Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Geschichte der Celiane, und des Octavio

Jeder Liebhaber verspricht seiner Geliebten, eine ewige, und unverletzte Treue. Einige thun es aus Gewohnheit. Sie flattern von einer Schönen zu der

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andern, und betrügen eine nach der andern. Diesen Meyneid rechtfertigen nach ihrer Meynung die Gesetze der Galanterie. Es ist zu bürgerlich, sagen sie, seine Neigungen auf einen einzigen Gegenstand zu hefften, ein Mann von der großen Welt würde dadurch entehret werden. — Andere handeln mit mehrerer Aufrichtigkeit. Ihre Verbindung ist ernstlich, und es ist würklich ihre Absicht, in den Fesseln, die sie so angenehm finden, zu leben, und zu sterben. Allein, dieser Vorsatz wird durch eine verführerische Gelegenheit vereitelt. Es erscheint ein neuer Gegenstand; die Augen erblicken ihn mit Vergnügen, und aus den Augen steigt das Vergnügen in das Herz. Die ersten Eindrücke löschen sich aus, die Beständigkeit verschwindet, und man wird ihre Entweichung nicht ehe gewahr, als bis sie schon sehr weit entfernt ist! — Die kleine Geschichte, die ich itzt erzählen will, wird diese Wahrheit bestätigen.

In Florenz lebte ein junges Frauenzimmer, mit Namen Celiane, deren blendende Schönheit, eine allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Kaum hatte sie sich noch der Welt gezeiget, als sich schon tausend Anbehter um sie drängten. Ihre Eltern ließen ihrem Herzen nicht so viel

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Zeit, daß es selbst hätte wählen können; sie beschäftigten sich allein mit dieser Wahl, und vermählten sie mit einem Cavaliere, der Donati hieß. Es war ein Mann, in dessen Person sich viel Verdienste, mit sehr glänzenden Glücksumständen vereinigten. Celiane mußte ihn lieben, und er war dieser Liebe würdig. Sie empfand gar bald, daß ihre Neigung mit ihrer Schuldigkeit übereinstimmte. Die einzige Frucht ihrer Zärtlichkeit war eine Tochter, die das wahre Ebenbild ihrer Mutter war. Ihre Reitze, und ihre angenehme Gesichtsbildung, versprach schon in der Wiege, eine vollkommene Schönheit.

Einige Jahre nach der Vermählung ward Donati verdrüßlich, daß seine Gemahlinn keine Kinder mehr bekam. Diesen Verdruß suchte er zu zerstreuen, und entschloß sich, eine Reise zu einem Verwandten zu thun, dem die Regierung einer Insel anvertrauet war. Celiane erfuhr diesen Vorsatz nicht so bald, als sie sogleich suchte, denselben durch Trähnen, und Seufzer wankend zu machen. Ihre Betrübniß rührte zwar den Donati, aber sie brachte ihn nicht von seinem Entschlusse. Sie erhielt also nichts, als einen kleinen Aufschub, dieser Reise. — Endlich sah die betrübte Celiane den Tag

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anbrechen, der sie in die grausamste Unruhe stürzte. Sie begleitete ihren Gemahl einige Meilen weit, und nachdem sie sich vorher auf das zärtlichste umarmt, und Ströme von Trähnen vergossen hatten, schieden sie von einander. Celiane begleitete das Schiff welches den Gegenstand ihrer Liebe davon führte, mit schmachtenden Blicken, und Donati hefftete seine Augen auf das Land, auf dem er die geliebteste Hälfte seiner Seele zurück ließ. —

Von diesem Tage an, verfiel Celiane in eine düstere Melancholey. Die unschuldigsten Vergnügungen wurden für sie unschmackhaft; ihr Geist war mit sonst nichts, als lauter traurigen Vorstellungen angefüllet. Die Unbeständigkeit des Meeres, die Raserey der Winde, die Stürme, die Seeräuber, und alles, was die See nur schrecklich machen kann, stellte sich unter den fürchterlichsten Bildern, ihrer Einbildung auf einmal dar.— Ihre Beunruhigung war auch nicht ohne Grund. Sie erfuhr nur gar zu bald, daß das Schiff des Donati verunglücket, und er selbst ertrunken sey. Diese betrübte Nachricht ward ihr durch einen Matrosen überbracht, der, seinem Vorgeben nach, der einzige war, der sein Leben

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gerettet hatte. Er versicherte daß alles übrige Schifsvolk, in den Wellen ihr Grab gefunden habe. —

