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Geschichte der Ungarn, unter ihren Herzogen.

Ungarn bestand ehedem aus verschiedenen Provinzen, aus Pannonien nämlich, Dacien, Marahanien, und dem Lande der Jazyger. Pannonien erstreckte sich von dem cötischen Gebirge bis über den Sawafluß, zu dessen oberem Theile auch fast ganz Oesterreich, Steyermark, Kärnthen, Krain, Kroaten, nebst dem jenseits der Donau liegenden, und einen Theil des itzigen Königreichs Ungarn ausmachenden Kreis gehörte, und von der Tochter des Kaisers Diocletianus, den Namen Valeria erhielt. Was über der Donau ge-

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gen Morgen liegt, nebst Bosnien, und Slawonien, hieß das untere Pannonien, so, wie man die Provinz zwischen dem Sawa- und Drawaflusse, Saviam interamniam, und ripariensem nennte. Das alte Dacien hatte von einer Seite die Theiße, von der andern aber den Pontus Eurinus zu Gränzen, und Marahania, oder Großmähren, erstreckte sich von der Elbe, bis an die Flüße Gran und Morawa; die Jazyger aber bewohnten das Land zwischen der Theiße, und dem karpathischen Gebirge. Alle die Völker aber, welche diese Länder bewohnten, waren vom slawischen Ursprunge, und redeten auch die slawische Sprache. — Aus diesem nun erhellet, daß das heutige Ungarn nur aus einem Theile des alten Pannonien, Dacien, und Großmähren bestehe.

Es wird aber dieses Königreich bald in einem engern, bald in einem weitläufigern Verstande genommen. In jenem hat es gegen Mittag den Fluß Drawa, welcher es von Slawonien absondert; gegen Mitternacht das karpathische Gebirg, durch welches es von Galitzien getrennet wird; gegen Morgen die Walachey, und Siebenbürgen; und gegen Abend, Mähren, Oesterreich und Steyermark zu Gränzen. Im weitläuftigerem Verstande aber, wird auch Slawonien, Kroatien, Bosnien, Dalmatien, Siebenbürgen und Serwien, die Bulgarey, Walachey, die Moldau, Galitzien, nebst Lodomerien, unter dem allgemeinen Namen von Ungarn mitbegriffen. —

Die ältesten Einwohner von Ungarn, waren die Pannonier, und Jazyger, beyde von slawischem Ursprunge. Jene bewohnten den westlichen, diese aber den nördlichen Theil des Reiches. Sie behaupteten ihre Freyheit bis auf die Zeiten des Kaisers Augustus, da die Dacier, welche schon un-

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ter römischer Bohtmäßigkeit standen, unter dem Decebal einen Auffstand erregten, mit welchen sich ihre Nachbarn die Pannonier vereinigten. Der nachmalige Kaiser Tiberius ward endlich abgeschickt, die Dacier wieder zum Gehorsame zubringen; und dieses verrichtete er auch mit so glücklichem Erfolge, daß er mit seinen siegreichen Waffen bis in Pannonien drang, sich des ganzen Landes bemächtigte, und solches ungefähr um das zehnte Jahr nach Christi Geburt in eine römische Provinz verwandelte. Dieses blieb sie so lang, bis sich bey der grossen Wanderung der Völker, und als sich das römische Reich zu seinem gänzlichen Untergange neigte, die Vandalen einen grossen Theil desselben an sich brachten, und solchen über vierzig Jahre lang besassen. Als diese aber das Land räumten, um nach Gallien zu gehen, so ließen sich die Gothen, welche bisher in Dacien, und Mösien gewohnet, daselbst nieder; der übrige Theil aber blieb noch immer eine römische Provinz, bis sich endlich die Hunnen des ganzen Pannoniens bemächtigten.

