Der Vern\xFCnftige Zeitvertreiber
Bl\xE4ttern:
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Die Hoffnung, das gr\xF6\xDFte Gut des Menschen
Es scheinet das Schicksal des Menschen zu seyn, da\xDF er alle seine Trostgr\xFCnde in der Zukunft suchet. Die gegenw\xE4rtige Zeit ist selten f\xE4hig die Begierde
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oder die Einbildungskraft mit unmittelbarem Genu\xDFe zu erf\xFCllen, und wir sind den\xF6htiget, dessen Abgang durch die Erinnerung oder Vorhersehung zu ersetzen.
Ein jeder hat die Betr\xFCglichkeit der Hoffnung, und die Mi\xDFlichkeit sich selbst zu gew\xF6hnen etwas zu erwarten, was tausend Zuf\xE4lle abschneiden k\xF6nnen, so oft entdeckt, da\xDF, wenn die Zeit jene Zuversicht ged\xE4mpfet hat, womit die Jugend ihre Ausf\xE4lle thut, die Welt in Besitz zu nehmen, wir uns bestreben, oder w\xFCnschen, ein Vergn\xFCgen in der Musterung des bisherigen Lebens zu finden, und auf wirklichen Begebenheiten und gewi\xDFer Erfahrung auszurufen: die\xDF ist vielleicht eine von so vielen Ursachen, weswegen sich das Alter an Erz\xE4hlungen erg\xF6tzet.
Allein die Welt ist so voll von Tr\xFCbsalen, da\xDF jede Qwelle des Vergn\xFCgens verunreinigt, und jede Sicherheit der Ruhe gest\xF6hret wird. Wenn uns die Zeit mit Begebenheiten versehen hat, welche hinreichend sind, unsere Gedanken zu besch\xE4ftigen; so hat sie dieselbe zugleich mit so vielen Ungl\xFCcksf\xE4llen vermischt, da\xDF wir von ihrer Erinnerung zur\xFCckweichen, ihr Eindr\xE4ngen auf unsere Gem\xFChter f\xFCrchten, und von ihnen zu Gesellschaft und Zeitvertreiben fliehen.
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Niemand, der den Mittelpunkt des Lebens \xFCberlebt hat, kann sich niedersetzen und an den Vergn\xFCgungen der Jugend s\xE4ttigen, ohne da\xDF er das Festin durch den Kelch des Kummers sollte verbittert finden. Viele Tage unschuldiger Lustbarkeiten, viele N\xE4chte untadelhaften Vergn\xFCgens werden ihm vielleicht einfallen: er kann gl\xFCckliche Zuf\xE4lle, und gef\xE4llige Ausschweifungen durchmustern, oder, wenn er in gesch\xE4ftige Scenen verwickelt, und mit schweren Unternehmungen und Abwechslungen des Gl\xFCckes bekannt worden ist, kann er das edlere Vergn\xFCgen geniessen, auf Noht, die er standhaft ertragen, aus Gefahr, deren er herzhaft begegnet, und Wiederersetzungen, die er k\xFCnstlich aus dem Wege ger\xE4umt hat, zur\xFCckzusehen. Aeneas tr\xF6stete seine Reisegef\xE4hrten, als sie nach dem Grauen eines Sturmes an einem unbekannten nnd \xF6den Lande gelandet hatten, sehr weislich mit der Hoffnung, da\xDF sie sich ihrer Tr\xFCbsalen nach einiger Zeit mit Entz\xFCcken erinnern w\xFCrden. Es giebt wenige gr\xF6\xDFere Belustigungen, als die Erinnerung \xFCberstandener Ungl\xFCcksf\xE4lle ist, wenn wir sie uns nicht durch unsere Schuld zugezogen oder verl\xE4ngert haben, und wenn sie uns weder F\xE4higkeit noch Schuld vorwerfen.
