Bl\xE4ttern: < zum Text 16zum Text 18>

XVII.

(P129)

Beschlu\xDF der Geschichte einer jungen Wilden.

Nach dem Tode des Herrn Vicomte kam le Blanc in ein Kloster, und seit dem Jahre 1744. lebte sie von den G\xFCtigkeiten des Herzogs von Orleans. Sie kam endlich nach Paris. Allein nach dem Tode dieses erlauchten Wohlth\xE4ters, gieng es ihr sehr \xFCbel. In diesen elenden Umst\xE4nden, da sie allererst ioon einer harten Krankheit genesen war, traf sie die Verfasserinn dieser Nachricht im Jahre 1752. im November an, und da sie die Mademoiselle le Blanc fragte, wovon sie in Paris in einem so verlassenen Zustande leben wollte? so gab dieselbe die vortreffliche Antwort: Warum sollte Gott mich gesucht, und von den wilden Thieren weggenommen, und zu einer Christinn gemacht haben? Sollte es darum geschehen seyn, da\xDF er

(P130)

mich nun, da ich es bin, verlassen und Hungers sterben lassen wollte? Das ist nicht m\xF6glich. Ich kenne Niemand als ihn; Er ist mein Vater, die heilige Jungfrau meine Mutter; sie werden f\xFCr mich sorgen! Dieser Erz\xE4hlung f\xFCgt Madame H***t die eigene Aussage der Mademoiselle le Blanc bey, so viel sich dieselbe bey den mannigfaltigen Fragen auf ihre erste und wilde Lebensart besonnen hat. Wir wollen das Merkw\xFCrdigste davon k\xFCrzlich hier noch anf\xFChren. Mademoiselle le Blanc gestehet, da\xDF sie nicht eher, als nachdem sie einige Erziehung gehabt, zu denken angefangen. Sie besinnt sich auf weiter nichts , von ihrem Vaterlande, als da\xDF ihre , Landesleute keine H\xE4user gehabt. Sie setzt hinzu, da\xDF sie sich oft auf den B\xE4umen befunden habe, theils sich f\xFCr den wilden Thieren in Sicherheit zu setzen, theils diejenigen von den schw\xE4chern Wildpr\xE4te zu entdecken, die sie haschen und verzehren wollte. Als man sie einst, nebst noch einer Wilden, in den Kielraum des Schiffes eingesperrt, so hat sie mit derselben eine Oefnung in das Schiff gekratzt, die noch zu rechter Zeit ist entdeckt worden. Sie

(P131)

wurden hierauf beyde fest gebunden. Endlich haben sie Gelegenheit gefunden, zu entwischen. Und vermuhtlich hatten diese beyden Kinder damals keine andere Absicht, als ihr Leben, und ihre Freyheit zu erhalten. Ihren Weg \xFCberliesen sie dem Zufalle. Den Tag brachten sie in L\xF6cher und Geb\xFCschen, oder auch auf den B\xE4umen zu, die ihnen statt einer Warte dieneten. Des Nachts reiseten sie, weil ihre Augen, wie sie sagten, in den Finsternissen weit heller als beym Sonnenscheine sahen, der ihr eben so beschwerlich als das Feuer war. Man sah mit Erstaunen, mit welcher Geschwindigkeit sie ihre Augen auf alle Seiten drehen konnte, und es kostete viele M\xFChe, bis man ihr diese wilden Blicke und Verdrehungen der Augen abgew\xF6hnte. Die B\xE4ume dieneten ihr auch statt der Betten. Sie sa\xDF auf den Zweigen, wie zu Pferde, und lie\xDF sich von den Winden einwiegen. Mit der einen hielt sie sich feste, und auf der andern ruhete der Kopf. Die breitesten Fl\xFC\xDFe waren f\xFCr sie auf ihrer Reise eben so wenig eine Hinderni\xDF, als wenig sie es fast einem Fische sind. Wenn sie aber nur blos trinken wollte, so gieng sie bis an den Mund

(P132)

hinein, und schlurfte das Wasser, so wie ein Pferd, ein. Scho\xDF sie auf den Grund, so half sie sich mit Blasen des Mundes, wie man beym Tabackrauchen thut, wieder in die H\xF6he. Da Mademoiselle le Blanc f\xFCr dem Feuer einen nat\xFCrlichen Abscheu hatte, bey der gr\xF6\xDFten K\xE4lte ins Wasser sprang, einen herrschenden Geschmack an Fischen hatte, und wei\xDF ist; so urtheilet Madame H***t ganz wahrscheinlich, da\xDF sie unter den Wilden am Eismeere gebohren worden w\xE4re. Aber auch wider diese Meynung streitet theils ihre Aussage, da\xDF sie in einem Lande gewesen, wo Zuckerrohr und Ca\xDFava war, und theils der schwarze Anstrich ihres Angesichts. Man findet sich also gen\xF6thiget anzunehmen, da\xDF sie aus Norden in eine amerikanische Pflanzstadt, oder auf eine der Antillischen Inseln gebracht worden. Vielleicht hat sie der Schiffskapitain der Seltenheit wegen mit nach Europa genommen. Vielleicht sind sie auf der Y\xDFel, oder in Kan\xE4len nach dem Wohnplatze ihres neuen Herrn, z. E. nach Geldern gebracht worden. Aber da sie sehr schlimm zu h\xFCten waren, so werden sie gl\xFCcklich entwischet, und

(P133)

endlich durch Lothringen nach Champagne gekommen seyn.

