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XXIII.

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Geschichte der Virginia.

Appius Claudius, welcher mit seinen Amtsgenossen durch die verha\xDFtesten Wege das Decemvirat eigene m\xE4chtig verl\xE4ngert hatte, vereinigte zu Rom in seiner Person das ganze oberkeitliche Ansehen, mittlerweile da\xDF die andern Decemvire mit dem Kriege gegen die Aequer und Sabiner besch\xE4ftiget waren. Da er sich eines Tages auf dem Gerichtsplatze befand, so sah er eine Jungfrau von seltener Sch\xF6nheit, und ohngefahr in einem Alter von f\xFCnfzehn Jahren, neben seinem Richterstuhle vorbey gehen, welche in Begleitung ihrer Amme die \xF6ffentlichen Schulen besuchte. Ihre Reize und die aufbl\xFChenden

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Annehmlichkeiten der Jugend zogen alsbald seine Aufmerksamkeit auf sie. Er konnte sich nicht enthalten, sie mit einem geheimen Vergn\xFCgen zu betrachten. Seine Neubegierde verdoppelte sich des folgenden Tages: er fand sie noch weit sch\xF6ner; und da diese junge Person t\xE4glich \xFCber den Markt gieng, so fa\xDFte er unvermerkt gegen sie eine heftige Leidenschaft, welche f\xFCr beyde Theile gleich traurige Folgen hatte. Er war schon am ersten Tage, da er sie gesehen, darauf bedacht, sich nach ihrem und ihres Geschlechtes Namen zu erkundigen. Man hatte ihm hinterbracht, da\xDF sie aus einem b\xFCrgerlichen Hause w\xE4re, und Virginia hie\xDFe; da\xDF sie ihre Mutter, mit Namen Numitoria, verloren h\xE4tte; da\xDF Virginius, ihr Vater, dermalen als Hauptmann bey dem Heere des Decemvirs F. Vibulanus in Diensten st\xFCnde; da\xDF Virginius seine Tochter dem Icilius, welcher Tribun des Volks gewesen war, zur Ehe versprochen h\xE4tte, und da\xDF er sie nach Endigung des Feldzuges heurahten sollte. Diese f\xFCr die Liebe des Appius so widerw\xE4rtigen Nachrichten dieneten blos dieselbe zu vermehren. Er hatte selber die junge Virginia gerne heurahten

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m\xF6gen, aber au\xDFer dem, da\xDF er bereits verehlichet war, so konnte ihm nicht unbekannt seyn, da\xDF die letztern Gesetze der zw\xF6lf Tafeln, davon er der vornehmste Urheber gewesen, alle Verbindungen zwischen den Patriciern und Plebejern untersagten, und also sah er sich dahin gebracht, da\xDF er die Erf\xFCllung seiner lasterhaften Begierden einzig und allein von dem sch\xE4ndlichen Mittel der Verf\xFChrung hoffen konnte. Die Unschuld und Schamhaftigkeit der Virginia hinderten ihn, seine b\xF6sen Absichten ihr selber zu erkl\xE4ren. Er hielt es f\xFCr zutr\xE4glicher, die Unterhandlung durch eine von jenen Liebesdienerinnen, welche ins geheim mit der Sch\xF6nheit und den Reizen der Jugend ein Gewerb treiben, er\xF6ffnen zu lassen. Er \xFCberh\xE4ufte dieselbe mit Wohlthaten, und nachdem er sie von seinen Anschl\xE4gen unterrichtet hatte, so verboht er ihr, ihn zu nennen, oder ihn anders als unter dem Bilde eines Mannes aus einem der vornehmsten H\xE4user der Stadt, und der in der Republik eine unumschr\xE4nkte Gewalt hatte, kennbar zu machen. Dieses Weib steckte sich auf seinen Befehl hinter die Amme der Virginia. Sie machte Bekanntschaft mit ihr, suchte sich

