k\xF6nnen, diesem ehrw\xFCrdigen Greise um den Hals, er umarmte ihn, er dr\xFCckte ihn fest an sich, und lie\xDF diese mit Seufzer vermengten Worte, mit schwacher Stimme von sich h\xF6ren:
Ach! mein Vater! Ich bin derjenige, den ihr suchet. Ihr sehet den Sophronimes, den Enkel eures verewigten Freundes Alcines. Ja, ich bin es, und indem ich eure Begebenheiten anh\xF6re, so trage ich nicht den mindesten Zweifel, da\xDF euch Gott hieher gesendet, mein Leiden zu vers\xFC\xDFen. Die Erkenntlichkeit, welche auf Erden verschwunden zu seyn scheinet, ist bey euch allein anzutreffen. In meiner Jugend habe ich geh\xF6ret, da\xDF ein ber\xFChmter, reicher und in
Lycaonien se\xDFhafter Mann, bey meinem Gro\xDFvater
(p 365)
auferzogen worden sey. Allein, gleich wie mein Vater Orcilochus, in seinen jungen Jahren verstarb, und mich als ein unschuldiges Kind in der Wiege, zur\xFCck lie\xDF, so hatte ich von allen diesen Dingen, nur eine dunkele Vorstellung. Bey solcher Ungewi\xDFheit, getrauete ich nicht nach Lycaonien zu kehren. Ich wollte lieber auf dieser Insel bleiben. Die Verachtung der eitlen Reichth\xFCmer, und die s\xFC\xDFe Besch\xE4ftigung, den Wissenschaften in dem geheiligten Tempel des
Apollo obzuliegen, richteten mich auf. Die Weisheit, welche die Menschen lehret und gew\xF6hnet, mit wenigem zufrieden und vergn\xFCgt zu seyn, hat mir bisher statt aller anderen G\xFCter gedienet. —
Als Sophronimes diese Worte geendiget, und sich dem Tempel gen\xE4hert hatte, schlug er dem Aristonous vor, daselbst ihr Gebet zu thun. Sie verrichteten es, mit einer r\xFChrenden Andacht.
Den \xFCbrigen Theil des Tages, brachten sie damit zu, da\xDF sie sich einander lhre Begebenheiten erz\xE4hlten. Sophronimes empfieng den Aristonous mit der Z\xE4rtlichkeit und Ehrfurcht bey sich, welcher dem Alcines selbst bewiesen haben w\xFCrde, wenn er noch am Leben gewesen w\xE4re. Den andern Tag reiseten sie mit-
(p 366)
einander ab, schifften sich nach
Lycien ein. Sie langten mit g\xFCnstigem Winde daselbst an. Aristonous f\xFChrte sogleich den Sophronimes auf ein fruchtbares Gefielde, an dem Ufer des
Flusses Xanthus, in dessen Wasser
Apollo, als er von der Jagd zur\xFCckkehrte, und ganz mit Staube bedecket war, so oft seinen Leib wusch, und seine sch\xF6nen blonden Haare, vom Schweife und Schmutze reinigte.