Diese Hunnen, eine scythische Nation, bewohnten in den ältesten Zeiten die nördlichen Gränzen von China, und wurden von den Chinesern Hiongnu genennet, welche, sich für ihren öfteren Einfällen zu schützen, im vierten Jahrhunderte vor Christi Geburt die so berühmte Mauer aufführten, die man billig unter die Wunderwerke der Welt zählen kann. Nachdem aber ihr Reich von den Chinesern, die sich mit den mittägigen Hunnen verbunden hatten, zu Grunde gerichtet worden, wendeten sich die mitternächtigen gegen Abend, und ließen sich anfänglich an dem Wolgastrome, hernach aber zwischen den asowischen und kaspischen Seen nieder. Im Jahre 734. giengen sie in 108. Horden, und über eine Million stark über den Don-

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fluß nach Europa, und unterwarfen sich gleich anfangs die Alanen, zwey Jahre hernach aber auch die Gothen, welche in Dacien wohnten. Im 377sten Jahre nahmen sie beyde Pannonien ein, und unter ihrem Könige Attila erweiterten sie ihr Reich sehr namhaft, welches aber nach dessen im Jahre 454. erfolgtem Tode, wieder in Verfall gerieht, und mit desselben Sohne Dengizich völlig untergieng, indem diese Hunnen von den Gepidern, und Gothen gezwungen wurden, sich wieder an die Flüße Don, und Dniester zu begeben, wo sie hernach unter dem Namen der kutugurischen, und utugurischen Hunnen bey den griechischen Geschichtschreibern vorkommen. — Hierauf bemächtigte sich Arderich, der König der Gepider der Walachey und Moldau, nebst einiger angränzender Länder, oder des so genannten Daciens; die Gothen aber behaupteten das eigentliche Pannonien, bis sie ungefähr um das Jahr 526. von den Longobarden vertrieben worden. Als aber diese auf die Einladung des Narses nach Italien giengen, räumten sie den Awaren Pannonien mit der Bedingung ein, daß, wenn ihnen ihr Unternehmen fehl schlagen sollte, sie ihre alten Wohnsitze wieder beziehen könnten. Da nun die Longobarden nicht wieder kamen, sondern ein neues Reich in Italien stifteten, so blieben auch die Awaren in dem ruhigen Besitze von Pannonien. — Diese Awaren nennte man in Asien anfänglich Geugener, und um die Mitte des sechsten Jahrhunderts, wurden sie von den Türken, welche Uiberbleibsel der Hunnen waren, und das altaische Gebirg bewohnten, vertrieben. Einige derselben zogen sich nach den chinesischen Gränzen, die andern aber giengen nach Europa, vereinigten sich mit den Uiberbleibseln der Hunnen am Dniester,

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und eroberten Dacien, wo sie dem Reiche der Gepiden ein Ende machten. Als sie hier beynahe zehn Jahre geblieben waren, nahmen sie das von den Longobarden verlassene Pannonien ein, wo sie in wenig Jahren so mächtig wurden, daß sie den ganzen Strich Landes vom schwarzen Meere bis an die Elbe, und zwischen der Ens, und dem Sawaflusse beherrschten. Alle benachbarte Fürsten waren gezwungen ihnen Geschenke zu geben, und Tribut zu bezahlen, wenn sie für ihren Einfällen sicher seyn wollten. Diese ihre Macht währte über zwey hundert Jahre, da sie endlich von dem fränkischen Könige Karl den Grossen im Jahre 791. unterwürfig gemacht, und gezwungen wurden, den christlichen Glauben anzunehmen.* — In diesem Zustande blieben sie bis auf die Ankunft der Ungarn, mit welchen sich hernach der Uiberrest von ihnen vereinigte.**

Diese Ungarn waren ebenfalls eine hunnische Nation,*** welche an den Gränzen von China wohnten, und von den griechischen Geschichtschreibern Türken genennet werden. Im sechsten Jahrhunderte wohnten sie noch als ein Uiberbleibsel der alten Hunnen, nahe bey den Chinesern, wurden in die östlichen, und westlichen getheilet, und der Fluß Irtisch machte die Gränzscheidung zwischen ihnen. Von den östlichen Türken entstanden nach

* Er schränkte sie so ein, daß sie keinen Schaden mehr thun konnten, und gab ihnen den Strich Landes zwischen Sabaria, und Carnuntum ein. — Noch ist zu merken, daß die Könige der Awaren den Titel Rhagan führten.