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Doch diese Gl\xFCckseligkeit wird fast allezeit durch den Gedanken ged\xE4mpft, da\xDF diejenigen, mit denen wir sie am liebsten theilen wollten, nun im Grabe sind. Einige wenige Jahre richten eine solche Verheerung unter den menschlichen Geschlechtern an, da\xDF wir uns bald derjenigen beraubt sehen, mit denen wir die Welt betretten, und die ihre Theilnehmung in Vergn\xFCgungen oder M\xFChseligkeiten unserem Andenken werht gemacht hat. Der Unternehmende, erz\xE4hlet seine Abentheuer und Hilfsmittel; ist aber beym Beschlusse der Erz\xE4hlung gen\xF6htigt, den Namen derer, die etwas zu seinem Gl\xFCcke beygetragen haben, einem Seufzer zu schenken. Der, welcher sein Leben unter dem lustigen Theile der Menschen zubringt, f\xFChlet sein Ged\xE4chtni\xDF pl\xF6tzlich mit Anmerkungen, und witzigen Einf\xE4llen erf\xFCllet, deren Feuer — und Lustbarkeit in ewigem Stillschweigen verlohren sind. Der Kaufmann, dessen Flei\xDF den Mangel eines Erbtheiles ersetzt hat, wenn er sich setzt, sein Verm\xF6gen zu genie\xDFen, bedauert im einsamen Uiberflu\xDFe, die Abwesenheit der Mitgef\xE4hrten, mit denen er Entw\xFCrfe von Vergn\xFCgungen f\xFCr seine letztere Jahre gemacht hatte: und der Gelehrte, dessen Verdienst ihn nach einer langen
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Reihe von Bestrebungen aus der Dunkelheit erhebet, schauet sich von seiner H\xF6he, vergeblich nach seinen alten Freunden oder Feinden um, deren Beyfall oder Kr\xE4nkung seinen Triumph erh\xF6hen w\xFCrde.
Untet den Dingen, welche
Martial zur Gl\xFCckseligkeit fordert, ist,
Res non parta labore sed relicta. Ein Verm\xF6gen, das nicht durch eignen Flei\xDF erworben, sondern durch Erbschaft angefallen ist. Zur Erg\xE4nzung jeden Gutes ist n\xF6htig, da\xDF man es bey Zeiten erlangt. Denn was beym Beschlusse des Lebens kommt, kommt zu sp\xE4t, als da\xDF es uns viel Vergn\xFCgen geben k\xF6nnte. Doch, alle menschliche Gl\xFCckseligkeit hat ihre M\xE4ngel. Was wir nicht selbst erwerben, geniessen wir nur halb und unvollkommen, weil wir den Unterschied zwischen Mangel und Besitz nicht vergleichen, oder wenigstens keine Uiberzeugung von unserer eigenen Geschicklichkeit, und keine Vergr\xF6\xDFerung unserer Eigenliebe davon herleiten k\xF6nnen. Was wir durch Tapferkeit oder Einsichten, Gem\xFChts ̶ und Leibesarbeiten erlangen, komm zuletzt, weil wir es nicht mehr mittheilen, und folglich nicht mehr genie\xDFen k\xF6nnen.
Jede Periode des Lebens ist also ge-
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n\xF6htigt, ihre Gl\xFCckseligkeit von der Folgezeit zu entlehnen. In der Jugend haben wir nichts durchgegangen, womit wir uns unterhalten k\xF6nnen; und im Alter sch\xF6pfen wir aus der R\xFCcksicht in vorige Zeiten wenig mehr als Hofnungslosen Kummer. Allein, auch die Zukunft hat ihre Gr\xE4nzen, f\xFCr deren Ann\xE4herung sich die Einbildungskraft scheuet, von der wir aber wissen, da\xDF sie nicht mehr weit entfernet sind. Der Verlust unserer Freunde und Mitgef\xE4hrtrn, pr\xE4get uns jede Stunde die Nohtwendigkeit unseres eigenen Abschiedes ein. Wir wissen, da\xDF die Entw\xFCrfe der Menschen, bald ein Ende haben, — da\xDF wir in kurzem uns zu der vergessenen Menge voriger Zeiten ins Grab legen, und unsern Platz andern \xFCberlassen m\xFC\xDFen, die, wie wir, eine Weile durch Hoffnung oder Furcht auf der Oberfl\xE4che der Erde werden herumgetrieben, und als denn, wie wir, in den schatten des Todes verschwinden werden.
