Conrad Dominik Bartsch an Karl Gottlieb Windisch

Maria Theresiopel, 22. Dezember 1781

Bartsch ist weder mit dem Beitrag Cornides \xFCber die Kutschen noch mit der Antwort des Samuel Ab Hortis, der die Kutschen aufgrund ethymologischer Argumente als zipserische Erfindung betrachtet, zufrieden und f\xFChrt Beweise dagegen an.

An den Herausgeber
Uiber die Ungrischen Kutschen
M[aria] T[heresiopel] den 22. Dezember 1781
Die vortrefliche Abhandlung Ihres w\xFCrdigen Freundes D[aniel] Cornides (im ersten St\xFCck des I. Bandes Ihres Magazines. Seite 19) worinnen die Kutschen als eine Ungrische Erfindung hergestellet werden, schineen mir so \xFCberzeugend, da\xDF keinem Zweifel in dieser Sache Platz in mir \xFCbrig bliebe; es war mir daher einigerma\xDFen \xE4rgerlich, da\xDF der gelehrte Herr ab H[ortis] sich verleiten lassen (im vierten St\xFCck eben desselben Bandes Seite 468) Zweifel dagegen zu erheben, die mir sehr schwach d\xFCnken. Zwar \xE4u\xDFert er sich, da\xDF er nicht anstehe zu glauben, da\xDF die Kutschen in Ungarn erfunden worden, sondern nur da\xDF er die Benennung: Kutschen Ungrischen Herkommens sey; mir scheint aber eines lasse sich ohne das andere kaum denken; denn warum sollte eine ungrische Erfindung eine Deutsche Benennung entlehnen? Und existirte die Benennung: Kutschen – so mu\xDF wohl die Sache schon bekannt gewesen seyn, und dann ist sie ja keine ungrische Erfindung, was der Verfasser doch nicht leugnen will. Aber untersuchen wir seine Gr\xFCnde einzeln und genauer! Sein Hauptthema beruht darauf, da\xDF er nicht einsehe, woher man das Wort Kotsi im Ungrischen ableiten k\xF6nne, oder was es sonst zu bedeuten habe: und da\xDF hingegen das Wort: Kutschen sich sehr nat\xFCrlich von Kotschen derivieren lasse; das im Zipserischdeutschen decken, zudecken hei\xDFt. Der erste Grund ist ganz ohne Bedeutung, denn wie viele W\xF6rter gibt es nicht in jeder Sprache, die den Etymologen das non plus ultra bleiben, und ohne bekannten Eltern und Verwandten, folglich ohne Bedeutung sind? Aber Kotsi ist nicht einmal ein solches Wort: C[ornides] hat ja bewiesen, da\xDF es von dem Orte Kotsee oder Kitsee her stamme, wie eine andere Art von W\xE4gen Berline hei\xDFt, welche Philipp Chiese, ein Baumeister des Kurf\xFCrsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg selber zuerst in Berlin verfertiget. Wie die Bajonette von Bajonni, der Stadt, wo sie erfunden worden, diesen Namen f\xFChret und wie viele andere Erfindungen. Soll man hier weiter gehen, und erst nachforschen, warum Kutschen, Berlin und Bajonne also hei\xDFen, und die angef\xFChrten Erfindungen bezweifeln, weil diese Benennungen ohne Bedeutung sind?
Weit sprezieser ist der andere angef\xFChrte Grund, da\xDF das Wort: Kutsche sich sehr nat\xFCrlich von Kotschen (Decken) herleiten lasse, und wirklich er ist sehr verf\xFChrerisch; er w\xFCrde mich vollkommen \xFCberzeugt haben, h\xE4tte er nicht historische t\xFCchtige Beweise gegen sich, wie sie C[ornides] anf\xFChrt. Aber gegen diese gelten nicht etymologische Vermuthungen so sehr sich auch der Schein reinsten Wahrheit f\xFCr sich haben m\xF6gen. Die Etymologie hat zu viele Beyspiele aufzuweisen, da\xDF keine Ungereimtheit so gro\xDF ist, die sie nicht mit der gr\xF6\xDFten Wahrscheinlichkeit bewiesen habe, indessen alle historischen Zeugnisse gegen sie. Der alte Bochard und der neuere Court de Gebelin sind meine Gew\xE4hrsm\xE4nner. Zudem setzt Herr Ab H[ortis] voraus die Ungrischen Kutschen seyen gedeckte W\xE4gen gewesen: das ist aber noch gar nicht ausgemacht; er ist gezwungen zu behaupten, da\xDF die Kutschen in der Zips erfunden worden, was eben so unerwiesen ist, da vielmehr die von C[ornides] angef\xFChrten Zeugnisse einen andern Ort ausdr\xFCcklich angaben; er