Bl\xE4ttern:
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XXVI.
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Nat\xFCrliche Geschichte der Wespen.
Die Wespen, und ihre Art das Nest zu bauen, sind ein Gegenstand in der Naturwissenschaft, der durch seine Seltsamkeit gewi\xDF die Betrachtung eines Philosophen verdienet.
Es halten sich diese Thierchen unter der Erde, gleichsam in einer Stadt auf, die bis 12000. solcher Einwohner beherbergen kann. Es giebt dreyerley Arten Wespen: Die Weiblein, die gro\xDF und Anfangs wenig an der Zahl sind; die M\xE4nnlein, die ihnen an Gro\xDFe nicht beykommen, sie aber an Menge \xFCbertreffen; und die Maulesel, die weder m\xE4nnlichen noch weiblichen Geschlechts sind, und die schwereste Arbeit verrichten m\xFC\xDFen. Diese sind kleiner und h\xE4ufiger, als alle anderen und machen den betr\xE4chtlichsten Theil ihres Volkes aus.
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Die Wespen haben dreyerley Arbeit zu verrichten: die Erbauung ihres Beh\xE4ltnisses, die Sammlung ihrer Nahrung, das Ausbr\xFCten ihrer Eyer, und die damit verkn\xFCpfe Versorgung ihrer Jungen.
Zu dem Baue eines Wespennestes suchen sie unter der Erde einen Ort aus, wo die Maulw\xFCrfe und Hamster zu graben angefangen haben; oder sie bereiten selbst eine Wohnung, doch allezeit unter einer Bedeckung, an einer H\xF6he, damit das Wasser ihnen nicht beschwerlich falle und niedriger stie\xDFe. Sie schreiten zur Arbeit, so bald sie nur den Aufenthalt bestimmet haben, machen Tiefen und H\xF6hlungen, brechen das Erdreich ab, werfen davon etwas heraus, und tragen es oft weiter weg. Ihre Beh\xE4ndigkeit mu\xDF sehr gro\xDF seyn, weil sie in wenig Tagen einen Bau vollf\xFChren k\xF6nnen, der einen
Fu\xDF hoch, ja oft h\xF6her, und eben so breit ist.
Wenn ein Theil der Wespen dergestalt die Erde aush\xF6let, so suchen alle andere im Felde die \xFCbrigen Baunohtwendigkeiten; und so wie die Erde wegger\xE4umet wird, befestigen sie das ganze Gew\xF6lbe durch eine Verkittung, die verhindert, da\xDF die Erde nicht wieder
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einschie\xDFet. Nachdem bauen sie von oben zu, und vertiefen ihre Geb\xE4ude, als wollten sie gleichsam eine Glocke verfertigen, die von unten zugemacht wird. Zu Verrichtung dieser Arbeit haben sie am Munde einen R\xFC\xDFel, und an beyden Seiten zwo kleine S\xE4gen, die von der Rechten zur Linken gegen einander beweget werden. Sie sind auch mit zwey grossen H\xF6rnern und sechs F\xFC\xDFen versehen. Man kann nicht sagen, ob sie in ihrem Bauen sich auch des R\xFC\xDFels bedienen; aber man wei\xDF, da\xDF sie mit den S\xE4gen die Erde in ganz kleine St\xFCcke brechen, und mit den F\xFC\xDFen sie heraustragen.
Der Bau der Wespen bestehet aus Holz und Leim. Die sogenannten Maulesel rei\xDFen das Holz von Fenstern, Gel\xE4ndern in Garten, und den \xE4u\xDFersten Theilen der D\xE4cher. Sie wissen solches zu s\xE4gen, bringen es in kleinen Splittern fort, und pflegen solche zu zersto\xDFen, und nachher einen kleinen Vorraht davon zwischen ihre F\xFC\xDFe zu nehmen, auf den sie einige Tropfen von dem klebrichten Safte, der sich in ihrem Bauche befindet, fallen lassen, einen Teig machen, kneten, und so lange rollen, bis es kugelf\xF6rmig wird. Diese Kugeln legen sie auf den Ort ihres Geb\xE4udes, den sie
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erweitern oder befestigen wollen, und dehnen solchen mit dem R\xFC\xDFel und den F\xFC\xDFen auseinander, indem sie r\xFCckw\xE4rts gehen. Will diese Kugel noch nicht platt genug werden, und zureichen, so wendet die Wespe ihn um, und tritt und knetet ihn vom neuen weiter aus, und zwar alles wie vorher, im R\xFCckw\xE4rtsgehen. Solches wiederholet sie drey - oder viermal, und endlich wird aus diesen zerfaserten Splittern ein kleines so d\xFCnnes Blatt, von grauer Farbe, dem das feinste Papier nicht gleich k\xF6mmt. Nachdem die Wespe ihre erste Kugel dergestalt angebracht hat, begiebt sie sich wieder aufs Feld, und holet mehr Kugeln zu neuen Bl\xE4ttern. Sie leget eines der selben auf das andere. Die schon gesammelten werden von andern Mauleseln mit neuen belegt, und aus diesen, so k\xFCnstlich zusammen gekleisterten, und mit einerley Leim in einander gef\xFCgten Bl\xE4ttern bestehet das Gew\xF6lbe, welches der ganzen Wohnung zur Decke dienet, und auf gleiche Art werden auch die Zellen und Pfeiler verfertiget. Letztere sind breit und dicker, starker geleimet, und mit Kn\xE4ufen und F\xFC\xDFen versehen.
