Bl\xE4ttern:
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XXXVII.
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Fortsetzung des vorhergehenden St\xFCcks.
I. Die Naturgeschichte f\xFChret uns gerade auf den Urheber der Natur, und giebt die n\xE4chste Gelegenheit zur Verbesserung unsrer Sitten.
Wennder blendende Glanz des Firmamentes,an welchen unz\xE4hlbare Heere von Sternen leuchten, uns die Gr\xF6\xDFe eines h\xF6chsten Weesens bezeichnen; wenn die Annehmlichkeit des alles belebenden Fr\xFChlings uns eine unendliche Weisheit, wenn die Fruchtbarkeit des Sommers und der Uiberftu\xDF des Herbstes uns dessen v\xE4terliche Huld offenbaret ; wenn so gar der traurige Winter, das deutliche Bild eines gewissen Todes, uns an den Allm\xE4chtigen erinnert; wenn die gr\xE4ulichen St\xFCrme der Meere, die
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schrecklichen feuerspeienden Berge, die entsetzlichen Erdbebens uns von der Wirklich eit eines allm\xE4chtigen Wesens \xFCberzeigen; so ist nichts gewissers, als da\xDF die in einem Naruralienkabinete zu sammengeh\xE4ufte Wunder der Natur auf jedes, vern\xFCnftigdenkende Gesch\xF6pft gleiche Wirkung thun m\xFC\xDFen. Von den ersten aus der Natur genommenen Beweisen, k\xF6nnen wir nur immer einen Gegenstand auf einmal sehen. In der Werkst\xE4tte des Weisen finden wir die ganze Natur in einem Punkte vereinigt.
Wenn es hier gleich nicht m\xF6glich ist, ein Zeuge des Entsetzens zu seyn, welches die feuerspeyenden Berge zu erregen pflegen, so k\xF6nnen wir uns doch auf solchen Zimmern, die Natur der Lava, und tausend anderer Fossilien, die wir von ihrem Ungest\xFCmme erhalten, genauer bekannt machen.
Mitten im Winter finden wir daselbst die lieblichsten Blumen und eine Menge Pflanzen in der sch\xF6nste Bl\xFChte. Das fiatternde Geschlecht der Schmetterlinge, oder der Sommervogel, pranget alsdann daselbst in seinem v\xF6lligen Glanze mit unendlichen Verwischungen der sch\xF6nsten Farben.
Anson k\xF6nnte die Welt noch zehnmal
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umschiffen, und w\xFCrde doch nicht so viel Meergesch\xF6pfe zu sehen bekommen, als ein einziges gutes Naturalienkabinet l\xFCsternen Augen anzubieten hat. Die pr\xE4chtigen Schaalengeh\xE4use, welche an den Ufern, verschiedener Meere, die unser unerm\xFCdeter Reisender durchseegelte, zerstreut liegen, w\xFCrden ihm hier, wo sie geschickt zusammen vereinigt worden, einen ganz wundervollen und erstaunenden Anblick verschaffen.
Wenn wir ein Bergwerk befahren, werden wir zuverl\xE4\xDFig weit mehr durch die Geschicklichkeit des Bergbaumeisters, dessen Kunst so ungeheure Lasten, die auf seiner Grube ruhen, zu unterst\xFCtzen wu\xDFte, als durch die Bergarten und Aerze ger\xFChret. die darinnen brechen. In einem Kabinett hingegen k\xF6nnen wir, mit einem Blicke, eine Sammlung aller bekannten und neu entdeckten Mineralien, und zu gleicher Zeit die Art ihres Wachsthums \xFCbersehen.
Wo sonst, als in einem Naturalienkabinete, w\xFCrde man auf einmal alle Gattungen \xE4dler, halb\xE4dler und gemeisner Steine zusammen vereinigt antreffen?
Wenn uns in der Natur selbst, ein, scheu\xDFliches Ungeheuer, eine Mi\xDFgestalt
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oder einige furchtbare Insekten vorkommen, gerahten wir gemeiniglich in ein pl\xF6tzliches Entsetzen. In Kabineten hingegen, verwandelt sich unsre Furcht in sorglose Neubegierde, und wir machen uns da leicht und ohne Scheu mit den gef\xE4hrlichsten Gesch\xF6pfen bekannt. Der h\xE4\xDFliche Skorpion, die furchtbare Natter , die scheu\xDFliche Otter, die Klapperschlange , alle diese, und tausend andere gef\xE4hrliche Gesch\xF6pfe, k\xF6nnen hier kein Schrecken, sondern blosse Verwunderung und Nachdenken verursachen.
Der Paradisvogel, dieser sonderbare reitzende Vogel, den die sonst so wohlth\xE4tige Natur, nach der Aussage gewisser Naturforscher, die F\xFC\xDFe versaget har; Der kleine, gl\xE4nzende Kolibry, dieses liebliche Muster, der kleinsten Luftbewohner, und tausend andere Gattungen von V\xF6geln, w\xFCrden den neugierigen Blicken der geschicktesten Vogelsteller entwischen, wenn die Naturforscher nicht, durch unerm\xFCdeten Flei\xDF und grossen Aufwand, ihnen dergleichen einnehmende Gesch\xF6pfe in den Kabineten vorzeigen k\xF6nnten.
Sollten wohl alle diese in einander gedr\xE4ngte Wunder dennoch nicht verm\xF6gend seyn, den Ungl\xFCcklichen zu sich selbst zu bringen, der sich einfallen lie\xDF, an der
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Wirklichkeit eines h\xF6chsten Wesens und Sch\xF6pfers aller Dinge zu zweifeln?
