Bl\xE4ttern:
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XXXIX.
(P305)
Dritte Fortsetzung des 36. St\xFCcks.
Wem haben wir alle die sch\xF6nen Unterweisungen, oder vielmehr, wem haben wir diese Sch\xE4tze der Gelehrsamkeit, wem haben so viele gro\xDFe M\xE4nner ihren unsterblichen Ruhm zu verdanken? Lediglich der Errichtung gro\xDFer Schatzkammern der Natur. Die sind also auch in dieser Absicht einem Staate unentbehrlich.
Den Geschmack eines ganzen Volkes verbessern, hei\xDFt: Die Gl\xFCckseligkeit eines Staats erh\xF6hen, und den Geschmack des sch\xF6nen Geschlechts bilden, ist eben so viel, als die Ehre eines Staates bef\xF6rdern.
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VI. Wenn die Lekt\xFCre zur Bildung des Geschmacks behilflich ist, so erwecken, zuverl\xE4\xDFig die Naturaliensammlungen in gesch\xE4ftlichen Seelen, besonders des sch\xF6nen Geschlechts, eine Begierde zum Lesen.
Wir wollen diesen Satz etwas n\xE4her untersuchen.
Fast jedermann lieset. Auch die Damen lesen, und viele unter ihnen finden ein Vergn\xFCgen an des
Hrn. Abbt Pl\xFCsche Schauplatz der Natur, an
Bonnets lehrreichen Betrachtungen der Natur, an den allgemeinen Reisebeschreibungen, u. an Nachrichten von den entlegensten L\xE4ndern.
Lauter Werke, die eben so viel Vergn\xFCgen als Unterricht ertheilen; die aber durg\xE4ngig mit Beobachtungen u. Begebenheiten aus der Naturgeschichte angef\xFCllet sind! Kann man aber wohl vern\xFCnftiger Weise verlangen, da\xDF sich ein Frauenzimmer eine richtige Vorstellung von den Merkw\xFCrdigkeiten machen soll, die in den Beschreibungen der Produkte eines Landes vorkommen, wenn sie nicht vorher einen deutlichen Begriff von allen Naturreichen hat, zu welchen diese
(P307)
Wunder der Natur gerechnet werden? Was w\xE4re aber wohl f\xE4higer, ihnen die Lekt\xFCre in diesem Zweige der Wissenschaften leicht, angenehm, und n\xFCtzlich zu machen, u. ihren Verstand nicht allein zu erweitern, sondern auch zu versch\xF6nern, als ein Naturalienkabinet? Den Damen pflegt eine gewisse Art der Neubegierde, und eine lebhafte Erinnerungskraft eigen zu seyn. K\xF6nnte man aber die erstere wohl \xE4dler unterhalten, und die letztere mit w\xFCrdigeren Gegenst\xE4nden besch\xE4ftigen, als wenn man sie in grossen Archiven der Natur mit den Wundern aller Reiche derselben, und mit den Meisterst\xFCcken des Sch\xF6pfers, bekannt machte, dessen gr\xF6\xDFtes Meisterst\xFCck sie selbst sind? Wie viele \xFCbelgesinnte Damen w\xFCrden nicht \xFCber der Betrachtung der Sch\xF6nheiten der Natur, u. \xFCber der Untersuchung der wunderbaren Eigenschaften nat\xFCrlicher K\xF6rper, manche verf\xFChrerische Vergn\xFCgungen, Schauspiele, B\xE4lle, Spiele, gedruckte und selbst gespielte Romanen vergessen! —
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VII. Die Naturgeschichte gewahret in einem Staate, wo sie gesch\xFCtzt wird, den Neugierigen eine gro\xDFe Menge n\xFCtzlicher Erg\xF6tzungen.
Die Gelehrten besch\xE4ftigten sich mit neuen Untersuchungen. Die Sch\xF6nen finden darinnen einen Unterricht, den sie bey freundschaftlichen Zusammenk\xFCnften und bey einer guten Erziehung ihrer Kinder, sehr gl\xFCcklich anwenden k\xF6nnen, wenn sie erz\xE4hlen, was f\xFCr herrliche Wunder der Natur bey Besichtigung gro\xDFer Kabineter, ihren Verstand unterhalten, und ihre Sinnen belustiget haben.
Wir wollen einmal annehmen, das sch\xF6ne Geschlecht folgte dem Rufe der Natur, und die Damen, besonders z\xE4rtliche M\xFCtter, w\xE4ren bereits in den Geheimnissen der Natur unterrichtet, w\xFCrden es diese wohl dabey bewenden lassen, ihre Kinder mit den l\xE4cherlichen Fabeln abzuspeisen, die blo\xDF die Unwissenheit gemeiner M\xFCtter ank\xFCndigen? Nein! Dergleichen ehrw\xFCrdige M\xFCtter w\xFCrden, ohne daran zu denken, oder es sich sauer werden zu lassen, erz\xE4hlend unterrichten, u.
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ihre Kinder spielend mit n\xFCtzlichen Kenntnissen bereichern.