Da Hymen aus dem Herzen der Celiane die Liebe noch nicht verdränget hatte, so brach ihr Schmerz, den sie über den Verlust ihres Gemahls empfand, nicht in diejenige pralerische Wehmuht aus, die sich gemeiniglich bey der Betrübniß des Wittwenstandes bemerken läßt. Ihr Kummer war so aufrichtig, als lebhaft. Sie durchlebte verschiedene Jahre, unter Seufzen, und Trähnen. Auch die Zeit war nicht im Stande, sie zu trösten; jeder Tag war für sie der Sterbetag ihres geliebten Donati. Sie hielt sich beständig in ihrem Hause eingeschlossen, und beschäftigte sich lediglich mit der Erziehung ihrer Tochter. Der Glanz ihrer Schönheit, ihre Tugend, und ihr Reichthum, versammelte zwar die Liebhaber, die ihre Vermählung verscheucht hatte, bald wieder; allein, sie belagerten eine Festung, die sehr wohl vertheidiget wurde, und ihre Angriffe waren ohne die mindeste Wirkung.

In dieser Stellung befand sich Celiane, als sie von einem ihrer Vettern zur Hochzeit gebehten wurde. Sie entschuldigte sich, so lange es möglich war, allein,

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das ungestümme Anhalten dieses ihres Anverwandten, dem sie sehr gewogen war, siegte über ihren Widerstand. — Auf dieser Hochzeit war es, wo sie die Liebe erwartete, um ihr neue Schlingen zu legen. Unsere liebenswürdige Wittwe, warf hier ihre Blicke von ungefähr auf einen Cavalier Namens Octavio, der ausdrücklich gemacht zu seyn schien, um zu gefallen. Er stammte von einer der ältesten Familien seines Landes ab, war voller Geist, tapfer, und großmühtig. Mit diesen verehrungswürdigen Eigenschaften, verband er eine Leutseligkeit und Anmuht der Sitten, die den Glanz derselben noch mehr erhöheten. Betrachtete ihn Celiane gleich anfänglich ohne alle Absichten, so geschah es doch mit Vergnügen; und dieses Vergnügen, das erste, welches sie nach langer Zeit empfunden, machte sie aufmerksam. Octavio hingegen bewunderte sie. Ihre Augen begegneten einander verschiedenemal, und beyde faßten für einander eine brennende Neigung, die ihren beyderseitigen Verdiensten gemäß war.

Nach vollzogener Hochzeit, begab sich die Gesellschaft auseinander. Celiane und Octavio waren in einer außerordentlichen Bewegung. Dieser hatte noch

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niemals geliebet; das, was sein Herz fühlte, war ihm eine Neuigkeit. Bey einer angewöhnten Gleichgiltigkeit, gegen die seltensten Schönheiten, konnte er nicht begreifen, wie es möglich seyn könne daß ein paar in Trähnen schwimmende, und mit einem düstern Trauerschleyer umhüllte Augen, die Ruhe seiner Seele stören sollten. — Celiane befand sich in gleicher Unruhe. Sie stellte sich den Octavio in seiner Abwesenheit ihrer Einbildung unter lauter siegerischen Zügen vor. Ihre Gedanken beschäftigten sich unaufhörlich mit ihm, und sie verlor unvermerkt das Andenken, ihrer ersten Liebe. Gedachte sie noch zuweilen an ersten Gemahl, dessen betrübtes Ende sie so lange beweinet hatte: so geschah es nur, sich von einer überflüssigen Traurigkeit, die ihre Jugend verzehrte, zu ermuntern. Sie sagte bey sich selbst: da Donati nunmehr, weiter nichts, als eine kalte, und verblichene Asche ist, so kann er von meiner Treue keine Rechenschaft fordern, noch sich über die neuen Verbindungen, die ich eingehen will, erzürnen. Durch diese Betrachtung in ihrer wachsenden Neigung gestärkt, überließ sie sich gänzlich den Trieben zu dem Octavio.

