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XVII.
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Todtengespräch über die Genügsamkeit
Themistokles, und
Diogenes.
D. Ist es auch wahr, Themistokles, daß der grosse König Dir fünf Städte für deinen Unterhalt angewiesen hat?
T. Ja es ist wahr, und diese Städte waren: Magresia, Lampsakus, Miunte, Perkote, und Palestepsia. Die erste mußte mir mein Gebackenes verschaffen, die zwote mein Getränk, die dritte Gesottenes und Gebrattenes, die vierte die Kleider, und die fünfte das Schlafzeug.
D. Schatten des Themistokles, wie kömmt es doch, daß ein Leib, der von fünf Städten ernähret worden, keinen fetteren Schatten, in diese untere Welt gebracht hat, als der ausgehungertste Mensch mit sich bringt?
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T. Ist hier der Ort zu scherzen, Diogenes?
D. Nein, aber bekenne mir, hast Du dir das Leben nicht darum mit Gift verkürzet, weil du fürchtetest, für Hunger zu sterben?
T. Wie frostig ist dein Gelächter, an diesem ungeheuren Orte, und was für ein gespenstmaßiges Aussehen hast du dabey!
D. So sage mir denn im wahren Ernste, von welcher Natur, und Größe war Dein Körper ?
T. Ha! von der Statur eines Menschen! Sechs Schuhe hoch, oder etwas kürzer.
D. Ich dachte, du wärest ein Berg von Knochen, und Fleisch gewesen, daß du eine Stadt zum Brodkasten, eine andere zur Speisekammer, noch eine andere zum Keller, und noch zwo zu Kleider und Gerähtsladen nöhtig gehabt hattest. Mein Leib war so groß, als deiner, und ich hatte doch zu diesem allen, nichts mehr als ein Faß nöhtig.
T Ja, Dein Faß war das rechte Hundeloch, für ein solches cynisches Thier!
D. Mein Faß stund mit der Größe meines Körpers in der gehörigen Proportion; aber Deine fünf Städte hatten
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gar kein Verhältnis mit deinem sechs schuhigen Leibe.
T. O! Du hast es niemals erfahren, wie angenehm es ist, aus einem grossen Vorrahtshause zu nehmen.
D. Schmeckt denn ein Schäffel Waitzen, der aus einem grossen Magazine genommen wird, besser, als einer aus dem kleinsten Fruchtkasten; und ist ein Krug Wasser aus dem Strome niedlicher, als einer aus dem Bache?
T. Aber ein Krug Lampsackerwein ist niedlicher, als ein Krug Wasser, und ein Acipenser ist schmackhafter, als ein Schwamm, den die faule Erde hervorstößt.
D. Ein hungriger Magen, wird in der schlechtesten Speise, und dem einfältigsten Tranke eben so viel Schmackhafttigkeit finden, als in der leckersten Kost.
T. Die Geschichte mit den fünf Städten, so unnöhtig und überflüßig sie zu meinem Unterhalte waren, wird immerfort ein Beweis bleiben, daß ich mir die Gunst, und Gewogenheit der grossen Herren zu erwerben gewußt habe.
D. Es wäre ein größerer Ruhm für Dich gewesen, wenn Du die Kunst gewußt hättest, ihre Gunst so gut zu entbehren, als ich gethan habe.
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T. Du hast lieber dem Pöbel für einen Pickelharing gedienet, und ihm mit Deinem possilichen Leben, täglich etwas zu lachen gemacht.
D. Wenn Du der Sache recht nachdenkest, so wirst du finden, daß der Pöbel nicht über mich, sondern über sich selbst gelacht hat; indem mein Leben nichts anders war, als eine Verspottung des gemeinen Lebens der Menschen. Ich erwarb mir die Gunst der Leute damit, daß ich ihnen ihre Wahrheiten trocken heraus sagte; Du aber hast die Gnade des Persers durch sklavische Schmeicheleyen erkaufet.
T. Ich wußte mich in die Zeit zu schicken, und mit Komplimenten dem Glücke so geschickt aufzuwarten, daß ich seine Gunst erhielt.
D. Ich weis Deine Geschichte. Du mußtest dich entschließen, ein Ding von Bein, Adern, Fleisch, und Haut, von einer gleichen Art, wie Deine war, kniefällig zu verehren. Und was noch schändlicher ist, so mußtest Du die Rolle eines Verrähters auf dich nehmen.
T. Du willst den Namen haben, daß Du an niemand gebunden gewesen seyst, und warst doch denen, die dir ein Gericht Zugemüte mittheilten, Dein Leben schuldig.
