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XXXI.
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Von der Zahl der Menschen auf dem Erdboden.
Wann die Rede von der Bestimmung der Zahl der Menschen auf dem Erdboden ist, so verstehet es sich von selbst, daß solche mit keiner arithmetischen Gewißheit, sondern nur muhtmaßlich, und ungefähr angegeben werden könne. Daher kömmt es auch, daß die Berechnungen in diesem Stücke so sehr voneinander unterschieden sind. Ich will meinen Lesern heute eine mittheilen, welche aus den wahrscheinlichsten Meynungen der Gelehrten, von einem selbst viel gereisten Manne entworfen worden ist. Er beweiset zu Anfange, daß die Zahl der Menschen auf dem Erdboden sich niemals merklich, in Ansehung der grossen Summe vermehre, oder vermindere; und daß in 30 bis 40 Jahren fast das ganze menschliche Geschlecht
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verneuert, und verändert werde. — Für Europa setzt er 109 Millionen, eine Zahl, die von der Rechnung des Herrn
Licent. Hübners sehr weit unterschieden ist, als welcher sie nur auf 30 Millionen schätzet. Für Asien giebt er 400, für Afrika 100, und ungefähr 120 Millionen für Amerika an. Solchergestalt würde sich die Zahl aller Einwohner des Erdbodens auf 729 Millionen Menschen belaufen. In Ansehung unseres Welttheiles, rechnet er 8 Millionen Menschen in Spanien, und Portugall; 20 in Frankreich; 20 in Deutschland, und Hungarn; 5 in den Niederlanden; 16 in Dännemark, Schweden, Norwegen, und Rußland; 11 in Italien, und den dazu gehörigen Inseln; 8 in England; 16 in der europäischen Türkey, und 7 in Pohlen, welche zusammen 109 Millionen ausmachen. In Paris sowohl, als in London wird die Zahl der Menschen auf 800000 gerechnet. Uiberhaupt sieht man aus allen Geburtslisten grosser, und kleiner Städte, daß alle Jahre mehr Knaben als Mägdchen gebohren werden, welches die Vorsehung des Schöpfers nicht umsonst also weislich geordnet hat, weil das erstere Geschlecht, weit mehreren Gefährlichkeiten unterworfen ist, als das
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letztere. Denn, obgleich vieles Frauenzimmer in den Wochenbetten das Leben verlieret, so kann doch ihre Zahl in keine Vergleichung mit der Anzahl der Männer gesetzet werden, welche alle Jahre der Krieg, die See, und andere Gefährlichkeiten dahin raffen.
Erfahrungssätze von der Geburt, und dem Sterben der Menschen.
1. Die Anzahl der Gebohrnen ist immer größer als der Sterbenden. 2. Das menschliche Geschlecht wächst beständig an. 3. In hundert Jahren verdoppelt sich das menschliche Geschlecht. 4. Ungesunde Jahre, Seefahrten, Pest, und Kriege machen, daß das menschliche Geschlecht niemals beträchtlich ab oder zunimmt. 5. Man rechnet ordentlich auf eine Ehe 4 Kinder. Man schränket diese Zahl nur auf 4 ein, um für unfruchtbare Ehen etwas abgeben zu können.
1.) Es sterben mehr Kinder, als erwachsene Personen. 2.) Je näher ein Kind seinem Anfange ist ; desto mehr
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läuft es Gefahr zu sterben. Je älter ein Kind wird, desto mehr giebt es Hoffnung zum Leben. 3.) Im ersten Jahre sterben die meisten Kinder. Convulsionen und Zähne, sind die Ursachen ihres frühen Sterbens. Nach dem ersten Jahre werden ihnen Blattern, und Masern gefährlich. 4) Die sterbenden Kinder bis 5 Jahre voll, betragen die Hälfte von allen Sterbenden. So oft also ein Mensch zwischen 5, und 100 Jahren stirbt, so oft stirbt auch ein Kind, das noch nicht 5 Jahre erreicht hat. 5.) Nur ein Drittheil aller Gebohrnen überlebt das zehnte Jahr. 6.) Wann Kinder das zehnte Jahr erreicht haben, kann man sich erst Hoffnung auf ihr Leben machen; und daher ist es auch nicht rahtsam, auf Kinder vor dem 10ten Jahre Leibrenten zu nehmen. 7.) Es sterben mehr Söhne, als Töchter, und man findet doch mehr alte Frauen, als Männer. Hieraus stießen folgende Anmerkungen: a) Es ist sicherer auf das Leben einer Tochter Leibrenten zu nehmen, als auf das Leben eines Sohns. b) Ein Frauenzimmer hat mehr Hoffnung, aus einer
Tontine, mit den Jahren vermehrte Leibrenten zu ziehen, wenn viele Männer, als wenn viele Frauenspersonen darinnen
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eingeschrieben sind. 8) Unter 70. schwangeren Frauen, kostet es etwan einer das Leben; und unter 400 bleibt beyläufig eine in Kindesnöhten. 9.) Kaum der fünfte Theil der Menschen er reichet das 60igste Jahr. 10.) Vom 30ten Jahre bis zum 80sten, sterben allzeit im 10ten Jahre mehrere, als in den vorgehenden, und nachfolgenden. Man könnte also statt des siebenten, das zehnte Jahr, als ein Stuffenjahr annehmen.