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Mitten unter diesen schmeichelhaften Vorstellungen, mit denen sich Celiane beständig weidete, fand sich etwas, das ihr sehr viele Unruhe verursachte. Dieses war die außerordentliche Schönheit ihrer Tochter, die noch kaum das vierzehnte Jahr erreichet hatte. Bey einer majestätischen Mine, bey einem vortreflichen Wuchse, bey den angenehmsten Gesichtszügen, bemerkte sie an ihr einen überaus munteren Geist, und eine Seele, die so ädel, als der Körper reizend war. Alle diese Vollkommenheiten, in denen Celiane, ehe sie vom Octavio beherrschet wurde, ihr größtes Vergnügen fand, wurden nunmehr für dieselbe, der qwälende Gegenstand der Eifersucht. Sie glaubte in der jungen Saphire, wenn sie dem Octavio bekannt werden sollte, ihre Nebenbuhlerinn zu finden. Sie fürchtete, Octavio möchte, sobald er sie erblicken würde, seine ersteren Fessel zerbrechen. Bey dieser Furcht gab sie sich alle Mühe, ihre Tochter, den durchdringenden und scharfsichtigen Blicken der Welt zu entziehen, und sie so enge, als immer möglich zu versperren. Auf diese Art mußte die unschuldige Saphire den Frühling ihrer Jahre, unter einer schmachtenden Langenweile, und in der Einsamkeit

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zubringen. Ihr Zimmer verwandelte sich für sie in ein Gefängniß; sie war ein, in den dicksten Finsternissen vergrabener Schatz, den niemand, als die Liebe mit ihrer Fackel entdecken konnte.

Celiane und Octavio suchten alle Gelegenheit einander zu sehen. Der Eifer des Liebhabers, und die Neigung der Schönen, errichteten gar bald ein angenehmes Verständniß. Es vergieng kein Tag, wo sie nicht einander auf den öffentlichen Spatziergängen, in Schauspielen, oder wenigstens in den Häusern antrafen, in welchen die beßte Gesellschaft der Stadt zusammzukommen pflegte. Dieses war schon genug für die Celiane, deren Tugend sich der Gefahr nicht aussetzen wollte, für der man unter vier Augen nicht allzeit gesichert ist; aber zu wenig für den Octavio, der nach nichts weiter trachtete, als Gelegenheit zu haben, sich ohne Zwang, und Zurückhaltung sehen zu lassen.

Celiane hatte einen sehr schönen und weitläufigen Garten, in welchem sie fast alle Abende spatzieren ging. Octavio fand Gelegenheit, unbemerkt in denselben zu kommen. Da die Stunde, in welcher Celiane zu erscheinen pflegte, noch etwas entfernt war, versteckte er sich in eine

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Grotte, und erwartete in diesem dunkele Aufenthalte die Ankunft seiner Gebieterinn. Endlich erschien sie. Sie richtete ihre Schritte gerade auf die Grotte, in der er laurte; und er zeigte sich, sobald er glaubte ihr nahe genug zu seyn. Uiber diese unvermuhtete Erscheinung erschrack die schöne Wittwe dergestalt, daß sie nicht einmal im Stande war zu schreyen; und sie wäre für Schrecken gestorben, wenn sich Octavio nicht sogleich zu erkennen gegeben hätte. So bald sie ihn gewahr ward, verwandelte sich ihre Furcht in einen hefftigen Zorn. „Wie, Octavio sagte sie zu ihm, haben sie so wenig Achtung für meine Ehre? Giebt man auf solche Art, Personen, die man liebet, der Lästerung, und der Verläumdung Preis? — Gehen Sie, Sie können mich unmöglich lieben, da Sie eine solche Ausschweifung wagen! Gehen Sie mir aus den Augen, und lassen Sie mich in Ruhe, oder, ich werde Sie in Zukunft für meinen Feind halten!“ — Diese Worte wurden von ihr mit einer solchen Hefftigkeit vorgebracht, daß Octavio alle Hoffnung verlor, sie wieder versöhnen zu können. „Madame, antwortete er, Ihr geringster Wunsch ist für mein Herz ein Befehl. Ich will sie

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verlassen, aber auch zugleich ein Leben endigen, das mir äußerst verhaßt seyn muß, nachdem ich so unglücklich gewesen bin, Sie zu beleidigen. Nur dieses einzige bitte ich mir von Ihnen aus: diese Beleidigung, als eine Wirkung derjenigen Leidenschaft anzusehen, die der Glanz Ihrer Schönheit in mir entzündet, und daß ich, wenn ich sie weniger geliebt hätte, auch weniger strafbar gewesen seyn würde!“ —

Mit diesen Worten begab er sich aus den Garten. Er war aber noch kaum weg, als sich Celiane auch schon die bittersten Vorwürfe machte, daß sie ihm zu hart begegnet habe. Sie befürchtete, er möchte seine Worte wahr machen, und sich das Leben verkürzen, oder doch wenigstens für Betrübniß krank werden. Diese Vorstellung versetzte sie in eine unaussprechliche Unruhe, und sie konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun.