An ihrem Geb\xE4ude sind zwo Th\xFCren. Durch die eine kommen die Wespen, die
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zu tragen haben, und aus der andern begeben sie sich aufs Feld, damit sie sich einander beym Aus-und Eingehen nicht hindern. In jeder Wohnung sind eilf Stockwerke, und sie k\xF6nnen aus jedem Stockwerke in das andere, und daselbst in alle Zellen, deren einige sehr ger\xE4umig, andere aber sehr eng sind, kommen.
Die grossen Zellen in den Wespennestern, dienen, die Eyer aufzubehalten, aus welchen die M\xE4nnchen und Weibchen der Wespen kommen, die engen aber sind f\xFCr die Eyer, aus welchen die sogenannten Maulesel entstehen, die um ein grosses kleiner sind, als alle andere Wespen. Diese Baumeister wissen die Verh\xE4ltnisse ganz genau zu treffen. Die Hausm\xFCtter legen kein Ey, das ein M\xE4nnchen oder Weibchen hervorbringen soll, in die Zellen des Maulesel. Diese Zellen sind 7. oder 8. Gerstenk\xF6rner tief, und 2. breit; die andern aber haben eine Tiefe von 7. bis 8, und eine Breite , von 3. oder mehr. Die Pfeiler sind ohngefehr 6 Gerstenk\xF6rner hoch. Zwischen zweyen Stockwerken befinden sich 39 oder 40, bisweilen auch noch mehr solcher Pfeiler. Die Kunstrichtigkeit derselben ist erstaunensw\xFCrdig. Sie sind
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insgesammt sechseckigt, und diese Figur ist nach allen St\xFCcken die geschickteste, um diese Zellen zusammen zu f\xFCgen, und so einzurichten, da\xDF kein Zwischenraum bleibe. W\xE4ren die Pfeiler nicht rund gewesen, so w\xFCrden sie sich zwar ber\xFChret, aber einen unn\xF6thigen Zwischenraum gehabt haben. Dreyeckigte oder viereckigte Pfeiler w\xFCrden zwar ganz wohl an einander geschlossen haben; aber die innwendigen Winkel h\xE4tten keinen Nutzen gehabt, weil das Thier rund ist, das darinn wohnen sollte. Sie sind sechseckigt, kommen der Runde am n\xE4chsten, und ber\xFChren einander vollkommen, Seite gegen Seite. Es sindet sich also gar kein leerer Raum, und diese Zellen werden durch ihre k\xFCnstliche Vereinigung mit den andern dicht und haltbar, so schwach sie auch an sich selbst sind. -Die Pracht des sch\xF6nsten Palastes kann keine billigere Bewunderung erwecken, als die regelm\xE4\xDFige Ordnung dieser kleinen Wespenwohnung. —
Die Wespen bauen gerne in der Nachbarschaft der Bienen, nicht weit von den besten Weinlatten, am allerliebsten aber neben einer K\xFCche, weil sie da die Lebensmittel zubereitet vorfinden. Die Maulesel und die M\xE4nnchen ziehen
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auf die Jagd, schwermen aller Orten, sogar in den St\xF6cken der Bienen, die sich oftmals ihrer kaum erwehren k\xF6nnen. Sie sind Kenner und Liebhaber der be\xDFten Fr\xFCchte, und erholen sich an denselben, wenn sie bey den Bienen kein Honig antreffen. Sie nehmen aber auch mitt viel schlechtern Sachen vorlieb. Es schmeckt ihnen in einer K\xFCche alles, Gefi\xFCgel, Wildpr\xE4t, Speck und rohes Fleisch. K\xF6nnen sie ihre Wohnung nahe bey einem Schlachter anlegen, so werden sie diesen Nachbarn allen andern vorziehen, bey ihm St\xFCckchen Fleisch abholen, die halb so gro\xDF sind als sie selbst, und alles in ihre Wohnung bringen, wo die Weibchen den Jungen den Raub austheilen. Die Schlachter dulden sie auch gern, denn sie lassen keine Fliegen, noch anderes Ungeziefer in die Fleischbank kommen, sondern vertreiben sie ohne alle Gnade. Sie verunreinigen auch nichts, wie die Fliegen, weil die Weibchen mit den Eyern allezeit im Wespenstocke bleiben. Ob man ihnen nun gleich den Ruhm der Reinlichkeit und des Flei\xDFes nicht absprechen kann, so besitzen sie doch auch andere Eigenschaften, die sehr schlimm sind. Sie sind gefr\xE4\xDFig, grausam, und von dem Fliegenvolke
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die einzigen, die ihre Feinde fressen. Sie stehlen nicht nur den Honig, sondern morden und verzehren sogar die Bienen. Gleichwohl steht dieses einigermassen dadurch zu entschuldigen, da\xDF die Wespen jederzeit eine zahlreiche Familie zu versorgen haben.
(Der Beschlu\xDF folgt im n\xE4chsten St\xFCck.)
Die giltige Ursache.
Dionysius von Syrakusa fragte den Weltweisen
Aristippus, woher es k\xE4me, da\xDF man die Philosophen immer vor den Pall\xE4sten der F\xFCrste, niemals aber die F\xFCrsten vor den Th\xFCren der Philosophen s\xE4he? — Aristippus antwortete, solches gesch\xE4he aus eben der Ursache, warum man gemeiniglich die Aerzte bey den Kranken, nicht aber die Kranken bey den Aerzten f\xE4nde.
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