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XLIII.
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Beschluß des 41. Stücks.
Der von Warteneck ist für diesesmal entschlossen, nichts zu versäumen. Er hat sich schon an dem andern Tage meines neuen Wittwenstandes gemeldet. Ich weis nicht ob ich ihn heurahten werde, oder nicht. Aber der Sommer ist so nahe, und nichts ist in der Hitze beschwerlicher , als ein Trauerkleid. Ich kann ohne Widerwillen an keinen siebenden Mann gedenken; die bloße Vorstellung desselben ist mir empfindlich. Aber ich habe ein edles und dankbares Herz; und kann auch etwas billiger seyn, als mein heimliches Mitleiden mit einen so beftändigen Feyer? —
Ich begreife nicht, wie die Bosheit des menschlichen Herzens so weit gehen sollte ; von mir zu verlangen, daß ich durch eine lange Trauer und Einsamkeit,
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das Andenken eines meiner verstorbenen Männer hätte verehren, oder viel Zeit darauf verwenden sollen, über den Verlust eines trotzigen, nichtswürdigen, achtlosen, ausschweifenden ; milzsüchtigen, oder geitzigen Mannes mich zu betrüben.
Mein erster Mann beleidigte mich, mir war der andere, als hätte ich keinen, der dritte war mir verdrüßlich; der vierte würde mich um das Meinige gebracht haben; der fünfte quälte mich; der sechste wollte seine arme Frau Hungers sterben lassen. —
Es stünde zu wünschen, daß andere Damen meinem Beyspiele folgen, und die Fehler ihrer Männer beschreiben wollten. Gewiß, ein jeder würde alsdenn verstehen lernen, wie sie so wenig Ursache haben als ich, die Stunden ihres Wittwenstandes mit Trähnen und Klagen zuzubringen.
Von den Würmern im Essig.
Nichts ist bewunderungswürdiger, und nichts beweiset mehr die Vortrefflichkeit der Vergrößerungsgläser, als
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die mit der erstaunlichsten Menge von Thierchen angestellten Beobachtungen,die man in allen Arten von Infusionen findet. Im Essige halten sich Schlangen mit sehr spitzigen Schwänzen auf, und dieses hat vielen Gelegenheit gegeben, zu glauben, daß die Schärfe des Essigs blos von dem Stiche dieser Thiere in die Zunge herrühren. Diese Thiere, welche mit kleinen Aalen einerley Gestalt und Lebhaftigkeit haben, sterben häufig an einer Art von Lähmung, die anfänglich nur an einem Theile ihres Leibes gespüret wird. Oft genesen sie auch wieder in kurzer Zeit davon, besonders in den heißen Sommertagen, nur muß der Kopf nicht mit dieser Kranheit befallen seyn. Zuweilen legen sich etliche in gewisser Ordnung neben einander, und machen alle zugleich eine wellenförmige Bewegung. Dieses thun dann und wann wohl fünft zugleich. Andere beugen sich auf verschiedene Arten zusammen, und fahren eben so geschwinde wieder auseinander, wie eine zusammen gewundene Triebfeder, die man ausläßt. Einigen ist der Schwanz in zween Theile getheilet; am Kopfe aber kann man mit der ersinnlichsten Sorgfalt keine Augen wahrnehmen. Indessen haben sie doch
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vermuthlich welche, weil sie sich sehr geschickt ausweichen, wenn sie einander begegnen ; Wo nicht etwann diese Empfindung von dem Gefühle der Bewegung des Essigs herrühret, worinnen diese Thiere gegen einander anschwimmen. In gutem Essig findet man sehr selten andere Thiere, als diese Aale, da hingegen im verdorbenen, oder in solchem Essige vielerlei Sorten gefunden werden, den man, mit gemeinem Wasser vermischt, einige Wochen lang offen stehen läßt. Hiebey ists besonders, daß alle diese fremden Thiere den Augenblick sterben, sobald man nur einen kleinen Tropfen gemeinen Eßig hinzu thut, da hingegen die ersten Aelchen davon unversehrt bleiben, ja noch munterer als vorher darauf zu werden scheinen. Diese Aelchen gebähren lebendige Jungen.
Gedanken von der Gewißheit.
Ich frage einen Mann: Wie alt ist ihr Freund Christoph? Er antwortet mir 28. Jahre; Ich habe seinen Taufschein
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gesehen ; ich kenne ihn von Kindesbeinen an. — Ja, 28 Jahre ist er alt, ich habe davon völlige Gewißheit, ich weiß es gewiß! Kaum habe ich die Antwort, dieses Mannes, der, was er sagte, so gewiß wußte, und noch von 20. andern, die dieses bekräftigten, vernommen; so erfahre ich, daß man aus geheimen Ursachen, und durch besondere Kanäle, das Datum in dem Taufscheine zurück gesetzet hat. Die Leute mit denen ich deßwegen geredet habe, wissen noch nichts davon; indessen haben sie alle die Gewißheit von dem, was nicht ist.
