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Vl.

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Betrachtungen über das Klima in Ansehung der Sitten, und der Gesetze.

Daß bie Einwohner der verschiedenen Theile unsers Erdbodens nicht nur dem äußern Ansehen, sondern auch den Sitten nach ungemein von einander abgehen, wird so leicht niemand läugnen, der nur entweder einige zuverläßige Reisebeschreibungen gelesen, oder wohl selbst einige benachbarte Himmelsstriche besuchet hat. Aber daß eben die se Verschiedenheit größtentheils in der Beschaffenheit einer Weltgegend ihren Grund habe, wird nicht einem jeden beym ersten Anblicke in die Augen fallen. Vielweniger wird er einsehen, daß die Gesetzgeber sich nicht selten nach der Beschaffenheit ihres Himmelsstriches gerichtet haben, und daß viele Gesetze auf eine weisliche Art in einem Lande

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notwendig sind, und die Wohlfahrt desselben erhalten, die in einem andern, nicht nur nicht üblich sind, sondern auch mit der Wohlfahrt desselben gar nicht bestehen können. Es ist gegenwärtig meine Absicht zu zeigen, erstlich, daß die Verschiedenheit der Himmelsgegend, oder des sogenannten Clima unter den Einwohnern des Erdbodens verschiedene Sitten und Gebräuche verursache, nachgehends aber, daß die vornehmste Pflicht eines Gesetzgebers dahin gehe, die Beschaffenheit seiner Himmelsgegend beständig vor Augen zu haben, und die Gesetze darnach einzurichten. Es ist zwar die Beschaffenheit der Luft, seit dem die Naturlehre ein neues Ansehen gewonnen, nicht gänzlich ununtersuchet geblieben. Doch hätte man denken sollen, die Aerzte, welche auf alles, was in dem äußern Zustande des Menschen einigermassen einen Einfluß hat, bedacht sind, würden sich weit mehr als die Philosophen und Scheidekünstler um die Luftwirkungen bekümmert haben. Es ist aber nicht geschehen. Leute, die sich mit dem Land- und Gartenbau beschäftiget haben, sind öfters weit aufmerksamer auf den Zustand der Luft und der Witterungen als die Aerzte

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gewesen; ja die letztern würden vielleicht in dieser Sache nichts versucht haben, wenn ihnen nicht ein berühmter engländischer Arzt, vor ungefähr 29. Jahren, den ersten Leitfaden an die Hand gegeben hätte, welchem sie in Erforschung der Luft sicher nachgehen durften. Inzwischen darf man nicht glauben, als wenn blos die Aerzte die Beschaffenheit der Luft ihrer Weltgegend zu erforschen verbunden wären. Es ist wahr, es ist dieses eine Pflicht, die ihnen vor andern besonders zukommt, weil sie die Gesundheit des Menschen und den äußern vollkommenen Zustand des Körpers zumAugenmerke haben. Allein, da die Luft vornehmlich dasjenige ist, welches die Verschiedenheit der Himmelsstriche ausmachet, so müßen auch alle diejenigen auf dieselbe Acht haben, die an der Wohlfahrt der Menschen auf eine oder die andere Weise arbeiten. Dahin gehören nun besonders diejenigen, welche auf den sittlichen Zustand ihrer Bürger ein wachsames Auge haben sollen. Ich werde hiervon in der Folge ein mehreres sagen. Wenn ich also von der verschiedenen Gemühtsart der Völker in den mancherley Himmelsgegenden reden will, so

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kann ich keinen bessern Weg erwählen, als wenn ich die Luftbeschaffenheit und ihre Wirkungen in Betrachtung ziehe, und daraus zeige , daß sie an den Charakteren der Nationen den größten Antheil habe. Ich will anfänglich yon der Wärme und Kälte der Luft reden. Die Hitze derselben muß besonders in die Lunge wirken. Die Naturforscher haben bemerket, daß das Blut der Thiere fast um 20. Grade kälter ist als gekochtes Wasser. Man kann sich also vorstellen, was für wunderbare Folgen in dem menschlichen Körper entstehen müßen, wenn die äußerliche Hitze der Luft, die thierische Wärme in einem Lande um 54. Grade übertreffen sollte, wie Herr Hales einsmal einen dergleichen heißen Tag in England gesehen hat. Wenn daher heiße Luft in die Lunge geschöpfet wird, so muß dadurch das Blut, wenn es durch dieselbe gehet, weit wärmer werden als es natürlicher Weise ist. Die Aerzte haben bemerket, daß in solchem Zustande das Blut aus der Lunge recht schäumend heraus tritt, ohnerachtet es vor seinem Eintritte in dieselbe nur mittelmäßig warm gewesen. Hiedurch entstehen nun überaus wichtige Folgen. Hält die Hitze der äußern Luft lange an,

