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XXXIX.
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Gesammlete Nachrichten von denen sogenannten Patagoniern oder Riesen welche an der magellanischen Meerenge und auf einigen südlichen Inseln gesehen worden.
Die alten Nachrichten von den Riesenbewohnern des südlichen Theils von Amerika, welche uns von verschiedenen berühmten Seefahrern sind aufgezeichnet worden, erhalten durch dieneulichen Entdeckungen einer engländischen
Eskadre, an deren Richtigkeit man mit Unrecht hat zweifeln wollen, einen so hohen Grad von Glaubwürdigkeit, daß wir es der Mühe werht geachtet haben, selbige aus den alten Tagebüchern zu sammeln.
Obgleich niemand für die Erzählungen fern gereister Seeleute, besonders aus den alten Zeiten Bürge seyn kann; so
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dünkt mich doch, daß es zu hart geurtheilt ist, wenn man alles, was von den südlichen Riesen geschrieben worden, unter die Erdichtungen hat rechnen wollen. Gesetzt auch, daß die neulichen Nachrichten aus England die Zuverläßigkeit davon nicht bekräftiget, und selbige mit den widersprechenden Berichten anderer Seeleute, die auf denen nämlichen Küsten Menschen von ganz gewöhnlicher Statur gefunden, verglichen hatten ; und gesetzt auch, daß man die
Enakskinder der heiligen Schrift und die Riesen des Alterthums nicht auf die Bahn bringen wollte; so ist doch schwer zu begreifen, wie so viele Reisende von allen Nationen, und zu ganz verschiedenen Zeiten, in einer Sache sollten einstimmig gewesen seyn, die bloß aus ihrem Gehirn entstanden wäre, und wie viele dieser Leute, die uns sonst fast durchgängig wahre und glaubwürdige Berichte hinterlassen, bloß in diesem Stücke eine Erdichtung fortgepflanzt haben könnten, die doch gar keine eigennützigen Absichten gehabt zu haben scheint. Selbst die Art und Umständlichkeit, womit uns die meisten Reisebegebenheiten erzählet werden, scheinen von der Wahrheit und Aufrichtigkeit dererselben zu zeugen.
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Nächstdem so ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß es unter dem kalten südlichen Himmelsstriche hin und wieder ganze Geschlechter von so großen Menschen geben solle, dergleichen wohl unter uns einzeln, ja zuweilen Familienweise gesehen werden. Wenn man sich, um das Daseyn eines solchen Riesengeschlechts in Amerika unwahrscheinlich zu machen, auf die vom Hrn. von
Büffon bemerkte Kleinheit aller Thierarten dieses Welttheiles berufen wollte; so würde man einen sehr schwachen Einwurf machen, da die vorgebliche Unvollkommenheit und Ohnmacht der Natur in denen amerikanischen Geschöpfen gar nicht allgemein bewiesen ist, und sich offenbar nicht über alle Klassen der Thiere erstrecket. Ich sollte demnach denken, daß der einzige Grund des gegen unsre Riesengeschichte bezeigten Unglaubens, derjenige bey vielen zur Mode gewordne Trieb ist. sich durch Zweifel und Widerspruch ein weises Ansehen zu geben, öder der Eigensinn anderer, alles zu verwerfen, was ihnen unwahrscheinlich vorkömmt, und von diesem oder jenen Schriftsteller einmal in Zweifel gezogen oder lächerlich gemacht worden.
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Der erste Sterbliche, welcher die sündlichste Spitze von Amerika umschiffer, und derjenigen Meerenge, welche daselbst eine grosse wüste Insel vom festen Lande trennet, seinen Namen gelassen hat, war auch schon so glücklich, dasjenige ungeheure, aber wenig zahlreiche Geschlecht von Menschen zu entdecken, welches sich nachher von Zeit zu Zeit auch andern Reisenden auf dieser Landspitze hat sehen lassen. Es war dieses ein Portugiese, Namens
Ferdinand Magaljanes, oder wie er genennet zu werden pflegt, Magellan, welcher im Jahr 1520. zuerst mit einer spanischen
Escadre die Meerenge seines Namens in den südlichen Ocean seegelte.
Anton Pigafetta ein Italiäner, welcher sich mit
Barboso auf dem Schiffe Victoria in der Escadre des Magellans befand, hat uns von dieser ersten um die Welt angestellten Seereise ein umständliches Tagebuch hinterlassen (*). Was dieser von denen Riesen erzählt, mit welchen die Spanier, während der Zeit, da die Eskadre im Jahr 1519. in dem
Flusse von St. Julian, auf 49 ½.
(*)Siehe Giav. Batt. Ramusio raccolta delle navigationel & viaggi. Venez. 1613. fol. Vol. I. p 353.b 354. 355. a.
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Grad südlicher Breite überwintern mußte, Umgang gepflogen, ist umständlicher, als alle jüngere davon vorhandene Berichte, und also werht etwas weitläuftiger eingerückt zu werden.
