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ZUM GESAMTINHALT
Ungrisches Magazin,
Band 1, Heft 1, Text 5 (S. 36-43)
Hrsg. von
Karl Gottlieb Windisch
Pre\xDFburg,
L\xF6we, 1781
Autor:
D. Joseph Conr\xE1d
Zuordnung: Naturgeschichte
(P36)
5. Uiber Verbindung und Zusammenhang des systematischen, und historischen Studiums der Naturgeschichte.
von D. Joseph Conr\xE1d, Physikus der K\xF6nigl. Freystadt
Oedenburg.
Die Naturgeschichte in ihrem ganzen Umfange betrachtet, hat theils die specielle Physik der Naturalien, das hei\xDFt, die Untersuchung ihrer Entstehung, Fortpflanzung und anderer Eigenschaften, wie auch besonderer an denselben zu bemerkender Erscheinungen zum Gegenstande:
(P37)
theils besch\xE4ftiget sie sich mit systematischer Anordnung, mit Classifikation, kunstm\xE4\xDFiger Beschreibung und Benennung aller bekannten nat\xFCrlichen K\xF6rper. Diese beyden Hauptzweige der Naturwissenschaft, geh\xF6ren in einen vollst\xE4ndigen Plan derselben. Einzeln genommen, ist jeder ohne dem andern unvollkommen und mangelhaft; und beyde sind daher, da wo gr\xFCndliche, vollst\xE4ndige und gemeinn\xFCtzige Kenntnisse in der Naturgeschichte erfordert werden, gleich unentbehrlich.
Der Systematiker ben\xFCtzt zur Erbauung seines Geb\xE4udes die Materialien, und die einzelnen Bruchst\xFCcke, welche ihm der Flei\xDF des Beobachters liefert: dieser hingegen bedarf eines Leitfadens, die Gegenst\xE4nde seiner Beobachtungen ausfindig zu machen, sie geh\xF6rig zu unterscheiden, und um zur beqwemern Uibersicht ihrer nat\xFCrlichen Verwandtschaften zu gelangen.
Es ist noch nicht lange, da\xDF die Naturgeschichte nach richtigen Grunds\xE4tzen philosophisch bearbeitet wird. Sie hat erst seit der Zeit einen Platz unter den \xFCbrigen Wissenschaften gefunden, als der grosse
Linn\xE9, \xFCber diesen Theil der menschlichen Kenntnisse, zuerst Licht und Gewi\xDFheit verbreitete. Seit dieser scientisischen Epoche der Naturgeschichte, ist sie durch die Bem\xFChungen verschiedener gelehrter und verdienstvoller M\xE4nner, \xFCberhaupt zu einem Grade der Vollkommenheit gelangt, den manche andere, schon ungleich l\xE4nger kultivirte Wissenschaft, noch nicht erreicht zu haben scheint.
Nun war eine ziemliche Anzahl der Naturforscher haupts\xE4chlich nur darauf bedacht, die merkw\xFCrdigsten Eigenschaften der nat\xFCrlichen K\xF6rper, und den daraus f\xFCr das gemeine Leben herzuleitenden Nutzen zu erforschen. Diese suchten in das Innere der Natur einzudringen — die\xDF wird aber wohl nie erschaffenen Geistern gelingen — ihre Geheimnisse aufzukl\xE4ren, und dem Gange ihrer Oekonomie bis in die Haushaltung einzelner Familien und Arten nachzusp\xFCren.
(P38)
Andere hingegen machten die \xE4u\xDFere Bildung der Naturalien, und die hierauf beruhenden Unterscheidungsmerkmaale derselben, zu den vorz\xFCglichsten Gegenstand ihrer Unsuchungen. Nach festgesetzten richtigen Grunds\xE4tzen entwarfen sie in einer genau bestimmten Kunstsprache, Beschreibungen der \xE4u\xDFern Struktur, und baueten auf die Uibereinstimmung oder die Verschiedenheit gewisser Charaktere, Methoden, oder Systeme, nach welchen sie die nat\xFCrlichen K\xF6rper ordneten. Man sahe n\xE4mlich sehr bald die Nohtwendigkeit ein, den Verstand bey der Uibersicht des ungeheuern Vorrahtes von Naturalien, welcher noch immer mit neu entdeckten Gegenst\xE4nden vermehret wurde, zu unterst\xFCtzen, und dem Ged\xE4chtnisse auf diese Art zu Hilfe zu kommen. So entstand nun ein Inventarium, oder Register \xFCber die Natur; ein systematisches Verzeichni\xDF aller bekannten nat\xFCrlichen K\xF6rper, in welches die neuerlich entdeckten, am geh\xF6rigen Orte eingetragen werden konnten.
