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ZUM GESAMTINHALT

Ungrisches Magazin, Band 3, Heft 3, Text 17 (S. 267-276)
Hrsg. von Karl Gottlieb Windisch
Preßburg, Löwe, 1783
Autor: O.N [eventuell Stefan Schönwisner, siehe auch Band 4, 224; oder Jonas Andreas Czirbesz; [auch über die Glocke von Nagy-Reötze die Rede, Anm.d.Verf.]
Zuordnung:

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17. Fragmente einer kleinen Reise, aus einem Brief an den Herausgeber.

Zu Ende des Herbstmonats 1782. verließ ich in Gesellschaft des Herrn K** Rosenau. Unsern ersten Ruhort hatten wir in Tschetnek, (Csetnek), welches ein stark bevölkerter, mit viel schönen Gebäuden versehener Marktflecken ist, und täglich an Verschönerung zunimmt. Hier besuchten wir die sehr alte evangelischlutherische Kirche, deren gothische Bauart, und das auf dem an der Seite des Evangeliums stehende, einst zur Aufbehaltung der Monstranz, oder des Schattgefäßes dienende gothische Thürmchen geschriebene Jahrzahl 1286, uns von dem hohen Alter derselben überzeugten. Ober dem Hochaltare befindet sich auch eine, in Stein gegrabene Schrift, die aber viel zu hoch ist, als daß wir etwas davon hätten lesen können. Da wir uns eben nicht

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aufhalten konnten, so ersuchten wir, den menschenfreundlichen Pfarrer derselben, Herrn Institoris, sich die Mühe zu nehmen, und mittelst einer Leiter diese Schrift zu besichtigen; ich zweifle aber sehr, daß dieser ehrwürdige Greis seine morschen Knochen auf diese Höhe wagen wird. — Außer dem, entdeckten wir eben nichts besonders, den Grabstein des letzten der Chetneki ausgenommen. Diesen, sammt der Inschrift hat uns schon der gelehrte Kustos bey der Ofnerischen Universitätsbibliothek Hr. Abbe' Wagner, in der ersten Decas ausgestorbener Ungrischer Geschlechter geliefert. Wir fanden also nichts Neues, das Wort hora und intereunt ausgenommen; indem in gedachtem Werke das Wort hora ausgeblieben, und anstatt intereunt, praetereunt stehet. Es muß also diese Inschrift also gelesen werden:

Ultimos inter ego numerosos ordine Fratres Hac
gelida Stephanus Csetneki condor humo.
Obdormivi in Oppida Dobschina
Anno 1594, die 15 Junii post mer. hora 6.

Crediderat Stephanus capto paulo ante Fileko
Se placida terris posse quiete frui;
Ast illum subito diiri excepere dolores,
Abstulit et celeri Parca cruenta manu.
Sorte quid hac homini melius? dum cura, laborque
INTEREUNT requies ecce beate venit.

Das Wappen aber ist von der, welche uns besagter Herr Abbe' Wagner auf der zweyten Tafel des angeführten Werks im Kupfer mittheilet, merklich unterschieden. Denn dort stehet ein geharnischter Mann auf der Krone, und im Schilde steckt ein Patriarchenkreutz im Grunde; in Csetnek aber nimmt die Krone eine Frauensperson ein, das Kreuz schwebt, und ist

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mit sechs, Federn gezieret. Herr Wagner muß daher einen sehr schlechten Zeichner gehabt haben; der es zwar in Tschetnek, wie wir versichert worden, abzeichnete, aber solches nur obenhin verrichtete. Unweit Tschetnek sahen wir ein altes, halb verfallenes, aber ziemlich geräumiges Schloß, welches man uns für eine Abtey zu halten, überreden wollte. Da sich aber diese Abtey in dem Pazmanischen Register der ältesten Klöster und Abteyen nicht befindet, so ist nicht zu zweifeln, daß es dem Herrn Csetneki gehöret habe. Es befindet sich zwar in der Sakristey der evangelischen Kirche eine Insel und Pastoral, es hat aber dieses der Ornat eines dortigen Titularabts gewesen seyn können, oder es sind diese Stücke von einem andern Orte dahin gebracht worden.