Jenseits dieser Schlanken unseres k\xF6rperlichen Daseyns sind wir also gen\xF6htigt, unsere Hoffnungen auszudehnen. Fast jederman h\xE4ngt seiner Einbildungskraft mit etwas nach, das sich nicht eher ereignen soll, als wenn er seine Art des
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Daseyns ver\xE4ndert hat. Einige vergn\xFCgen sich an Verm\xE4chtnissen und Einrichtungen, sorgen f\xFCr die Aufnahme und Fortdauer von Familien und Ehrenstellen, und nehmen ihre Maasregeln, um der Verschwendung der Reichth\xFCmer, aus deren Erwerbung sie das Gesch\xE4fte ihres Lebens gemacht haben, vorzubeugen. — Andere hingegen, welche feiner und erhabener denken, gratulieren ihrem eigenen Herzen wegen des k\xFCnftigen Umfangs ihres Ruhmes, der Ehrfurcht entfernter Nationen, und der Dankbarkeit einer von keinen Vorurtheilen eingenommenen Nachwelt.
Diejenigen, deren Seelen so stark an Reichthum und G\xFCter gefesselt sind, da\xDF sie keinen Zustand begreiffen k\xF6nnen, worinn sie mit weniger Sorge auf dieselbe herunter sehen werden, achten selten auf Vorstellungen, und geben nicht leicht Gr\xFCnden nach. Allein, die Anh\xE4nger des Ruhmes, k\xF6nnen noch nachdenken, und m\xF6gen daher wohl aufgefordert werden, die Wahrscheinlichkeit ihrer Erwartungen noch einmal zu \xFCberdenken.
Ob dieses Andenken in fernen Zeiten des Wunsches eines Weisen w\xFCrdig sey, ist noch nicht zuverl\xE4\xDFig entschieden worden. Und in der That kann eine lang-
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wierige Erinnerung, einer so geringen Anzahl angedeihen, da\xDF die Frage den gr\xF6\xDFten Theil des menschlichen Geschlechtes sehr wenig angehet. In der Welt gibt es niemals Raum f\xFCr mehr als eine gewisse Quantit\xE4t oder Maa\xDF des Ruhmes. Die n\xF6htigen Gesch\xE4fte des Lebens, die unmittelbare Vergn\xFCgungen oder M\xFChseligkeiten eines jeden Standes, lassen uns keinen Raum auser einer bestimmter Proportion, f\xFCr Betrachtungen, welche keinen handgreiflichen Einflu\xDF auf unsere dermalige Wohlfahrt haben. Wenn dieser Raum einmal ausgef\xFCllet ist; so k\xF6nnen keine Charactere in die Circulation des Ger\xFCchtes anders aufgenommen werden, als wenn sie den Platz irgend eines andern besetzen, der de\xDFhalb in die Vergessenheit hinaus mu\xDF verstossen werden. Das Auge des Geistes, sowohl als des Leibes, kann seinen Blick auf neue Gegenst\xE4nde nur alsdenn erstrecken, wenn es diejenigen, welche es dermalen vor sich hat, aus dem Gesichte verlieret.
Der Ruhm ist daher eine Lufterscheinung, die eine kleine Weile schimmert, und auf ewig verschwindet. Und nehmen wir eine kleine Anzahl \xFCberlegener und un\xFCberwindlicher Namen aus, die keine Revolution der Meynungen, in l\xE4nge
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Zeit unterdr\xFCcken kann: so eilen alle diejenigen, welche unsere Gedanken auf sich ziehen, oder Materie zu unsern Gespr\xE4chen abgeben, jeden Augenblick der Dunkelheit entgegen, je nachdem die Mode neue Lieblinge annimmt.
Aus dieser Welt kann demnach kein Strahl des Trostes schimmern, um die Dunkelheit der letzten Stunde zu erheitern. Dennoch hat die Zukunft noch ihre Aussichten. — Noch ist die Gl\xFCckseligkeit in Reserve, die, wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, uns in dem Schmerzen der Krankheit und der Mattigkeit des verschwindenden Lebens st\xE4rken kann. Diese Gl\xFCckseligkeit k\xF6nnen wir mit Zuversicht erwarten, weil sie nicht in der Macht des Zufalles ist, und von allen denjenigen erreicht werden kann, welche sie aufrichtig verlangen, und eifrig erjagen. Auf diese sollte demnach jedes Gem\xFCht endlich seine Ruhe gr\xFCnden. Die Hoffnung ist das vornehmste Gut des Menschen; und diejenige Hoffnung allein ist vern\xFCnftig, von welcher wir \xFCberzeugt sind, da\xDF sie uns nicht betriegen kann.