** Diejenigen aber, welche in Dacien wohnten, wurden von den Bulgaren unter das Joch gebracht.

*** Wer sich mit der Geschichte dieser Völker näher bekannt machen will, der findet solche in des Deguignes Geschichte der Hunnen und Türken, welche französisch zu Paris 1756-58. und ins Deutsche übersetzt, zu Greifswalde 1768-71. in fünf Quartbänden erschienen ist.

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verschiedenen Wanderungen, die mogolischen Tatarn,* und andere asiatische Völker; die westlichen aber wurden durch innerliche Streitigkeiten so geschwächt, daß sie endlich der Verfolgung ihrer Feinde zu entgehen, ihr Land verließen, und sich zwischen dem Don- und Wolgaflusse setzten. Hier wurden sie von den Chozaren** ihren Landesleuten mit Freuden aufgenommen, und machten bald mit denselben nur ein Volk aus. Sie blieben aber nicht lang in dieser Gegend, denn, es entstund ein Krieg zwischen ihnen, und den Pazinaciten, in welchem sie überwunden, und gezwungen wurden, auch diese Wohnplätze zu verlassen. Ein Theil von ihnen wendete sich nach Persien, von welchen die, heutigen Otschmanen abstammen;*** die übrigen aber giengen gen Westen, und machten sich Meister von Dacien. (862) Hier verglichen sich die Häupter ihrer Horden, ein allgemeines Oberhaupt zu erwählen, und

* Dieses bekräftiget die grosse Uibereinstimmung der mogolischen Wörter mit den ungrischen, deren Verzeichniß man in dem Antwortschreiben des P. Pray, an den Piaristen Cetto, S. 235. findet. — Die Mogolen nennen sich in ihrer Sprache Mogor, die Ungarn aber geben sich in der ihrigen den Namen Magor, oder Madyar, sprich, Madjar. — Einige tatarische Horden im Oriente gebrauchen sich auch itzt noch einer der ungarischen sehr gleichkommenden Sprache, wie denn der Jesuit Ratkay, da er sich als Missionär im chinesischen  Reiche aufhielt, zu Pekin mit einigen tatarischen Gesandten ungerisch geredet zu haben behauptet; und Samuel Turkoly ein ungrischer Edelmann, versichert in einem Briefe, den er an seine Freunde aus Astrakan, den 2ten April 1725. geschrieben, daß sich in einem Theile der Tatarey Völker befinden, welche die ungrische Sprache reden.

** Oder Chosaren. Dieser Zweig der Türken schlug seine Wohnplätze in dem taurischen Chersonesus, oder der heutigen krimmischen Tatarey auf. Er ward durch einen Khan, oder Khakan regiert, und hatte sein Gebieht, bis in die nördlichen Länder Rußlands erweitert.

*** Daß die Ungarn mit den heutigen Türken gleiches Ursprungs seyen, hat Pray in dem dritten Theile seiner Annalen, und in dem Antwortschreiben an den Piaristen Desericius hinlänglich bewiesen.

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die Wahl fiel auf Arpad, den Sohn des Almus. — Unterdessen siengen die Chozaren einen neuen Krieg mit den Pazinaciten an, und trieben dieselben wieder aus dem Lande, welches sie den Ungarn abgenommen hatten. Aus Rache verjagten diese die Ungarn gleichfalls aus Dacien, und Arpad, nachdem er noch mehr Hunnen an sich gezogen hatte, fiel den Jazygern auf den Hals, bezwang dieselben, und nahm, während daß sich die beyden hinterlassenen Prinzen des Swatopluchs um die Regierung stritten, die ganze Gegend an den Flüßen Gran, und der Waag ein. (869) Hierauf gieng er über die Donau, vereinigte sich mit den noch übrigen Awaren, und legte den Grund zu dem ungarischen Reiche, welches von dieser Zeit an den Namen Pannonien verlor, und Hunnien, Awarien, Ungrien, und Ungarn* genennet ward.

