Bl\xE4ttern:
< zum Text 51 –
zum Inhaltsverzeichnis>
LII.
(P411)
Beschlu\xDF von dem Instinkt der Thiere.
Was ist daher sichrer zu glauben, als da\xDF es die Thiere niemals sehr hoch bringen werden, wenn sie auch, in Ansehung gewisser Geschicklichkeiten, wirklich ziemlich weit gekommen waren? Die Baukunst der Biber k\xF6nnte versch\xF6nert, die Gestalt der Schwalbennester verbessert, oder zierlicher geworn seyn, ohne da\xDF wir es vermerkt hatten. Die Hindernisse aber, die sich dem Fortgange der thierischen Gattungen widersetzen, sind \xFCberhaupt sehr schwer zu \xFCberwinden. Uiberde\xDF pflegen auch einzelne Thiere nicht von der starke einer herrschenden Leidenschaft diejenige anhaltende Th\xE4tigkeit zu entlehnen, wodurch ein Mensch verm\xF6ge seines Genie, sich \xFCber andere seines gleichen erhebt. Gleichwohl haben die Thiere, sowohl
(P412)
nat\xFCrliche, als auch solche Leidenschaften, die man angenommen nennen, und dem Nachdenken zuschreiben k\xF6nnte. Zur ersten Art rechnen wir die Eindr\xFCcke des Hungers, die heftige Begierde zur Vermehrung des Geschlechts, die m\xFCtterliche Z\xE4rtlichkeit ; zur andern, die Furcht vor dem Mangel, den Geiz, und die Eifersucht, welche zur Rache deutet. Der Geitz ist eine Folge, des vorher empfundenen Hungers. Das Nachdenken \xFCber die\xDF Bed\xFCrfni\xDF erregt in allen Thieren, welche \xF6fters den Mangel ausgesetzt sind, eine gewisse Vorsorge. Die Fleischfressenden verbergen die Uiberbleibsel ihrer Beute, um sie im Falle der Noht wieder zu finden. Unter denen, die von Fr\xFCchten leben, sammlen sich diejenigen, welche verm\xF6ge ihres dazu schicklichen Baues, ihre Nahrung forttragen k\xF6nnen , einen Vorraht, den sie nur im Nohtfalle anr\xFChren. Von der letztern Art sind die Feldratzen, die Hamster u. s. w. Indessen ist die Leidenschaft des Geizes bey ihnen eben nicht erfinderisch an Kunstgriffen. Ihre Aus\xFCbung er streckt sich blo\xDF aufs Sammlen und Sparen.
(P413)
Die Eifersucht ist eine Tochter der Liebe. Unter denjenigen Gattungen, wo das M\xE4nnchen, ohne Unterschied, sich mit allen Weibchen paaret, wird sie nur durch den Mangel an gen\xFCgsamen Weibchen rege gemacht. Da alle M\xE4nnchen zu gleicher Zeit das lebhafte Bed\xFCrfni\xDF der Fortpflanzungsbegierde empfinden; so entstehet daraus notwendig eine wechselweise und allgemeine Nebenbuhlerschaft. Oft geschieht es, da\xDF diejenigen Thiere, welche von dieser blinden Leidenschaft am st\xE4rksten hingerissen werden, ihre Absicht g\xE4nzlich verfehlen. Unterdessen, da\xDF die alten Hirsche w\xFCtend miteinander k\xE4mpfen, n\xE4hert sich ein Spi\xDFhirsch sch\xFCchtern der Hindin, oder dem Rehe, befriediget geschwind seine Begierden, und macht sich eilig davon. Bey den Arten die paarweise leben, ist die Eifersucht inniger, und \xFCberlegter. Die Bewegungsgr\xFCnde, worauf die wechselweise Wahl zweyer einzelner Thiere sich gr\xFCndet, m\xF6gen seyn welche sie wollen; so ist doch soviel gewi\xDF, da\xDF die Wahl wirklich geschiehet, und der Begriff des wechselweisen Eigenthums sich versetzt. Von diesem Zeitpunkte an mischt sich das sittliche in den Affekt der Liebe. Die Weibchen selbst
(P414)
werden der Eifersucht f\xE4hig; diese Vereinigung, die dem Triebe ihren Anfang, und den Vergn\xFCgen ihre Fortdauer zu danken hat, wird durch die gemeinschaftlichen Sorgen, welche die Erziehung der Jungen erfordert, noch enger gekn\xFCpft; ist aber erst diese Absicht erf\xFCllt, so hat die Vereinigung wieder ein Ende. Der Fr\xFChling, der diesen Thieren eine neue Brunst einst\xF6\xDFt, ver\xE4ndert zu gleicher Zeit ihren Geschmack. Indessen getrauen wir uns nicht zu entscheiden, ob den Turteltauben ihr erworbener Ruhm der Best\xE4ndigkeit mit Recht zukomme, oder nicht. Sollten sie auch in der That best\xE4ndig seyn; so ist es doch gewi\xDF, da\xDF sie nicht eben so getreu sind. Man hat mehrere gesehen, die auf dem n\xE4mlichen Zweige, gleich nacheinander sich zweenen Taubern \xFCberlassen haben. Ist etwann ihre Best\xE4ndigkeit nur in sofern sicher, als sie einander die Untreu erlauben?