Octavio befand sich in keiner angenehmeren Verfassung. Die Unruhe des Gemühts verbannete allen Schlaf aus seinen Augen, und hielt sie nur für die Trähnen geöfnet. — Gegen den Abend des folgenden Tages, erhielt er von Celianen ein Briefchen. Sie mußte keinen geringen Kampf mit ihrer Zärtlichkeit aus

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stehen, ehe sie sich zum Schreiben entschließen konnte. Endlich behielt doch die Liebe die Oberhand, und aus einem unbegreiflichen Eigensinne, ersuchte sie ihn in den nämlichen Garten zu kommen, in welchem sie ihn am vorigen Abende, ohne Zorn, und Widerwillen nicht hatte sehen können.

Ein so schmeichelhaftes Schreiben, erheiterte das Gemüht des Octavio gänzlich. Er sah der Stunde mit der größten Ungedult entgegen, in der er seinen geliebten Gegenstand sprechen sollte. Sie hatte kaum geschlagen, als er sich auch schon bey Celianen befand. „Madame, war seine Anrede, die Gnade, die Sie mir heute so unverdient wiederfahren lassen, setzet mich für Entzücken ganz außer mich. Ich zähle den begangenen Fehler, unter die glücklichsten Vorfallenheiten meines Lebens, weil er mir eine so angenehme Verzeihung zuwege bringt.“

Celiane beantwortete dieses Compliment, auf eine Art, die ihn ganz bezauberte. Er wollte sie umarmen, sie schlug ihm aber solches ohne Bitterkeit, und Heftigkeit ab. — „Lassen Sie sich an denjenigen Empfindungen begnügen, sagte sie zu ihm, die mein Herz für sie heget,

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und mäßigen Sie den Ausbruch Ihres Vergnügens. So groß auch meine Neigung gegen Sie seyn mag, so verhaßt ist mir doch jeder Schritt, der meiner Ehre nachtheilig seyn könnte. Sachen von Wichtigkeit, stehen zur Zeit noch im Wege, mich am Fusse des Altars, für die Ihrige zu erklären. Die Sorgfalt für Ihr Glück legt mir dieses schwere Gesetz auf. Schwören Sie mir aber, daß mein Schicksal mit dem Ihrigen, durch ein unauflösliches Band verknüpfet seyn soll, so bald ich meine Geschäfte werde in Ordnung gebracht haben; oder thun Sie auf die Hoffnung, die Celiane zu besitzen, eine ewige Verzicht!“ Octavio, der für Liebe, und Ungedult brannte besann sich keinen Augenblick den von ihm geforderten Schwur auszusprechen. Er verband sich bey allem, was die Religion nur heiliges hat, zu einer Vermählung mit der Celiane, und schwur, daß seine Treue erst mit dem Ende seines Lebens aufhören sollte. —

Celiane führte den Octavio in ihr Zimmer um ihm einige Papiere zu zeigen. Aber, sie waren noch kaum in demselben, als an die Hausthüre geklopft wurde. Sie ward geöfnet, und der Besuch gieng gerade auf das Zimmer der Celiane zu.

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Diese hatte kaum so viel Zeit den Octavio zu verbergen. Der Bruder der liebenswürdigen Wittwe trat herein, und brachte ihr die Nachricht, daß seine Gemahlinn niederkommen wollte, und daß man wegen ihres Lebens in Sorgen stünde. Er ersuchte sie, ihr in diesem betrübten Zustande beyzustehen. — Celiane hatte ein sehr gutes Herz, und sie liebte ihre Schwägerinn mit der größten Zärtlichkeit. Diese traurige Nachricht war ihr sehr empfindlich, und sie nahm keinen Augenblick Anstand, den Vortheil ihrer Leidenschaft, den Pflichten der Freundschaft aufzuopfern. Damit aber auch Octavio dieserwegen beruhiget werden möchte, wiederholte sie zu verschiedenenmalen mit sehr lauter Stimme: sie wollte unter keiner andern Bedingung kommen, als wann man ihr verspräche, sie nicht lange aufzuhalten.

Nachdem sie mit ihrem Bruder fortgegangen war, und Octavio merkte, daß außer ihm niemand mehr im Zimmer befindlich sey, gieng er aus dem Behältnisse, in welches man ihn verstecket hatte, hervor. Man hatte die Lichter mitgenommen, und er getraute sich nicht zu bewegen, aus Furcht, er möchte ein Geräusch machen. Da er also nicht wußte, was

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er anfangen sollte, setzte er sich in einen Armstuhl, den er unter seinen Händen fand, und brachte wohl eine gute Stunde mit verdrüßlichen Betrachtungen, über die Widerwärtigkeiten seines Schicksals zu.

