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53. Geschichte einer goldenen Tabacksdose.
Speculo vos uti volo. (Phoedrus)
Die Geschichte einer goldenen Schnupftabacksdose, welche ich neulich in einer alten Handschrift gefunden habe, ist mir so angenehm, und so lehrreich vorgekommen, da\xDF ich nicht zweifle, auch meinen Lesern zu gefallen wenn ich sie ihnen hier mittheite.
Das \xE4dle Metall, aus welchem diese Dose bestand, hat eigentlich seinen Ursprung aus Peru, woher es nach tausenderley \xFCberstandenen Gef\xE4hrlichkeiten in Stangen nach Spanien, von daher aber nach England gebracht worden. Es ist falsch, wie einige K\xFCnstrichter behaupten wollten, da\xDF die sch\xF6ne Dose, von der ich rede, ihr Daseyn einer deutschen Hand zu danken habe. Einer der ber\xFChmtesten K\xFCnstler in London, hat sie auf den Befehl eines jungen ausgelassenen Lords verfertiget. Ich m\xFC\xDFte, sagte dieser Herr zu ihm, eine Dose haben, aber sie m\xFC\xDFte auch alle schon bekannten Gattungen derselben \xFCbertreffen. Sie kennen meine
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Gro\xDFmuht, und ich ihre Geschicklichkeit. Ich erwarte daher eine neue Erfindung, die mir Vergn\xFCgen, und ihnen Ehre machen kann! — Mehr brauchte der Lord nicht zu sagen, den Flei\xDF und die Gewinnsucht eines, Mannes zu ermuntern, der sonst schon so manche Probe seines erfindsamen Geistes gezeiget hatte. Er eilte also nach Hause, und machte alle Anstalten sein Werk zu beginnen. Er suchte seine Risse durch, aber, er fand keinen, der seinen Absichten gem\xE4\xDF war, denn er wollte mit einer neuen Erfindung auch ein Meisterst\xFCck verfertigen. Er erfand also einen ganz besondern Form, der sich von allen bisher gew\xF6hnlichen darinnen unterschied, da\xDF er sich mit einer sanften Kr\xFCmmung in das L\xE4nglichte verlor.
Er nahm nun einen Theil des ber\xFChrten Goldes, versetzte es aber vorher mit hinl\xE4nglichen Kupfer, and bildete es hernach zu einem geschmeidigen Bleche. Alles war schon, bis auf die \xE4u\xDFerliche Gestalt fertig, und diese sollte doch die Sch\xF6nheit, und das Ansehen seines Gem\xE4chtes in das rechte Licht setzen. Die halb erhobene Arbeit, die dazumal Mode war, sollte auch diese Dose zieren. Der K\xFCnstler durchsuchte daher seine betr\xE4chtliche Sammlung von Zeichnungen, und Kupferstichen, und, nach einer langen Unentschlossenheit, w\xE4hlte er endlich die Geschichte des Vulkans, mit der Venus. Diese sagte er, wird, wenn ich sie reitzend genug ausdr\xFCcke, meinen Lord in die s\xFC\xDFe-
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ste Entz\xFCckung versetzen, und meine Arbeit wenigstens um ein halb Dutzend Guineen erh\xF6hen ! —
Indem der K\xFCnstler nun \xFCber seine Wahl triumphirte, besuchte ihn einer seiner Bekannten, ein Mann, der au\xDFer seiner gr\xFCndlichen Gelehrsamkeit, auch ein wahrer Kenner der sch\xF6nen K\xFCnste, und ein strenger Eiferer f\xFCr die Reinigkeit der Tugend war. Er sah die geile Abbildung vor dem K\xFCnstler liegen, und er erschrack, als er von ihm h\xF6rte, da\xDF er sie, eine Tabacksdose damit auszuschm\xFCcken gebrauchen wollte. Wie? sagte der Gelehrte, sie sind ein Christ, und sie sch\xE4men sich nicht, das mit ihrer Hand zu machen, was so vielen vern\xFCnftigen Heyden ein Gr\xE4uel war? Welche Aergerni\xDF werden sie ihrem tugendhaften N\xE4chsten dadurch erwecken, und zu welchen str\xE4flichen Begierden, werden sie den rohen, und wohll\xFCstigen Haufen reitzen ? — Wollen sie ihre Kunst, mit einer so \xE4rgerlichen, und sch\xE4ndlichen That beflecken? und haben sie sonst keine anderen Mittel sich in derselben hervorzuthun? — Nein, antwortete der K\xFCnster, das sey ferne von mir, gute Sitten zu verderben, und den Lastern zu frohnen! Aber, wer hat je seine Sitten durch blosses Anschauen zu Grunde gerichtet? Und, sollte es ja solche schwache Geister geben, die sich f\xFCr der Anschauung einer solchen Vorstellung f\xFCrchten, so k\xF6nnen sie nur immer ihre Augen davon abwenden. Ich will nicht die Leidenschaften erregen,
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sondern ich will sie nur durch die Kunst ausdr\xFCcken. Parrhasius, welcher, da er den Prometheus, der von dem gefre\xDFigen Adler zerfleischt war, recht eigentlich abbilden wollte, folterte einen Menschen, und doch ist er deswegen keines Verbrechens beschuldiget worden.