Ohne hier etwas zu entscheiden, kann man \xFCberhaupt sagen: die Begierde zur Fortpflanzung sey bey den Thieren nur ein vor\xFCbergehendes Bed\xFCrfni\xDF. Diese Leidenschaft, mit allen dazu geh\xF6rigen Kleinigkeiten, besch\xE4ftiget
(P415)
sie h\xF6chstens nur den vierten Theil des Jahrs; sie kann also die einzelnen Thiere nicht zu einen merklichen Fortgang erheben. Die Zeit der Gleichgiltigkeit mu\xDF alle die Begriffe wieder in Vergessenheit bringen, welche durch die Reizung der Begierden hervorgebracht wurden. Man beobachtet nur, da\xDF die M\xFCtter durch Erfahrungen, in denjenigen Dingen kl\xFCger gemacht werden, die zum Wohl ihres Geschlechts geh\xF6ren. In einem h\xF6hern Alter ziehen sie Lehren f\xFCr sich aus den Fehlern, und der Unerfahrenheit der Jungen. Ein Rebhuhn von drey oder vier Jahren sucht zu seinem Neste schon einen weit vorteilhaftem Platz aus, als ein junges. Es setzt sich an einem etwas h\xF6hern Orte mit seiner k\xFCnftigen Brut vor Uiberschwemmunqen in Sicherheit, und suchet darauf, da\xDF durch Dornen und Strauchwerk der Zugang zu ihrem Neste beschwerlich gemacht werde. Wenn das Rebhuhn um Futter zu suchen, das Nest verlassen mu\xDF, unterl\xE4\xDFt es nicht, die Eyer zu verbergen, und mit Bl\xE4ttern zu bedecken.
Geschieht es zuweilen, da\xDF die m\xFCtterliche Z\xE4rtlichkeit tiefe Eindr\xFCcke in
(P416)
dem Ged\xE4chtnisse gewisser Thiere zur\xFCckl\xE4\xDFt; so kommt die\xDF daher, da\xDF die Uibung derselben lange genug dauret. Die m\xFCtterliche Z\xE4rtlichkeit ist \xFCberdie\xDF eine von den Leidenschaften, welche diese empfindlichen Gesch\xF6pfe in einm lebhaften Grade f\xFChlen. Sie erregt in ihnen eine unruhige und anhaltende Gesch\xE4ftigkeit, eine m\xFChsame Geduld, und wenn die Jungen von einer Gefahr bedrohet werden, eine herzhafte Vertheidigung, die einer Aufopferung seiner selbst nicht un\xE4hnlich ist; denn g\xE4nzlich opfert man sich nicht leicht auf. Das Ich l\xE4\xDFt sich in den \xE4u\xDFersten Augenblicken nur allzudeutllch empfinden. Einen Beweis dieser Wahrheit findet man darum, da\xDF bey den unterschiedenen Gattungen die anscheinende Verw\xE4genheit der Mutter allemal mit den Mitteln in einem Verh\xE4ltnisse steht, die sie in ihrer Gewalt hat, um der Gefahr, der sie Trotz zu dichten scheinet, zu entgehen. Die W\xF6lfinn, und die wilde Sau werden f\xFCrchterlich, wenn sie ihre Jungen zu vertheidigen haben, selbst die Hindin (Hirschkuh) sucht die Gefahr auf; ihre Schw\xE4che, aber wird bald an ihrem Muhte zu Verr\xE4hterinn. Sie wird ihrer z\xE4rtlichen Unruhe ohngeachtet,
(P417)
leicht zur Flucht gen\xF6htiget. Das Rebhuhn, und die wilde Aente, die in der Geschwindigkeit ihrer Fl\xFCgel ein sichres Rettungsmittel haben, scheinen sich, zur Vertheidigung ihrer Jungen, weit mehrere Gefahren blo\xDF zustellen, als das Fasanhuhn. Der Schwerflug des letztern w\xFCrde es zu einem sicheren Opfer einer zu muhtigen Liebe machen. Diese, dem Schein nach, so gro\xDFm\xFChtige Liebe erzeugt eine Eifersucht, die in den Gattungen, wo sie aufs h\xF6chste steigt, bis zur Grausamkeit gehet. Das Rebhuhn verfolget, und t\xF6dtet, ohne Mitleiden, alle Jungen seiner Art, die nicht zu seiner Familie geh\xF6ren; das Fasanhuhn hingegen, das seine eignen Jungen leichter verl\xE4\xDFt, besitzt eine allgemeine Zuneigung zu allen Jungen von seiner Art. Alle mutterlosen Fasanen, haben die Erlaubnis dieser gutwilligen Mutter zu folgen.
Noch einmal! Was ist also der Instinkt? Wir sehen, da\xDF die Thiere empfinden, vergleichen, urtheilen, nachdenken, w\xE4hlen, und da\xDF sie in allem, was sie unternehmen, durch ein Gef\xFChl von Selbstliebe geleitet werden, welches die Erfahrung mehr oder weniger aufkl\xE4ret.
(P418)
Mit diesen F\xE4higkeiten dienen sie der Welt zur Zierde, uns aber zum Nutzen, und erf\xFCllen sowohl die Absichten der Natur, als den uns unbekannten Willen, den der Sch\xF6pfer bey ihrer Hervorbringung gehabt hat.
E N D E.
Bl\xE4ttern:
< zum Text 51 –
zum Inhaltsverzeichnis>