Im ganzen Hause herrschte ein tiefes Stillschweigen, und daher wagte es endlich Octavio, im Zimmer, jedoch sehr leise, auf und nieder zu gehen. Seine Hände die ihm zum Wegweiser dienten, begegneten einer Thüre, die sich sogleich eröfnete, als er nur ein wenig daran stieß. Durch dieselbe kam er zu einem Saale, auf welchen seine Augen ein Licht bemerkten, das von dem äußersten Ende, einer Reihe prächtiger Zimmer hervorschimmerte. Sein Stern führte ihn an den Ort, wo die Helligkeit hervorbrach. Er gieng durch verschiedene Zimmer, und kam endlich in ein Kabinet, wo ein reizender Gegenstand, seine völlige Aufmerksamkeit auf sich zog. Dieses war die Tochter der Celiane, die liebenswürdige Saphire, die auf einem prächtigen Bette ruhte. Ein auf einem Gueridon befindliches brennendes Licht, und ein Buch, das daneben auf dem Boden lag, ließen den Octavio urtheilen, daß sie über dem Lesen eingeschlafen war. Sie

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hatte ihren Kopf auf den linken Arm gestämmet, und der rechte hieng nachläßig über das Bette. Octavio hielt sie anfänglich für die Celiane, denn es war ihr lebendiges Ebenbild. Allein, wie die morgendliche Rose, die Rose des Mittags an jugendlicher Schönheit Übertrift, eben so wurde das Original von dem Ebenbilde übertroffen. Dieser Unterschied riß ihn gar bald aus seinem Irrthume. Er ward von dem Anblicke so vieler Schönheiten völlig bezaubert, und niemals war sein Herz noch von einer so angenehmen Bewegung durchdrungen worden. — Wie die Biene von einer Blume zur andern flattert, so durchliefen seine Augen eine Schönheit nach der andern.

Das Haupt der Medusa durfte man nicht ungestraft ansehen. Unterdessen ist es gewiß, daß wenn ein häßlicher Gegenstand die Kraft hat, uns zu erschrecken, so hat ein anmuhtsvoller Gegenstand noch weit mehr Gewalt, uns zu verführen.— Die Saphire sehen, ihr sein Herz schenken, ihren Reitz verehren, die Celiane Vergessen, alles dieses war bey dem Octavio das Werk von einem Augenblicke. Die Gütigkeiten seiner Geliebten, die Treue, die er ihr zugeschworen hatte, die Vergnügungen, mit denen er sich ge-

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schmeichelt hatte, alles verschwand aus seinem Herzen, alles machte der neuen Leidenschaft, die sich seiner Seele bemeistert hatte, Platz. Treulos seyn, will nicht viel sagen, er wurde erwägen. Sein Haupt näherte sich der Saphire, allein in eben dem Augenblicke, wurde er mit Gewalt bey den Hahren zurückgezogen. Er drehet sich um, und sieht, daß es Celiane ist, die ihn störet. — Sie hatte sich endlich von ihrem Bruder losgemacht. Durch ihre Zärtlichkeit getrieben, war sie wieder auf ihrem Zimmer angekommen. Sie erstaunte, wie sie den Octavio daselbst nicht antraf, und sogleich fiel ihr die offene Thür, durch welche man zur Saphire kommen konnte, in die Augen. Dieses war genug, sie zu beunruhigen. Eine traurige Ahndung verkündigte ihr das Unglück, das ihre angenehmste Hoffnung über den Haufen warf. Sie kam, ohne das mindeste Geräusch bis an das Kabinet, in welchem ihre Tochter schlief, und ihre Augen wurden Zeugen von der Untreue des Octavio. — Verrähter, schrie sie, errinnerst du dich also deiner Schwüre, die dich an mich verbinden? — Kaum hatte sie diese Worte vorgebracht, als sie in Ohnmacht fiel.