Aber, antwortete der Gelehrte, wissen sie auch, was die Geschichtschreiber von dem Bildnisse des Theaginis melden? Dem Andenken dieses Mannes, von welchem die G\xF6tter den Ausspruch machten, da\xDF man ihn unter die Helden setzen sollte, richtete man eine Bilds\xE4ule auf \xF6ffentlichem Markte auf. Einer der ihn dieser Ehre, weil er ihn f\xFCr einen Menschenfeind hielt, nicht w\xFCrdig achtete, schlug tiefe Bilds\xE4ule mit einer Peitsche. Sie fiel, und erschlug denjenigen, der ihr so \xFCbel begegnet hatte. Sogleich forderten die Erben des Erschlagenen, die Bilds\xE4ule vor den Richter, weil nach einem alten Gesetze des Draco, auch die leblosen Dinge strafbar wurden, die den Tod eines Menschen bef\xF6rderten. Die Richter verdammten also das Bildni\xDF des Theaginis, und befahlen, solches in den Flu\xDF zu werfen, damit daraus jedermann lernen m\xF6chte, da\xDF auch leblose Dinge strafbar werden, wenn durch sie dem Menschen einiger Schaden zugef\xFCget wird. - Zudem fuhr er fort, so sehen auch die meisten, die unz\xFCchtigen Nachamungen der Natur, nicht ohne Erregung der wilden Leidenschaften an. Die gnidische Ve-
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nus, welche wegen ihrer sch\xF6nen, und reitzenden Gestalt so viele Zuschauer auch von fremden Orten herzulockte, machte einen J\xFCngling so verliebt, da\xDF er sich in ihrem Tempel verbarg, wo man ihn sie umarmend antraf. Und Prariteles verliebte sich in das Bild der Venus, das er selbst gemacht hatte, so sehr, da\xDF er sich nicht enthalten konnte, dasselbe unabl\xE4\xDFig zu k\xFC\xDFen, und zu liebkosen. —
Der K\xFCnstler, den die Vorstellungen seines Freundes auf andere Gedanken brachten, entschlo\xDF sich nicht nur, die bemeldte Zeichnung nicht zu gebrauchen, sondern er baht zugleich seinen Freund, ihm eine andere Geschichte vorzuschlagen. Der Gelehrte ergrif diese Gelegenheit mit Freuden, durch suchte die Zeichnungen desK\xFCnstlers, und rieht ihm diejenige zu w\xE4hlen, auf welcher Curtius, wie er sich f\xFCr die Wohlfahrt des Vaterlandes in die Kluft st\xFCrzte, abgeschildert war. Solche Vorstellungen setzte er hinzu, k\xF6nnen zugleich n\xFCtzlich, angenehm, und bewundernsw\xFCrdig seyn, da die andern im Gegentheile allzeit sch\xE4dlich und sch\xE4ndlich sind. —
Und, so bereitete sich der K\xFCnstler, anstatt die wilde Leidenschaft der beyden G\xF6tter auszudr\xFCcken, den Muht, und die Unerschrockenheit eines adeln und rechtschaffenen B\xFCrgers zu schildern. Diese Arbeit gerie\xDFt ihm auch so wohl, da\xDF er alle Ursache hatte, mit sich zufrieden zu seyn. – Aber - der junge Lord! - Dieser hoffte eine ganz an-
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dere Vorstellung! - Ungeduldig, seinne Dose bald zu sehen, begab, er sich zu dem K\xFCnstler. Doch, wie unzufrieden ward er nicht, als er eine so traurige, eine so ver\xE4chtliche Geschichte abgebildet sah! Wie? sagte er, haben sie denn ihren guten Geschmack schon g\xE4nzlich verloren? Ein solches dummes Zeug, h\xE4tte ich ihrer sonst scharfsinnigen Erfindung wirklich nie zugetrauet! Wissen sie es denn nicht mehr, da\xDF ich ein Liebhaber von lustigen, und reihenden Figuren bin? — Sie k\xF6nnen ihre Dose immer behalten, und sich damit an einen Milzs\xFCchtigen wenden, Vieleicht bezahlt er ihnen noch den halben Werht derselben, wenn sie ihn zu einer gl\xFCcklichen Stunde antreffen! -Er gieng voller Verdrusse von dem K\xFCnstler, und lie\xDF ihm Zeit, den Naht seines Freundes, und seine Thorheit zu verfluchen ! —
