Der Vern\xFCnftige Zeitvertreiber

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Carazan, oder Der Ruhn der Menschenliebe und der Freygiebigkeit

Carazan, der Kaufmann zu Bagdat, war seines Geitzes und Reichthums wegen im ganzen Oriente ber\xFChmt. Seine Herkunft war schlecht, wie des Funken seine, der durch das Zusammenschlagen des Stahls und Feuersteins aus der Finsterni\xDF entspringt; und die gedultige Arbeit eines standhaften Flei\xDFes allein, hatte ihn reich gemacht. Man erinnerte sich, da\xDF er, als er d\xFCrftig war, f\xFCr gro\xDFm\xFChtig gehalten wurde; und man gestande noch zu, da\xDF er unbeweglich gerecht war. Es sey aber, da\xDF er in seinem Umgange mit den Menschen eine Treulosigkeit entdeckt hatte, die ihn versuchte, sein Vertrauen auf das Gold zu setzen; oder, da\xDF er in Proportion, wie er Reichth\xFCmer anh\xE4uffte, bemerkte, da\xDF sein eigenes Ansehen wuchs; so sch\xE4tzte Carazan dieselbe

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h\xF6her, je weniger er sie geno\xDF. Er verlor stufenweise die Neigung, gutes zu thun, wie er die Macht darzu erlangte; und wie die Hand der Zeit Schnee auf sein Haupt streuete, so dehnete sich auch der kalte Einflu\xDF bis auf seine Seele aus.

Ob aber gleich Carazan weder seine Th\xFCre jemals der Gastfreyheit, noch seine Hand dem Mitleiden \xF6fnete; so f\xFChrete ihn doch die Furcht, und die bestimmten Stunden des Gebehtes allezeit in die Moschee. Er \xFCbte alle Ceremonien der Andacht, mit der p\xFCnctlichsten Genauigkeit aus, und hatte seine Gel\xFCbde dreymal im Tempel des Propheten bezahlet. Jene Andacht, welche aus der Liebe Gottes entstehet, und nohtwendiger Weise die Liebe der Menschen einschlie\xDFt, verbindet die Dankbarkeit mit der Wohlth\xE4tigkeit, und erhebet das, was nur moralisch war, zum g\xF6ttlichen; sie giebt der G\xFCtigkeit eine neue W\xFCrde, und wird nicht nur geliebt, sondern auch verehret. Die Andacht des Eigenn\xFCtzigen hingegen, man glaube nun, da\xDF sie die Straffe abwende die ihm jedermann w\xFCnschet, oder, da\xDF sie dieselbe durch die Verbindung der Heucheley mit der S\xFCnde, noch gewisser mache, ermangelt niemals, Widerwil-

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len und Abscheu einzufl\xF6\xDFen. So oft demnach Carazan sein Thor geschlossen hatte, sich mit einem Blicke behutsamen Verdachtes umkehrete, und nach der Moschee gieng, folgte ihm jedes Auge mit stiller Feindschaft nach. Die Armen unterbrachen ihr Betteln, wenn er vorbey gieng; und ob ihn gleich jedermann kannte, wurde er doch von niemand gegr\xFC\xDFet.

Dieses war eine geraume Zeit Carazans Lebensart gewesen, und so war der Name beschaffen, den er sich erworben hatte; als durch offentlichen Ausruf bekannt gemacht wurde, da\xDF er in ein pr\xE4chtiges Geb\xE4ude mitten in der Stadt gezogen sey; da\xDF seine Tafel jedermann gedeckt, und da\xDF der Fremde zu seinem Bette eingeladen seyn solle. Die Menge rannte so gleich wie ein Strom nach seinem Thore, wo sie ihn erblickte, wie er den hungrigen Brod, und den Nackenden Kleider austheilte, wie sein Auge von Mitleiden erweicht war, und seine Wangen von Entz\xFCcken gl\xFCheten. Jeder staunete das Wunderwerk an: das Gemurmel unz\xE4hlbarer Stimmen, wuchs an wie der Schall des herannahenden Donners. Carazan winkte mit seiner Hand, und Aufmerksamkeit unterbrach au-