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Das Geschrey der Celiane, und ihr Fall, erweckten die Saphire. Es ist nicht möglich, ihr Entsetzen abzuschildern, wie sie auf einer Seite ihre Mutter in Ohnmacht, und auf der andern einen Menschen erblickte, der ihr gänzlich unbekannt war. — Was den Octavio anbelangt, so war seine Bestürzung außerordentlich. Die edeln Gesinnungen, die er bisher bey jeder Gelegenheit gezeigt hatte, machten ihm wegen seines niederträchtigen Unternehmen Vorwürfe, und er schämte sich, wegen des an Celianen bewiesenen Undanks. Diese kam endlich wieder zu sich selbst, und nachdem sie einige Augenblicke ein tiefes Stillschweigen beobachtet, und bald den Octavio, bald ihre Tochter angesehen hatte, sagte sie, mit einer durch häufige Seufzer unterbrochenen stimme: „Ach! Octavio, über wen soll ich mich beklagen? über Sie? oder, über mich selbst? Uiber Sie, da Sie itzt auf einmal die angenehmsten Fesseln zerbrechen, ungeachtet ich Ihnen mein Herz völlig geschenket, und Sie mich so oft versichert hatten, daß ich die Gebieterinn des Ihrigen sey? Uiber mich, da ich meine Pflicht, meine Ehre, und meine erste Liebe völlig aus den Augen gesetzet, da ich meinen ge-

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liebten Donati, dessen Andenken mir bis in das Grab hätte heilig seyn sollen, so leichtsinnig vergessen habe? Soll ich mich über Sie beschweren, daß Sie die Schaamhaftigkeit einer jungen unschuldigen Person zu beleidigen suchen, für die Sie, wenn Sie einer edeln Zärtlichkeit fähig gewesen wären, alle Ehrfurcht hätten haben sollen? Soll ich mich anklagen, daß ich mich selbst Ihrer Verwägenheit ausgesetzet habe, da ich Ihnen den Zutritt an einen Ort vergönnet, den Sie niemals würden betreten haben, wenn sich das Laster nicht in meine Seele eingeschlichen hätte? Ach! ich, ich allein bin verdammlich. Die Vernunft hätte es erfordert, auf die Versorgung meiner Tochter bedacht zu seyn, nicht aber selbst auf eine zwote Vermählung zu denken, die zwar die Gewohnheit gut heißet, niemals aber von der Tugend gebilliget wird. Die Verblendung verschwindet von meinen Augen, und ich erkenne meinen Fehler! — Untersuchen Sie Octavio, ob Sie an meiner Tochter etwas finden, das Ihnen gefällt. Ihr Alter stehet mit dem Ihrigen im Verhältnisse, und ihre guten Eigenschaften können einen ehrlichen Mann glücklich machen. Ich

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habe Sie mit mir vereinigen wollen, ich will es noch, aber allein durch die Verbindung mit meiner Tochter. Mein Herz wird die Empfindungen einer zärtlichen Mutter an sich nehmen; und ich werde niemals aufhören, Sie zu lieben“ —

Bey diesen Worten konnte sich Celiane der Trähnen nicht enthalten. Eine edle Seele triumphirt über ihre Schwachheit; aber diese sterbende Schwachheit erregt die schmerzhaftesten Kämpfe.

„Lebt, lebt glücklich meine geliebtesten Kinder, fuhr Celiane fort. Der Himmell bezeichne jeden Tag euers Lebens, mit Merkmaalen eines neuen Glückes! Ich, die ich einen Eckel an den falschen Vergnügungen der Welt habe, und mich auf der Rückkehr von meinen Ausschweifungen befinde, werde ein Kloster zu meinem Aufenthalte wählen. In diesen geheiligten Freystätten, welche, die Tugend beherrschet, werde ich meine Ruhe suchen. Von dem Joche der Sinne, und von allen Leidenschaften befreyet, wird der Uiberrest meiner Tage, in sanfter Ruhe, und angenehmen Frieden der Seele dahin fließen. Meine einzige Sorge, und meine einzige Beschäftigung wird seyn, Wünsche für

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euer Wohl gen Himmel zu schicken; und wenn der Tod erscheinen wird, meine Augen zu schließen, so werde ich ihm ohne Furcht, und Traurigkeit als dem erwünschten Augenblicke, der mich meinem geliebten Donati wieder vereingen wird, entgegen sehen!“

Während der Zeit, da Celine also redete, befand sich Octavio mit einem so gerührten Herzen, und mit so bewegter Seele zu ihren Füßen, daß es ihm an Worten fehlte, seine Empfindungen an den Tag zu legen. Er küßte ihre Hand, und benetzte sie mit Trähnen. Saphire zerfloß gleichfalls in Tränen und warf sich in die Arme ihrer Mutter. — Dieser Auftritt war so rührend, daß er auch die allerunempfindlichsten Herzen würde erweicht haben. — Wie der Tag anbrechen wollte, befahl Celiane dem Octavio fortzugehen, nachdem er sich vorher mit Saphiren verlobet hatte.

