Bl\xE4ttern:
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XXXVIII.
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Zwote Fortsetzung des 36. St\xFCcks.
III. Zur Bildung des Geschmacks ist die Nuturwissenschaft unentbehrlich.
In der Malerey ist die Zeichnung der Grund eines Gem\xE4ldes, wodurch die Gegenst\xE4nde,Leben, Nachdruck, Ausdruck, und die wahre Gestalt bekommen. Sie ist aus Linien von allen Arten zusammengesetzt, welche durch ihre Beziehung, die Gestalten, Figuren, und Umrisse der Gegenst\xE4nde vorstellen. Was man hier Zeichnung, Risse, und Entw\xFCrfe nennet, ist allenthalben n\xF6htig, sowohl den Geschmack zu bilden, als Ordnung u.Ebenmaa\xDF durchg\xE4ngig zu beobachten. Die ganze Welt ist ein nach der vollkomensten Zeichnung entworfnes Gem\xE4lde.
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sichtbar lieget es vor unsern Augen und seine Vollkommenheit wirket auf unsern Verstand. Gl\xFCcklich ist derjenige, der einige Theile dieses Gem\xE4ldes in guter Ordnung, und nach richtigen Grunds\xE4tzen nachahmen kann! Von der Natur sprechen, hei\xDFt: von einer Zeichnung reden. Zwey von einander ganz unzertrennliche Dinge! Daher hat man die Zeichnung als eine Kunst zu betrachten, die kein vern\xFCnftig denkendes Wesen entbehren kann. Wir wollen mit wenigen Worten die Wahrheiten ber\xFChren, die aus diesem Satze gefolgert werden k\xF6nnen. Zeichnung, und Schule der Geschmacks sind gleichgeltende Ausdr\xFCcke. Lassen sich aber wohl richtigere Zeichnungen, und eine bessere Schule des Geschmacks denken, als ein gutes Naturalienkabinet, wo man alle Sch\xF6nheiten der Natur mit einem Blicke \xFCbersehen kann? wo die vollkommenen Umrisse der Schaalengeh\xE4use, der unmerkliche Uibergang der Farben in eine andere, oder die Schattirungen auf den Blumen, die gl\xE4nzenden Farben, womit die Natur die Schmetterlingsfl\xFCgel bestreuet hat, die richtigen, u. so wohl an allen kriechenden Thieren, als an allen Insekten so unendlich verschiedenen Zusammensetzungen
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Abtheilungen, und Auszierungen, ollen K\xFCnstlern einen so unersch\xF6pflichen Unterricht ertheilen. Sind die Naturalienkabineter nicht wirklich der Probierstein des Geschmacks, das Orakel grosser M\xE4nner und K\xFCnstler, und eine Dem\xFChtigung aller Pfuscher in den Werken der Kunst: Man sage einmal, was ist ein K\xFCnstler ohne die Natur; Ein Wesen ohne Leben. Wenn also die K\xFCnstler keine andere Lehrmeisterinn, keine sicherere F\xFChrerinn haben k\xF6nnen , als die Natur; was h\xE4lt uns noch ab, die Naturalienkabineter,die vollkommenste Schule des Geschmacks zu nennen? Selbst der Begriff des Sonderbaren, des Baroken,erscheint hier zum Theile in den Seegesch\xF6pfen. Der Blumenmaler verliert sich hier in der unendlichen Menge der eben so mannigfaltigen Sch\xF6nheiten. Der Figurenmaler bewundert daselbst die genauesten Verh\xE4ltnisse aller Theile eines menschlichen K\xF6rpers vom erwachsenem K\xF6rper bis zum Embryo entdecket er lauter Vollkommenheit.
Was ist der Geschmack anders: als ein richtiges Antheil von der wahren Beschaffenheit und dem Werhte einer jeden Sache? In einem Kabinete liegen unz\xE4hlige Gegenst\xE4nde vor unsern Augen, man
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lernt sie daselbst kennen, sch\xE4tzen und beurtheilen. Man bildet also dadurch seinen Geschmack, und die Errichtung \xF6ffentlicher Naturalienkabineter, gereicht aus diesen Gr\xFCnden, offenbar zum Vortheile eines Staates: denn wer kennet nicht den gro\xDFen Einflu\xDF eines guten Geschmacks auf die Verbesserung der Sitten, und die Denkungsart eines jeden Menschen?
IV. In unserem jetzigen Zeitalter hat die Naturgeschichte vor allen anderen Wissenschaften eine Menge Liebhaber u. Verehrer gefunden.
Den Beweis nehmen wir aus den Werken so vieler Gelehrten, die uns darinn unterrichten, und aus der Menge von grossen Meisterh\xE4nden gelieferter pr\xE4chtiger Kupferstiche; die Best\xE4tigung unsers Satzes aber aus der betr\xE4chtlichen Anzahl von Kabinetern, die seit dem Anfange dieses Jahrhunderts errichtet worden.