Sie fanden l\xE4ngst des Flusses hohe Pappelb\xE4ume, und niedrigstehende Weiden, deren gr\xFCne und zarte Decke, eine Menge Nester unz\xE4hliger V\xF6gel verbarg, welche Tag und Nacht mit ihrem lieblichen Gefange, die Luft erf\xFCllten. Der Strom, der von einem Felsen, mit vielem Ger\xE4usche und Schaume, herabst\xFCrzte zerbrach seine Fluhten in einem Kanale, der voller kleinen Kieselsteine wimmelte. Die ganze Ebene schm\xFCckte eine goldene Erndte. Die H\xFCgel, die sich wie ein Amphitheater erhoben, waren mit Weinst\xF6cken und fruchtbaren B\xE4umen bepflanzet. Die ganze Natur, war daselbst in einer reizenden, und enz\xFCckenden Gestalt. Der Himmel war heiter und aufgekl\xE4ret, und die Erde alleizeit bereit, aus ihrem Schoose neue
(p 367)
Reichth\xFCmer herzugeben, um den Fleis des Ackermanns zu belohnen
Wie sie immer l\xE4ngst des Flusses fortgiengen, erblickte Sophroniones, ein, sonder gro\xDFen Zierraht, aufgef\xFChrtes mittelm\xE4\xDFiges Haus, jedoch von einer regelm\xE4\xDFigen Bauart, und richtigem Verh\xE4ltnisse aller seiner Theile. Er fand daran weder Marmor noch Gold, weder Silber noch Elfenbein, noch Hausrath von Purpur. Alles war an demselben reinlich, und voller Beqwemlichkeit, doch ohne Pracht. Ein Springbrunnen war mitten in dem Hofe zu sehen, und machte einen kleinen Kanal aus, der mit einem gr\xFCnen Wasen, wie mit einem Teppiche bekleidet war. Der Garten war nicht allzugro\xDF. Man sahe darinnen n\xFCtzliche Fr\xFCchte und Pflanzen, die zur Nahrung der Menschen dienten. Auf beyden Seiten des Gartens, ragten zwey Geh\xF6lze hervor, deren B\xE4ume fast so alt, als die Erde, ihre Mutter, waren, und deren dicke Aeste einen Schatten von sich warfen durch welche die Sonnenstralen nicht durchbrechen konnten. Sie traten hernach meinen gro\xDFen Saal, wo sie eine angenehme Mahlzeit von solchen Speisen thaten, die die Natur in den G\xE4rten darbot. Man fand daran nichts von
(p 368)
demjenigen, was die L\xFCsternheit der Menschen, so weit und so theuer, aus denen St\xE4dten herbeyzuholen pflegt. Die Gerichte bestunden aus Milch, und zwar von so s\xFC\xDFem Geschmacke, als diejenige gewesen, welche
Apollo getrunken, als er ein Sch\xE4fer bey dem K\xF6nige Admetes war. Ferner aus Honig, der weit vortreflicher gewesen, als den die Bienen von Hibla, in
Sicilien, oder auf dem Berge Himotte, in
Attica, bereitet. Es waren H\xFClsenfr\xFCchte aus dem Garten dabey, und sehr schmackhaftes Obst, das man frisch von den B\xE4umen gebrochen. Endlich wurde ein Wein, weit niedlicher als der Nectar, aus gro\xDFen Gef\xE4\xDFen, in B\xE4cher von getriebener Arbeit, gegossen.
W\xE4hrend dieser n\xFCtzlich eingerichteten, doch angenehmen und ruhigen Mahlzeit, wollte sich Aristonous doch nicht zu Tische setzen. Er suchte gar bald, unter allerley Vorwand, seine Bescheidenheit zu verstecken. Allein, wie Sophronimes ihn endlich weiter n\xF6htigen wollte, erkl\xE4rte er, da\xDF er sich niemals entschlie\xDFen w\xFCrde, mit dem Enkel des Alcines zu speisen, dem er so lange Zeit, und zwar in dem n\xE4mlichen Saale als Sclave gedienet. — Hier ist der Ort, sagte er zu
(p 369)
ihm, allwo dieser weise Greis zu speisen pflegte. Dort ist es, allwo er mit seinen Freunden, einen genauen und vertrauten Umgang unterhielt. Hier ist es, wo er sich mit dem Spiele ergetzte. Dort gieng er \xF6fters spatzieren, und las den
Hesiodus, und den
Homerus; und hier ist der Ort, wo er des Nachts ruhete. — Indem er aller dieser Umst\xE4nde sich wiederum erinnerte, wurde sein Herz erweichet, und die Tr\xE4hnen fiengen an, ihm haufenweise \xFCber die Wangen zu rollen.