Dieses schöne Kind folgte dem Befehle ihrer Mutter ohne allem Zwange. Sie hatte, während des Auftrittes, der sich unter ihren Augen ereignete, den Octavio betrachtet. Er hatte ihr gefallen; und ob sie gleich nur sehr dunkeln Begriff vom heurahten hatte, so merkte sie doch eine angenheme Rührung bey sich,

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als sie sah, daß man einen Cavalier von so gutem Ansehen für sie bestimmte. — Die Liebe schleicht sich überall ein. Das erfahrne Alter kennet sie, und vertheidisich sehr schlecht dawider; die unschuldige Jugend kennet sie nicht, macht ihr aber dennoch den Sieg nicht schwer.

Als Octavio allein war, stellte er über sein Schicksal Betrachtungen an. Er fand, wie er sein Herz untersuchte, daß es sehr schmeichelhaft für ihn sey, sich mit der Saphire anstatt der Celiane zu vermählen. Auf der andern Seite aber wurde sein Vergnügen mit vieler Bitterkeit vermischt, wenn es ihm einfiel, daß er sein Glück durch eine Art von Verrähterey erkauft habe.

Seine, theils angenehmen, theils verdrüßlichen Gedanken, begleiteten ihn bis zu der Celiane, zu der er sich in den Morgenstunden begab. Sie empfieng ihn mit einer heitern und lächelnden Mine. „Octavio, sagte sie zu ihm, Sie kommen mir melancholisch für. Sie sind ein ehrlicher Mann, und Sie machen sich ohne Zweifel meinetwegen Vorwürfe. Ich bitte, beruhigen Sie sich, und seyn Sie versichert, daß ich mich nie über Ihren Leichtsinn beklagen werde. — Dieses einzige bitte ich mir von

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Ihnen aus, vergessen Sie meint Schwachheiten! Ich schmeichle mir, daß Sie mir dieses Merkmaal Ihres guten Herzens nicht versagen werden! — Ach Madame, antwortete Octavio, dieses Herz ist Ihnen ewig gewidmet, und meine Hand soll ihm folgen, wann Sie solches noch anzunehmen würdigen wollen. — Nein, sagte Celiane, mein Entschluß ist gefaßt, Saphire soll ihre Gemahlin seyn, und ich werde diese Verbindung mit aller derjenigen Freude vollziehen, die eine gute Mutter empfinden kann, indem sie das Glück ihrer Tochter macht.„

In diesem Augenblicke erschien Saphire. Octavio hatte eine Unterredung mit ihr, bey der er bemerkte, daß sie eben so viel Verstand, als Schönheit besaß. Unter der Zeit, da sie miteinander redeten, gieng eine Proceßion der Ordensgeistlichen von Erlösung gefangener Christen durch die Strasse. Celiane und ihre Tochter wollten sie sehen, und traten dieserwegen mit dem Octavio an das Fenster.

Ihre Neugier wurde gar bald mit einem so rührenden, als unvermuhteten Anblicke bezahlet. Unter dem Haufen der Sklaven, bemerkte Celiane einen, der ihre ganze Aufmerksamkeit an sich zog.

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Ihr Herz fing an zu klopfen, und ihre Augen verdunkelten sich, als sie ihn gewahr wurde. Der Gefangene richtete die seinigen gegen sie in die Höhe, und nachdem er einen zärtlichen Blick auf sie geworfen hatte, grüßte er sie mit vieler Ehrfurcht. — Ach Himmel, was sehe ich, rief Celiane aus! Ich kann nicht mehr, ich sterbe! — Unter diesen Worten sank sie ohnmächtig in die Arme ihrer Tochter.

Man beeiferte sich, ihr beyzustehen, und sie war im Begriffe sich zu erholen, als der Sklave in das Zimmer trat. Er gieng gerade auf sie zu, und umarmte sie mit der größten Zärtlichkeit. „Ach! meine geliebte Celiane, sagte er zu ihr, kennest du deinen getreuen Donati auch noch? Er hat dich beständig geliebet, und er bringet dir ein Herz zurück, das jederzeit für dich gebrennt hat. Was für ein Vergnügen dich wieder zu sehen! Ach! ich empfinde in diesem glückseligen Augenblicke, daß mich Gott, wegen der ausgestandenen Leiden vollkommen schadlos hält! — Er wollte noch weiter reden, aber die Freudenträhnen, die aus seinen Augen hervorbrachen, benahmen ihm die Sprache.