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oder ist gar der Himmelsgegend eigen, so werden die flüchtigen Wassertheilchen des Blutes durch die innere Hitze desselben herausgetrieben, und verstiegen. Die zähen und röhtlichen Theile desselben bleiben zurücke, und werden mit der Zeit noch immer mehr verdicket. Dieses ist eine allgemeine Erfahrung, die an den Einwohnern der heißen Länder ist gemachet worden, und deren Blut man beym Abzapfen schwarz und dick befunden hat. Zwar sucht die Natur, wie Herr Arbuthnot gar wohl angemerket hat, diesen Abgang der ölichten Theile des Blutes dadurch zu ersetzen, daß sie den Einwohnern des Landes eine Menge Gewürze und solche Pflanzen liefert, die wiederum zur Verdünnung und Flüßigkeit des Geblütes dienen, wenn sie gebrauchet werden. Andere haben geglaubet, das viele Trinken, zumal des Wassers, wäre in den warmen Ländern zur Verdünnung des Geblütes von besonderem Nutzen. Bernier trank zu diesem Ende auf seinen Reisen in Süden täglich über zehen Kannen Wasser, deren er jegliche, so bald er sie getrunken hatte, aus allen seinen Gliedern, sogar aus den Finger spitzen wie einen Thau heraustreten sähe. Allein die Erfahrung hat bey dem

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allen gelehret, daß dieses noch lange nicht so viel wirke, daß nicht das Geblüt allezeit dicker bleiben sollte, als es natürlicher Weise in einer gemäßigten Himmelsgegend seyn würde. Es muß daher dieser unnatürliche Zustand des Blutes, die Leute in diesen Ländern träge, schwermühtig, schwach, und zu den meisten sauren Arbeiten, oder zu langwierigen Geschäften ungeschickt machen. Eben dieses ist der Charakter, den der Hr. de la Condamine den Indianern in Peru beyleget und den andere Reisebeschreiber uns von den Südländern machen. Was ich von der Hitze gesagt habe, davon wird das Gegentheil bey der Kälte erfolgen. Da sie die Luft dichter macht, so wird sie auch die äußern Fibern des menschlichen Körpers stärker spannen, und die Feuchtigkeit in denselben zusammen ziehen, ja die Fibern sind in den kalten Ländern gleichsam in einer beständigen Schwingung. Und dieses wird um so viel merklicher, je mehr die äußere kalte Luft einen freyen Eingang in die Lungengefäße hat. Weil nun auch hiedurch die innern Gänge und Röhren in etwas zusammen gezogen, und enger werden, so gewinnen sie dadurch eine

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größere Spannkraft und befördern den Cirkellauf des Geblütes um ein vieles. Die nächsten Folgen hievon sind, daß die Leute in den kalten Gegenden munterer werden, daß die äußern Fibern mit den Wirkungen, die das Herz inwendig hervorbringet, in einem bessern Verhältnisse und Gleichgewichte stehen. Montesquieu drücket die Wirkungen der Luft in diesen Himmelsgegenden folgendergestalt aus : „ Diese Leute besitzen ein größeres Vertrauen auf sich selbst, das ist, einen größeren Muht; mehr Kenntniß von ihren Vorzügen, das ist, weniger Verlangen sich zu rächen; ein besseres Vertrauen gegen ihre Sicherheit das ist, ein freyeres Bezeigen in den äußerlichen Handlungen, weniger Argwohn, Staatsstreiche und List.,, Bey dem Unterschiede, der zwischen den Einwohnern der warmen und kalten Länder herrschet, ist noch dieses anzumerken, daß in den warmen Ländern die äußersten Ende der Nerven an der Oberfläche der Haut offen, und noch über dieses jederzeit schlaff und länger sind, als sie natürlicher Weise bey kälterer Luft seyn würden. Sie werden also von den geringsten Veränderungen, die von außen vorgehen, angegriffen.

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Hergegen in den kalten Erdstrichen sind diese äußern Theile der Nerven kürzer, gespannet, und zugleich mit der Haut zu sammen gezogen, so, daß wenn eine Bewegung in den Nerven, folglich eine Empfindung geschehen soll, beynahe die ganzen Nerven in Bewegung gesetzet werden müßen. Daher ist man in diesen Gegenden für das Vergnügen lange nicht so empfindlich als in den heißen. Ein Engländer ist bey einer Musik ganz geruhig, bey welcher der Wälsche außer sich ist. Eben so gehet es auch mit der Empfindung des Schmerzens zu. Montesquieu sagt, man muß einen Russen schinden, wenn er es fühlen soll.

(Die Fortsetzung folgt über acht Tage.)


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Topic revision: r9 - 15 May 2011, MarleneBurgstaller
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