Aber freylich wohl haben diejenigen Naturforscher, die Aufnahme und Erweiterung ihrer Wissenschaft am meisten bef\xF6rdert, welche durch eine seltene Vereinigung, Beobachtungskunst, mit systematischem Genie, gl\xFCcklich verbanden.*
Dagegen aber ist es auch dem Fortgange der Naturwissenschaft , desto nachtheiliger gewesen, da\xDF verschiedene der Naturforscher, welche das systematische, oder das historische Fach derselben besonders bearbeiteten, von der Erheblichkeit der ihnen zu Theil gewordenen Untersuchungen, zu sehr eingenommen, andere nicht minder wichtige Gegend
* Da\xDF der unsterbliche Linn\xE9 mit unter diese geh\xF6re, und auch das physische Fach der N. G. mit unz\xE4hligen Beobachtungen und Entdeckungen bereichert habe, wissen alle Kenner seiner Schriften: ob ihm gleich der Verf. einer unbedeutenden Broch\xFCre (L' Auteur justisi\xE9, ou Examen de la Recension etc. Paar M. B.** Mannheim, 1778) welche wider die Recension der Physiologia muscorum des Hrn. de Necker in der A. D. B. gerichtet ist, h\xF6chstens nur das Verdienst oder den Rang eines Savant methodiste nomenclateur, zugestehen will.
(P39)
st\xE4nde der Naturgeschichte vernachl\xE4\xDFigten. Hiedurch geschah es n\xE4mlich zum \xF6ftern, da\xDF Anh\xE4nger und Bearbeiter der Systeme, den Bem\xFChungen unsystematischer Beobachter, oder empirischer Naturalisten, nicht den geb\xFChrenden Wehrt beylegten: — noch \xF6fter aber, da\xDF die letztern, System und Methode schlechterdings verworfen, und die Verdienste der Systematiker verkannten, oder wohl gar mit Geringsch\xE4tzung ansahen.
So sind vom Anfange der wissenschaftlichen Periode der Naturgeschichte an, unter den Naturalisten gleichsam zwo Partheyen entstanden; deren eine, systematische Eintheilung, und eine auf die nat\xFCrliche Verwandtschaft der Dinge m\xF6glichst gegr\xFCndete Methode, f\xFCr unentbehrlich hielt; die andere aber, System und Eintheilung, als der allm\xE4ligen (gr\xF6\xDFtentheils nur eingebildeten) Stufenfolge der Natur zuwider, verwarf, und bey der blo\xDFen Beobachtung und Beschreibung einzelner Gegenst\xE4nde, stehen blieb.
Unter den letztern hat sich besonders der Graf von
B\xFCffon, aber nicht auf eine sehr vortheilhafte und seinen \xFCbrigen grossen Einsichten entsprechende Art ausgezeichnet. Denn so viele Hochachtung er sich \xFCbrigens seiner gl\xE4nzenden Verdienste um die Naturgeschichte wegen, erworben hat, so sehr verdienen seine fehr seichten und dabey heftigen Anf\xE4lle auf die Systematiker, und besonders den gr\xF6\xDFern Linn\xE9, Verachtung und Tadel. Seinen Grunds\xE4tzen sind \xFCbrigens Mehrere, besonders unter seinen Landsleuten gefolgt: doch hat er auch bey Ausw\xE4rtigen verschiedene Anh\xE4nger gefunden. Man kann aber wohl mit grossem Rechte behaupten, da\xDF der Graf von B\xFCffon sowohl, als auch diejenigen, welche seinen Meynungen beygetreten sind, das System verworfen haben, ohne dessen Erheblichkeit aus dem rechten Gesichtspunkte zu betrachten, oder eine richtige Kenntni\xDF der Sache \xFCberhaupt, zu haben.
(P40)
Vielleicht ist es zum Theile dem Charakter der Nationaldenkungsart zuzuschreiben, da\xDF die deutschen und die n\xF6rdlichern Naturforscher \xFCberhaupt, zuerst Systeme der Naturgeschichte ausgearbeitet, und da\xDF sie auch in der Folge mehr Geschmack am methodischen Studio dieser Wissenschaft gefunden haben.