Die Spanier lagen, seinem Berichte nach, in nur gedachtem, nahe an der
magellanischen Meerenge gelegenen Hafen, zwey Monate still, ohne Einwohner zu sehen; bis man endlich eines Tages eine riesenmäßige Gestalt, mit weißgepudert scheinenden Hahren, tanzend und singend zum Hafen kommen sahe. Es wurde ein
Nachen ans Land geschickt, und durch friedfertige Zeichen ließ sich der Riese bewegen, mit zum
Magellan, der auf einer kleinen Insel war, zu komallwo er durch allerhand Gebärden seine Verwunderung zu erkennen gab, und oft mit dem Finger gen Himmel deutete, als wenn er sagen wollte, daß die Spanier vom Himmel gekommen seyn müßten. Er war so groß, daß ihm die Spanier nicht völlig bis an den Gürtel reichten, und dabey stark und wohl gebaut. Sein Gesicht war groß, und im ganzen Umkreise, wie auch um die Augen, mit einer lichtgelben Farbe, auf jeder Backe aber mit einem herzförmigen Flecken bemahlt. Das Hahr war weiß
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eingefärbt, und seine Kleidung bestand in einer schlecht zusammen genäheten Haut eines Thieres, welches nach des
Pigafetta Beschreibung das große amerikanische Kameel so von den Spaniern Lama oder Guanako genennt wird, scheint gewesen zu seyn. Aus dem Felle eben dieses Thieres waren die Socken, welche er an den Füßen hatte. Ein grosser Bo gen mit einem aus Thiersennen verfertigten Strang, und einige sehr lange, aus Rohr gemachte, nach Art der europäischen befütterte, und mit spitzigen Feuersteinen versehene Pfeile waren seine Waffen. Man reichte diesem Riesen zu essen und zu trinken, und beschenkte ihn mit Schallen, Glaßkorallen, und andern Kleinheiten, worunter auch ein stählener Spiegel war, der ihn durch den Anblick seines eignen Bildes in ein solches Erstaunen setzte, daß er im Schrecken zurück sprang, und durch diese Bewegung 3. oder 4. derer umstehenden Spanier zu Boden warf. Vier bewaffnete Männer brachten ihn wieder ans Land, da denn einer von seinen Gefährten,welcher ihn ankommen gesehen, zu den übrigen herbeigekommenen lief, worauf alle zugleich ihre Gewände von sich warfen, und bey Landung des
Nachenn,
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mit oft gen Himmel gestreckten Händen ansiengen zu tanzen und zu singen. Sie zeigten denen ans Land geschickten Spaniern ein aus Wurzeln zubereitetes Mehl, welches ihre einzige vorhandene Kost war. Diese waren nicht so groß, wie der erste, allein dagegen ziemlich stark vom Leibe, und hatten Köpfe fast eines halben Armes in der Länge. Uiber den ganzen Leib waren sie bemalt, und hatten keine andere Begleitung, als ein Stück Fell, womit sie ihre Blöße bedeckten. Auf die ihnen gethanenen Zeichen sich zu den Schiffen bringen zu lassen, nahmen sie ihre Bogen auf, setzten ihre Weiber auf gewisse wie Esel gestaltete Thiere, und ließen sie fortziehen.
Bald nachher kam ein anderer noch größerer Riese mit Bogen und Pfeilen zum Hafen, und zeigte sich mit dem Aufheben der Hände und andern Gebärden, die man nachahmte, und ihn mit dem
Nachen ebenfalls auf die kleine Insel brachte. Daselbst bezeigte er sich mit Tanzen und Singen sehr vergnügt und zufrieden; blieb auch lange unter den Spaniern, von welchen ihn der Name Johann (Giovanne oder Juan) gegeben ward, den er sowohl, als die Worte
Jesus, Pater noster und Ave Maria, so
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deutlich als jene , mit seiner sehr groben Stimme nachsprechen lernte. Magellan beschenkte ihn mit einem Hemde, einen weiß tuchenen Gewands Mütze Spiegel, Kamm und andern Kleinigkeiten, und ließ ihn zu den Seinigen kehren. Tages darauf kam er wieder, und brachte dem spanischen Befehlshaber ein Wildpret, ward aber nachher meyt mehr gesehen.
Etwann 14 Tage nach diesem kamen vier andere Riesen zum Vorschein, welche ihre Waffen in einem Busche zurückließen. Man legte zween davon mit List in Ketten, und brachte jeden auf ein besonderes Schiff: Sie brülleten entsetzlich, da sie sich gefangen sahen, und wiederholten oft das Wort Setebos. Mit den beyden andern konnte man nicht fertig werden, und obgleich der eine durch neun Mann mit vieler Mühe niedergeworfen und geschwind gebunden ward, so zerriß er doch die Bande sogleich und lief mit allen übrigen, die herbey gekommen waren, davon. Man sahe die kleinen weit schneller laufen, als jene grossen. Sie schossen unterwegs alle ihre Pfeile ab, und verwundeten einen vom spanischen Schiffsvolke tödtlich. Die Fortsetzung folgt.
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