Von Tschetnek gieng unsere Reise nach Jolschwa, einen der Koharischen Familie zugehörigen, sehr weitläufigen und stark bewohnten Marktflecken, der ein prächtiges Kastell, ein gut gebautes Rahthaus, und viele niedliche Häuser hat. Da es eine allgemeine Sage ist, daß hier ein im eilften Jahrhunderte, und zu den Zeiten des heiligen Stephans, geschriebenes Diarium aufbehalten werde: so waren wir begierig ein so seltenes Alterthum zu sehen; allein mit Missvergnügen erfuhren wir, daß sich kein solcher Schatz hier befinde. Indessen war doch der Besuch dieses Orts nicht ohne allem Nutzen, denn es ward uns ein Dekret König Andreas des dritten gewiesen, welches eine Rechtssache betraf, die zwar in unsern Kram nicht taugte; der Schluß aber zog unsere Aufmerksamkeit auf sich, den ich Ihnen hier gleichfalls mittheile: Datum per manus Rmi Patris, Fratris Anthonii Dei gr. Eppi, Chanadiensis de ordine Fratrum minorum aule nostre Cancellarii dilecti & fidelis nostri anno Dni M. CC. nonag nono regni autem nostri anno nono. —

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Von hier giengen wir nach Nagy-Reötz, wo wir ein Meßbuch sahen: Missale Strigonii feliciter excusum anno MDL, die iv Maji. Es war also im sechszehnten Jahrhunderte eine Buchdruckerey zu Gran? Man zeigte uns auch einen sehr alten Kelch mit der Inschrift: MARIA NEKDIV. Dieses Nekdiu kann wohl nichts anders als die Anfangsbuchstaben seyn, deren Bedeutung, der Meister, welcher diesen Kelch gemacht hat, am beßten mag gewußt haben. - Da uns endlich der Klang der dasigen Glocke so sehr angerühmt ward, so ersuchten wir den Herrn Pfarrer uns solchen hören zu lassen. Dieser leutselige Mann gewährte unsere Bitte, und ich kann Sie versichern, daß wir über den reinen, angenehmen und durchdringenden Klang dieser Glocke in keine geringe Bewunderung versetzt wurden. Aber um wie viel ward sie vergrößert, als wir, da wir den Thurm bestiegen, auf dieser Glocke folgende mit gohtischen Buchstaben gemachte Aufschrift: O Facta † est † campana † ista † in honore † Dei omnipotentis † et † honore † sancti† Quirini † sub anno † Domini † 706. Kaum konnten wir unsern Augen trauen; wir umgiengen diese Glocke mehrmal, und betrachteten einen jeden Buchstaben wiederholt genau; allein es blieb immer 706; und wir fanden nichts, was zur Verjüngerung derselben auch nur vom weiten dienen könnte.

Und bey dieser Glocke wollen wir nun ein wenig stehenbleiben, und darüber freundschaftlich schwätzen. Auf derselben stehet also die Jahrzahl 706. Sie werden aber vielleicht sagen, daß das † Zeichen die Zahl 1 vorstelle; oder daß diese Zahl ohne ausgedrückt zu seyn, zu verstehen sey. — Es ist zwar nicht zu läugnen, daß das Eins, oder die Zahl Tausend, oft ausgelassen wird, und zu verstehen sey, wie ich eben in Nagy-Reötz einen Lichtensteinischen Dukaten mit der

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Jahrzahl 603 zu Gesichte bekam; das schöne Gepräg aber, die mit lateinischen Buchstaben ausgedrückte Umschrift, und die Gewißheit, daß das Lichtensteinische Haus von Azone abstamme, welcher von Leopold den Dritten, Herzog von Oesterreich, wegen seiner Tapferkeit im Jahre 1083. zum Marschalle und Mundschenken seines Hauses ernennet worden, machte es gewiß, daß das Eins, oder die Zahl Tausend, Kürze halber ausgelassen worden. — Ganz andere Umstände aber finden sich bey unserer Glocke. Schon vor zwanzig und mehr Jahren verstorbene Greise von 80 und 90 Jahren wußten von Verfertigung dieser Glocke nicht nur nichts, sondern sie erzählten sehr oft, daß sie das Alterthum dieser Glocke von ihren Aeltern nicht selten anrühmen hörten. Die Gestalt aber, und die gohtische Aufschrift beweisen hinreichend, daß sie kein Werk dieses Jahrhunderts seyn könne; und endlich ist der Anschlag des Klöppels, oder Schwängels dieser Glocke, schon dreymal abgeändert worden, sie also, wie man zu sagen pflegt, schon dreymal umgewendet worden; da doch die Glocken, welche sich in Poloma, oder Vasveres: mit der Gohtischen Aufschrift: est factum in honore Dei omnipotentis, & sancti Nicolai anno Domini 1290, und mit obiger weder einen gleichen Ton, noch ihren ersten Anschlag hat, und also noch nicht umgewendet worden. Es kann also die Nagy - Reötzer Glocke 1706 nicht gegossen, auch das Jahr Tausend, nicht Kürze halber ausgelassen worden seyn: so, wie auch das beygesetzte Zeichen + nicht das Eins bedeutet, sondern ein blosser Zierraht ist, oder, da es nach Do-mini steht, Jesu Christi bedeutet. — Und nun erlauben Sie mir, etwas vom Ursprünge des Gebrauchs der Glocken hier anzuführen, und dadurch die Möglichkeit des Alterthums dieser Glocke zu beweisen.