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genblicklich den L\xE4rm, und er vergn\xFCgte die Neubegierde, die ihm Geh\xF6r verschafft hatte, folgender Massen:

„Dem, der die Berge ber\xFChret, und sie rauchen; dem Allm\xE4chtigen und Barmherzigsten sey ewiges Lob! Er hat dem Schlafe befohlen, der Bohte des Unterrichtes zu seyn, und seine Gesichte haben mich in der Nacht ger\xFCget! Als ich allein, in meinem Haram vor meiner brennenden Lampe, den Ertrag meiner Maaren berechnete, und \xFCber den Anwachs meiner Sch\xE4tze frohlockete, fiel ich in einen tiefen Schlaf, und die Hand dessen, der im dritten Himmel wohnet, war \xFCber mir. Ich sahe den Engel des Todes, wie einen Wirbelwind heranst\xFCrmen, und erschlug mich, ehe ich den Streich verbitten konnte. In eben demselben Augenblicke f\xFChlete ich mich vom Grunde aufgehoben, und mit erstauntlicher Geschwindigkeit durch die Gefilde der Luft gef\xFChret. Die Erde war in ein St\xE4ubgen unter mir verschwunden, und die Sterne gl\xFCheten rings um mich mit einem Schimmer, der die Sonne verdunkelte. Das Thor des Paradieses kam mir nunmehr zu Gesichte, und ich wurde von einem pl\xF6tzlichen Strale geblen-

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det, den kein menschliches Auge ertragen kann. Nun sollte der unwiderrufliche Spruch gef\xE4llet werden. Mein Pr\xFCfungstag w\xE4r vorbey, und von dem Uibel meines Lebens konnte nichts mehr weggenommen, noch zu dem Guten etwas zugesetzt werden. Als ich bedachte, da\xDF mein Loos f\xFCr die Ewigkeit geworfen w\xE4re, welches alle M\xE4chte der Natur nicht mehr umstossen konnten, entfiel mir aller Muht; und als ich bebend und stillschweigend stund, mit Schaam bedeckt, und vom Entsetzen starrere, sprach der Stral, der vor mir flammete, also zu mir:"

„Carazan, dein Gottesdienst ist verworfen worden, weil er nicht aus der Liebe Gottes entsprungen! Auch deine Gerechtigkeit kann nicht belohnet werden, weil sie nicht aus der Menschenliebe entstund. Nur aus Eigennutz hast du jedem das Seinige angedeyen lassen; und, nur aus Eigennutz hast du dich dem Allm\xE4chtigen gen\xE4hert. Du hast nicht mit Dankbarkeit empor, noch, mit Gutth\xE4tigkeit um dich herum gesehen. Rings um dich hast du zwar Laster und Thorheit erblickt. — K\xF6nnten aber Laster und Thorheit deine Sparsamkeit rechtfertigen, w\xFCrden sie nicht

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die G\xFCte des Himmels verdammen? — Sollen die Thoren und Lasterhafften ausgeschlossen seyn, wohin soll die Sonne ihr Licht verschwenden, oder die Wolken ihren Thau tr\xE4uffeln? Wohin sollen die Lippen des Fr\xFChlings Wohlgeruch hauchen, und die Hand des Herbstes, Uiberflu\xDF verbreiten? — Erinnere dich, Carazan, da\xDF du das Mitleiden aus deiner Brust verbannt, und deine Reichth\xFCmer mit einer eisernen Hand gefasset hast. Du hast f\xFCr dich selbst gelebt, und deshalb sollst du hinfort einsam leben. Vom Lichte des Himmels, und von der Gesellschaft aller Wesen sollst du verstossen seyn. Einsamkeit soll die schmachtenden Stunden der Ewigkeit verl\xE4ngern, und Finsterni\xDF das Entsetzen der Verzweiftung belasten!''