Die unsystematischen Naturalisten haben zum \xF6ftern alles, was in der Naturgeschichte System hei\xDFt, oder sich demselben n\xE4hert, ausdr\xFCcklich f\xFCr unn\xFCtz und ungereimt erkl\xE4rt. Billiger haben im Gegentheile jederzeit die Systematiker von den physischen Untersuchungen der nat\xFCrlichen K\xF6rper, ihres Nutzens u.s. w. geurheilt. Sind allenfalls einige unter ihnen, von partheyischer Neigung zum System, zuweilen hingerissen worden: so hat doch meines Wissens auch in diesem Falle keiner dem systematischen Theile der Naturwissenschaft einen so hohen Wehrt beygelegt, da\xDF er dem physischen oder historischen nicht eine vorz\xFCgliche Wichtigkeit zugestanden h\xE4tte.*
* Hr.Prof. Blumenbach in G\xF6ttingen sagt im 5ten St\xFCcke des G\xF6tting Magazins, 1780, S. 117, der gute Artedi (oder der einf\xE4ltige Artedi; verglichen mit les bons allemands der Franzosen) habe physische Untersuchungen als eine Nebensache in der N. G. angesehen, und sich also entbehrende Begriffe von ihr gemacht. Eine sehr harte Beschuldigung f\xFCr einen Mann, der noch vor der allgemeinen linn\xE9ischen Reformation der N. G. selbst schon Reformator eines ihrer btr\xE4chtlichsten Theile war, und den Linn\xE9 (in vita Artedi) ingegeniumseculare, und lchtyologorum Principem nennt ! — Die von Hrn. Prof. Bl. angef\xFChrten Worte des A. zeigen doch nur an, da\xDF dieser nur in so ferne historische Betrachtung der Naturalien zu einer Nebensache machte, als seine Begriffe von der Naturgeschichte eingeschr\xE4nkter waren als die unsrigen; und da\xDF er das historia naturalis nannte, was wir itzt unter Methode u. d. g. verstehen. Da\xDF er die physische Betrachtung der Naturalien nicht verwerfen, sondern nur von dem, was eigentlich Methode in der N. G. ist, absondern wollte, erhellet wohl aus dem, was unmittelbar auf die von Hrn. P. B. citirte Stelle folgt:Alii vero, pro varia intentione et fine, aliter quoque de Piscibus agunt, ut Medici, Chemici etc. - ut jam deamethodicis nihil dicam.
(P41)
Denn allerdings sind Methode, Definition, Terminologie, u. d. gl. nur Hilfsmittel zu einer ausgebreiteten und gr\xFCndlichen Kenntni\xDF der Natur zu gelangen; ohne welchen sich aber diese, meines Erachtens, durchaus nicht gedenken l\xE4\xDFt. Mit Recht nennt daher Linn\xE9, Methode oder System, die Seele der Naturgeschichte.
Ordnung und Zusammenhang ist in einer Wissenschaft, die unz\xE4hlige durch mancherley Eigenschaften verschiedene Gegenst\xE4nde in sich begreift, h\xF6chst wesentlich und nohtwendig. Ein Haufe von Beobachtungen und Monographien ohne System, Beschreibungen ohne Terminologie — w\xFCrde ungef\xE4hr einer Weltgeschichte \xE4hnlich seyn, die ohne einiger chronologischen Ordnung oder Verbindung, und ohne dabey auf Zusammenstellung gleichzeitiger Dinge, oder auf Uibereinstimmung der Nationen, L\xE4nder und Zeiten , R\xFCcksicht zu nehmen, — eine Sammlung aller Begebenheiten enthielte, die sich vom Anfange der Welt an zugetragen haben.
Classifikation, Eintheilung, Definition u.s w. sind in der Naturgeschichte eben so unentbehrlich, als Epochen, gr\xF6\xDFere und kleinere Perioden, Jahrzahlen, u.d.g. wesentlich mit zum Studio der Weltgeschichte geh\xF6ren. Und hiedurch wird die Naturgeschichte eben so wenig zur blossen Ged\xE4chtni\xDFsache, so wie die Weltgeschichte — nicht als trocknes Gkelet von Namen und Jahrzahlen, sondern — als pragmatische Erz\xE4hlung der vornehmsten Ver\xE4nderungen der Welt, und ihrer Bewohner, in R\xFCcksicht auf ihren gegenw\xE4rtigen Zustand, nicht mehr, noch weniger Ged\xE4chtni\xDFsache ist, als irgend eine andere Wissenschaft.