Nach der Mahlzeit, lie\xDF er den Sophronimes die sch\xF6nsten Wiesen sehen aus welchen seine zahlreichen Heerden weideten, und die an dem Ufer des Flusses, durch ihr freudiges Bl\xF6cken, und Br\xFCllen, ihre Zufriedenheit zu erkennen gaben. Darauf wurden sie gro\xDFe Heerden von Hammeln und Schaafen gewahr, welche von gr\xFCner Weide zur\xFCckkamen. Die Euter der bl\xF6ckenden Schaafe, strotzten den f\xFCr Schwere, und Menge ihrer fetten Mich, und ihre jungen h\xFCpfenden L\xE4mmer, folgten ihnen auf dem Fusse nach. Uiberrall sah man die Arbeitsleute besch\xE4ftiget, welche zum Besten ihres g\xFCtigen und freundlichen Hernns, sich der h\xE4rtesten Arbeit unterzogen. Sie thaten alles aus Liebe f\xFCr ihn, weil er ih-
(p 370)
nen die Beschwerlichkeiten der Sklaverey ertr\xE4glich machte.
Als nun Aristonous dem Sophronimes sein Haus, seine Sklaven, seine Heerden und L\xE4ndereyen, die durch einen sorgf\xE4ltigen Flei\xDF, so fruchtbar geworden waren, gezeiget hatte, sprach er zu ihm: ich bin erfreut, euch in dem Besitze des alten Erbtheils eurer Vorfahren zu sehen. Ja, ich bin vergn\xFCgt, weil ich euch den Ort zum Eigenthum \xFCberlasse, allwo ich so lange Zeit als Sklave dem Alcines gedienet. Genie\xDFet dasjenige in Frieden, was ihm angeh\xF6rte. Das Gl\xFCck m\xFC\xDFe euer best\xE4ndiger Gef\xE4hrte seyn! Durch eure Wachsamkeit, bereitet euch auf die Zukunft, auf ein angenehmeres Ende, als das seinige gewesen.
Bald darauf \xFCbergab, und schenkte er ihm w\xFCrklich diese G\xFCter, mit allen denjenigen Feyerlichkeiten, welche die Gesetze erfordern, und erkl\xE4rte dabey, da\xDF seine Erben, auf den Fall, auf immer von seiner Verlassenschaft ausgeschlossen seyn sollten, wenn sie sich etwan aus Undankbarkeit beygehen lie\xDFen, die Schenkung, welche er zum Besten des Enkels vom Alcines, als seines gro\xDFen Wohlth\xE4ters gethan, in Zweifel zu ziehen.
(p 371)
Allein, das war noch nicht genug, dem Willen des Aristonous ein Gen\xFCge zu thun. Ehe er sein Haus abtrat, so schm\xFCckte er es noch mit ganz neuen Meublen aus, die zwar keinen grossen Pracht zu erkennen gaben, aber dem ohngeachtet angenehm in die Augen fielen. Er f\xFCllte die Scheuren und Kornb\xF6den an, und versah den Keller mit dem niedlichsten Weine. Endlich f\xFCgte er noch eine unz\xE4hlbare Menge St\xFCcke Tuch, von feiner und schneewei\xDFer Leinwand hinzu, als eine reiche Abgabe von den zarten Schaafen, die auf den hohen Gebirgen von Arcadien, und in den fetten Triften von
Sicilien, weideten.
In solchem Zustande \xFCbergab er dem Sophronimes sein Haus. Er begleitete dieses Geschenk, noch mit der ansehnlichen Summe von funfzig tausend Thaler, und behielt seinen Freunden diejenigen G\xFCter bevor, die er auf der Halbinsel von
Clazomene, in den Gegenden von
Smyrna, Lebede und Colophen besa\xDF, und die von sehr gro\xDFem Werthe waren. Als diese Schenckung in Nichtigkeit gebracht war, gieng Aristonous wiederum an Bord seines Schifs, um nach
Ionien zur\xFCckzukehren.