* Der Name Ungarn ist viel älter, als er von den meisten Geschichtschreibern bestimmet wird. Jordanes in seiner Geschichte der Hunnogurer gedenket ihrer schon im fünften Jahrhunderte; bey den folgenden Geschichtschreibern aber heißen sie Onogarer, Ungrer, und Agarener, in der Landessprache aber Magyarok, Madjaren. Woher diese Benennungen kommen, und ob sie mit Recht allen Ungarn beygeleget werden, ist hier der Ort nicht zu untersuchen. Vieleicht haben sie ihn von den Gebirgen, welche die Sarmater Gori, oder Hori nannten, erhalten, und sind anfänglich Ugri, oder Uhri, das ist, Bewohner der Gebirge genennet worden; so wie die Pommerer Pomorane, und die Pohlen Polaci, oder Powlaci; (Wlak) die erstern , weil sie an dem Meere, die letztern aber, weil sie in der Nachbarschaft der Walachen gewohnet, heißen. Dieß ist gewiß, daß sie noch itzt von den Böhmen, und ungrischen Slawen Uhri genennet werden. Hier muß ich auch etwas von den  Schicksalen der schon öfter erwähnten Pazinaciten anführen. — Nachdem  die Ungarn von ihnen wieder aus Dacien vertrieben worden, vertheilten sie dieses Land nach der Anzahl ihrer Horden, in acht Herrschaften. Unter diesen erhielt Gyula den größten Theil des heutigen Siebenbürgen, die übrigen aber wohnten bis an den Dniester, und das schwarze Meer. — Und dieses ist das Volk, welches viele Geschichtschreiber die Chuner, oder Kumaner nen- (P8) nen, die mit den Griechen und Ungarn öftere und langwierige Kriege geführet haben. — Von diesen Kumanern, nicht aber von den alten slawischen Jazygern, sollen nach des P. Pray Meynung die heutigen Jazyger abstammen, und von den Ungarn wegen ihrer Geschicklichkeit im Schießen den Namen Jáß, oder Bogenschützen bekommen haben. Daher sie auch in alten lateinischen Urkunden Balistarii, oder Balistaei, und verderbt auch Philistaei genennet werden.

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Ehe die Ungarn ihre neuen Nachbarn beunruhigten, suchten sie einige gute Ordnungen unter sich einzuführen. Zuvörderst theilten sie das von ihnen eroberte Land unter sich, und Arpad erhielt für sich, und seine Nachkommen den jenseits der Donau gelegenen Strich, in welchem Stuhlweissenburg gleichsam der Mittelpunkt war. Den übrigen Häuptern* wurden ebenfalls gewisse Distrikte; und allen und jeden Soldaten, weil sie einander am Adel gleich waren, gewisse Ländereyen angewiesen, die alten Einwohner aber zum Feldbau, und zum Dienste der Ungarn gebrauchet. Die Edelleute sowohl, als die Herren wurden von allen Zöllen, und Abgaben befreyet, so oft es aber die allgemeine Wohlfahrt erforderte, oder es der Regent aus dem arpadischen Stamme befahl, mußten sie auf eigene Kosten zu Felde ziehen. Zu diesem Ende wurden Heerführer ernennet, welche das Kriegswesen besorgten, und zween Richter in bürgerlichen Sachen bestellet, deren einer Gyulas, der andere aber Chalchan hieß. Und diese Regimentsverfassung blieb bis auf die Zeiten des heiligen Königes Stephan.

* Diese Austheilung findet man beym Thurotz im dritten Kap. des ersten Theils. Die Namen dieser Häupter aber heissen: Arpad, ein Sohn des Almus; Zabolch, der Sohn Eleud, von dem die Tschákische Familie abstammet; Kurzan, der Sohn Kunds; Ete, der Sohn Onud; Leel, der Sohn Tosu; Huba, von dem das Geschlecht der Zemere sich herleitet, und endlich des Tuhuts Sohn Horca, von welchem Gyula und Zombor entsprungen sind. Siehe hievon auch den Anonymum Belae Regis Notar .