Gott ist allgegenw\xE4rtig. Mu\xDF er also nicht in allen seinen Werken sichtbar seyn? in allen den Werken der h\xF6chsten Macht und Weisheit, die der Weise sammlet, um gleichsam den Schatzmeister des Allm\xE4chtigen vorzustellen? Man versuche es einmal, den allerentschlossensten
Pirrhonianer, den ungezogensten Menschen, selbst den Ruchlosen in den herrlichen Tempel der Natur zu f\xFChren! Best\xFCrzt, erstaunt, und sprachlos werden sie vor uns stehen. Sie werden endlich tausend Fragen thun, die von der Verwirrung ihrer Seele zeigen. Beym Weggehen werden ihre Begriffe sich erheben, unvermerkt und vielleicht wider ihren Willen, werden sie in sich selbst gehen, und nicht begreifen k\xF6nnen, wo diese pl\xF6tzliche Ver\xE4nderung in ihnen herr\xFChre!
Die Naturgeschichte leitet also zur Erkenntni\xDF Gottes. Wenn sie nun den Ungl\xE4ubigen aus seinem gef\xE4hrlichen Schlummer erwecket, wenn sie den Freygeist zu sich selbst bringt. und den Ruchlosen bekehret, so ist wohl nichts nat\xFCrlicher , als da\xDF daraus dem Staate die wesentlichsten Vortheile zuwachsen m\xFCssen.
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II. Die Naturgeschichte macht einen wesentlichen Theil der Wissenschaften aus.
Hier\xFCber sind alle Gelehrten vollkommen einig. Es w\xE4re daher \xFCberfl\xFC\xDFig, wenn wir uns weitl\xE4uftig beym Beweise einer ausgemachten Wahrheit verweilen wollten. Ganz Europa siehet mit Vergn\xFCgen und Uiberzeugung den schnellen Fortgang ein, den die Wissen schaften seit der gl\xFCcklichen Epoche gehabt, da man angefangen, die Naturlehre durch gr\xFCndliche Untersuchungen zu bereichern. Welch ein gl\xE4nzendes Licht haben nicht
von Haller,
Trembley,
Bonnet, u. s.w. \xFCber diese Wissenschaft verbreitet! Was hat der Landbau und die Oekonomie nicht \xFCberhaupt den wichtigen Entdeckungen eines
d\xFC Hamel und den physikalischen Versuchen eines
Gleditschens zu verdanken!
Wenn wir uns auch gar nicht bey den Erfahrungen aufhalten wollen, die uns gerades Weges auf die unleugbarsten Beweise vom Daseyn eines h\xF6chsten Wesens, auf die Erweiterung der menschlichen Einsichten, und auf das allgemeine
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Beste der menschlichen Gesellschaft leiten k\xF6nnten. Der K\xFCnstler und Handwerksmann mu\xDF Instrumente und Handwerkszeug haben, um Beweise seiner Geschicklichkeit zu geben. Einen wohleingerichteten Staat sind Naturalienkabinete nicht minder unentbehrlich, wenn die Einwohner der Welt, beweisen sollen, da\xDF sie die gl\xFCckliche F\xE4higkeit, und den r\xFChmlichen Willen haben, im unterrichteten Buche der Natur zu lesen. Der Einwurf, da\xDF gute B\xFCcher die Stelle der Erfahrungen und der Selbstbeschauung ersetzen k\xF6nnen, hat nicht das mindeste Gewicht. Die Natur mu\xDF jeden selbst leiten, der sich eine richtige Kenntni\xDF von ihr erwerben will. Die B\xFCcher k\xF6nnen dem Ged\xE4chtnisse der Naturforscher zu Hilfe kommen, und seiner anschauenden Kenntni\xDF mehr Nachdruck geben; aber, f\xFCr sich allein, nie einen wahren Naturkundigen bilden.
Selbst die Gottesgelehrtheit gewinnet ungemein durch die Naturwissenschaft. Die Natur ist gleichsam der Spiegel, in welchen wir die Denkungsart, die Entw\xFCrfe, den Willen und die Absichten des Allerweisesten erblicken. Je tiefer der Arzt, der Zergliederer, u. der Scheidek\xFCnstler in die Ursachen und
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Wirkungen der Naturk\xF6rper eindringen, je h\xF6her sie in der Vollkommenheit der Kenntnisse steigen, desto einleuchtender sind die Vortheile, weiche daraus der Gottesgelehrtheit zuwachsen.
Des Weltweisen nicht zu gedenken. Kann der wohl einen Augenblick vergn\xFCgt leben, ohne sich mit der Natur zu besch\xE4ftigen und nach best\xE4ndigen neuen Entdeckungen zu geitzen? Dem Rechtsgelehrten k\xF6mmt die Naturgeschichte nicht unmittelbar zu statten, allein er kann sich durch sie die rei\xDFendsten Erholungsstunden verschaffen. Der Schauplatz der Natur erh\xF6het unsern Verstand, er adelt unsre Begriffe und h\xE4lt uns von allen Seiten r\xFChrende Gem\xE4lde vor, die mit der Rechtschaffenheit des Herzens, und mit der Untersuchung der Wahrheit in der genauesten Verbindung stehen.
Die Wissenschaften durch einen neuen Zweig erweitern, hei\xDFt: ihnen einen neuen Glanz und dem Staate neue Vortheile verschaffen.
Die Fortsetzung folgt.
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