mu\xDF dort ein kleines Dorf, das Kusch oder Kutsch\xF6bchen hei\xDFet aufsuchen, und sogar die bey denselben gelegenen Eichw\xE4lder m\xFCssen ihn zur Best\xE4tigung einer Muthmassung dienen, die ohne alle Unterst\xFCtzung von Dokumenten ein historisch-kritisch beweisendes Faktum umstossen soll. Der Herr Verfasser scheint es am Ende selbst zu merken, da\xDF seine Wissen zu ohnm\xE4chtig seyen, und l\xE4\xDFt sich dadurch zu einem neuen Fehler verf\xFChren. Ich ehre seine Einsichten aber so gro\xDF sie immer in einem Menschen seyn m\xF6gen, so sichern sie ihn doch nie vollkommen gegen Irrungen – indem er seine Meynung mit dem von C[ornides] angef\xFChrten Beweisen vereinbarn will, und es wahrscheinlich findet, da\xDF die in der Zips erfundenen und benannten Kutschen von Mathias Korwin in Kitsee zu Vollkommenheit gebracht und nachher in andern L\xE4ndern bekannt worden sind.
Also, denke ich, bleiben wir bey der von Herrn C[ornides] nicht nur behaupteten und wahrscheinlich gemachten, sondern auch treffelich bewiesenen Meynung, da\xDF die Kutschen eine Ungrische Erfindung seyn, und die Deutsche und \xE4hnliche Benennung in anderen Sprachen von dem Ungrischen Worte Kotsi, dieses von dem Namen des Ortes Kottsee oder Kitsee, seinem Geburtsorte, abstamme bis jemand mir glaubw\xFCrdige Urkunden anf\xFChrte und zeiget, da\xDF das deutsche Wort: Kutschen in der heutigen Bedeutung vor den Zeiten des Mathias Korwin in Deutschland bekannt gewesen.
Zur Best\xE4tigung des von C[ornides] angef\xFChrten Bewei\xDFes dient auch das bekannte Datum (+) da\xDF der erste Wagen, den man in Paris hatte eine Kutsche war, die K\xF6nig Ladislaus (V) K\xF6nig in Ungern der K\xF6niginn Gemahlinn Carls VII, verehrt hat (*). Und wenn schon Ladislaus dem Mathias, dem die Erfindung zugeschrieben wird, in die Regierung vorging, so hindert dieses nichts, denn Mathias konnte ja die Erfindung gemacht haben, bevor er zum Thron gelangt ist. Den bekannten Zeugnissen widersprechen diese Vermuthungen auf keine Weise.
Aber das w\xFCnschte ich, wenn es m\xF6glich w\xE4re, da\xDF der gelehrte Herr C[ornides] noch untersuchen und ausfindig machen m\xF6chte, was denn das eigentlich f\xFCr eine Art von W\xE4gen sey, deren Erfindung er dem Ungerlande indicieret [...] Bekanntlich bedienen wir uns gar verschiedener W\xE4gen; jede nenne wir mit dem allgemeinen Namen Kutsche: welche aus diesen ist die eigentliche Ungrische Kutsche ? Herr Ab H[ortis] scheint zu meynen, diese seyn die geschlossenen W\xE4gen, und kann nicht anders glauben, sonst verliert seine Hypothese auch gar die Wahrscheinlichkeit; aber Broderitsch, der diese W\xE4gen leves und Kuspinian, der sie veloces nennt, und der Gebrauch den man davon zu Reisen machte, scheinen ihm zuwieder zu seyn; zudem hei\xDFen ja so viel ich weis, die geschlossenen W\xE4gen Berlinen und sind also die erst sp\xE4ter in Berlin erfundenen Kutschen. Folglich m\xFC\xDFten die Ungrischen Kutschen etwa offene W\xE4gen, eine Art von Kaleschen gewesen seyn, aber wie waren sie gestaltet? Das la\xDF ich anderen zu untersuchen \xFCbrig.
C[onrad] D[ominik] Bartsch
(+) Mir ist es nur aus dem Gothaischen Hofkalender bekannt, die Quelle aus der es dieser gesch\xF6pft, weis ich nicht anzugeben.%BR& (*) Dazu k\xF6mmt noch, da\xDF in England die Kutschen nicht vor dem Jahre 1564 bekannt geworden, wohin sie vermuthlich aus Frankreich gekommen sind (++)
(++) British Zoology, London, 1768, Art. Pferde.

[Letzte Anmerkung in der Handschrift Windischs, Unterschrift durch Windisch an betreffende Stelle gef\xFCgt, Artikel durch Windisch abgek\xFCrzt und die restlichen Textteile durchgestrichen. Unleserlich.]

Topic revision: r1 - 21 Mar 2011, AndreaSeidler
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