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So bald nun die Ungarn ihre Regierungsform in Ordnung gebracht hatten, überschwemmten sie sogleich Oberpannonien, und hernach auch die Lombardey, wo sie überall die kläglichsten Spuren der Verwüstung hinterließen. In Italien wüteten sie auf das Grausamste, wie sie denn mehr als zwanzigtausend Menschen zu Grunde richteten, und unsägliche Schätze zusammenrafften. Da ihnen nun dieses Handwerk so gut von statten gieng, wurden sie begierig mehr ähnliche Eroberungen zu unternehmen. Sie vereinigten sich daher mit denen bey Carnuntum noch wohnenden Awaren, setzten über die Ens, und fiengen an Bayern zu verheeren. (900) Wo sie hinkamen, flohen die Innwohner, und hinterließen ihnen ihre Habe zur Beute. Als sie sich nun durch Plündern, und Schwelgen gesättiget hatten, überfiel sie der Markgraf Luitpold unversehens, und richtete eine so grosse Niederlage unter ihnen an, daß der größte Theil erschlagen, der übrige aber meist in die Donau gestürzet ward.

(901) Dieses grossen Verlustes ungeachtet, setzten sie bald wieder über die Gränzen von Kärnthen, und Mähren, und hofften dort die in Bayern mislungene Unternehmung desto glücklicher auszuführen. Sie wurden aber von dieser Hoffnung betrogen, indem sie fast gänzlich geschlagen, und gezwungen wurden, mit Schanden zurückzuziehen. (902) Aber sie wurden dadurch nicht abgeschreckt, sie überzogen vielmehr Mähren, Schwaben, Franken, und Sachsen, wo sie aber auch den tapfersten Widerstand antrafen; und in Bayern wurden viele derselben nebst ihrem Herzoge Cusal bey einem Gastmahle erschlagen. An die Stelle desselben wählten sie zween Heerführer, den Dursak nämlich, nebst dem Bugat; und, wie einige wollen, auch einen gewissen [[PersonZolta][Sol-

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tan.]]* Diese Häupter führten ihr Heer nach Italien, verwüsteten einen guten Theil desselben, und nachdem sie über den Pofluß gesetzet, auch Berengars Truppen gänzlich geschlagen hatten, plünderten sie die meisten Städte, und kehrten mit reicher Beute beladen, wieder in ihr Land zurück. Nachdem sie nun ein ganzes Jahr durch, dieses Land mit Feuer, und Schwerdt verwüstet hatten, fielen sie wieder in Deutschland, und machten, besonders von den Völkern, die an dem Leche wohnten, erhebliche Beute. (904) Ludewig aber kam ihnen hier mit einem ansehnlichen Heere entgegen, und machte alle Anstalten ihnen eine Schlacht zu liefern. Die Ungarn aber, die seine Überlegenheit sahen, vermieden dieselbe sorgfältig, und nahmen die Flucht. Als ihnen nun Ludewig hitzig nachsetzte, und in eine enge und unwegsame Gegend kam, kehrten die verfolgten Flüchtlinge um, andere von ihnen aber, die in einem Walde verstecket waren, fielen dem Feinde in den Rücken, und richteten fast die ganze Armee des deutschen Königes zu Grunde. In diesen bedrängten Umständen mußte ihnen Ludwig einen jährlichen Tribut verwilligen, um dadurch sein Land für ihren weiteren Verwüstungen zu befreyen. (905) Das folgende Jahr kamen sie wieder nach Sachsen, und verwüsteten einen guten Theil dieses Landes. Im Oriente breiteten sie ihre Macht mit eben so glücklichen Fortgange aus, indem sie sich sowohl die Griechen, als die Bulgaren zinnsbar machten.

(908) Bey so zunehmendem Wachsthume ihrer Grösse überzogen sie abermal Bayern, und nachdem sie in diesem Lande allerhand Grausamkeiten ausgeübet, hatten, giengen sie nach Sachsen und Thüringen,

* Denn, als Arpad, der erste Herzog der Ungarn mit Tode abgieng, kam die Regierung auf mehrere Häupter; unter dem Taxus, einem Enkel des Arpad aber ward sie wieder nur einem anvertrauet.