Bey Privatpersonen ist diese Liebhaberey bis zu einer ausschweifenden Leidenschaft gestiegen. Sie gehet zuweilen so weit, da\xDF man um reich an Naturalien
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zu seyn, sich in den beschwerlichsten Mangel nohtwendigerBed\xFCrfnisse st\xFCrzet Einige Privatpersonen vernachl\xE4\xDFigen dar\xFCber ihre wesentlichsten und nohtwendigsten Gesch\xE4fte, welches ihren Gl\xFCcksumstanden nicht minder nachtheilig ist. Andre vereiteln dadurch die Hoffnungen ihrer Erben, wenn sie den gr\xF6\xDFten Theil ihres Verm\xF6gens auf Naturalien verwenden , dadurch die Summe des Verm\xF6gens ; nach ihrem Tode, desto geringer wird, je weniger sich g\xFCnstige Gelegenheiten finden, einen so kostbaren Schatz vorteilhaft wieder anzubringen. Ein anderer, der vielleicht keine Erben hat, betrachtet und untersuchet seine nat\xFCrlichen Sch\xE4tze wohl, 40. Jahre lang mit unm\xE4\xDFigem Aufwand, und eben so grosser Begierde, bis er endlich, durch gar zu viel Nachtwachen und unabl\xE4\xDFige Anstr\xE4ngungen, das Liebste, was er hat, u. was er zu dieser sonst \xE4dlen Besch\xE4ftigung nohtwendig brauchet, n\xE4mlich das Gesicht verlieret. Die einzige Beruhigung , die ihm, bey einen so ungl\xFCcklichen Zufalle, und in so beklagensw\xFCrdigen Umst\xE4nden \xFCbrig bleibt, gr\xFCndet sich darauf, da\xDF er die gesammleten weitl\xE4uftigen Kenntnisse und herrlichen Begriffe nicht zugleich wieder zu verlieren
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bef\xFCrchten darf. Ein anderer Trost f\xFCr ihn w\xFCrde dieser seyn,wenn er hoffen d\xFCrfte, da\xDF sein kostbares Kabinet unzerstreut in die H\xE4nde seiner Nachkommen geriehte, und er sich der Ehre zu erfreuen hatte, f\xFCr den ersten Stifter desselben gehalten zu werden.
Je l\xE4nger und \xF6fter wir \xFCber dergleichen gro\xDFe Privatsammlungen unsre Betrachtungen anstellen, desto mehr werden wir in der Meynung best\xE4rkt, da\xDF Privatpersonen diesen kostbaren Theil der Wissenschaften, als ein Regale, den Monarchen und dem Staate \xFCberlassen sollten. Denn in der That \xFCbersteigen die Nachforschungen, die best\xE4ndigen Vermehrungen , und der Aufwand, den ein n\xFCtzliches oder allgemeines Naturalienkabinet erfordert, die Kr\xE4fte eines Privatmannes viel zu weit, als da\xDF man bey ihm eine hinl\xE4nglich unterrichtende Sammlung der unbegreiflich vielfachen Seltenheiten der Natur suchen d\xFCrfte.
Das vern\xFCnftigste w\xE4re in diesem Falle wohl unstreitig, wenn jeder Liebhaber unter den Privatpersonen sich bem\xFChete, in einer einzelnen Klasse von Naturalien so viel zu sammlen, als g\xFCnstige Gelegenheiten und seine Umst\xE4nde verstatten. Wenn der eine lauter V\xF6gel, der andre
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blos die Fische, einer Inseckten, ein andrer lauter Steine; der eine blosse Versteinerungen , ein anderer lauter Pflanzen, Saamen u. Gew\xE4chse; der eine lauter H\xF6lzer, ein andrer die bekanntesten und seltsamsten inn- und ausl\xE4ndischen harten Fr\xFCchte, N\xFC\xDFe, u. Kernen u. s w. sammlete ,und jeder in dem Fache, dessen vorz\xFCglichste Seltenheiten er aufbewah ret, sich richtige und weitl\xE4ufige Kenntnisse zu erwerben suchte; dann w\xFCrde man sich f\xFCr die Wissenschaften au\xDFerordentliche Vortheile zu versprechen haben , und dergleichen Sammlungen w\xFCrden desto nutzbarer seyn, wenn man sie, nach dem Tode ihrer Besitzer, allemal zur Vermehrung des allgemeinen Landeskabinets f\xFCr eine verh\xE4ltni\xDFm\xE4\xDFige Entsch\xE4digung der Erben an sich kaufen wollte.
Die Naturgeschichte als das Favoritstudium des jezigen Jahrshunderts, k\xF6nnte demnach einem Staate vorz\xFCglich n\xFCtzlich werden, wenn man sich demselben mit den geh\xF6rigen Einschr\xE4nkungen \xFCberlie\xDFe.
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V. Die Errichtungen der Naturalienkabineter giebt Gelegenheit zur Bildung gro\xDFer Gelehrten.
Alle Staaten, wo man dergleichen Kabineter findet, best\xE4tigen diese Wahrheit durch die gl\xFCcklichsten Erfahrungen. Man kennet die Gelehrten, welche sich in diesem Fache einen Ruhm erworben, viel zu genau, als da\xDF es n\xF6htig hatte, uns zu Herolden ihres Ruhms aufzuwerfen. Man nennt ihre Namen mit Hochachtung, und ihre Schriften, die siich in den H\xE4nden aller Naturfreunde befinden, sind ihre b\xFCndigsten Lobredner.
Ohne \xF6ffentliche Naturalienkabineter, ohne die gro\xDFm\xFChtige Unterst\xFCtzung u. huldreiche Aufmunterung gro\xDFer F\xFCrsten und Monarchen w\xFCrde die Naturgeschichte noch lange nicht den hohen Grad der Vollkommenheit erreicht haben, den man ihr jetzt zugestehen mu\xDF. Unsre Bibliothecken w\xFCrden nicht mit so vielen pr\xE4chtigen und lehrreichen Werken prangen.
Die Fortsetzung folgt.
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