„Augenblicklich wurde ich durch eine, unsichtbare und unwiderstehbare Macht, durch das schimmernde Weltgeb\xE4ude der Sch\xF6pfung gestossen, und in einem Augenblicke kam ich an unz\xE4hlbaren Welten vorbey. Wie ich mich den, Gr\xE4nzen der Natur n\xE4herte, sahe ich die Schatten eines g\xE4nzlichen und unerme\xDFlichen Leeren vor mir sich vertiefen. Entsetzliches Gefilde ewiger Stille! Einsamkeit und Finsterni\xDF! Ein unaus-

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sprechlicher Schrecken \xFCberfiel mich bey dem Anblicke, und dieser Ausruff berstete mit aller der Gewalt der Begierde, von mir: O! w\xE4re ich auf ewig in den gemeinen Auffenthalt der Ruchlosigkeit und der Schuld verdammet! — Dort w\xFCrde, die Gesellschaft die Qwal der Verzweiflenden erleichtert haben, und die Wuht des Feuers h\xE4tte den Trost des Lichtes nicht ausschlie\xDFen k\xF6nnen. Oder w\xE4re ich zu einem Auffenthalte in einem Cometen verdammt worden, der in Jahrtausend nur einmal in die Gefilde des Lichtes zur\xFCck kehrete, so w\xFCrde die Hoffnung dieser Perioden so ferne sie auch w\xE4ren, mich in der schrecklichen Zwischenzeit der K\xE4lte und der Finsterni\xDF erqwicken, und die Abwechselung, die Ewigkeit in Zeiten theilen! — Da dieser Gedanke \xFCber meine Seele bebte, verlohr ich den entferntesten Stern aus dem Gesichte, und der letzte Schimmer des Lichtes l\xF6schte in \xE4u\xDFerster Finsterni\xDF aus. Meine entsetzliche Verzweifelung wuchs jeden Augenblick, weil jeder Augenblick meine Entfernung von der letztern bewohnbaren Welt vermehrete. Mit unertr\xE4glicher Angst \xFCberlegte ich, da\xDF, wenn zehentausend Millionen Jahre mich dahin gerissen h\xE4tten, wohin,

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sich nichts mehr erstreckt, als die Macht, die das Unendliche erf\xFCllet, ich noch immer einen unerme\xDFlichen Schlund von Finsterni\xDF vor mir sehen, und noch immer durch denselben ohne Hilfe und ohne Gesellschaft immer weiter und weiter, auf immer und ewig st\xFCrzen w\xFCr- w\xFCrde. Dann streckete ich meine H\xE4nde gegen die Gefilde des Daseyns, mit einer Bewegung aus, die mich erweckte“ —

„Also habe ich, die Gesellschaft, wie jedes andere Gut, durch ihren Verlust, sch\xE4tzen gelernt. Mein Herz ist zur Freygebigkeit erweicht, — und eifernd, bestrebe ich mich, die Gl\xFCckseligkeit, so ich f\xFChle, denjenigen, von denen sie berr\xFChret, mitzutheilen. Denn die Gesellschaft eines einzigen Elenden, den ich im Stolze meines Gl\xFCckes von meiner Th\xFCre w\xFCrde weggestossen haben, w\xFCrde ich in der entsetzlichen Einsamkeit, worzu ich verdammt war, unendlich h\xF6her gesch\xE4tzt haben, als das africanische Gold, oder die Edelgesteine von Golconda." —

Bey dieser Betrachtung \xFCber seinen Traum verstummete Carazan pl\xF6tzlich, und blickte in einer Entz\xFCckung von Dankbarkeit und Andacht empor. Das Volk

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wurde zugleicher Zeit von Lehre und dem Beyspiele ger\xFChrt, und der Caliphe, dem die Begebenheit gemeldet wurde, wolte, \xFCber die Kr\xE4fte des Goldes, freygebig seyn, und gebot, dieselbe zum Nutzen der Nachwelt aufzuzeichnen.

Topic revision: r9 - 27 Sep 2011, PetraZinngieser
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