(p 372)
Sophronimes, der durch eine so pr\xE4chtige Schenkung in die gr\xF6\xDFte Verwunderung gesetzet, und z\xE4rtlich ger\xFChret war, begleitete seinen Wohlth\xE4ter, mit tr\xE4hnenden Augen bis an das Schiff, indem er ihn best\xE4ndig seinen Vater nannte, ihm um den Hals fiel, und ihn unter seinen Armen fest ans Herz dr\xFCckte, so da\xDF es schien, als k\xF6nnte er sich ohnm\xF6glich, von einem so gro\xDFen Wohlth\xE4ter trennen, und ihn auf einmal verlassen. Aristonous gieng endlich zu Schif, und langte gar bald, unter einem g\xFCnstigen Winde, an dem Orte seiner Bestimmung an. Kein einziger von seinen Freunden, getraute sich, dar\xFCber zu beklagen, was er so eben zum Besten des Sophronimes gethan hatte. Er sagte zu ihnen: Ich habe in meinem aufgerichteten letzten Willen, diesen Befehl hinterlassen, da\xDF alle meine G\xFCter verkauft, und unter die Armen in
Ionien vertheilet werden sollen, wenn jemals einer von euch, sich unterfangen wird, die Schenkung, welche ich itzo zum Vortheil des Enkels vom Alcines, gethan, in Zweifel zu ziehen.
Dieser weise Greis, lebte inzwischen in Frieden, und geno\xDF in Ruhe der G\xFC-
(p 373)
ter, welche die Belohnung seiner Tugend gewesen. Ohngeachtet seines hohen Alters, unternahm er dennoch alle Jahre eine Reise nach
Lycien, um sowohl den Sophronimes zu besuchen, als das Grabmaal des Alcines zu ehren, welches er mit den sch\xF6nsten Zierrahten der Bau-und Bildhauerkunst ausschm\xFCcken lie\xDF. Er hatte befohlen, da\xDF seine eigene Asche nach seinem Tode, in die n\xE4mliche Gruft gebracht werden sollte, damit sie ihre Ruhe bey derjenigen seines Herrn haben m\xF6chte.
Aus Begierde und Verlangen, den Aristonous wieder zu sehen, gieng Sophronimes jedes Jahr im Fr\xFChlinge, an das Gestade des Meers, und sah mit unverwandten Augen, nach derjenigen Gegend, woher in dieser Jahreszeit das Schif des Aristonous zu kommen pflegte. Er hatte jedes Jahr das Vergn\xFCgen, von weitem dieses ihm so angenehme Schif, mitten unter den salzigten Wellen anlangen zu sehen, und die Ankunft desselben, war ihm viel wehrter, als alle die erqwickenden Annehmlichkeiten, womit der Fr\xFChling, nach ausgehaltener Strenge des unfreundlichen Winters, die Natur wieder aufs neue belebet.
(p 374)
Jedoch, es verflo\xDF ein Jahr, in welchem er dieses so sehnlich gew\xFCnschte Schif, das er gewohnt war, alle Jahre zu sehen, nicht mehr ankommen sah. Er seufzete, und vergo\xDF hier\xFCber bittere Tr\xE4hnen. Furcht und Traurigkeit, verstellten sein Angesicht. Der s\xFC\xDFe Schlaf, entfernte sich weit von seinen Augen. Es wollte ihm kein Essen, kein Trinken mehr schmecken, so niedlich es auch zugerichtet war. Er schwebte in einer best\xE4ndigen Unruhe, und das geringste Ger\xE4usch erschreckte ihn. Seine Augen, waren allezeit nach dem Hafen gerichtet, in welchem er das Schif seines Wohlth\xE4ters einlaufen gesehen. Er fragte jeden Augenblick, ob nicht ein Schif aus
Ionien angelandet. Es kam eines. Aber! leider! Aristonous befand sich nicht auf demselben. Es hatte nur eine silberne Todtenurne am Borde, worinn man seine Asche verwahret hatte.
