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XIV.
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Beschluß des vorhergehenden Stücks.
Die ganze Stadt verabscheuet dieses Verfahren, und nur Feraldo war zufrieden, daß er seinen Schuldner in seiner Gewalt hatte. Er stellte seine Klage wider ihn an, und machte alle Anstalten, ihn gänzlich zu unterdrücken. Gonzales gerieht über die Gefangenschaft seines Vaters, in die äußerste Bestürzung. Er faßte einen kurzen Entschluß, und eilte den Feraldo zu sprechen. Er warf sich zu seinen Füßen, und versuchte alles, ihn zu bewegen; aber Feraldo hörte ihn ungerühret an. Er betrachtete den Kummer dieses jungen Menschen mit einer grausamen Gleichgiltigkeit, und er wollte ihn bereits wieder verlassen, als Gonzales seine beyden Kniee umfaßte. Weil ihr denn, fieng er mit trähnenden Augen an, weder durch das Unglück, noch durch das Bitten, noch durch
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die Versprechungen meines Vaters zu gewinnen seyd, so höret doch nur einen einzigen Vorschlag. Ihr wißt Feraldo, wie zärtlich mich mein Vater liebt, und wie eifrig er sich bemühen würde, mich aus dem Gefängnisse zu ziehen, wenn ich statt seiner, darinnen verschlossen wäre. Wohlan, habt die einzige Gnade für mich , und setzet mich an seine Stelle! Ich werde eine Geißel für seine Schuld seyn, und er wird nichts unterlassen, mich wieder zu befreyen. Ich bin jung, und in der Handlung noch unerfahren. Mein ganzer Fleiß wird unsere Sachen nicht wieder in Ordnung bringen, und er ist es allein, der meinem ganzen Glücke den Ausschlag geben kann. Ich begehre nichts von euch, was eure Forderung unsicher machen könnte. Ich will euer Gefangener seyn, und wenn ihr nicht befriediget werdet, es auch Zeit lebens bleiben! Nehmet mir nicht die Gelegenheit mein Herr, die Liebe zu bezeigen, die ich meinem Vater schuldig bin. Er ist schwach, und wenn sich sein Leben durch so vielen Gram bald beschließen sollte, so würde ich mir einen ewigen Vorwurf machen! Laßt euch meine Trähnen erbitten , und erlaubet mir, daß ich meinen Vater errette, welcher mich so zärtlich
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liebet , und der vieleicht nicht so unglücklich wäre , wenn er nicht sein Aeuserstes gethan hatte, mich glücklich zu machen. Ich warte mit Verlangen auf die Erlaubniß in das Gefängniß zu gehen, und ich will diese Einwilligung als eine Gnade betrachten, wofür ich euch unaufhörlich verpachtet seyn werde! Verwerft die Bitte eines verlassenen Sohnes nicht, der seinen unglücklichen Vater mit nichts, als mit seiner Liebe zu Hilfe kommen kann! Laßt mich der ganzen Stadt ein Beyspiel geben, wie sehr Kinder ihren Eltern verpflichtet sind. Der Ruhm davon, mein Herr, wird auf euch zurück fallen, und alle unsre Mitbürger werden euch dafür danken!
Feraldo hatte diesen Vorschlag nimmer mehr vermuhtet. Sein hartes Herz fieng an zu klopfen, und erinnerte ihn der Menschlichkeit. Er empfand gewisse Bewegungen , welche ihm bisher unbekannt gewesen waren. Die Trähnen dieses edlen Sohns, seine demüthige Gestalt, der in seinem traurigen Gesichte abgebildete Schmerz, und der ganz unerwartete Vorschlag, setzten ihm in Erstaunen, und bald darauf in Bewunderung. So viel Tugend hatte er sich bey keinem Menschen eingebildet, und sie that ihre
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ganze Wirkung. Feraldo, welcher bisher seinen Vorschlag in der schärfsten Strenge gesucht, umarmte den Gonzales , und hieß ihn aufstehen. Kommt, fieng er an, eure Tugend hat mich gerühret, und ich will sie gleich belohnen! Euer Vater soll noch heute frey seyn, ohne, daß ich euch an seiner Stelle wissen will! Ihr sollt dadurch erfahren, wie sehr ich die Tugend schätze! Ihr habt mich überwunden! Ihr verlangt zwar nichts, als euern Vater, aber das ist nicht,genug. Ich kenne eure Liebe zu meiner Tochter, und ich weis, daß sie euch gewogen ist. Ich will euch beyde Verbinden, und mir in euch einen Schwiegersohn erwählen, welcher das ädelste Gemüht hat. Leonore ist die eurige, und ich mache euch zugleich zum Besitzer meines ganzen Vermögens! —
So viel Wirkungen kann die wahre Tugend hervorbringen, und so gewiß ist es, daß ihrer Macht auch das roheste Herz nicht widerstehen kann!