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in ihr Vertrauen einzuschleichen , und nach vielen Bem\xFChungen, welche durch reiche Geschenke und noch weit pr\xE4chtigere Verhei\xDFungen unterst\xFCtzet waren, er\xF6ffnete ihr diese Ungl\xFCckselige den Gegenstand ihres Auftrages. Aber die rechtschaffende und getreue Amme verwarf mit Grauen ihre Geschenke und ihre Vorschl\xE4ge. Appius vernahm mit Schmerzen, da\xDF sie eben so unf\xE4hig war, sich \xFCberlisten als bestechen zu lassen. Dieser in seinen Leidenschaften rasende und hartn\xE4ckige Gerichtsherr lie\xDF sich nicht abschrecken. Er nahm zu einer andern Arglist seine Zuflucht, und ersann einen verabscheuungsw\xFCrdigen Betrug, dessen Erfolg ihm die Virginia in seine H\xE4nde liefern sollte. Er vertrauete die vornehmste Rolle davon einem gewissen Claudius, seinem Clienten, einem k\xFChnen und unversch\xE4mten Menschen, der mit zu denjenigen Leuten geh\xF6rte, welche sich das Vertrauen der Grossen blos durch eine lasterhafte Gef\xE4lligkeit f\xFCr ihre L\xFCste erwerben. Dieser Diener der Leidenschaft des Decemvirs trat in die \xF6ffentliche Schule, wo die junge Virginia war; er ergriff sie bey der Hand, und wollte sie unter dem Verwande, da\xDF sie von einer seiner

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Sklavinnen gebohren sey, mit Gewalt nach seinem Hause fortschleppen: denn es war eine Gewohnheit in Rom, da\xDF die Kinder der Sklaven auch Zugleich Sklaven der Herrschaften ihrer Aeltern waren. Das best\xFCrzte M\xE4gdchen wehrte sich blo\xDF mit seinen Thr\xE4nen; aber das Volk, welches durch das Geschrey ihrer Amme beweget wurde, lief ihr zu helfen herbey, und verhinderte den Claudius, sie zu entf\xFChren. Dieser unversch\xE4mte Mensch erkl\xE4rte sogleich, da\xDF er sich auf die Macht der Gesetze berufe; da\xDF er keine Gewalt zu brauchen gedachte , da\xDF er aber glaubte, er sey einem Herrn erlaubt, seine Sklavin \xFCberall, wo er sie f\xE4nde, zur\xFCck zu nehmen, und da\xDF er diejenigen, welche sich der Rechtm\xE4\xDFigkeit seiner Anspr\xFCche widersetzten, aufforderte, sogleich vor den Decemvir zu kommen; und indem er diese Worte sagte, f\xFChrte er die junge Virginia dahin fort. Die ganze Menge folgte ihr nach,einige aus Neugier und um die Entwickelung einer so au\xDFerordentlichen Begebenheit mit anzusehen; andere aus Achtung f\xFCr den Icilius, welcher sich w\xE4hrend seines Tribunenamts bey dem Volke sehr beliebt gemacht hatte. Numitorius, der Oheim der Virginia,

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welcher von dieser Unternehmung benachrichtiget wurde, kam alsbald mit dem, welchem sie versprochen war, zu ihrer Hilfe herbey gelaufen. Claudius trug seine Forderungen einem Richter vor, welcher selbst der Urheber des Betruges war. Er sagte, da\xDF dieses M\xE4gdchen in seinem Hause geboren w\xE4re; da\xDF es heimlich durch eine Sklavinn, die seine Mutter war, aus demselben sey entwendet worden, welche, um ihren Diebstahl desto besser zu verbergen, sich gestellt habe, als ob sie mit einem todten Kinde niedergekommen w\xE4re; da\xDF man aber nachher entdeckt hatte, wie sie dieses Kind an die Mutter der Virginia verkauft habe, welche unfruchtbar war, und in der Ungeduld, Kinder zu haben, sie f\xFCr ihre Tochter ausgegeben hatte. Er w\xE4re erbiehtig unverwerfliche Zeugen wegen dessen, was er behauptete, vor den Richter zu stellen; es sey aber bis zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr als billig, da\xDF eine Sklavinn ihrem Herrn folgte, und da\xDF er B\xFCrgschaft anb\xF6hte, sie wieder zu stellen, wenn Virginius bey seiner R\xFCckkunft noch ihr wahrer Vater zu seyn behaupten sollte. Numitorius sah wohl, da\xDF dieser Streich von einer furchtbaren Hand