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wo sie bey Eisenach die Truppen des Luitpold, und Burkhard schlugen, und beyde Anführer verloren dabey ihr Leben. Sie kehrten sodann durch Bayern zurück, schlugen den Ludwig bey Augsburg, durchzogen einen grossen Theil des deutschen Reiches, und ließen überall die schrecklichsten Merkmaale ihrer Wuht und Grausamkeit zurück. Aber an dem Innfluße lieferte ihnen der bayerische Herzog eine Schlacht, in welcher sie eine gänzliche Niederlage erlitten haben. (915) Sie erhohlten sich jedoch bald wieder, und überzogen fast ganz Deutschland und Burgund, verheerten und verbrannten eine grosse Anzahl Flecken, und Schlößer, und nahmen viele Städte, und darunter auch Bremen, und Basel ein. (919) Sie beunruhigten sodann wieder Italien, und einen Theil von Frankreich; giengen hierauf dem Könige Berengar zu Hilfe, und zu Verona ließen sie den Markgrafen Adalbert, und den Pfalzgrafen Odelrich nebst vielen andern, die sich des Hochverrats schuldig gemacht hatten, umbringen. — (924) Als aber Berengar bald hernach vertrieben, und Rudolf von Burgund zur Regierung kam, kehrten sie wieder nach Italien, verheerten das Land überall auf das Grausamste, und äscherten unter andern auch die schöne Stadt Pabia völlig ein. Vier und vierzig Kirchen, nebst andern prächtigen Gebäuden wurden ein Raub der Flammen, und der Bischof des Orts sowohl, als der von Vercelli, nebst dem größten Theile der Einwohner, entweder durch den Rauch ersticket, oder durch das Feuer verzehret. Etwan zweyhundert, die noch übrig geblieben, mußten mit acht Schäfeln Silber, welches sie aus dem Schutte gruben, ihr Leben, und die Mauern ihrer Stadt erkaufen. — Hierauf wollten die Ungarn über die Alpen nach Frankreich, sie wurden aber von Rudolfen in einen engen Paß eingeschlossen, und

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konnten nur mit vieler Mühe, und durch allerhand Umwege nach der heutigen Provence kommen, nachdem sie durch die feindlichen Waffen, und die eingerissenen Krankheiten einen großen Theil ihres Heeres eingebüßet hatten.

(925) Unterdessen weigerte sich Heinrich der Erste, den durch Ludewig versprochenen Tribut zu bezahlen. Sie thaten daher einen neuen Einfall in Sachsen, wo sie nach ihrer Gewohnheit alles mit Feuer und Schwerdt zu Grunde richteten. Der Kaiser gieng ihnen sogleich mit einem Heere entgegen, und lieferte ihnen eine Schlacht, in der er aber den Ungarn den Sieg lassen mußte. (926) Sie streiften also ungescheut in Deutschland herum, ihr Anführer Soltan aber, ein Sohn des Arpad gerieht in die Hände des Kaisers, dem sie sogleich eine ansehnliche Summe Goldes für seine Freyheit anbohten. Da sich dieser aber eben in keiner sonderlichen Verfassung befand, sich auch diese wilden Feinde mit Gelindigkeit vom Halse schaffen wollte, gab er ihn ohne Entgeld los, und machte mit ihnen einen Waffenstillstand auf neun Jahre. (928) Jedoch die nach Beute begierigen Ungarn konnten den Verlauf derselben nicht erwarten, sondern forderten den Tribut aufs Neue. Allein Heinrich, der ißt eine ansehnliche Macht auf den Beinen hatte, schlug ihr Begehren auf eine verächtliche Art ab.* (933) Hierauf thaten sie wieder mit hunderttausend Mann einen wühtenden Einfall in Sachsen, wurden aber vom Kaiser bey Merseburg dermassen geschlagen, daß sechs und dreyßig tausend von ihnen auf dem Platze blieben. Die Uibrigen nun wurden entweder gefangen, oder in dem Flusse ersäuft, oder aber durch Hunger, Kälte, und Krankheit zu Grunde gerichtet, und nur wenige konnten sich durch Böhmen retten.

* Einige Geschichtschreiber sagen: Er habe ihnen einen räudigen Hund anstatt des Tributs geschicket.