Gonzales gerieht in die angenehmste Verwirrung, denn er erhielt nicht allein die Freyheit seines Vaters, sondern auch seine geliebte Leonore. Er konnte nichts anders thun, als sich wieder zu den Füßen seines Wohlthäters zu werfen.
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Die häufigen Trähnen verwehrten ihm die Rede, seine Mienen aber entdeckten dem Feraldo alles, was in seiner Seele vorgieng. Er hieß ihn abermal aufstehen, umarmte ihn auf das Zärtlichste, und verfügte sich gleich mit ihm in das Gefängniß.
Antonio ward sogleich auf freyen Fuß gestellet, und seine Freude ward nicht wenig vergrößert, als er von dem Feraldo erfuhr, wem er seine Freyheit zu danken hatte. — Die Freundschaftsversicherungen wurden aufs Neue wiederholet, und Antonio konnte in langer Zeit seinen Sohn nicht aus den Armen lassen, dem er mit den zärtlichsten Ausdrücken für seine Freyheit dankte. — Die Vermählung der beyden Verliebten ward in kurzer Zeit vollzogen, und die ganze Stadt nahm an dieser Freude Antheil. Man vergaß alles harte Verfahren des Feraldo , und man nannte ihn überall mit Ehrerbiehtung. Gonzales erhielt die Belohnung seiner Tugend , und sein Vater sah ihn, mit der erkenntlichsten Erinnerung, als seinen Erhalter an.
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Von den Schwalben.
Aus dem Journ. des Sçavants.
Man glaubt insgemein, daß die Schwalben beym Eintritte des Winters über das Meer ziehen , unterdessen saget doch der Pater Rircker, daß sie in den nördlichen Ländern sich nur in die Erde begeben , wo man sie oft im Winter gefunden hat; daß sie auch bisweilen auf dem Grund des Wassers gehen, und im Pohlen es den Fischern sehr was Gewöhnliches sey, daß sie grosse Haufen Schwalben fangen, die sich mit den Schnäbeln und Fußen fest aneinander halten , und wann sie an einen warmen Ort gebracht werden, sich zu bewegen anfangen.
Diese Anmerkung wird durch andere gute Schriftsteller bestätiget. Herr
Schäfer, öffentlicher Lehrer auf der upsalischen hohen Schule in Schweden, sagt, es sey gewiß, daß sich die Schwalben gegen den Herbst in die Sümpfe
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versenken , und viele Personen hätten versichert , daß sie oft Schwalben beym Fischen herausziehen gesehen, welche, wenn man sie ans Feuer gebracht, wieder lebendig geworden waren. Der alte Bischof von
Arranches, Herr
Huet, der in Schweden gewesen, versichert eben dasselbe, und setzet hinzu, daß sich die Schwalben an andern Orten in Höhlen, und unter die Klippen verstecken. — Zwischen der Stadt
Kaen, und dem Meere, langst dem Flusse
Ourne, sind viele solcher Höhlen, wo man an dem Gewölbe derselben des Winters bisweilen ganze Haufen Schwalben in Gestalt der Weintrauben hangend gefunden hat. Eben dieses hat man schon lang in Italien bemerket, denn,
Peter Albino Vanus, in dem schönen Trauergedichte,* so er auf den Tod des
Mecänas geschrieben, giebt es als ein Zeichen des einbrechenden Winters an, wenn sich die Schwalben in den Felsen verstecken.
*
Congelantur aquae, scopulis se condit hirundo,
Verberat egelidas garrula vere lacus.
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Der gerechte Richter.
Ein armer Mann in
Smirna, machte Anforderung an ein Haus, welches sich ein Reicher zugeignet hatte. Der erstere brachte seine Kontrakte und Dokumente, sein Recht zu beweisen, mit in das Gericht. Dieser aber hatte sich eine Anzahl Zeugen verschaffet, die Anklage seines Gegners zu entkräften; und ihre Aussage zu unterstützen, gab er dem Kadi einen Beutel mit 500 Dukaten. Es kam zum Verhöre. Der arme Mann brachte seine Schriften hervor, allein es fehlte ihm an den nohtwendigsten, und allein giltigen Beweisgründen der Zeugen. Der
Reiche stützte sich auf seine Zeugen, und drang in den Kadi, weil solche seinem Gegner fehlten, ihm das Haus zuzusprechen. Der Kadi aber zog den Beutel mit den 500 Dukaten hervor , und sagte zu dem Reichen: Ihr habt euch sehr geirret, denn, wenn der arme Mann keine Zeugen zur Bestätigung seines Rechtes hat vorbringen können, so kann ich selbst deren 500 aufweisen. Er warf ihm darauf dem Beutel mit Verachtung zu, und der Kläger bekam das Haus.
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