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XXII.
(P169)
Beschluß der Gedanken von dem Uibergange der Hunnen nach Amerika.
Die Sprache einiger
mitternächtigen Amerikaner, kömmt mit dem Dialekte, der noch itzt in der
Tatarey befindlichen hunnischen Abkömmlinge sehr viel überein, und
Lafitau zeiget, daß die Wörter: Honouguras, Onouguras, Onega, und mehrere dergleichen, von beyden dieser Nationen, in gleichem Verstande gebrauchet werden. Die hunnische Litteratur hat zwar Herr
Bel, so wie
Stralenberg die
tatarische, und Lafitau die amerikanische beschrieben, aber alle dreye sind so unvollkommen, daß man noch davon etwas Vollständigers wünschen muß.
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Von den ägyptischen Pyramiden.
Eine Pyramide ist ein dichter, oder auch hohler Körper, der einen breiten, und gemeiniglich viereckichten Fuß hat, und zuletzt spitzig zugeht. In Aegypten waren drey Pyramiden vor allen andern berühmt, die nach dem Berichte des
Diodorus aus Sicilien, wehrt waren, unter die sieben Weltwunder gesetzet zu werden. Sie befanden sich nicht weit von der Stadt
Memphis. Ich will nur von der größten unter diesen dreyen hier etwas anführen. Sie war, wie die andern, auf einen Felsen gebauet, der ihr zum Grunde diente, vom Fusse aus viereckicht, von außen aber stuffenweise abgesetzt, und in der Höhe zu, immer schmäler, und spitziger. Sie war von ungemein grossen Steinen erbauet, deren die kleinsten, über dreyßig
Schuhe maaßen. Diese waren besonders künstlich ausgearbeitet, und mit hieroglyphischen Figuren bedecket. Wie
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einige der alten Schriftsteller behaupten, so hatte jede Seite achthundert Schuhe in der Breites und eben so viel in der Höhe. Das Oberste an der Pyramide, welches von unten auf, so spitzig als eine Nadel zu seyn schien, war ein schöner ebener Platz von zehen bis zwölf grossen Steinen, und jede Seite dieses ebenen Platzes war sechszehen, bis siebenzehen Schuhe lang.
Die Seite des Fusses der viereckigt ist, beträgt 110.
Klaftern; die Seiten aber sind gleichseitige Dreyecke, daher ist also die Oberfläche der Basis 12100. Quadratklafter, die
Perpendikularhöhe 77 3/4 Klafter, und die Dicke 313590. kubische Klafter.
Hundert tausend Werkleute arbeiteten an dieser Pyramide, und alle drey Monate wurden sie von eben so vielen abgelöst. Zehn ganzer Jahre brachte man zu, nur die Steine, entweder in Arabien, oder in Aethiopien zu brechen, und sie nach Aegypten zu führen; und andere zwanzig Jahre wurden zur Auferbauung dieses ungeheuern Gebäudes angewendet, welches innwendig eine fast unzählige Menge Behältnisse und Säle hatte. Man bemerkte auf der Pyramide mit ägyptischen Buchstaben, was sie nur
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allein an Knoblauch, Zwiebeln, und andern Zugemüsen, womit man die Arbeiter verleget, gekostet hatte; und diese Summe belief sich auf sechszehn hundert
Talente Silbers, oder, nach unserer Rechnung auf eine, und eine halbe Million
Thaler: woraus man nun leicht den Überschlag machen kann, wie ungeheuer die Kosten in dem Uibrigen gewesen seyn müßen. Dieses waren nun die weltberühmten ägyptischen Pyramiden, die sowohl wegen ihrer Gestalt, als wegen ihrer Größe, über Zeit und Barbarey gesieget haben. Allein, so sauer es sich die Menschen werden lassen, so blicket doch überall ihre Nichtigkeit hervor. — Diese Pyramiden waren nichts anders, als Gräber; und man siehet noch heut zu Tage in der Mitte derjenigen, welche die größte war, ein leeres Grab, in einen einzigen Stein gehauen, welches in der Breite und Höhe ungefähr drey Schuhe hoch, und etwas über sechs Schuhe lang ist. — Und, was war denn der Endzweck so vieler Bemühungen, so vieler Unkosten, so vieler Arbeit, die man Millionen Menschen so viele Jahre lang auflegte? — Kein anderer, als einem Fürsten in diesem grossen Umfange, und in diesem ungeheuren Gebäude ein Grab
