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XXX.
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Beschluß von den vier Stuffen des menschlichen Alters.
Ihre Auferziehung ist die gemeinschaftliche Sorge der Aeltern, und ihr Wachsthum im Guten die Wohllust ihres Herzens. Sparsamkeit ordnet ihre Haushaltung, eine rühmliche Geschäftigkeit würzet die einfachen und gesunden Speisen. Mit Freuden belohnen und schätzen sie die Lehrer, die ihren Kindern durch Beyspiel und Unterricht zeigen, was nützlich, ehrbar und rechtschaffen ist. Keine Ausgaben werden ihnen leichter, als die sie anwenden müßen, die Erben ihres Namens und ihrer Tugend auf die Pfade der Gottesfurcht, der Ehrbarkeit und der Weisheit zu führen. Sie sehen an wohlgerahtenen Kindern den herrlichen Lohn ihrer Sorgfalt und den reichlichen Wucher der
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glücklich verwendeten Summen ins unendliche vervielfältigt. Ist wohl für dem Rechtschaffenen ein größeres Glück, und eine edlere Freude zu denken, als das Bewußtseyn, dem Himmel würdigi Bewohner, und dem Staate nützli che Glieder erzogen zu haben.
In seinem Hause ist dieser Mann ein liebreicher Gatte und sorgfältiger Vater, außer demselben durchgangig ein recht schaffener Patriot. Mit redlichem Her zen ehrt er die Oberkeit, die ihm Gott gesetzet hat, und unterwirft sich ihren Verordnungen und Befehlen mit Freu den. Er kennet und er füllet, nach als len Kräften, den ganzen Umfang seiner bürgerlichen Pflichten. Die Wohlfahrt seines Standes ist ein Labsaal seiner Seele. Nie hat der hämische Neid ei nen Eingang zu seinem Herzen gefunden. Mit einem maßigen Glücke zufrieden, ist er desto vergnügter, je mehr er die Glück seligkeit seiner Nebenmenschen befördern kann. Je mehr Verbindungen, in die er sich einlaßt, desto mehr Gelegenhei ten, Proben seiner Treue und seines Ei fers zu geben. Bey allen Geschäften seines Amtes zieht er das Urtheil seines wachsamen Gewissens zu Rahte. Die Vortheile des Staates, und das Wohl
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seiner Familie sind der wahreste Gesichtspunkt, nach welchen er alle seine Bemühungen einrichtet. Gerecht und billig in allem, was er unternimmt, ist ein richtiger Vorsprecher betrübter Wittwen, und lindert mit redlichem Eifer den Jammer verlassener Waisen. Dem Bedrängten gönnet er gern seinen Schutz, und nie versagt er dem Nothleidenden seine Hilfe. Seine Ohren stehen immer der Stimme der Klagenden offen. Mit dem anbrechenden Morgen öffnet sich seine Thüre denen, die seines Rahts und seiner Hilfe bedürfen, auch am spätesten Abend ist sie den Hilftosen nicht verschlossen. Verführerische Geschenke dürfen nie seine wohlthätige Hand entheiligen ; und seine Redlichkeit ist vor den Augen des Allwissenden nicht verborgen. Der Seegen des Herrn ruhet auf seinem Hause, und verbietet dem Mangel, sich seiner Wohnung zu nähern. Unerschrockenheit ist sein Mantel, und die Gerechtigkeit die Zierde seines Hauptes. Die Tugenden seiner Vorältern sind sein Spiegel, die Rahtschlüsse der Weisen seine ernstlichste Betrachtung. Auf der Strasse sind Leutseeligkeit und Ehrbarkeit, seine beständige Begleitung. Die Jugend siehet ihn
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mit Ehrfurcht, und die Alten behten um die Verlängerung seines rühmlichen Lebens. Er ist die Ehre seines Standes, und die Krone seines Hauses. Stolz und Verschwendung haben nie den Glanz seiner Tugenden verdunkelt. Alle Stände haben in seinen Augen ihre eigenthümliche Ehrwürdigkeit, die man nicht ungestraft entweihet. Er verehret den Eifer öffentlicher Lehrer, und ermuntert die Lernenden zum Fleiße. Er schätzet die Empfindungen der Künstler, und rühmet den Fleiß der Handwerker. Nach seinem Urtheile ist alles achtungswehrt, was auf die Vortheile des Staates, und auf die Beqwemlichkeit des Mitbürgers den mindesten Einfluß hat. Sein ganzes Leben ist Gott, dem Staate, und seiner Familie gewidmet. In dieser glücklichen Verfassung verstreicht der Sommer und Herbst seines Lebens. Noch immer arbeitet die Seele des Patrioten mit Lebhaftigkeit zum Dienste des Vaterlandes. Seine Hahre verbleichen im Schmucke des ehrwürdigen Alters, und sein munterer Körper fühlt an der Gränzscheidung zwischen dem Manne und dem Greise noch die glücklichen Folgen der jugendlichen Mäßigkeit und der männlichen Gemühtsruhe.
