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XXIX.

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Fortsetzung von den vier Stuffen des menschlichen Alters.

Oft, wann sein Ohr durch die harmonischen Kl\xE4nge der Tonkunst entz\xFCckt worden, \xFCberl\xE4\xDFt er sich den sanften R\xFChrungen einer dankenden Freude - flieht auf die bl\xFChenden Lustgefilde seiner Gegend, \xF6ffnet seine ganze f\xFChlbare Seele allen Gegenst\xE4nden, die durch die Sinnen auf ihn wirken k\xF6nnen, und verlieret sich unter den Koncerten der feyernden Natur, in lauter Anbehtung und Verwunderung. Tugendbl\xFChende Freunde finden ihn in dieser Lage, werden durch den fr\xF6hlichen Anblick des frommen J\xFCnglings ger\xFChret, und preisen mit ihm den Gott der Liebe, da\xDF er die Welt so sch\xF6n gemacht, und in die ganze Natur so viele Lockungen zur Freude geleget hat. Diese seligen

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Stunden der Erholung, deren Fr\xFCchte noch dem Greise zu statten kommen, werden von ihrem Schutzgeiste im Himmel auf gezeichnet, wo kein edler verbrauchter Augenblick verloren gehet. Die Sittsamkeit des tugendhaften J\xFCnglings ist dem Rechtschaffenen ein s\xFC\xDFer Wohlgeruch; so lieblich als der balsamische Duft im Verborgenen bl\xFChender Violen. Eine kluge Vorsicht verschafft jedem seiner Tritte Sicherheit, und allen seinen Unternehmungen einen erw\xFCnschten Ausgang. Die Kleidungen des lehrbegierigen J\xFCnglings k\xFCndigen weder einen Pedanten, noch sein Hut einen Stutzer an. Reinlichkeit, Ordnung und Anstand, sind die Richtschnur seiner Ankleidung; Bescheidenheit, Hochachtung, Nachsicht und Gef\xE4lligkeit die Regeln seines Umganges. In ernsthaften Gesellschaften wird er darum hochgesch\xE4tzet, und bey Zusammenk\xFCnften von seinen Freunden, macht er das Leben und die Wohllust der Gesellschaft aus. Er ist gew\xF6hnt, jedermann Ehre und Willigkeit zu erzeigen, und kann auf die Zuneigung aller Menschen von jedem Stande und Alter sichere Rechnung machen.

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Eine r\xFChmliche Neubegierde reizt ihn, fremde L\xE4nder, und St\xE4dte zu sehen. Nicht um neue Spiele, nur Zeitvertreibungen zu lernen, oder neue Moden und Thorheiten theuer einzukaufen; sondern um seinen Sitten mehr Reinlichkeit, seinem Betragen mehr Abwechslung, seinem Umgange mehr Anmuht, und seinen Einsichten mehr Ausdehnung zu verschaffen. Von der Reinigkeit seiner Absichten \xFCberzeugt, ertheilt ihm der gl\xFCckliche Vater Einwilligung und Seegen zu seiner Reise. Die z\xE4rtliche Mutter bittet, mit erweichtem Herzen, den Himmel um Schutz und Erhaltung f\xFCr den Sohn ihrer Liebe. Der Abschiedsku\xDF seiner liebenden Schwestern benetzt seine bl\xFChen den Wangen mit z\xE4rtlichen Tr\xE4hnen. Die Br\xFCder dr\xFCcken ihn fest an die Brust, und versprechen ihm das Geleit der fr\xF6msten W\xFCnsche f\xFCr seine gl\xFCckliche Zur\xFCckkunft. Und nun entzieht er sich ganz allein den lauschenden Gefahren einer weiten Reise. Der Tugendhafte ist nirgends allein. Er ist allenthalben von seinen Schutzengeln umringet, und durch das Auge der Vorsehung bewahret. Die Tugend ist die Wolkens\xE4ule, welche des Tages vor ihm hergehet, und die g\xF6ttliche

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Weisheit ist des Nachts eine leuchtende Fackel auf seinen Wegen. Er pr\xFCfet alles, und beh\xE4lt das Be\xDFte. Keine Verhei\xDFungen sind stark genug , ihn von dem graden Wege der Tugend und Gl\xFCckseeligkeit abzulocken. Veine gel\xE4uterte Vernunft, ist die Vormauer und sein Glaube das Schild, hinter welchen sein Herz allen Verf\xFChrungen Trotz bietet. Die M\xE4\xDFigkeit ist sein Arzt, und Gesundheit seine getreueste Gef\xE4hrtinn. F\xFCr der Wohllust fliehet er, wie f\xFCr dem offenen Rachen einer L\xF6winn. Die Tische, wo Karten und W\xFCrfel, auf das Verderben der Freunde lauren, sind in seinen Augen ein Gr\xE4uel. Weit r\xFChmlicher f\xFCllt er seine Erholungsstunden mit Besuchung guter Schauspiele aus, solcher Schauspiele, die das Herz in seiner Reinigkeit best\xE4rken, und seinen Geschmack verbessern k\xF6nnen. Tanzen, Reiten, und fechten h\xE4lt er f\xFCr unschuldige Uibungen, die seinen K\xF6rper mehr Anstand, Kr\xE4fte, Dauer, und Sicherheit gewahren k\xF6nnen. Auf den B\xE4llen ist seine Keuschheit so wohl verwahret, als ein Siegelring an seinem Finger. Er lernt den Degen f\xFChren, nicht um Schaden zu thun, sondern um Ungl\xFCck zu verh\xFCten. Die