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von sechs Schuhen zu verschaffen! Aber, was noch mehr ist, so stand es nicht einmal in der Macht derjenigen Könige, die diese Pyramiden erbauet hatten, sich daselbst begraben zu lassen, und sie genossen ihres Begräbnisses nicht. Der öffentliche Haß, den man wegen der unerhörten Grausamkeit, die sie an ihren Unterthanen verübten, wenn sie dieselben mit Arbeit ganz überschütteten, wider sie hegte, zwang sie, daß sie sich an unbekannte Oerter begraben lassen mußten, um ihre Leichname der Kenntniß, und der Rache des Volks zu entziehen. Dieser letztere Umstand, welchen die Geschichtschrieber so sorgfältig angemerket haben, lehret uns, was wir für ein Urtheil von diesen so sehr gerühmten Werken des Alterthums fällen sollen. Es ist vernünftig, und billig, daß man den guten Geschmack der Aegyptier in der Baukunst, daran bemerket, und hochschätzet. Denn dieser Geschmack trieb sie, gleich vom Anfange, ehe sie noch Muster zur Nachahmung hatten, dazu an, daß sie in allen Dingen aus das, was groß ist, sahen, und sich nur bey dem wahren Schönen aufhielten, ohne sich jemals von einer edeln
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Einfalt zu entfernen, in welcher die äußerste Vollkommenheit der Kunst bestehet. Allein, was soll man wohl von diesen Prinzen halten, denen es etwas Grosses zu seyn schien, wenn sie durch Hilfe so vieler Hände, und so vielen Geldes grosse Gebäude aufführen ließen, in der einzigen Absicht, ihren Namen zu verewigen, und die sich kein Bedenken machten, Millionen Leute umkommen zu lassen, wenn sie nur ihrer Eitelkeit ein Genüge thun konnten! Sie waren von dem Geschmacks der Römer weit entfernt, die sich zwar auch durch prächtige Werke zu verewigen suchten, allein nur durch solche, die dem öffentlichen Nutzen gewidmet waren.
Plinius giebt uns in wenig Worten einen gemäßen Begriff von diesen Pyramiden, wenn er sie eine thörichte Pralerey der Reichthümer der Könige nennet, die auf gar nichts Nützliches abzielte. (*) Und er fügt noch hinzu, es sey eine gerechte Strafe, daß ihr Gedächtniß in die Vergessenheit gerahten, da nämlich die Geschichtschreiber wegen der Namen
(*)Regum pecuniae otiosa, & stulta ostentatio.
Plin. L. 36. C. 12.
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der Urheber so eitler Werke, unter sich nicht einig wären. (*) Was wir aber an diesen alten Denkmälern am meisten bewundem müßen, das ist derjenige gewisse, und unumstößliche Beweis, den sie uns von der Geschicklichkeit der Aegyptier in der Sternseherkunst geben ; einer Wissenschaft, die nicht anderst, als durch eine lange Reihe Jahre, und durch eine grosse Menge Versuche zur Vollkommenheit, wie es scheinet, gelangen kann.
Als der
Herr von Chazelles, die grosse Pyramide, davon wir reden, maß, so fand er, daß die vier Seiten derselben genau gegen alle vier Weltgegenden gestellet waren, und folglich die wahren Mittagslinien des Ortes bemerkten. Da nun allem Ansehen nach, diese so genau in Acht genommene Stellung, mit Fleiß von denen, die diesen grossen Steinhaufen, vor nunmehro mehr, als dreytausend Jahren, errichtet hatten, war erwählet worden: so folget daraus, daß seit eines so langen Zeitraumes, an dem Himmel, oder, welches auf eins
(*) Inter eos non constat, a quibus factae sint, justissimo casu, obliteratis vanitatis auctoribus. Id. ibid.
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hinausläuft, an den Angeln der Erde, oder den Mittagszirkeln, sich hierinnen nichts geändert hat. (*)
(*) Herr von Fontenelle macht diese Anmerkung in dem Lobe des Herrn von Chazelles.
Perikles, und sein Steuermann.
Perikles befand sich auf dem Meere, und bemerkte, daß der Steuermann seines Schiffes wegen einer Sonnenfinsterniß von der größten Bestürzung überfallen wurde. — Er breitete seinen Mantel über die Augen dieses Steuermanns, und fragte ihn, ob bey dieser Handlung etwas Wunderbares mit unterliefe? Als ihm dieser antwortete, daß er gar nichts Wunderbares darinnen sähe, so erwiederte er: Nun, eben dieser Zufall ist der Sonne begegnet!
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