Von der Vortrefflichkeit, und dem Nutzen der Handlung.

Wann man sagt, da\xDF die Handlung der festeste Grund der b\xFCrgerlichen Gesellschaft, und das n\xF6htigste Band ist, alle Menschen, aus welchem Lande, und von welchem Stande sie sind, mit einander zu verbinden, so sagt man nicht zu viel. Denn die Handlung ist Ursache, da\xDF die ganze Welt nur eine einzige Stadt, und Familie auszumachen scheinet. Sie macht, da\xDF an allen Orten ein allgemeiner Uiberfiu\xDF herrschet. Durch sie werden die Reichth\xFCmer einer Nation allen V\xF6lkern gemein. Keine Gegend ist unfruchtbar, oder sie merkt es wenigstens nicht, wann sie es ist. Was sie bedarf, wird ihr zur rechten Zeit vom Ende der Erde zugef\xFChret, und ein jedes Land sieht sich mit Verwunderung mit fremden Fr\xFCchten angef\xFCllet, die sein eigener Boden nicht tr\xE4gt; und genie\xDFet

(P134)

tausend Beqwemlichkeiten, die es nicht kannte, und in welchen doch die S\xFC\xDFigkeit dieses Lebens bestehet. Durch den Handel auf Meeren, und Fl\xFC\xDFen, oder durch die Schiffahrt, hat Gott alle Menschen auf eine wunderbare Weise vereiniget, indem er ihnen Verstand gegeben hat, Wind, und Meer, die zwey unb\xE4ndigsten Dinge in der Natur zu regieren, und zu ihrem Nutzen anzuwenden. Auf solche Art hat er die V\xF6lker, die am weitesten voneinander entfernet sind, vereiniget, und so viele unterschiedene Nationen, wie die Theile des menschlichen K\xF6rpers, durch die Blut-und Pulsadern miteinander verbunden. — Dieses ist nur eine schwache Vorstellung der Vortheile, welche die menschliche Gesellschaft \xFCberhaupt von der Handlung hat. Wollte man die Sache genauer, und st\xFCckweise untersuchen, was w\xFCrde man nicht f\xFCr Wunder entdecken? Aber, es ist hier der Ort nicht. Ich begn\xFCge mich nur hier eine Betrachtung anzustellen, die, wie mich deucht, sehr geschickt ist, die Schw\xE4che, und St\xE4rke des Menschen auf einmal zu zeigen: Ich betrachte ihn erstlich in dem gr\xF6\xDFten Grade der Hoheit, den er erreichen kann. Ich will sagen, auf dem Trohne,

(P135)

in pr\xE4chtigen Pall\xE4sten, in dem gr\xF6\xDFten Glanze der Majest\xE4t, geehret, ja fast angebethet, im Besitze aller Reichth\xFCmer, unterst\xFCtzet von Kriegesheeren, u. s. w. — Dieses ist der h\xF6chste Gipfel der menschlichen Gr\xF6\xDFe. — Aber, was w\xFCrde aus diesem so m\xE4chtigen, und furchtbaren Prinzen werden, wenn der Handel pl\xF6tzlich aufh\xF6rte? W\xFCrde er nicht in Kurzem von aller Pracht und Hilfe entbl\xF6\xDFet, in die nat\xFCrliche D\xFCrftigkeit, in welcher jeder Mensch geboren wird, zur\xFCck fallen? — Nun wollen wir den Menschen in dem mittelm\xE4\xDFigsten Zustande betrachten. In einem kleinen Hause, bey einem Wenig Brod, Wein, und Fleisch, auf das schlechteste gekleidet, und wie er in seiner Familie der andern Bequemlichkeiten des Lebens, wiewohl nicht ohne M\xFChe, genie\xDFet. Wie einsam, wie verlassen, wie vergessen scheint er nicht von der ganzen Welt zu seyn? Allein, man irret sehr, wann man so denket! Die ganze Welt hat ihre Augen auf ihn ; tausend H\xE4nde arbeiten f\xFCr seine Wohnung, f\xFCr seine Kleidung, und Nahrung. Seinetwegen sind die Manufakturen angelegt, seinetwegen sind Boden, und Keller mit Korn, und Wein angef\xFCller, und seinetwegen h\xF6hlt man die

(P136)

Metalle mit so vieler M\xFChe und Gefahr aus dem Eingeweide der Erde.— Selbst Dinge, die nur blos zur Wollust dienen, werden aus den weitentlegensten L\xE4ndern, \xFCber das ungestimmste Meer zu ihm gebracht. — Dieses ist es, was wir der Handlung zu danken haben, die best\xE4ndig f\xFCr unsere Nohtdurft, und Beqwemlichkeit sorgt, und einen jeden mit so vielem Guten \xFCbersch\xFCttet, da\xDF man, wenn man es recht bedenket, dar\xFCber nohtwendig in Verwunderung und Erstaunen gerahten mu\xDF!

Die Speisestunde.

Man fragte den Diogenes, zu welcher Stunde man essen sollte.?— Wenn du reich bist, sprach er, so i\xDF wenn du willst; und wenn du arm bist, so i\xDF wenn du kannst!


Bl\xE4ttern: < zum Text 16zum Text 18>

Topic revision: r6 - 15 May 2011, MarleneBurgstaller
This site is powered by FoswikiCopyright © by the contributing authors. All material on this collaboration platform is the property of the contributing authors.
Ideas, requests, problems regarding Foswiki? Send feedback