Betrachtung der Fliege durch das Vergrößerungsglas.
Die häßliche gemeine Fliege ist ein Wunder der Schönheit, wenn man sie durch das Vergrößerungsglas betrachtet. So gewiß ist es, daß eine Schönheit nur von dem Gesichtspunkte allein abhängt! — Der ganze Leib dieser Fliege scheint eine Vermischung von Schwarz, und Silber zu seyn. Ihr Kopf bestehet aus zwoen halben Kugeln, die aus unendlich vielen kleinen Höhlen, die einem Netze gleichen, zusammengesetzt
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sind, und deren jede, für sich betrachtet, ein solches Netz ist. Diese Kugeln sind mit Hahren umgeben, die dem Silber gleichen. Der Kopf ist mit zwey kleinen Fühlhörnern, und einem rauhen Rüßel versehen, womit die Fliege ihre Nahrung zu sich nimmt. Dieser Rüßel theilet sich in zween Theile, und sie zieht denselben, wann es ihr beliebt, ganz in die Oeffnung hinein, die ihr anstatt des Mundes dienet. Das Ende desselben ist so scharf, wie ein Messer, und sie zertheilet damit dasjenige, was sie fressen will. Sie kann denselben auch wie eine Röhre zusammenlegen, wann sie Früchte und süße Säfte einsaugen will. Es giebt Arten von Fliegen, die durchsichtiger sind, als die übrigen, und in denen man die Bewegung der Gedärme vom Magen an, bis zum Ausgange derselben, beobachten kann. Einige Naturforscher haben geglaubt, daß die Füße dieser Thiere, mit einem klebrichten Safte angefüllet wären, wodurch sie sich an alles, was sie berühren, befestigen könnten. Allein, die wahre Ursache, warum sie sich an den glattesten Körpern festhalten können, bestehet in zweenen Hacken, oder Klauen an jedem Fuße, womit sie in die kleinsten Zwischenräume der Körper eingreifen.
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Die Platten ihrer Füße sind mit einer Menge kleiner Hahre, oder Spitzen besetzt, die ihnen zu dieser Befestigung noch mehr behilflich sind. —
Der Unterschied zwischen einem Gelehrten, und Ungelehrten.
Der menschliche Verstand ist also beschaffen, daß er mit aller seiner Arbeit, und allem Studiren, sich nur eine unvollkommene und sehr eingeschränkte Erkenntniß zuwege bringen kann; und auch diese Erkenntniß ist nicht völlig gewiß, sondern verwirrt, und mit Dunkelheit, und Zweifel vermischet. Man misbrauchet demnach das Wort Wissenschaft, wenn man es einer solchen Erkenntniß beyleget, die mit mehreren Rechte den Namen der Unwissenheit verdienet. Wann man dieses wohl begreift, so sieht man deutlich, daß derjenige, den wir gelehrt nennen, in der That ungelehrt, und der Unterschied zwischen die sem Gelehrten, und demjenigen, welchen wir ungelehrt nennen, so klein ist, daß
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man ihn kaum merket. — Ich vergleiche einen Ungelehrten und Gelehrten mit zween Menschen, mitten auf einem weiten, und ebenen Felde, davon der eine auf der Erde sitzet, und der andere stehet. Der Sitzende sieht nur das, was um ihn ist, bis auf eine sehr kleine Weite; und derjenige, welcher stehet, ein wenig weiter. Aber dieses Wenige, was er weiter siehet, ist so gering in Ansehung des Uibrigen dieses weiten Feldes, das er nicht siehet, auch nicht sehen kann; und noch geringer in Ansehung der ganzen Erde, daß es gar in keine Begleichung kommen, und gleichsam für nichts gerechnet werden kann. Wie sich nun das Gesicht des Sitzenden, gegen das Gesicht des Stehenden verhält, so verhält sich auch das Wissen eines Ungelehrten, gegen das Wissen eines Gelehrten; und es ist zwischen dem unermeßlichen Umfange dessen, so er nicht weis, und nicht wissen kann, eine eben so grosse Ungleichheit, als zwischen dem Endlichen, und Unendlichen!
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