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herkam; aber er verbarg seinen Argwohn weislich, und f\xFChrte dem Decemvir mit vieler M\xE4\xDFigung zu Gem\xFChte, wie der Vater seiner Nichte zum Dienste des Vaterlandes abwesend sey; da\xDF es ungerecht w\xE4re, einen B\xFCrger wegen des Standes seiner Kinder in seiner Abwesenheit anzufechten; wie er blo\xDF einen Aufschub von zweenen Tagen verlangte, um ihn von dem Kriegsheere zur\xFCck kommen zu lassen; da\xDF er bis zu seiner Ankunft sich erb\xF6hte, die Virginia in seinem Hause zu verwahren; da\xDF diese Sorge ihm als ihrem Oheim zuk\xE4me, und er sich anheischig machte, sie, unter was f\xFCr einer B\xFCrgschaft man sie auch von ihm verlangen wollte, wieder vor den Richter zu stellen; es sey aber nicht billig, da\xDF in dem Hause eines Mannes, wie Claudius, die Tochter des Virginius noch gr\xF6\xDFere Gefahr liefe, sowohl ihre Ehre als ihre Freyheit zu verlieren. Er setzte hinzu, da\xDF das, was er verlangte, den Gesetzen gem\xE4\xDF sey, welche verordneten, da\xDF in einem Streitfalle der Kl\xE4ger den Beklagten vor dem endlichen Urtheile in seinem Besitze nicht sollte st\xF6ren k\xF6nnen. Die ganze Versammlung billigte die Rechtma\xDFigkeit dieses Ansuchens.

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Appius, nachdem er das Stillschweigen gebiehten lassen, wollte sich der Billigkeit und Uneigenn\xFCtzigkeit eines guten Richters anmassen, und erkl\xE4rte, da\xDF er allezeit der Besch\xFCtzer eines so gerechten Gesetzes seyn w\xFCrde, welches er ja selber in die zw\xF6lf Tafeln einger\xFCcket hatte; da\xDF aber bey der angef\xFChrten Streitsache Umst\xE4nde vork\xE4men, welche die Art derselben ver\xE4nderten; da\xDF nur einzig und allein der Vater den Besitz derjenigen anverlangen k\xF6nnte, die er seine Tochter zu seyn behauptete, und da\xDF, wenn jener zugegen w\xE4re, er sie ihm einstweilen zuerkennen w\xFCrde; da\xDF aber in seiner Abwesenheit ein Schwager nicht gleiches Recht h\xE4tte; er wollte zwar die n\xF6htige Zeit verstatten, um den Virginius von dem Heere zur\xFCck kommen zu lassen, damit er von seinen Gesinnungen unterrichtet werden k\xF6nnte; jedoch ohne da\xDF dieser Aufschub einem Herrn, der seine Sklavinn wieder forderte, Nachtheil bringen m\xFC\xDFe: Er verordne also, da\xDF Claudius die Virginia in sein Haus f\xFChren sollte, jedoch unter Stellung hinl\xE4nglicher B\xFCrgschaft, da\xDF er sie bey der R\xFCckkunft desjenigen, den man f\xFCr ihren Vater ausg\xE4be, wieder vor Gericht liefern w\xFCrde. Die Fortsetzung folgt.

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Topic revision: r9 - 15 May 2011, MarleneBurgstaller
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