Amphicles, ein alter Freund des Verstorbenen, der, fast gleiches Alters mit demselben war, und sich der Ausrichtung seines letzten Willens mit aller Treue unterzog, \xFCberbrachte mit vielen Thr\xE4nen, diesen Rest der menschlichen Sterblichkeit. Als er den Sophronimes anreden wollte, konnten beyde f\xFCr Schmerz kein
(p 375)
Wort vorbringen, und sie dr\xFCckten sich nur durch Seufzer aus. Sophronimes, als er das Gef\xE4\xDF worinn die Asche seines erbla\xDFten Wohlth\xE4ters aufbehalten ward, gek\xFC\xDFet, und mit seinen Tr\xE4hnen benetzet hatte, lie\xDF er endlich diese Worte von sich h\xF6ren: O! ehrw\xFCrdiger, und nun erbla\xDFter Greis! Du hast bisher die Gl\xFCckseligkeit meines Lebens ausgemacht, und itzo verursacht mir dein Tod den allerempfindlichsten Schmerzen. Soll ich dich denn auf ewig verlieren! Nichts, als der Tod, w\xFCrde mir angenehm seyn, dich wieder zu sehen, und dich in jene selige Gegenden zu begleiten, wo dein Geist der stolzen Ruhe, und des s\xFC\xDFen Friedens genie\xDFet, der die Belohnung der Tugend ausmacht. Du hast in unsern Tagen die verbannete Gerechtigkeit, die Gottesfurcht und Erkenntlichkeit wieder hervorgebracht. Du hast in unserer rauhen Zeit, jenes goldene Weltalter wieder aufleben lassen. Ehe deine Tugend dich bis zum Sitze der Sterne erhoben, hat dich selbige erst noch hienieden mit einem gl\xFCcklichen, angenehmen und langen Alter gekr\xF6net.
Aber, ach! leider! das, was best\xE4ndig dauren sollte, ist niemalen lang genug. Ich empfinde kein Vergn\xFCgen mehr,
(p 376)
diejenigen G\xFCter, so du mir gegeben, zu genie\xDFen, weil ich in die traurige Nohtwendigkeit versetzet worden, dieselben ohne dich zu gebrauchen. O! wehrtester Schatten! wenn werde ich mich zu dir nahen k\xF6nnen! K\xF6stliche Asche! wenn du noch einiger Empfindlichkeit f\xE4hig bist, so wirst du sonder Zweifel das Vergn\xFCgen gewahr werden, dich mit der Asche des Alcines vereinigt zu sehen. Ja! meine Asche soll sich auch einmal mit der eurigen vereinigen. Unterdessen soll dieses mein einziger Trost seyn, diesen k\xF6stlichen Rest von demjenigen, was mir in der Welt am liebsten gewesen, getreulich zu bewahren. Ach! Aristonous! Ach! mein Aristonous! Du sollst best\xE4ndig in dem innersten meines Herzens leben! Dein Angedenken soll mir immer unverge\xDFlich bleiben! Ehe will ich mich lieber selbst vergessen, als diesen so liebensw\xFCrdigen Wohlth\xE4ter, mir aus dem Ged\xE4chtnisse bringen lassen; diesen Freund, der mich so sehr geliebet, der mir die Tugend eingepflanzet, und sie selbst in Aus\xFCbung gebracht, dem ich alles zu verdanken habe!
Nach diesen, mit vielen tiefen Seufzern unterbrochenen Worten, setzte Sophronimes die in der Todtenurne aufbe-
(p 377)
wahrte Asche seines verblichenen Wohlth\xE4ters, in die Gruft des Alcines, weil er daf\xFCr hielt, da\xDF zwey vertraute Freunde, die in dem Leben so genau miteinander vereiniget waren, auch im Tode nicht von einander getrennet bleiben m\xFC\xDFten.