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Der Greis.
Schön ist die Sonne, die sich zur Herbstzeit in Westen verlieret, schöner noch der Abend des Gebens eines frommen patriotischen Greises. Itzt ruht er von der Arbeit, und von den rühmlichen Geschäften, die seine bisher angestrengten Kräfte verzehret. Seine liebste Beschäftigung ist eine beständige Unterhaltung mit Gott, seinem unendlichen Wohlthäter. In der ruhigen Stille seiner Einsamkeit überleget er seinen bisherigen Wandel. Sein Gewissen — welche Glückseligkeit! lächelt ihm Beyfall und Erqwickung zu. Des Nachts stellen seine Thaten sich seinen Augen vor, und er fühlt im Innersten seiner frommen Seele mit Entzückung, daß sie alle im Buche des Lebens aufgezeichnet stehen. Er ergötzet sich, seinen Kindern Weisheit zu lehren, und seinen Enkeln die Wege des Herrn zu zeigen. Ihre unschuldigen Ergötzungen sind eine Ermunterung seines Herzens, und das fröhlige Lallen der Unmündigen erqwicket seine Seele. Unvermerkt fließen die Stunden des Tages über sein Haupt dahin. Der Abendstern siehet ihn in seinem Gebehte verharren, mit Innbrunst des Herzens seinen
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Schöpfer für die Beschützung des Vaterlandes anstehen, und für die Erhaltung seines Lebens danken.
Itzt eilet er mit starken Schritten dem Ziele seines Lebens und der Ewigkeit entgegen. Sein Stundenglas ist ausgelaufen ; und das Leben des frommen Greises ist einer Lampe gleich, die lange zum Nutzen der Menschen geleuchtet, und die itzt sanft zu verloschen drohet. Sas Gefühl seines herannahenden Todes, ist ihm eine Bohtschaft des Friedens und ein Wink zur erwünschten Ruhe. Schon längst erwartete der Rechtschaffene diesen seeligen Wechsel. Sein letztes Lager ist eine Schule der Gottseeligkeit. Selbst Engel feyern die merkwürdige Stunde seines Todes. Ist wohl etwas Ehrwürdigeres zu denken, als das Sterbebett des Gerechten, dieses Augenmerk der Engel, das frohe Gerücht im Himmel?
Schon kostet der entschlafende Greis den Vorgeschmack himmlischer Wonne. Schon brechen durch die Falten seines Antlitzes Züge der Verklärung hindurch. — Ein frommer Mann und ein Engel — welch eine dünne Scheidewand befindet, sich zwischen ihnen beyden! was trennet ihr Schicksal ? vielleicht ein Augenblick.
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Uiberzeugt, daß der Tod keine Schrecken, als die ihm das schwache Leben mittheilet, und daß das Leben keine wahre Freude hat, als welche der liebreiche Tod erhöhet, bewillkommet der sterbende Greis den herannahenden Tod, als einen erwarteten Freund; als den Befreyer, welcher den Menschen errettet; als den Vergelter, welcher den Erretteten krönet, und allen seinen Sorgen, Arbeiten, Tugenden und Hoffnungen, Wirklichkeit schenket.
Vor dem Sterbebette dieses Frommen zerfließet die getreue Gattinn in wehmühtigen Trähnen, in Trähnen, die nicht sowohl den Tod dieses Gerechten, als ihren großen Verlust beklagen. Liebreich drückt er ihre zitternde Hand. Bald, sagt er mit leiser gebrochener Stimme, bald werde ich in einem bessern Leben, dich, meine Theuerste, wieder umfangen. Mit Freuden gebe ich diese irrdischen Hülle der mütterlichen Erde zurück, wenn indessen der unsterbliche Theil meines Wesens zu seinem Urheber emporsteigt. — Kommt meine Kinder, tretet heran, meine Enkel, daß ich euch segne, und mein Andenken in euren redlichen Herzen verewige! — Wechselsweise legt er die Hände auf ihre
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Häupter seegnet sie, und behtet für sie, schließet behtend die brechenden Augen, und schlummert lächelnd in die Ewigkeit hinüber, wo ihn ein unendlicher Lohn seiner Rechtschaffenheit erwartet.
Die ganze Stadr empfindet diesen Verlust. Der Staat verliert einen gewissenhaften Patrioten, die Kirche einen wohltätigen Christen, die Gattinn sieht sich der Krone ihres Hauptes, Kinder und Enkel, des lebendigen Beyspieles beraubt, das sie die Wege des Herrn lehrte. Alles beweinet, alles segnet ihn. Traurig folgen die Mitbürger seiner Bühne. Ihre Trähnen sind seine kräftigste Lobrede. Sein Name ruhet unvergänglich in ihren Herzen, und sein Gedächtniß wird von der spätesten Nachwelt gefeyert.
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