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Daß die erste Glocke unter der Regierung Ludwigs des Zweyten im neunten Jahrhunderte von Venedig nach Konstantinopel gebracht worden, und folglich um diese Zeit der Gebrauch derselben in der Orientalischen Kirche eingeführet worden, ist außer allem Zweifel; wenn aber dieser Gebrauch in der Abendländischen Kirche seinen Anfang genommen habe, hierüber sind die Meynungen der Gelehrten sehr getheilt. Angelus Rocca in Tractatu de campanis behauptet, daß der heil. Hieronymus die Glocken erfunden habe, und stützet sich auf dessen 31 und 39 Kapitel der Instit. pro Monialibus. Da aber dieses Werk von den Gelehrten für unächt, und Hieronymus nicht für den Verfasser desselben gehalten wird: so hat auch die Meynung des Rocca gar keinen Grund. Andere machen den heil. Paulinus, den Bischof zu Nola in Kampanien, der um die Mitte des fünften Jahrhunderts lebte, zum Erfinder der Glocken; aber eben dieser macht in seinem an Severum geschriebenen 21ten Briefe, von der Glocke keine Erwähnung, da er doch in diesem Schreiben eine von ihm erbaute Kirche nach allen den kleinsten Umständen schildert, wie solches der Kardinal Bona Libr. I. Rerum lyturgicarum Cap. 22. n. 3.; und Teoph. Raynandus, Tom. XV. punct. 7. p. 411. anmerken. Polydorus Vergilius, Lib. VI. de inventoribus rerum, Hanuphrius Panvinus, in Epist. de Romanis Pontificibus, Ciacconius, und andere Schriftsteller behaupten, dqß der Pabst Sabinianus, der im Anfange des siebenten Jahrhunderts, dem Pabste Gregorius dem Grossen folgte, den Gebrauch der Glocken, sowohl zur Bekanntmachung der Stunde, als zur Beruffung zum Gottesdienste, da man ehedem sich blos der Sonnen-und Sanduhren bediente, eingeführet habe; allein Anastasius, der genaue Biograph des Sabinianus meldet hievon gar nichts, und daher ist der Erfinder des Ge-

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brauchs der Glocken nicht zu bestimmen. Dem ungeachtet kann man ihn doch in der abendländischen Kirche in das fünfte Jahrhundert festsetzen; denn, in dem im sechsten Säkulo verfaßten, und vom Mabillon in Saecuo II. Benedictino, herausgegebenem Leben des Abts Columbanus, wird gemeldet, daß dieser Abt mit seinen Mönchen, um Mitternacht, sich nach dem Tone der Glocke in die Kirche begeben habe. Diesem stimmen auch Martenes, in Tract. de antiqua Ecclesiae disciplina, in divinis celebrandis officiis, Cap. II. und Pagius, in vita Sabiniani, Tom. I. bey; und folglich kann unsere Glocke zu Nagy-Reötz auch schon im J. C. 700 gegossen worden seyn. — Ob aber diese Glocke geweyhet oder getaufet worden? könnte jemand aus Vorwitz fragen. Ist solches geschehen: so kann es nur etliche hundert Jahre später geschehen seyn; denn Giulielmus Burius in brevi notitia Rom. Pontificum und mehr andere Geschichtschreiber melden, daß Johann der Dreyzehnte im Jahre 968 bey Gelegenheit der Krönung des Kaisers Otto des Jüngern, und seiner Gemahlinn Theophonia, zum erstenmale eine Glocke, und zwar von besonderer Größe geweyhet habe. Allein dieses gehöret zur Sache nicht: ich will vielmehr untersuchen, welchem Quirinus unsere Glocke zugeeignet sey. Ich finde in verschiedenen alten Meßbüchern mehrere Quirinos, und zwar: in einem geschriebenen Polischen des vierzehnten Säculums, ist Quirinus M. den 29 März, 30 April, 4 Juny, und 31 Oktober angemerkt; in einem Agramer aus dem fünfzehnten Jahrhunderte stehet Quirinus als Martyr, den 30. März, 30 April, und 31 Oktober: als Episcopus und Mart. aber den 4 Juny. In einem deutschen, gleichfalls geschriebenen, und zwar zu Ende des dreyzehnten oder zu Anfange des vierzehnten Jahrhunderts ist den 30 März Quirini & Victoris, den 30 April Quirini M. angezeigt. Zwey Graner Meß-