Celiane war nicht weniger entzückt, als

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ihr Gemahl; und man konnte mit Grunde sagen, daß, wie sie ihn erkannte, sie aufgehöret habe, sich bewußt zu seyn. Ihre Seufzer, ihre Blicke, und ihre Liebkosungen drückten die Empfindungen ihres Herzens mit einer vollkommenen Beredsamkeit aus. Saphire spielte ihre Rolle gleichfalls bey diesem Auftritte; und Donati flog wechselweise aus den Armen seiner Gemahlinn, in die Arme seiner Tochter. Niemals haben sich Liebe und Natur, durch lebhaftere, und brünstigere Entzückungen an den Tag geleget.

Nachdem sich die erstern Ausbrüche der Freude, und Zärtlichkeit ein wenig gemäßiget hatten, zog Donati seine Celiane bey Seite, und fragte sie, wer Octavio sey. Es ist ein verdienstvoller Cavalier sagte sie zu ihm, er liebt die Saphire, und ich habe ihn zum Schwiegersohne ausersehen. Allein, ich danke Gott, daß Sie zurückgekommen sind; mein Wille ist dem Ihrigen unterworfen, und es hänget daher lediglich von Ihnen ab, meinen Entschließungen Beyfall zu geben, oder sie zu verwerfen, denn zur Zeit, ist noch nichts fest gesetzet. — Hierauf ertheilte sie ihm von dem Namen, der Familie, und dem Vermögen des Octavio Nachricht.

Donati war mit Celianens Wahl voll-

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kommen vergnügt. Er näherte sich dem Octavio, und umarmte ihn. Mein Herr, sagte er zu ihm, ich erkenne die Ehre, die Sie uns erzeigen, mit den lebhaftesten Regungen, des Danks, und des Vergnügens. Sie bieten meiner Tochter ihre Hand an. Sie sollen mein Sohn seyn, und Sie werden an mir einen Vater finden, der Sie zu lieben, niemals aufhören wird.— Octavio beantwortete diese Höflichkeit auf eine solche Art, daß du Hochachtung, die Donati aus der Erzählung seiner Gemahlinn bereits gegen ihn gefaßt hatte, um ein Großes vermehret wurde. Die Unterredung wurde gar bald allgemein, und man ersuchte den Donati, seine unglücklichen Begebenheiten zu erzählen.

Meine Begebenheiten versetzte er, werden nicht lang seyn, weil mir nichts Außerordentliches begegnet ist. Das Schif, welches ich bestieg, als ich von Livorno abgehen wollte, versank, nachdem es verschiedene Tage mit Sturm, und Wellen gekämpfet hatte. Da wir nicht weit von den afrikanischen Küsten entfernt waren, so hatte ich das Glück, solche durch Schwimmen zu erreichen. Allein, kaum war ich auf dem festen Lande, als ich nicht mehr stehen konnte, und mich genöhtiget sah, meine Ruhe zu suchen, und mich auf den Sand niederzulegen. Ei-

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nige Fischer dieser Gegend trafen mich in diesem Zustande an, und kamen mir mehr aus Geitz, als aus Menschenliebe zu Hilfe. Sobald sich meine Kräfte nur ein wenig wieder eingefunden hatten, schleppten Sie mich nach Sale, und verkauften mich an einen Handelsmann, der mich in das innerste Aethiopien führte. Ich habe fast neun Jahre unter diesem barbarischen Himmelsstriche durchlebt; und obgleich mein Herr, ganz gütig mit mir umgieng, so hat mich doch die traurige Erfahrung, während dieser längwierigen Sklaverey belehret, daß für einen Ehemann, und Vater, der sein Weib und seine Kinder zärtlich liebet, keine größere Marter sey, als von ihnen entfernt zu leben. — Endlich erbarmte sich der Himmel über mich, und warf mir in meinem Elende, einen günstigen Blick zu. Mein Herr mußte seiner Geschäfte wegen nach Tunis gehen, daselbst zogen mich die Ordensmänner aus meiner Dienstbarkeit, und ihrer christlichen Liebe, habe ich das Vergnügen, das ich anitzt genieße, zu verdanken. —

Man widmete der Geschichte des Donati häufige Trähnen, und fieng vom neuen an, sich zu umarmen. – Nach Verfließung weniger Tage vermählte sich Octavio mit der Saphire. Ihre durch die Uibereinstimmung der Gesinnung unterstützte, durch die Liebe belebte, und durch die Klugheit befestigte Verbindung wurde eine Kette, von den angenehmsten Vergnügungen. Celiane und Donati genossen noch einige Jahre ein gleiches Glück.
Topic revision: r16 - 07 Feb 2012, AndreaSeidler
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