Der Vernünftige Zeitvertreiber

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Die Geschichte Omars, oder: Lebensplane zu machen, ist zweifelhaft

Omar, der Sohn Hursans hatte fünf und siebenzig Jahre in Ehre nnd

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Glücke gelebt. Die Gunst dreyer aufeinander folgender Caliphen hatte sein Haus mit Gold und Silber angefüllet; und so oft er zum Vorschein kam, verkündigte der Seegen des Volkes seinen Weg.

Irrdische Glückseligkeit ist von kurzer Dauer. Eine strahlende Flamme verzehret ihre Nahrung; und die wohlriechende Blume verduftet in ihrem eigenen Geruche. Omars Kräften fiengen an, ihm zu gebrechen: die Locken der Schönheit fielen von seinem Haupte, Stärke verließ seine Hände, und Behendigkeit seine Füße. Er gab dem Caliphen die Schlüßel des Vertrauens und das Siegel des Geheimnisses zurücke, und suchte für den Uiberrest seines Lebens kein anderes Vergnügen mehr, als den Umgang des Weisen, und die Dankbarkeit des Gerechten.

Seine Seelenkräfte waren noch nicht geschwächt, sein Zimmer war von Besuchenden angefüllet, welche begierig waren, die Lehren der Erfahrung aufzufangen, und bereitwillig, den Tribut der Bewunderung zu bezahlen. Caled, der Sohn des Unterkönigs von Egypten, kam jeden Morgen frühe, und begab sich späte hinweg. Er war schön und

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redt. Omar bewunderte seinen Witz, und liebte seine Gelehrigkeit. Sage mir, sagte Caled, du, auf dessen Stimme Nationen gehorcht haben, und dessen Weisheit bis an Asiens äußerste Gränzen berühmt ist, sage mir, wie kann ich Omar dem Klugen, ähnlich werden ? Die Künste wordurch du Macht erworben, und behauptet hast, sind dir nicht länger nöhtig noch nützlich. Theile mir also das Geheimniß deiner Aufführung mit, und lehre mich den Entwurf, auf welchen deine Weisheit dein Glück erbauet hat. —

Jüngling, sagte Omar, Lebensplane zu machen, ist von geringen Nutzen. Als ich in meinem zwanzigsten Jahre, zum erstenmale die Welt beschauete, und die mancherley Stände des menschlichen Geschlechts betrachtet hatte, sagte ich in der Stunde der Einsamkeit, an eine Ceder gelehnet, die ihre Aeste über mein Haupt ausbreitete, also zu mir selbst: Siebenzig Jahre sind dem Menschen zugetheilet, fünfzig sind mir noch übrig. Zehen Jahre will ich auf Erwerbung von Einsicht wenden; und zehen will ich in fremden Ländern zubringen. Ich werde gelehrt seyn, und daher verehrt werden. Jede Stadt wird über meine Ankunft frohlo-

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cken, und der Gelehrte sich um meine Freundschaft bewerben. Zwanzig, auf diese Art genützte Jahre werden meinen Geist mit Bildern anfüllen, mit deren Verbindung und Vergleichung ich mich den Uiberrest meines Lebens beschäftigen werde. In unerschöpflicher Menge von Reichthümern des Verstandes, werde ich schwelgen; für jeden Augenblick werde ich neue, Vergnügungen finden, und nie werde ich meiner selbst überdrüßig werden. Doch, will ich nicht zu weit von dem gemeinen Pfade des Lebens abweichen, sondern versuchen, was an weiblicher Delikatesse zu finden ist. Ich will ein Frauenzimmer ehlichen, reitzend wie die Houries, und weise wie Zodeibe! Mit ihr will ich zwanzig Jahre innerhalb der Vorstädte von Bagdat, in jedem Vergnügen leben, den Reichthum erkauffen, und Einbildungskraft erfinden kann. Alsdann will ich in eine Wohnung auf dem Lande ziehen, meine letzten Tage in der Stille und Betrachtung zubringen, und mich gelassen auf das Todtenbette niederlegen. Durch mein ganzes Leben, soll es mein fester Entschluß bleiben, daß ich niemals vom Lächeln der Fürsten abhange, daß ich niemals den Kunstgriffen der Höfe ausgesetzt seyn will. Nie wer-

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de ich nach öffentlichen Ehrenstellen schmachten, noch meine Ruhe mit Staatssachen stöhren. — Dies war der Entwurf meines Lebens, den ich meinem Gedächtnisse unauslöschlich eingepräget.