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bücher, eines vom Jahre 1498, das andere aber vom Jahre 1502, erwähnen des heiligen Quirinus M. den 4 Juny; und eben so ein Graner Brevir vom Ende des sechszehnten Jahrhunderts. Péterfy Tom. I. Conciliorum, pag. 31. berichtet auch, daß er in Ungrischen Breviren der Jahre 1424, und 1484, das Gedächtniß des Quirinus M. als einen Festtag den 29 März angemerket gefunden habe. — Daß nun derjenige Quirinus, dessen Gedächtniß den 4 Juny einfällt, Bischof zu Siscia oder Segestum, itzt Sissek in Kroatien war, und im Jahre 309 als Blutzeug, in einem Flusse bey Stein am Anger sein Leben geendet habe, dieses hat neulich Salagy Libr. III. de statu Eccl. Pannonicae, und schon andere vor ihm, hinreichend bewiesen. Diesem Quirinus aber ist unsere Glocke nicht gewidmet, denn die auf dem Frohn- oder Hochaltare der Nagy - Reötzer Kirche stehende Statue dieses Heiligen, stellet einen geharnischten, mit dem Kommandostabe versehenen Ritter vor; und auf den Seitenfiügeln des Altars sind nach altem Gebrauche, die Thaten dieses Ritters, die sich mit seiner Enthauptung endigen, abgeschildert. Ich werde, daher nicht irren, wann ich unsere Glocke demjenigen Quirinus zueigne, dessen Gedächtniß nach dem Zeugnisse des Peterfy, in Ungern, den 29 März gefeyert wurde.— Von diesen Quirinen soll eine Abhandlung herausgekommen seyn, die ich aber nicht gesehen habe.

Noch ist zu untersuchen, wo diese Glocke gegossen worden? ob sie gleich bey ihrer Entstehung in der Nagy-Reötzer Kirche gebraucht worden, und wie sie dorthin gekommen sey? Daß unsre Glocke entweder in gedachtem Nagy-Reötz selbst, oder doch nicht weit davon gegossen worden, scheinet mir sehr unwahrscheinlich zu seyn; da es ausgemacht ist, daß die aus Asien gekommenen, und den Longobarden gefolgten Awaren, im sechsten Jahrhunderte von ganz Pannonien Besitz genommen,

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und solches über zwey hundert Jahre beherrschet haben. Daß, da sie ein rauhes barbarisches, und dem Heydenthume ergebenes Volk waren, und das Christenthum mit Feuer und Schwert verfolgten, dazumal keine christlichen Kirchen, vielweniger aber Glocken in diesem Lande seyn konnten. Und eben darum hat auch Salagy diese Periode als den Zeitpunkt festgesetzt, in welcher alle von ihm mit vieler Genauigkeit beschriebenen alten Bischtümer in Pannonien ihre Endschaft erreichet haben. Es kann also unsere Glocke im achten Jahrhunderte, weder in dem Orte ihres itzigen Aufetnthalts, noch in der Nähe gegossen worden seyn; sie ist vielmehr nach aller Wahrscheinlichkeit in einem dazumal christlichen benachbarten Lande verfertiget, und nachher nach Nagy-Reötz gebracht worden. Diese sich blos auf Muhtmassungen gegründete Meynung, kann dem Alter unserer Glocke nicht nachtheilig seyn; denn dieses Schicksal in Betrachtung des Ursprunges, haben die meisten Städte unseres Vaterlandes; und man würde sehr ungerecht handeln, wenn man ihnen aus dieser Bewegursache das alte Daseyn absprechen wollte.

Wir waren auch an dem Fusse des Felsen, auf welchem das in der Geschichte so berühmte Schloß Murány stehet; wir bestiegen aber diesen zweyhundert Klafter hohen Felsen nicht, da der Weg zu diesem Schlosse mehr als anderthalb Stunden dauert, und man uns für gewiß berichtete, daß außer drey zinnernen Särgen der Wesselinischen Familie, die auch vielleicht schon verkauft seyn mögen, nichts Merkwürdiges auf demselben zu sehen sey. Wir begnügten uns also, diese nun von einem einzigen Waldhayduken bewohnte, einst so berühmte Festung, bloß vom Weiten zu bewundern, und sie, so viel es die Zeit zuließ, auf das Papier zu entwerfen. — Endlich traten wir unsere Rückreise nach Rosenau wie-

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der an, auf welcher uns, ungeachtet wir den Weg etwas änderten, nichts Sonderbares aufstieß. —
Topic revision: r23 - 26 Jan 2012, KatalinBlasko
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