Nat\xFCrlicher Weise m\xFC\xDFen alle diese scheinbaren Kleinigkeiten auf den Nutzen eines Staates Einflu\xDF haben. Einen vorz\xFCglichen Vortheil aber kann man sich daher versprechen ; wenn die Jugend erst von eben so starken Trieben einer \xE4dlen Neubegierde, wie ihre Eltern und Lehrer, belebt worden ; da\xDF sie alsdann begierig wird, sich selbst dergleichen Sammlungen im kleinen zu machen. Das eine solcher Kinder wird seine Spielstunden mit der Schmetterlingsjagd verk\xFCrzen; andere werden darauf sinnen, wie sie den Fliegen k\xFCnstliche Fallstricke legen wollen; und w\xFCrde man es denen verargen k\xF6nnen, die selbst an den verachteten , aber in tausend Absichten h\xF6chst merkw\xFCrdigen Spinen Geschmack fanden? Hier w\xFCrde ein Kind begierig auf die V\xF6gel seyn; dort w\xFCrde sich ein anderes um eine n\xE4here Kenntni\xDF der Thiere bem\xFChen. Wo ihre eigenen Einsichten u. Nachforschungen stehen blieben, da w\xFCrde ihre Begierde, u. der Flei\xDF in B\xFCchern weiter nachzulesen anfangen. Die Aedelsteine, halb\xE4dle, gemeine Steine, und Mineralien, als ein trockner und f\xFCr die Jugend weniger belustigenderTheil,
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w\xFCrde dem reifern Verstande erwachsener Personen seine Besch\xE4ftigung geben. Sollte man beym Anblicke solcher kindischen Spiele, und jugendlicher Besch\xE4ftigungen, wohl noch zweifeln k\xF6nnen, da\xDF dem Staate durch dergleichen neugierige Untersuchungen wesentliche Vortheile zuwachsen m\xFC\xDFen? K\xF6nnten wohl Kinder ihre Erholungsstunden vortheilhafter anwenden, als wenn sie solche, dergleichen unterhaltenden Betrachtungen widmen ? Besonders wenn die Eltern oder ihre Lehrer f\xE4hig sind, ihre Begriffe zu erweitern, und ihre kleinen Kenntnisse durch einen Zusatz der ihrigen zu erh\xF6hen. Durch den Geschmack an dergleichen unschuldigen Erg\xF6tzlichkeiten wird tausend \xFCbeln Gewohnheiten , und allen Lastern vorgebauet. Sie helffen die Sitten angenehmer, die Tugenden gl\xE4nzender machen, und sind verm\xF6gend, die Herzen solcher kleinen Pflanzen gerade auf ihren Sch\xF6pfer zu f\xFChren. In jedem Lande, wo sich, aus Mangel guter \xF6ffentlicher Kabineter, und unterrichtender B\xFCcher, niemand auf die Erlernung dieser erhabnen Wissenschaften leget, mu\xDF sich notwendig das Gegentheil von allen diesen gl\xFCcklichen Vortheilen \xE4u\xDFern.
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VIII. Bis hieher haben wir blo\xDF von der Nutzbarkeit der Naturalienkabineter geredet. Man k\xF6nnte aber wohl sagen, da\xDF sie in einem Staate beinahe unentbehrlich, oder nohtwendig w\xE4ren. Ein einziger Grund k\xF6nnte dieses schon erweisen.
Es ist ausgemacht, da\xDF jedes Land seine ihm eigenth\xFCmlichen Merkw\xFCrdigkeiten und Kostbarkeiten der Natur und Kunst aufzuweisen hat. W\xE4re es wohl billig, dergleichen Wunderwerke der Natur, dergleichen seltsame und au\xDFerordentliche Sachen einem Staate entwenden zu lassen? Man sollte demnach einen hinl\xE4nglichen Raum bestimmen, wo man gesammlete Merkw\xFCrdigkeiten aufbewahren k\xF6nnte. Ein solcher Sammelplatz von Seltenheiten der Natur und Kunst, wird eben ein Naturalien- oder Kunstkabinet genennet, welches wir schon als h\xF6chst vortheilhaft f\xFCr einen Staat geschildert, und dessen Nohtwendigkeit gar leicht zu erweisen w\xE4re.
Wenn man ein seltsames, u. in seiner Art das einzige Produkt der Natur oder der Kunst, aus Frankreich z.B. wegbr\xE4chte,
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und den H\xE4nden des gro\xDFen Moguls \xFCberlieferte, w\xFCrde der K\xF6nig von Frankreich auf den Mogul \xFCber den Besitz desselben, nicht eben so neidisch seyn, als der Mogul \xFCber diesen, wenn er seinen gro\xDFen Diamant bes\xE4\xDFe?
Allenthalben, wo sich ein \xF6ffentliches Naturalienkabinet befindet, ist nichts gewissers, als da\xDF keine wahre Seltenheit der Natur, au\xDFer Landes geschaffet wird.
Der Weitweise bem\xFChet sich also in seinem Kabinett alle die m\xFChsamen Untersuchungen und Beobachtungen der Naturforscher zusammen zu bringen. Jeder w\xFCrdige Beobachter und Kenner der Natur l\xE4\xDFt es sich angelegen seyn, ihm von allem, was die Natur sch\xF6nes, seltnes und wunderbares hat, etwas anzubieten. Der Bergmann, der Seefahrer, der J\xE4ger, der Landmann, der Zergliederer, der Kr\xE4uterkenner, der Blumist, und tausend andere, beeifern sich um die Wette, die Sch\xF6nheit, Pracht, und Vollst\xE4ndigkeit solcher Kabineter zu bef\xF6rdern.
Der Beschlu\xDF im n\xE4chsten Blatte.
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