Der erste Theil meiner folgenden Zeit sollte auf Bemühung nach Wissenschaften verwendet werden, und ich weiß nicht, wie ich von meinem Vorsatze abgelenket wurde. Von außen hatte ich keine sichtbarliche Hinderniß, und von innen keine unlenkbare Leidenschaft. Einsicht hielte ich für die höchste Ehre, und das reitzende Vergnügen. Nichts destowenischlich ein Tag nach dem andern weg, und ein Monaht floß nach dem andern dahin, bis ich fand, daß sieben Jahre von den zehen ersten verschwunden waren, und nichts zurück gelassen hatten. Ich schob nun meinen Vorsatz, zu reisen, auf. Denn, warum sollte ich in fremde Länder reisen, da ich zu Hause noch so vieles zu lernen hatte? Ich schloß mich vier Jahre lang ein, und lernete die Reichsgesetze. Das Gerücht von meiner Wissenschaft kam für die Richter. Man fand mich fähig, über zweifelhafte Fragen zu sprechen, und ich erhielt Befehl, für den Caliphen zu stehen. Ich wurde mit Aufmerksamkeit angehöret,

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mit Vertrauen zu Rahte gezogen, und die Ruhmbegierde setzte sich in meinem Herzen feste.

Ich wünschte noch immer, entlegene Länder zu sehen, horchete mit Entzücken auf die Berichte der Reisenden, und beschloß dereinst um meine Entlassung zu bitten, damit ich meine Seele mit Neuigkeiten sättigen könnte. Allein meine Gegenwart war allezeit nohtwendig und der Strom der Geschäfte riß mich mit sich fort. Bald befürchtete ich, man möchte argwöhnen, ich sey mißvergnügt, und bald, ich möchte der Undankbarkeit beschuldiget werden. Jedoch setzte ich mir noch immer für zu reisen, und wollte mich daher durch keine Vermählung einschränken.

In meinem funfzigsten Jahre fieng ich an zu muhtmassen, daß die Zeit zu reisen vorüber wäre, und hielt es für das beste, die Glückseligkeit so noch in meiner Gewalt stund, zu ergreifen, und häuslichen Vergnügungen nachzuhängen. Allein, in dem funfzigsten, findet niemand mehr leichtlich ein Frauenzimmer reitzend, wie die Houries, und weise, wie Zobeide. Ich forschte nach, und verwarf; berahtschlagte mich mit mir selbst und mit andern, bis das zwey und sechzigste Jahr

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machte, daß ich mich schämte, mehr auf Mägdchen zu sehen. Nun war mir nichts mehr übrig, als die Einsamkeit. Zu dieser fand ich niemals Zeit, bis Krankheiten mich von öffentlichen Aemmtern vertrieben.

So war mein Entwurf, und so waren seine Folgen beschaffen! Mit einem unersättlichen Durste nach Wissenschaften, verschleuderte ich die Jahre des Unterrichts. Mit einer unruhigen Begierde fremde Länder zu sehen, habe ich beständig in einer und eben derselben Stadt gewohnet. Mit der höchsten Erwartung ehlicher Glückseligkeit habe ich unverehlicht gelebt, und mit einem unveränderlichen Entschluße, einsamer Betrachtungen, werde ich wohl innerhalb der Mauren von Bagdat sterben!
Topic revision: r8 - 27 Sep 2011, PetraZinngieser
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