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Reitkunst betrachtet er nicht als ein Mittel, sich auf tanzenden Pferden br\xFCsten, oder auf Parforcejagden den unschuldigen Thieren gef\xE4hrlich zu werden, sondern vielmehr als den sichersten Weg, Gefahren auf wilden und unb\xE4ndigen Pferden ausweichen zu k\xF6nnen. Er bedienet sich der zahmen Thiere zur Erleichterung aller der Bed\xFCrfnisse, denen sie abzuhelfen bestimmt sind; allein wie jeder Gerechte, erbarmet er sich eines jeden Viehes. Die g\xF6ldnen Ketten, womit der sklavische P\xF6bel pranget, sind in seinen Augen Fesseln des Elendes. Nur Freyheit und Tugend reizen seine Seele. Schwelgerische Tafeln betrachtet er mit den wahrestem Unwillen. Er stehet in ihnen nichts als die Lockspeisen des Todes und des Verderbens; unter seinen feurigen Augen verschmachtet der Uiberfiu\xDF und die Verschwendung. Ein Feind der gef\xE4hrlichen Parheylichkeit und des noch abscheulichern Reilgionshasses, sucht er nur die vern\xFCnftigen Zirkel der Eintracht und Liebe. Seinem scharfsichtigen Verstande ist es leicht, den windigen Schw\xE4tzer, und bescheidenen gr\xFCndlichen Gelehrten zu unterschriden. Mit diesen gl\xFCcklichen Gaben ausger\xFCstet, begegnen

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ihm auf seinen Reisen allenthalben Gelegenheiten, seine Vollkommenheiten zu vermehren. Endlich k\xF6mmt er in die geseegneten Gefilde seines Vaterlandes zur\xFCck, wie eine Biene aus einem wohlriechenden Garten, mit den kostbarsten Sch\xE4tzen der Weisheit und Tugend beladen. Er eilet den Umarmungen seiner hoffenden Aeltern, und fr\xF6hlichen Geschwister gesund und liebvoll entgegen. Wechselsweise an dem Halse des einen und der andern angeklammert, weint er der sch\xE4tzenden Vorsehung Tr\xE4hnen des Dankes, und den Redlichen, in deren Adern eben das Blut, als in den seinigen str\xF6met, Tr\xE4hnen der Z\xE4rtlichkeit und Freude. Mit begierigen Ohren lauschet noch in den mittern\xE4chtigen Stunden die gl\xFCckliche Familie den rechtschaffenen Sohn und liebvollen Bruder r\xFChrende Geschichten ab. — Lauter Aufmerksamkeit, lauter Bewunderung, lauter Beyfall! Der Ruff von seiner gl\xFCcklichen Zur\xFCckkunft verbreitet sich unter den benachbarten Freunden. Welche gl\xFCckw\xFCnschende Besuche von allen Seiten! und unter diesen die Tochter eines w\xFCrdigen Nachbars, deren sanftere Tugenden, mit dem Reize der bl\xFChenden

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Jugend und der l\xE4chelnden Anmuht verbunden, unserm J\xFCngling so einnehmend scheinen, als einem Jakob die Rachel. Mit Entz\xFCcken sp\xFCren beyde V\xE4ter diese gegenseitigen Zuneigungen ihrer wohlgerahtenen Kinder. Keine Schw\xFCre, keine gek\xFCnstelten Leibeserkl\xE4rungen! Sie sehen sich, lieben sich beyde, sch\xE4men sich des Gest\xE4ndnisses nicht, bekennen die Empfindung ihrer aufrichtigen Herzen, erhalten den Seegen der Aeltern, und die Gl\xFCckw\xFCnschungen der Geschwister, und so wird aus dem tugendhaften J\xFCngling ein gl\xFCcklicher Mann!

Der Mann.

Wohl dem Manne, dessen jugendliche Stunden die Hand der Unschuld gesponnen, mit dessen Locken keine buhlerischen Dirnen gespielet, dessen Puls von den Erhitzungen perlender Weine, und den brausenden Aufwallungen heftiger Leidenschaften noch keine st\xFCrmende St\xF6\xDFe erlitten.— Wohl dem Manne, dessen Kindheit in Gehorsam und Freude, dessen Jugend in Unschuld und M\xE4\xDFigung verstrichen! Die ganze Zeit seines Ehestandes ist wie ein Tag des goldenen Alters. Sein Lager ist immer mit

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Rosen bestreuet ; seine Wohnung ist ein Aufenthalt des Friedens und der Gl\xFCckseeligkeit. Sanftmuht und Wonne, l\xE4cheln ihm aus den heitern Auqen einer z\xE4rtlichen Gattinn entgegen. Unter den freundlichen Liebkosungen seiner andern H\xE4lfte verschwinden alle Beschwerden seines Amtes, und seines Standes. Monate verstreichen dem zufriedenen Paare wie gl\xFCckliche Augenblicke, ganze Jahre wie ein l\xE4chelnder Fr\xFChlingstag. Bald siehet der gl\xFCckliche Vater, sich in einer bl\xFChenden Nachkommenschaft vervielf\xE4ltigt. Seine Augen blicken mit dankbarer Z\xE4rtlichkeit auf die liebkosenden Zeugen seiner Liebe, die am Busen ihrer frommen Mutter, Tugend und Gesundheit mit der ersten Nahrung, einsaugten. Seine Kinder stehen, nach einigen fr\xF6hlich durchlebten Jahren, um den Tisch herum, wie Oelzweige, und h\xE4ngen wechselsweise, am Halse ihrer Geb\xE4hrerinn, wie die Trauben an den Reben.

(Der Beschlu\xDF folgt im n\xE4chsten St\xFCcke)


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Topic revision: r4 - 15 May 2011, MarleneBurgstaller
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