Wechselweise, warf er bald einen wilden, unzufriedenen Blick auf dieses sein Gemachte, bald aber entz\xFCckte ihn eine Arbeit wieder, bey der er sich wirklich selbst \xFCbertroffen hatte. Doch, die Gewinnsucht ist meist die Triebfeder der K\xFCnstler und er \xFCberdachte daher auch den Schaden, der ihm dadurch verursachet worden, da\xDF er nicht seiner Neigung gefolget. — Doch die Tugend zu beleidigen! denn, die Tugend fiel ihm doch ein, — und die Religion! — Er nahm die Waage in die Hand, legte die Religion, und die Tugend in die eine Schaale, und eine Handvoll
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Guineen in die andere. - Aber um wie viel schwerer fand er die letzteren!
Noch berechnete er seinen Verlust, als man ihm sagte, da\xDF ihn ein gewisser Minister zu sich ruffen lassen, und da\xDF er etwas von sch\xF6nen Tabacksdosen, wenn er welche fertig h\xE4tte, mitbringen sollte. Voller Freuden packte er alle, die er davon vorr\xE4htig hatte, und haupts\xE4chlich, diejenige ein, welche ihm von dem jungen Lord zur\xFCckgeschlagen worden, und verdoppelte seine Schritte, indem er gewi\xDF hoffte, bey einem so reichen, Herrn gute Losung zu machen.
Der Minister lie\xDF ihn hereintreten, und seine Waare auskramen. Er sah die Dosen nach der Reihe an, aber seine Augen blieben allein auf der jenigen geheftet, von welcher hier die Rede ist. — Diese will ich nehmen sagte er, denn die Vorstellung des patriotischen Curtius ist mir immer ehrw\xFCrdig. Der K\xFCnstler, welcher dieses sehr gerne h\xF6rte, nahm alle seine Beredsamkeit zusammen, den Werth seiner Arbeit zu erh\xF6hen, und den erstaunenden Flei\xDF, den ihm dieselbe gekostet, abzuschildern. Kurz, der Minister erstand sie f\xFCr 20 Guineen, eine Summe, die er kaum, wenn, er auch seine erste Zeichnung darauf angebracht hatte, von dem jungen Lord w\xFCrde erlanget haben. Er gieng voller Freuden \xFCber seinen gl\xFCcklichen Handel nach Hause, und preisete denjenigen Augenblick, in welchem ihn sein Freund von ei-
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ner so sch\xE4ndlichen That abgehalten, und zu einer so r\xFChmlichen ermuntert hatte! –
Der Minister, der diese Dose gekauft hatte, einem seiner Verwandten damit ein Geschenk zu machen, fand sie dazu desto tauglicher, da sie denselben, welcher ein hoffnungsvoller junger Herr war, und nun auf Reisen gehen sollte, an die jenige Treue erinnern konnte, die ein jeder rechtschaffener B\xFCrger, seinem Vaterlande schuldig ist.
Er \xFCberreichte sie ihm mit einer Ermahnung, die seinem vorn\xE4mlichen Charaktere gem\xE4\xDF war, und er empfieng daf\xFCr, nebst der Versicherung, derselben best\xE4ndig zu folgen, auch die verbindlich sie Danksagung. Der Ton, mit welchem er sich ausdr\xFCckte, und die anst\xE4ndige Au, mit welcher er die Worte begleitete, entz\xFCckten seinen Oheim so sehr, da\xDF er ihn umarmte, und endlich voller Freude \xFCber seine Auff\xFChrung, und vol ler Hoffnung, dereinst einen tauglichen, und n\xFCtzlichen B\xFCrger an ihm zusehen, von sich entlie\xDF.
(Wird fortgesetzt.)