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Viel glücklicher warm diejenigen Ungarn, welche um diese Zeit nach Italien gegangen waren. Denn, als sie überall Furcht und Schrecken verbreitet hatten, ließen sie dem Hugo den Frieden feil biehten, der ihn auch mit zehn Schäfeln Goldes erkaufte. (934) Eben so glücklich war das ungarische Heer unter ihrem Herzoge Opur, der das ganze Land zwischen dem Ister, uad Konstantinopel rein ausplünderte. Die folgenden Jahre thaten sie ein Gleiches in Italien, Bayern, Elsaß, und Frankreich. (935) Unter der Regierung Otto des Ersten, der seinem Vater gefolget, fielen sie abermal in Sachsen, sie wurden aber von ihm geschlagen, und gezwungen, die Flucht zu ergreifen. (939) Im Oriente aber waren ihre Waffen etwas glücklicher, und man glaubt, daß um diese Zeit die beyden Heerführer Bolosud und Gyla die heilige Taufe daselbst empfangen haben.

(943) Dieses Jahr suchten sie wieder Kärnthen und Bayern heim, wurden aber verschiedenemale geschlagen, und gezwungen ihre Wohnungen zu suchen. Als sie sich wieder etwas erholet, und neue Kräfte gesammelt hatten, drangen sie unter ihrem Herzoge Phalitzim in Italien, welches dazumal durch innerliche Unruhen ziemlich zerrüttet war, und Berengar, der ihnen nicht widerstehen konnte, sah sich gezwungen, den Frieden mit zehn Schäfeln Goldes wieder zu erkaufen. (948)

(953) Bald hernach gab Luitholf ein Sohn Kaisers Otto des Grossen, den Ungarn wieder Gelegenheit, ihr Glück in Deutschland zu versuchen, und Beute zu machen, als er sich wider seinen Vater empörte, und Hilfe von ihnen verlangte. Sogleich fanden sie sich mit einer zahlreichen Armee ein, und Otto ward von ihnen, unter ihrem Feldherrn Toxis bey Augsburg sehr eng eingeschlossen. (955)

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Die Sache stand gefährlich, aber der Kaiser gieng ihnen mit seinen geübten Soldaten so mächtig auf den Leib, daß sie ihrer Menge ungeachtet, eine gänzliche Niederlage erlitten. Viele tausend wurden geschlagen, oder gefangen, und drey ihrer vornehmsten Befehlshaber, Bosud, Leel, und Botond, wurden auf Ottos Befehl auf Bäume gehenkt, und erdrosselt. Dieses, nebst dem Verluste, welchen die Ungarn kurz darauf wider die Griechen erlitten, trug sehr viel bey, sie demühtiger zu machen, und ihren vorherigen beständigen Einfällen in die benachbarten Provinzen Einhalt zu thun. Ja, ihr damaliger Heerführer Toxis schloß mit dem Kaiser Otto in diesem Jahre einen beständigen Frieden. (971)

Und dieser Friede machte nun auch, daß die christliche Religion in Ungarn einigen Fortgang gewinnen konnte. Der erste, welcher sich um die Ausbreitung derselben in diesem Reiche bemühete, war der heilige Wolfang aus dem Benediktinerorden. (972) Da er aber seinen Endzweck nicht erreichen konnte, begab er sich wieder nach Deutschland zurück. – Unterdessen starb Toxis, und sein Sohn Geysa gelangte zur Regierung. Da derselbe von überaus sanfter Gemühtsart war, so suchte er seine Unterthanen von ihrer wilden Lebensart, und Raubsucht abzubringen, und sie zu gesitteten Menschen zu machen. (973) Er erneuerte daher den Frieden, welchen sein Vater mit dem Kaiser geschlossen hatte, und da diesem Monarchen das ewige Heil der ungarischen Nation am Herzen lag, so ward es dem Friedensschlusse ausdrücklich einverleibet, daß die Prediger des christlichen Glaubens vollkommene Freyheit haben sollten, denselben öffentlich in Ungarn zu verkündigen. Ob dieses Geysa aus einer schon damals hegenden Neigung zum Christenthume, oder aus der

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Absicht, die Handlung seiner Unterthanen zu befördern, zugestanden habe, ist ungewiß. —