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D. Du irrest. Ich forderte es von ihnen, als etwas, darauf ich Anspruch hatte, weil es die allgemeine Speisekammer, die Erde, für mich hatte wachsen lassen. Hast Du nicht gehört, was ich einem Freunde, der mich zum Nachtessen eingeladen hatte, zur Antwort gab? — Ich werde nicht erscheinen, sagte ich, denn, ich kann es Dir nicht verzeihen, daß Du das letztenmal, als ich bey Dir speiste, aus der Acht gelassen hast, mir zu danken.
T. O! des stolzen Bettlers!
D. Sage vielmehr, des freyen Menschen , der niemandes vonnöhten hatte, weil er nichts mehr begehrte, als was mit dem kleinen Maaße seines Körpers übereinstimmte. Hast Du meine Geschichte mit dem Macedonier nicht vernommen?— Er schickte einen seiner Officieren, und ließ mich zu sich holen; aber ich schlug es ihm ab, weil ich eben Willens war zu schlafen. Er kam darauf zu mir, fragte mich über vielerley Dinge, und boht mir dabey ansehnliche Geschenke an. Ich beantwortete seine Fragen, aber seine Geschenke schlug ich härtnackig aus.
T. War es Dir ein solcher Ernst beym Ausschlagen, als beym Antworten?
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D. Ich stritt lange mit den Gedanken, etwas auszufinden, was ich nicht hätte, oder nicht entbehren könnte; und mein Vorhaben war, es alsdann von ihm zu begehren. Aber ich fand nichts, das mir gemangelt hätte, als die Sonne, der er mich mit seinem Zwischenstande beraubet hatte. Ich forderte demnach von ihm, daß er mir das Licht der Sonne, welches er mir nicht geben könnte, auch nicht nehmen sollte. Dieses vermochte ihn zu sagen: daß, wenn er nicht
Alexander wäre, er Diogenes seyn möchte!
T. Wußte er aber auch, was er sagte?
D. Das ist keine Frage, Aristoteles hatte ihm den wahren Werht der Dinge gezeiget, und ihm die Grundsätze, und Lehren aller philosophischen Sekten erkläret. Dem ungeachtet konnte er seine Begierden nicht beherrschen. Sie waren so übermäßig, daß ihm der Erdboden ein kleiner Raum zu seyn dünkte. Hingegen schien mir mein Faß so geräumig, als eine Erde. Warum? weil ich eiu größeres, und von keinem Raume eingeschlossenes Gemüht hatte. Er weinte, weil nur eine Erde wäre, die er einnehmen könnte. — Alexander erkannte
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meinen Vorzug, und daher entstand sein Urtheil. Mein kleines Faß machte mir mehr Ehre, als Deine fünf Städte. Hattest Du mit einem Fasse vorlieb nehmen können, so hatte sich der Neid nicht an Dich gewagt, der Dir das Leben so mühseelig und beschwerlich gemacht, indem er hundert Verläumder und Meuchelmörder auf dich losgelassen hat; und Du wärest dann auch nicht genöhtiget worden, dein Leben mit eigener Hand zu verkürzen.
T. Die Großmuht meines Todes wird mir allzeit Ehre machen, indem ich mir lieber den Tod anthun, als wider mein Vaterland zu Felde gehen wollen, ungeachtet ich in diesem Kriege meinem Ehrgeitze, und meiner Rachgier ein Genüge hätte thun können. Aber bist Du nicht auch durch deine eigene Hand gestorben ?
D. Ja. Aber es nöhtigten mich keine fremden Umstände dazu. Du hattest dich bey dem grossen Könige verbindlich gemacht, daß Du wider die Griechen zu Felde gehen wolltest. Doch schämtest Du dich die Waffen wider dein Vaterland zu führen, und noch mehr fürchtetest Du, daß Du geschlagen werden möchtest. Und aus dieser Noht konntest du Dir nicht
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anderst, als durch einen gewalttätigen Tod helfen. Ich erwürgte mich ohne dergleichen Zwangursachen; nur, damit ich mir von einem Fieber hülfe. Ich konnte Arzneyen nehmen, oder warten daß es auswütete, aber ick wählte lieber dieses geschwinde Mittel.
T. Wahrhaftig ein bewahrtes Mittel wider alle Krankheiten! Aber dieses Mittel muß mit dem Leben bezahlet werden.
D. Kannst Du sagen, daß wir nicht mehr leben, da wir so denken, uns unser dergestalt bewußt sind, und so miteinder sprechen?
Ein Gedanke.
Etwas versprechen, das man nicht halten kann, ist Thorheit, und Unvernunft, etwas versprechen, das man nicht halten will, ist Betrug, und Falschheit; und etwas versprechen, das man nicht halten darf, ist Gottlosigkeit.
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