Bl\xE4ttern: < zum Text 30zum Text 32>

XXXI.

(P241)

Von der Zahl der Menschen auf dem Erdboden.

Wann die Rede von der Bestimmung der Zahl der Menschen auf dem Erdboden ist, so verstehet es sich von selbst, da\xDF solche mit keiner arithmetischen Gewi\xDFheit, sondern nur muhtma\xDFlich, und ungef\xE4hr angegeben werden k\xF6nne. Daher k\xF6mmt es auch, da\xDF die Berechnungen in diesem St\xFCcke so sehr voneinander unterschieden sind. Ich will meinen Lesern heute eine mittheilen, welche aus den wahrscheinlichsten Meynungen der Gelehrten, von einem selbst viel gereisten Manne entworfen worden ist. Er beweiset zu Anfange, da\xDF die Zahl der Menschen auf dem Erdboden sich niemals merklich, in Ansehung der grossen Summe vermehre, oder vermindere; und da\xDF in 30 bis 40 Jahren fast das ganze menschliche Geschlecht

(P242)

verneuert, und ver\xE4ndert werde. — F\xFCr Europa setzt er 109 Millionen, eine Zahl, die von der Rechnung des Herrn Licent. H\xFCbners sehr weit unterschieden ist, als welcher sie nur auf 30 Millionen sch\xE4tzet. F\xFCr Asien giebt er 400, f\xFCr Afrika 100, und ungef\xE4hr 120 Millionen f\xFCr Amerika an. Solchergestalt w\xFCrde sich die Zahl aller Einwohner des Erdbodens auf 729 Millionen Menschen belaufen. In Ansehung unseres Welttheiles, rechnet er 8 Millionen Menschen in Spanien, und Portugall; 20 in Frankreich; 20 in Deutschland, und Hungarn; 5 in den Niederlanden; 16 in D\xE4nnemark, Schweden, Norwegen, und Ru\xDFland; 11 in Italien, und den dazu geh\xF6rigen Inseln; 8 in England; 16 in der europ\xE4ischen T\xFCrkey, und 7 in Pohlen, welche zusammen 109 Millionen ausmachen. In Paris sowohl, als in London wird die Zahl der Menschen auf 800000 gerechnet. Uiberhaupt sieht man aus allen Geburtslisten grosser, und kleiner St\xE4dte, da\xDF alle Jahre mehr Knaben als M\xE4gdchen gebohren werden, welches die Vorsehung des Sch\xF6pfers nicht umsonst also weislich geordnet hat, weil das erstere Geschlecht, weit mehreren Gef\xE4hrlichkeiten unterworfen ist, als das

(P243)

letztere. Denn, obgleich vieles Frauenzimmer in den Wochenbetten das Leben verlieret, so kann doch ihre Zahl in keine Vergleichung mit der Anzahl der M\xE4nner gesetzet werden, welche alle Jahre der Krieg, die See, und andere Gef\xE4hrlichkeiten dahin raffen.

Erfahrungss\xE4tze von der Geburt, und dem Sterben der Menschen.

1. Die Anzahl der Gebohrnen ist immer gr\xF6\xDFer als der Sterbenden. 2. Das menschliche Geschlecht w\xE4chst best\xE4ndig an. 3. In hundert Jahren verdoppelt sich das menschliche Geschlecht. 4. Ungesunde Jahre, Seefahrten, Pest, und Kriege machen, da\xDF das menschliche Geschlecht niemals betr\xE4chtlich ab oder zunimmt. 5. Man rechnet ordentlich auf eine Ehe 4 Kinder. Man schr\xE4nket diese Zahl nur auf 4 ein, um f\xFCr unfruchtbare Ehen etwas abgeben zu k\xF6nnen. 1.) Es sterben mehr Kinder, als erwachsene Personen. 2.) Je n\xE4her ein Kind seinem Anfange ist ; desto mehr

(P244)

l\xE4uft es Gefahr zu sterben. Je \xE4lter ein Kind wird, desto mehr giebt es Hoffnung zum Leben. 3.) Im ersten Jahre sterben die meisten Kinder. Convulsionen und Z\xE4hne, sind die Ursachen ihres fr\xFChen Sterbens. Nach dem ersten Jahre werden ihnen Blattern, und Masern gef\xE4hrlich. 4) Die sterbenden Kinder bis 5 Jahre voll, betragen die H\xE4lfte von allen Sterbenden. So oft also ein Mensch zwischen 5, und 100 Jahren stirbt, so oft stirbt auch ein Kind, das noch nicht 5 Jahre erreicht hat. 5.) Nur ein Drittheil aller Gebohrnen \xFCberlebt das zehnte Jahr. 6.) Wann Kinder das zehnte Jahr erreicht haben, kann man sich erst Hoffnung auf ihr Leben machen; und daher ist es auch nicht rahtsam, auf Kinder vor dem 10ten Jahre Leibrenten zu nehmen. 7.) Es sterben mehr S\xF6hne, als T\xF6chter, und man findet doch mehr alte Frauen, als M\xE4nner. Hieraus stie\xDFen folgende Anmerkungen: a) Es ist sicherer auf das Leben einer Tochter Leibrenten zu nehmen, als auf das Leben eines Sohns. b) Ein Frauenzimmer hat mehr Hoffnung, aus einer Tontine, mit den Jahren vermehrte Leibrenten zu ziehen, wenn viele M\xE4nner, als wenn viele Frauenspersonen darinnen

(P245)

eingeschrieben sind. 8) Unter 70. schwangeren Frauen, kostet es etwan einer das Leben; und unter 400 bleibt beyl\xE4ufig eine in Kindesn\xF6hten. 9.) Kaum der f\xFCnfte Theil der Menschen er reichet das 60igste Jahr. 10.) Vom 30ten Jahre bis zum 80sten, sterben allzeit im 10ten Jahre mehrere, als in den vorgehenden, und nachfolgenden. Man k\xF6nnte also statt des siebenten, das zehnte Jahr, als ein Stuffenjahr annehmen.