Der gegenseitige Einflu\xDF des methodischen und historischen Studiums der Naturgeschichte, ist besonders in den nicht seltenen F\xE4llen sichtbar, in welchen Systematiker und Beobachter das Mangelhafte ihrer Kenntnisse f\xFChlen, und bey einer Gr\xE4nze stehen zu bleiben gen\xF6htiget sind, jenseits welcher sie ihre Untersuchungen entweder
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gar nicht, oder nur auf einem andern, als den bis dahin betretenen Wege fortzusetzen im Stande sind. Da n\xE4mlich, wo der sch\xE4rfste Blick des Beobachters nicht eindringen kann, bahnen uns \xF6fters Analogie und Methode einen Weg zu neuen Aussichten, und halten uns gleichsam, wegen der Unzul\xE4nglichkeit unserer Beobachtungen, schadlos. Eben so mu\xDF der Systematiker, da wo ihn Charaktere und Definition verlassen, zweifelhaft \xFCber die Verwandtschaften und den Standort manches r\xE4tselhaften Gesch\xF6pfes, blo\xDF bey der Beobachtung seiner Eigenschaften stehen bleiben, ohne es wagen zu d\xF6rfen, ihm eine bestimmte Stelle im Buche der Natur anzuweisen. — F\xFCr beyde F\xE4lle dienen diejenigen nat\xFCrlichen K\xF6rper zum Beyspiele, welche wie die Schw\xE4mme (Spongiae), und die Pilze (Fungi), bisher, blo\xDF wohl deswegen als Uiberg\xE4nge oder als Mitteldinge, zwischen dem Thier - und Planzenreiche angesehen worden sind, weil sich die Naturalisten entweder noch nicht \xFCber den wesentlichen Charakter der letztern vollkommen verglichen haben; oder weil es dem Flei\xDFe der Beobachter noch nicht gelungen ist, diese Charaktere, an den meisten jener K\xF6rper ausfindig zu machen.
Uiberhaupt aber ist die Notwendigkeit des methodischen Studiums der Naturgeschichte, um desto mehr zu empfehlen, da es scheint, als ob geflissentliche Ausf\xE4lle einiger der neuesten Schriftsteller Gleichgiltigkeit f\xFCr dasselbe erwecken, und einen Barbarismus hervorbringen k\xF6nnten, dessen Folgen f\xFCr die Wissenschaft immer h\xF6chst nachteilig w\xE4ren. Jeder \xE4chte Liebhaber der Natur mu\xDF freylich mit dem gr\xF6\xDFten Vergn\xFCgen bemerken, da\xDF es den angesehensten der heutigen Naturforscher um gemeinn\xFCtzige Kenntnisse in der Naturgeschichte zu thun ist. Aber eben darum w\xE4re es h\xF6chst unbillig, wenn man die Verdienste der Systematiker, welche den Weg zu denselben gebahnt haben, nur im Geringsten verkleinern wollte.
(P43)
Man beobachte also die Natur, und studiere sie systematisch. Monographien und einzelne Beobachtungen sind f\xFCr die Naturgeschichte von geringer Erheblichkeit, wenn sie nicht durch Methode gel\xE4utert, bestimmt, und brauchbar gemacht werden. Daher befolge man bey der vollst\xE4ndigen und gr\xFCndlichen Bearbeitung irgend eines Gegenstandes der Naturgeschichte folgenden Plan, den \xE4chte Naturforscher sich schon l\xE4ngst vorgezeichnet haben, und dessen besonders f\xFCr diejenigen meiner Landsleute, welche sich das bisher bey uns so sehr vernachl\xE4\xDFigte Studium der vaterl\xE4ndischen Naturgeschichte angelegen seyn lassen wollen, hier vielleicht nicht am unrechten Orte Erw\xE4hnung geschieht.
Zuerst also kunstm\xE4\xDFige Benennung und Beschreibung, nach einer unter allen Naturforschern aller Welttheile und Gegenden, errichteten Convention, nnd Aufstellung im nat\xFCrlichen und k\xFCnstlichen Systeme; — dann physische, anatomische und physiologische Untersuchung des \xE4u\xDFern und innern Baues, historischer Begrif der merkw\xFCrdigsten Eigenschaften, endlich Anzeige des Nutzens, oder Schadens in der Oekonomie und Arzneywissenschaft.
Bey der Befolgung dieser Vorschrift werden die Naturalisten den gedoppelten erhabenen Endzweck ihrer Arbeiten: die Verherrlichung des Sch\xF6pfers aus seinen Werken, und die Bef\xF6rderung des Wohls der Menschheit am sichersten erreichen. Auf diese Art wird man auch verh\xFCten k\xF6nnen, da\xDF die fruchtbarste aller menschlichen Kenntnisse, entweder von der einen Seite in trockne Classifikation, Beschreibungen und Terminologien; oder von der andern in magere und gedehnte Erz\xE4hlungen wenig interessanter Dinge ausarte.