Wann man vor den Zeiten des
Kopernikus die ganze Welt gefragt hätte: Ist die Sonne aufgegangen? Ist sie heute untergangen? so würden alle Menschen geantwortet haben: Wir haben davon völlige Gewißheit! — Sie waren gewiß, und steckten im Irrthume!
Die Zaubereyen, Wahrsagungen, und Besitzungen vom Teufel, waren lange Zeit, in den Augen aller Völker, die gewisseste, Sache von der Welt. Welch eine unzählige Menge von Leuten , die alle diese schönen Sachen gesehen haben, war nicht gewiß davon!
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heutzu Tage ist diese Gewißheit ein wenig gefallen! —
Mich besucht ein junger Mensch, welcher anfängt, die Geometrie zu lernen ; er ist noch nicht bis an die Erklärung des Dreyecks gekommen. Ich frage ihn ob er nicht gewiß sey, daß alle drey Winkel eines Dreyeckes, zween rechten Winkeln gleich sind? Er antwortete mir: Daß er davon nicht nur nicht gewiß sey, sondern auch nicht einmal einen deutlichen Begriff von meinem Satze habe, Nun demonstrire ich ihm denselben, und dann wird er sehr gewiß davon, und wird es Zeitlebens seyn. — Da haben wir eine, von den andern sehr unterschiedene Gewißheit! Jene waren nur Wahrscheinlichkeiten, und diese Wahrscheinlichkeiten sind bey der Untersuchung zu Irrthümern geworden; aber die mathematische Gewißheit ist unveränderlich, und ewig.
Ich bin, ich denke , ich empfinde Schmerzen. Ist alles dieses auch so gewiß als eine geometrische Wahrheit? Ja! Und warum? Weil diese Wahrheiten durch denselben Grundsatz: Daß ein Ding nicht zu gleicher Zeit seyn, und nicht seyn, empfinden, und nicht empfinden könne, bewiesen wird. Ein
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Triangel kann nicht zu gleicher Zeit 180. Grade, welche die Summe zween rechter Winkel ausmachen, haben, und sie nicht haben. Es sind also die physikalische Gewißheit von meinem Daseyn, von meiner Empfindung, und die mathematische Gewißheit von gleicher Giltigkeit, ob sie gleich von verschiedener Art sind. So ist es nicht mit der Gewißheit beschaffen, die sich auf Wahrscheinlichkeiten, oder auf den einstimmigen Bericht der Menschen gründen!
Aber, möchte jemand sagen: Bist du nicht gewiß, daß Peking existiert? Hast du nicht Stofen aus Peking in deinem Hause? Haben nicht Leute aus verschiedenen Ländern, von verschiedenen Meynungen, dir, da sie die Wahrheit zu Peking predigten , heftig gegen einander geschrieben haben, dir das Daseyn dieser Stadt versichert? Ich antworte: Es sey mir höchst wahrscheinlich, daß damals eine Stadt, Peking genannt, gewesen sey ; ich möchte aber nicht meinen Kopf verwetten, daß diese Stadt existire : ich würde aber wann man wollte, mein Leben verwetten, daß drey Winkel eines Triangels, zween rechten Winkeln gleich sind!
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Gedanken.
Alle Wissenschaften haben ihre Chimären hinter denen sie herrennet, ohne sie erreichen zu können ;sie erhaschen aber unterwegs andere sehr nützliche Erkenntniße. Die Chymie hat ihren Stein der Weisen ; die Geometrie ihrer Guadratur des Zirkels, die Astronomie ihre Längen; und die Mechanick ihre immer währende Bewegung.
Man kann fur geschickt gehalten werden, ohne weise Sprüche zu reden: So, wie man an dem ordentlichen Gange des Menschen sehen kann, ob er zu tanzen wisse, ob er gleich keine Tanzschritte macht.
Man kann einen wegen seiner stets höflichen, und immer fruchtlose Versprechungen mit einem schönen Baume vergleichen, der niemals Früchte bringt.
Man muß nie davon reden, was man für seine Freunde thut. Derjenige, welcher einem andern einen Dienst leistet, muß ihn den Augenblick vergessen; und der, so ihn erhalt muß ihn in beständigen Andenken behalten.
Der Beschluß folgt.
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