Betrachtung der Fliege durch das Vergr\xF6\xDFerungsglas.

Die h\xE4\xDFliche gemeine Fliege ist ein Wunder der Sch\xF6nheit, wenn man sie durch das Vergr\xF6\xDFerungsglas betrachtet. So gewi\xDF ist es, da\xDF eine Sch\xF6nheit nur von dem Gesichtspunkte allein abh\xE4ngt! — Der ganze Leib dieser Fliege scheint eine Vermischung von Schwarz, und Silber zu seyn. Ihr Kopf bestehet aus zwoen halben Kugeln, die aus unendlich vielen kleinen H\xF6hlen, die einem Netze gleichen, zusammengesetzt

(P246)

sind, und deren jede, f\xFCr sich betrachtet, ein solches Netz ist. Diese Kugeln sind mit Hahren umgeben, die dem Silber gleichen. Der Kopf ist mit zwey kleinen F\xFChlh\xF6rnern, und einem rauhen R\xFC\xDFel versehen, womit die Fliege ihre Nahrung zu sich nimmt. Dieser R\xFC\xDFel theilet sich in zween Theile, und sie zieht denselben, wann es ihr beliebt, ganz in die Oeffnung hinein, die ihr anstatt des Mundes dienet. Das Ende desselben ist so scharf, wie ein Messer, und sie zertheilet damit dasjenige, was sie fressen will. Sie kann denselben auch wie eine R\xF6hre zusammenlegen, wann sie Fr\xFCchte und s\xFC\xDFe S\xE4fte einsaugen will. Es giebt Arten von Fliegen, die durchsichtiger sind, als die \xFCbrigen, und in denen man die Bewegung der Ged\xE4rme vom Magen an, bis zum Ausgange derselben, beobachten kann. Einige Naturforscher haben geglaubt, da\xDF die F\xFC\xDFe dieser Thiere, mit einem klebrichten Safte angef\xFCllet w\xE4ren, wodurch sie sich an alles, was sie ber\xFChren, befestigen k\xF6nnten. Allein, die wahre Ursache, warum sie sich an den glattesten K\xF6rpern festhalten k\xF6nnen, bestehet in zweenen Hacken, oder Klauen an jedem Fu\xDFe, womit sie in die kleinsten Zwischenr\xE4ume der K\xF6rper eingreifen.

(P247)

Die Platten ihrer F\xFC\xDFe sind mit einer Menge kleiner Hahre, oder Spitzen besetzt, die ihnen zu dieser Befestigung noch mehr behilflich sind. —

Der Unterschied zwischen einem Gelehrten, und Ungelehrten.

Der menschliche Verstand ist also beschaffen, da\xDF er mit aller seiner Arbeit, und allem Studiren, sich nur eine unvollkommene und sehr eingeschr\xE4nkte Erkenntni\xDF zuwege bringen kann; und auch diese Erkenntni\xDF ist nicht v\xF6llig gewi\xDF, sondern verwirrt, und mit Dunkelheit, und Zweifel vermischet. Man misbrauchet demnach das Wort Wissenschaft, wenn man es einer solchen Erkenntni\xDF beyleget, die mit mehreren Rechte den Namen der Unwissenheit verdienet. Wann man dieses wohl begreift, so sieht man deutlich, da\xDF derjenige, den wir gelehrt nennen, in der That ungelehrt, und der Unterschied zwischen die sem Gelehrten, und demjenigen, welchen wir ungelehrt nennen, so klein ist, da\xDF

(P248)

man ihn kaum merket. — Ich vergleiche einen Ungelehrten und Gelehrten mit zween Menschen, mitten auf einem weiten, und ebenen Felde, davon der eine auf der Erde sitzet, und der andere stehet. Der Sitzende sieht nur das, was um ihn ist, bis auf eine sehr kleine Weite; und derjenige, welcher stehet, ein wenig weiter. Aber dieses Wenige, was er weiter siehet, ist so gering in Ansehung des Uibrigen dieses weiten Feldes, das er nicht siehet, auch nicht sehen kann; und noch geringer in Ansehung der ganzen Erde, da\xDF es gar in keine Begleichung kommen, und gleichsam f\xFCr nichts gerechnet werden kann. Wie sich nun das Gesicht des Sitzenden, gegen das Gesicht des Stehenden verh\xE4lt, so verh\xE4lt sich auch das Wissen eines Ungelehrten, gegen das Wissen eines Gelehrten; und es ist zwischen dem unerme\xDFlichen Umfange dessen, so er nicht weis, und nicht wissen kann, eine eben so grosse Ungleichheit, als zwischen dem Endlichen, und Unendlichen!


Bl\xE4ttern: < zum Text 30zum Text 32>

Topic revision: r7 - 15 May 2011, MarleneBurgstaller
This site is powered by FoswikiCopyright © by the contributing authors. All material on this collaboration platform is the property of the contributing authors.
Ideas, requests, problems regarding Foswiki? Send feedback