Genug, daß sich von dieser Zeit an der christliche Glaube, hauptsächlich durch die Bemühungen der Geistlichen aus dem Benediktinerorden, allenthalben in Ungarn ausbreitete. Geysa selbst ließ sich sammt seiner Gemahlinn Sarolta, seinem Bruder Michael, und seinem ganzen Hause taufen. (980) Weil er aber noch vielen Widerstand von den ungarischen Grossen erfahren mußte, welche von ihrer bisher gewohnten freyen Lebensart, nicht so geschwind ablassen wollten: so lud er heimlich viele ansehnliche Ritter, und Grafen, vornämlich aus Deutschland ein, um sich durch ihren Beystand wider die Anschläge der Ungarn in Sicherheit zu setzen. Es fanden sich auch viele derselben mit starker Begleitung ein, und Geysa, um sie desto besser zu verbinden, ertheilte ihnen nicht nur kostbare Geschenke, sondern auch die vornehmsten Würden des Reiches.*

Ungeachtet nun die Ungarn dieses nicht gleichgiltig ansehen konnten, so wurden sie doch durch die Macht der Fremden im Zaume gehalten, und Geysa brachte sowohl die Ausbreitung der christlichen Religion, als die Unterwerfung feiner Unterthanen mit dem glücklichsten Erfolge zu Stande. Es war ihm daher nun nichts so sehr angelegen, als seinem Sohne Stephan* die Nachfolge im Reiche zu versi-

* Unter diesen Ankömmlingen waren die vornehmsten: Deodatus, Graf von Sankt Severin, aus Apulien, der Taufpahte des heiligen Stephans, der ihn deswegen Tata zu nennen pflegte; die Gebrüder Wolfgang und Hederich Grafen von Schaumburg; Wenzelin, Graf von Waitzenburg aus Bayern, dessen Nachkommen Jasko hießen; Hund und Pázmán, zween berühmte Ritter aus Deutschland, und Hermann aus Nürnberg.

** Er erblickte das Licht der Welt im Jahre 983. und ward von dem Prager Bischofe getauft.

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chern. Denn ungeachtet derselbe das nächste Recht dazu hatte, so befürchtete er doch, daß ihm die angenommene christliche Religion Unruhen erwecken möchte. Er ließ ihn daher in einer öffentlichen Versammlung der Grossen des Reiches, sowohl von ihnen, als von den neuangekommenen ausländischen Herren für seinen Nachfolger erkennen, und ihm den Eid der Treue schwören. Kaum aber war dieses geschehen, als dieser gute und glückliche Fürst, nachdem er alle seine Wünsche erfüllet gesehen hatte, dieses Zeitliche verließ. (997) Er hatte sonst keinen Sohn, als der ihm in der Regierung folgte, von dem wir sogleich reden werden. Von seinen Töchtern heurahtete Judith* den pohlnischen Herzog Boleslaw, Sarolta den Stephan Aba, einen der mächtigsten Herren in Oberungarn, und Gisela den Otto, Herzog von Venedig. Nach dem Tode der Sarolta, des heiligen Stephans Mutter, heurahtete Geysa die Adelheide, eine Schwester des pohlnischen Herzogs Miecislaw, als er schon ziemlich bey Jahren war. — Geysa war sanftmühtig, friedfertig, und einsichtsvoll. Ungarn hat ihm die erste Kenntniß des Christenthums, und die Verbesserung der Sitten zu verdanken.**

* Ob Geysa eine Tochter, die Judith geheißen, gehabt habe, ist ungewiß, ungeachtet es die pohlnischen Geschichtschreiber behaupten. So ungewiß ist es auch, ob sich Geysa zweymal verheurahtet habe. Auch dieser Meynung sind die pohlnischen Geschichtschreiber, unsere aber scheinen ihnen zu widersprechen , indem sie behaupten, daß Kupa nach dem Tode des Herzogs Geysa die verwittwete Herzogin Sarolta, des heiligen Königes Stephans Tochter heurahten wollte.

** JoannesScylitzes, Luitprandus, Wittichindus, Lambertus Schaffnaburgensis, Thurotzius, Bonfinius, und andere.
Topic revision: r48 - 28 Nov 2011, AgostonBernad
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